Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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„Ihr seid die einzige Geweihte hier“, wiederholte die Alka schulterzuckend.
 
„Ihr seid die einzige Geweihte hier“, wiederholte die Alka schulterzuckend.
  
„Sucht Ihr etwa so etwas wie Absolution?“, erneut lachte ich, „Schickt Eure Bogenschützen. Wer Menschen töten kann, kann auch einem Pferd den Garaus machen.“
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„Sucht Ihr etwa so etwas wie Absolution?“, erneut lachte ich, „Schickt Eure Bogenschützen. Wer Menschen töten kann, kann auch Pferden den Garaus machen.“
  
 
So geschah es. Sie töteten die schwer verletzten Tiere. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das letzte von ihnen starb, anscheinend war es einfacher einen Menschen zu töten als ein Pferd. Aber was verstand ich schon davon? Ich sah wie Nebelstreif, der treue Gefährte der Raukenfelserin, einen elendigen Tod starb und wie der Mühlbach sich rot färbte. Blutrot.
 
So geschah es. Sie töteten die schwer verletzten Tiere. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das letzte von ihnen starb, anscheinend war es einfacher einen Menschen zu töten als ein Pferd. Aber was verstand ich schon davon? Ich sah wie Nebelstreif, der treue Gefährte der Raukenfelserin, einen elendigen Tod starb und wie der Mühlbach sich rot färbte. Blutrot.

Version vom 24. März 2021, 16:50 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.


Schwarz, Schwärzer, Schwarztannen

(...)

Gerbachsroth, Firun 1044

Alderan stand etwas ratlos am Grab seiner Frau. Er hatte sie aus politischen Gründen geheiratet und sie eigentlich auch kaum gekannt, aber er fühlte sich dennoch für ihren Tod verantwortlich, war sie doch bei der Geburt ihrer Kinder gestorben. Er war ehrlich traurig und verfluchte sich nicht an ihrer Seite gewesen zu sein. Gut es war langweilig in Gerbachsroth, aber er hatte ihr gegenüber eine Verantwortung gehabt. Es war wohl eine äußerst schwere Geburt gewesen. Das erste Kind war gesund und munter gewesen, aber das zweite war nur noch todgeboren worden und hatte bald darauf seine Mutter mit sich auf die Reise über das Nirgendmeer genommen. Er hätte wohl nichts daran ändern können, aber er hätte wenigstens an ihrer Seite sein sollen.

Er hatte sie während ihrer Schwangerschaft nur einmal besucht, ein Umstand der ihn nicht gerade mit Stolz erfüllte. Auch wenn er dafür von seinen Freunden aufgezogen worden war hatte er sich am Hof des Markvogtes stets an die Gebote der Travia gehalten. Andere mochten ihn als lebenslustig und feierfreudig einstufen, aber er war doch immer noch aus altem Koscher Adel. Freilich hatte er bis auf Kindertage nie im Kosch gelebt, aber eine gewisse Verantwortung brachte der Name „von Nadoret“ doch mit sich.

Nun war er nach nicht einmal einen Jahr Ehe bereits Witwer und für ein Kleinkind verantwortlich, darüber hinaus auch noch für Stordan, Sigmundes Sohn aus erster Ehe. Der Bursche war auch erst sieben Jahre alt. Immerhin war Stordan bereits in Pagendiensten und damit außer Hause. Seine sonstige Familie bestand nur aus Kindern, aber er war bei seiner Pagenmutter in guten Händen. Sie würde sich schon um den Vollwaisen kümmern.

Alderan hielt es ganze acht Tage auf Gerbachsroth aus, dann nahm er seine Tochter Brinhild, genannt nach dem Zweitnamen ihrer Mutter, mit sich und ritt nach Scharfenstein um bei Baron Drego vorzusprechen. Das Gespräch währte nicht sehr lange. Weder Baron, noch die vielen Rians an seinem Hof schienen seiner Gattin eine Träne nachzuweinen und hatten ihn kurzerhand zum neuen Edlen ernannt, konnte ein Kind doch in Zeiten von schweren Fehden kein Lehen führen.

Am Rande traf er sogar kurz auf Meara ni Rían, die Gattin seines gefallenen Bruders. Er hatte sie vorher noch nie kennengelernt und war durchaus daran interessiert die zurückgezogene Frau etwas näher kennenzulernen, aber Meara schien auf seine Familie nicht gut zu sprechen zu sein und fand bald einen Grund das Gespräch abzubrechen. Die nächsten zwei Tage ging sie ihm dann aus dem Weg.

Also brach Alderan schließlich mit Klein-Birnhild auf. Er wusste nicht so recht was er mit einem Kleinkind anfangen sollte, drum entschied er sich sie zu seiner Mutter bringen. Sie würde seine Tochter sicher gerne aufziehen. Er wusste ja auch gar nicht wie man so etwas machte und außerdem war der Hof des Marktvogtes nichts für kleine Kinder. Er würde sie auch bitten ihm einen Vogt zu empfehlen, der die Amtsgeschäfte vor Ort erledigen konnte und Alderan die Rendite des Lehens direkt an den Hof schickte. Am besten ein Koscher aus altem Adel, der seiner Familie gegenüber loyal war und nicht in seine eigene Tasche wirtschaften würde.

