Geschichten:Freudenstein gleich nach der Schlacht - Reue: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 25. Januar 2014, 08:43 Uhr

Geschlagene fünf Tage und Nächte lag Alissa in tiefem Schlaf. Sie träumte von dem, was zuletzt vorgefallen war. Immer und immer wieder stach sie Belcampo das Schwert in die Brust und die Genugtuung, die sie zunächst bei dieser Tat hatte, wich immer mehr einer tiefen Reue. Thalionmel besuchte ihre Nichte oft am Krankenbett, musste sich jedoch auch um andere Belange kümmern. Und so wachte nur der Leibarzt am Bett der jungen Frau.
Er sah mit an, wie Alissa sich im Schlaf quälte, immer wieder den Kopf hin und her warf und im Schlaf weinte. Er machte sich große Sorgen, da er dachte, ihr Gemütszustand wäre durch die letzten Ereignisse beinahe zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden.
Alissa hingegen haderte in ihren Träumen mit ihrem Gewissen. Sie sah immer wieder diese schreckliche Szene auf dem Hof der Burg und konnte nicht begreifen, wie sie zu so etwas nur fähig war. Sie sah sich immer wieder nach dem Schwertstich in eine große Schwärze fallen. Sie weinte, doch niemand half ihr. Sie war verzweifelt. Sie konnte sich nicht helfen, konnte Belcampo nicht helfen und alles in ihr schrie über diese Ungerechtigkeit.
Als sie wieder einmal zu fallen drohte und nicht mehr die Kraft aufbrachte, sich gegen diese Bilder zu wehren, begann sie zu beten. Sie betete zu Boron, sie doch endlich zu erlösen, sie von diesem Leid zu befreien und somit ihre Schuld zu tilgen. Sie schloss die Augen und richtete ihr Herz auf ihr Gebet und bereute ihre Tat aus tiefstem Herzen. Und während sie betete veränderte sich etwas um sie herum. Sie nahm diese endlose Schwärze nicht mehr so bedrohlich wahr. Was sie jedoch mehr verwunderte: Sie fiel nicht mehr. Es schien, als würde sie ein sanfter Hauch zu Boden geleiten. Sie betete voller Inbrunst weiter und während sie sprach erinnerte sie sich an das Erlebnis in Almada, wo sie ihren tiefen Glauben für Boron entdeckte, da sie Zeugin wahrlich göttlichen Wirkens geworden war. Und Alissa fürchtete sich auch nicht länger. Ein warmes Gefühl der Geborgenheit wuchs in ihrem Inneren und da brach ein Damm in ihr. Tränen traten ihr in die Augen und spülten all ihre Verzweiflung, ihren Zorn und den Hass fort und zurück blieb das Gefühl der aufrichtigen Reue und Demut. Sie dankte Boron für seine göttliche Gnade, denn sie glaubte, ihr Leid würde nun enden und sie würde in seine Hallen eintreten.
Doch sie hörte kein Rauschen der Schwingen Golgaris. Es war völlige Stille in dieser Dunkelheit, die sie umgab.
Der Leibarzt bemerkte die Veränderung, die an der Nichte der Baronin vorgegangen war. Sie schien friedlich zu sein und auch auf ihren Lippen zeichnete sich ein leichtes Lächeln ab. Doch was den Arzt sehr beunruhigte war, dass Alissa immer blasser wurde und schwächer atmete. Er machte sich zusehends Sorgen als er ihrem Pulsschlag überprüfte.
Dann geriet er in Panik!
Er ließ nach der Baronin schicken und wusste selbst nicht so recht, was er tun sollte. Irgendetwas lief in die falsche Richtung.
Die Baronin eilte so schnell herbei, wie sie konnte. Der Arzt blickte die Baronin besorgt an und sagte dann recht leise: "Euer Hochgeboren, es sieht nicht gut aus. Vor noch etwa einer Stunde quälte sich eure Nichte mit wohl furchtbaren Träumen herum, doch dann wurde sie ruhiger. Ich dachte zunächst, dass nun der Heilungsprozess einsetzen würde, doch als ich dann die Atmung und den Puls überprüfte, stellte ich fest, dass beides schwächer wird. Ich fürchte, Eure Nichte wird bald in Borons Hallen einziehen."
Die Baronin von Erlenstamm traute ihren Augen und Ohren nicht. Hatte ihr Leibarzt tatsächlich gerade gesagt, dass ihre Nichte sterben würde? Starr vor Schreck und Kreidebleich blickte sie ihre Nichte an. Alissa lag friedlich auf den Kissen, aber auch der Baronin fiel der unnatürlich bleiche Hautton ihrer Nichte sofort auf. "Wie lang…?", brachte die Baronin gepresst hervor. Der Arzt schüttelte den Kopf und meinte, dass er es nicht genau einschätzen könnte, es aber wohl nicht mehr lang dauern könnte. Die Baronin ließ sich auf einen Sessel am Bett ihrer Nichte sinken und wollte nun nur noch an ihrer Seite verweilen.
Alissa war indes immer noch in ihre Träume verstrickt. Die Dunkelheit um sie herum wirkte ein wenig befremdlich, doch war sie sich sicher, dass sie nicht mehr lange warten musste.
Und tatsächlich hörte sie plötzlich das Rauschen von Flügeln. Sie dachte, es wäre nun soweit und Golgari wäre gekommen, um sie abzuholen. Doch irgendetwas war anders. Ein Lichtstrahl bahnte sich seinen Weg und kam auf einem prächtigen schwarzen Raben zum liegen. Alissa war sehr beeindruckt von diesem wunderbaren Tier und trat ein wenig näher heran. Der Rabe schüttelte sein Gefieder und blickte Alissa mit seinen glänzenden Augen an.
"Bist Du gekommen, um mich zu holen?", fragte Alissa leise. Wieder schüttelte sich der Rabe und Alissa vernahm eine Stimme in ihrem Kopf. "Ich bin nicht der, für den du mich hältst, doch habe ich eine Botschaft für dich." Alissa war ein wenig verwundert. Sie konnte nicht so recht einschätzen, was gerade passierte, doch hörte sie dem Raben weiter zu. "Mein Herr hat mich zu Dir geschickt." Er erläuterte Alissa sein Anliegen. Sie verstand und nickte. "Es soll so geschehen, wie euer und auch mein Herr es wünscht."
Der Rabe verschwand und Alissa kehrte allmählich in die Wirklichkeit zurück. Der Leibarzt bemerkte es als erster. "Euer Hochgeboren, eure Nichte scheint doch stärker zu sein, als wir dachten. Seht nur, ihr Gesicht!"
Die Baronin blickte auf und sah ihre Nichte an. Und auch sie bemerkte, dass Alissas Gesicht allmählich wieder Farbe bekam. Auch die Atmung wurde kräftiger und das Herz schlug wieder völlig normal. Die Baronin atmete tief durch und war sichtlich erleichtert, dass ihre Nichte ihr erhalten blieb.
Und etwas später schlug Alissa die Augen auf. Sie sah den Leibarzt an und sah auch dann, dass ihre Tante an dem Bett ihrer Nichte saß. Alissa gab zu verstehen, dass sie gern einen Schluck Wasser haben wollte, sprach aber sonst kein Wort. Die Baronin schob das alles auf die Ereignisse der letzten Tage und war dankbar, dass ihre Nichte noch lebte. So stellte sie keine Fragen und ging etwas später wieder ihren Geschäften nach.
Alissa kam recht schnell wieder zu Kräften. Der Arzt war sehr verwundert darüber, denn er hätte schwören können, dass Alissa noch ein paar Tage hätte im Bett bleiben müssen. Doch die junge Frau schien vor Leben nur zu strotzen. Er konnte sich das nicht erklären, aber er wollte die Baroness in ihrem Eifer auch nicht bremsen. So hatte er auch nichts dagegen, dass Alissa noch am gleichen Tag aufstand und in den Hof hinaustrat.
Die Baronin war sichtlich erfreut, ihre Nichte so schnell wieder auf den Beinen zu sehen und sie bemerkte zudem, dass die junge Frau wie beflügelt zu sein schien. Doch leider bemerkte sie auch, dass Alissa anders war, als vorher. Sie lächelte viel und ging höflich mit jedem, der ihr über den Weg lief, um, aber sie sprach kaum ein Wort. Und was die Baronin noch merkwürdiger fand, war die Tatsache, dass ihre Nichte jeden Tag fünf Stunden kniend in der zur Burg gehörigen Kapelle betete. Was war bloß mit ihrer Nichte passiert? Hatte der Vorfall mit Belcampo ihrer Seele einen solchen Schaden zugefügt, dass Alissa vielleicht nicht mehr sie selbst war? Schon allein die Tatsache dieses langen, merkwürdigen Schlafes war der Baronin nicht geheuer, aber sie vermutete tatsächlich, dass ihre Nichte langsam aber sicher wohl doch dem Wahnsinn anheim fallen würde.