Autor: Sindelsaum

Weiß wie Schnee

Schicksal bleibt Schicksal

Hexenwald

[...]

Sternguckerin

Eine Peraine-Novizin erhält ihre Weihe und muss sich kurz darauf in der Fehde beweisen, dabei muss sie sich nicht nur den den menschlichen Abgründen der Fehdeparteien stellen, sondern auch sich selbst.

Tempeltreu

Stadt Schwarztannen, im Hesinde 1043 BF

Der Sterngucker hatte lange gedauert. Während ich an der Seite der Gebärenden ausgeharrt und sie nach besten Kräften unterstützt hatte, war meine Lehrmeisterin zu anderen Geburten gerufen worden. Sie war nur gegangen, weil ich bleiben konnte. Inzwischen, nach den vielen Götterläufen, die ich bereits bei ihr hatte lernen dürfen, vertraute sie mir auch schon mal allein ihre Frauen an, auch wenn sie es nicht gerne tat, was allerdings nicht an meinem Können lag, sondern einfach nur an dem Umstand, dass sie einfach gerne selbst bei ihren Frauen war. Zu Beginn hatte ich Hild oft begleitet, war fast permanent bei ihr gewesen und nur ganz selten im Tempel, doch inzwischen hatte sich das geändert. Inzwischen war ich wieder mehr im Tempel und nur noch gelegentlich bei ihr. Meist dann, wenn es zu viel zu tun gab und sie nicht überall gleichzeitig sein konnte oder aber, wenn die Geburt eine besondere war. Diese hier, die war eine. Es war ein Sterngucker.

Ich soll auch eine gewesen sein. Eine Sternguckerin. Dabei schaut das Kind die Mutter bei der Geburt an. Oft kam das nicht vor. Die Geburten waren schwerer und dauerten länger. Bei meiner Mutter soll das auch so gewesen sein. Kurz nach meiner Geburt starb sie und die alte Hebamme Hild, die damals bei meiner Geburt dabei gewesen war, hatte mich in den Tempel der Peraine gebracht. Ich sei klein gewesen, ein winziges Kind, hatte Hild mir erzählt. Keiner habe damals gewusst, ob ich nicht meiner Mutter nachfolge. Man gab mir den Namen Lindegard, weil ich irgendwie wie eine Lindegard aussah. Damals war die Heilige Lindegard, die zur Zeit der Magierkriege gelebt hatte, noch gar keine Heilige. Und weil meine Mutter ihren Namen nie genannt hatte, wobei niemand mit Sicherheit hatte sagen können, ob sie es nicht hatte wollen oder nicht hatte können, wurde ich eine Tempeltreu. Die Familie Tempeltreu war die Familie der Findelkinder und irgendwie war ich ja eines, ein Findelkind. Seit dem lebte ich im Tempel. Meine Familie waren die Bewohner des Peraine-Tempels. Die Geweihten waren meine Mütter und Väter und die Novizen meine Geschwister. Ich vermisste nie etwas. Der Tempel war mein Heim. Und wenn ich mich nach meiner Mutter sehnte, jener Frau, die mich geboren hatte, ging ich zum Boronanger draußen vor der Stadt. Da lag sie. Seltsam war es schon, ich hatte so gar keine Beziehung zu ihr Sie war eine Fremde für mich, eine – und dafür schämte ich mich sogar ein wenig – die mich nicht wirklich interessierte.

Als das Kind das Licht Deres erblickte, war Hild gerade wiedergekommen. Später, auf dem Weg zum Tempel, lobte sie mich: „Du hast wirklich schon viel gelernt. Bald brauchst du mich nicht mehr.“ Einen Moment schwieg sie. „Damals, bei meiner ersten Geburt, bei der ich alleine war, habe ich dem Kind den Arm gebrochen. Es musste plötzlich schnell gehen und ich war nicht zimperlich… Das ärgert mich zwar noch heute, allerdings ist der Bruch gut verheilt und Mutter und Kind waren wohl auf.“

Ich nickte erschöpft. Die letzten beiden Nächte hatte ich nicht geschlafen und so sehnte ich mich nach meinem Bett, auch wenn die Praiosscheibe hoch am Himmel stand. Meine Gedanken wurden zunehmend fahriger und dann, dann kam mir plötzlich diese Fehde in den Sinne: „Was glaubst du, bedeutet die Fehde für uns?“

„Für uns Hebammen oder für euch Geweihte?“, hakte sie nach. Auch sie hatte nicht geschlafen, aber sie wirkte hellwach.

„Für beide“, erwiderte ich nickend.

„Viel Arbeit“, sie nickte ernst, „Sehr viel.“

„Dann glaubst du, es werden mehr Kinder geboren?“, wollte ich verunsichert wissen, weil ich mir das kaum vorstellen konnte.

„Habe ich das etwa gesagt?“

„Ähm“, begann ich zu stammeln, „Hast du... hast du denn nicht?“

„Du wirst viel Elend sehen, Lindegard“, sie legte sanft ihre Hand auf meine Schulter, „Elend, das nicht hätte sein müssen. Elend, das...“ Abrupt verstummte sie. Wir waren inzwischen beim Tempel angekommen. Vorne vor dem Tempel wartete Baldur von Immenhort, der Prätor des Tempels. Verunsichert blickte ich ihn an.

Schneeglöckchen

Tempel der eingebrachten Früchte, Stadt Schwarztannen, im Hesinde 1043 BF

„Es hat...“, meine Stimme zitterte, „... hat ein wenig länger gedauert.“

Baldur von Immenhort nickte: „Ich weiß, ich habe mit deiner Lehrmeisterin gesprochen.“

Verunsichert blickte ich zu Hild, die mir ein freundliches Lächeln schenkte, dann wandte ich mich wieder Hochwürden zu. Dass er da gerade Hild als meine Lehrmeisterin bezeichnet hatte, kam einem Ritterschlag gleich. Aus irgendeinem Grund gab es Differenzen zwischen den Peraine-Geweihten und den Hebammen was die Geburtshilfe betraf. Zwar hatte Hild mich das nie spüren lassen, aber über das geredet, was zwischen ihr und meiner Kirche stand, hatte sie nie. Auch im Tempel hat nie jemand darüber gesprochen. Kaum verwunderlich, wurde meine Wunsch damals, auch bei einer profanen Hebamme zu lernen, abgelehnt. Ich ging trotzdem. Hild war nicht begeistert. Sie schickte mich in den Tempel, aber ich ging nicht. Hochwürden bestellte erst mich ein, ich erschien auch und erklärte, dass ich nicht beabsichtige mich zu fügen. Ich blieb stur. Ich hatte das Gefühl, dass es einfach die richtige Entscheidung war, dass die Herrin Peraine von mir verlangte, dass ich mich dafür einsetzte. Ich hatte das Hochwürden nie so gesagt, weil... weil ich fürchtete, dass er mir nicht so recht glaubte. Er bestellte dann auch Hild ein. Erst sah es so aus, als ob sie nicht käme. Dann kam sie doch, auch wenn viel zu spät, eine Geburt hatte sie aufgehalten. Die beiden stritten miteinander. Sie hatten sich ins Tempelinnere zurückgezogen, aber man konnte ihre aufgewühlten Stimmen hören, obgleich ich kein Wort verstand. Nie wieder habe ich die beiden so erlebt. Am Ende einigten sie sich, worauf, dass erfuhr ich nicht. Ich bekam jedoch meinen Willen und das war mir genug.

Ich schluckte, wollte etwas erwidern, aber ich brachte kein Wort heraus. Irgendetwas ging hier vor sich.

„Komm, Lindegard“, sagte er, „Lass uns hineingehen.“

Mit klopfendem Herzen stieg ich die wenigen Stufen zu ihm hinauf. Ich warf meiner Lehrmeisterin einen letzten Blick zu, dann ging ich an der Seite von Hochwürden in den Tempel hinein. Es war seltsam, wie wir da Seite an Seite durch den Tempel schritten. Er schwieg. Es war ein angespanntes Schweigen. Blicke folgten uns, manche schenkten mir ein aufmunterndes Lächeln, manche betrachteten mich lediglich äußerst nachdenklich. Ich fühlte mich zunehmend seltsamer.

„Habe ich… ich etwas falsch gemacht?“, wollte ich mit brüchiger Stimme wissen und wagte es nicht Baldur von Immenhort anzusehen.

„Wie kommst du darauf?“, gab er die Frage zurück.

„Weil... weil...“, konnte ich nur stammeln, während wir weiter in das Tempelinnere gingen. Immer weiter und weiter gingen wir, immer tiefer und tiefer, bis wir in einen Raum kamen, in dem ich noch nie gewesen war und bei dem ich wusste, das ich dort nichts zu suchen hatte. Hier zog sich Hochwürden zurück, wenn er mit unserer Herrin allein in Zwiesprache treten wollte. Es störte ihn dabei nie jemanden. Und nun war ich hier und ich sollte nicht hier sein...

Der Raum war nicht sonderlich groß, wirkte gemütlich und irgendwie einladend. Ich spürte, dass unsere Herrin hier besonders präsent war, obgleich ich nicht so recht wusste warum. Auf einem runden Tisch mit vier Stühlen lag eine Garbe güldener Ähren und ein Stück grünes Tuch mit einer Ährenstickerei, beides erinnerte mich an die Roben der Geweihten der Herrin Peraine. Daneben gab es eine Sitzecke mit vielerlei grünen Kissen. Es gab auch einen kleinen Schrein unserer Herrin. Dort lagen Storchenfedern. Durch ein Fenster konnte man in einen kleinen Garten blicken. Der Prätor bemerkte meinen interessierten Blick und erklärte: „Ich habe gedacht, ich hätte zumindest noch Zeit, bis die Herrin Tsa den Herrn Firun so langsam zu vertreiben beginnt. Dort draußen fühlt man sich unserer Herrin noch viel näher. Wenn alles grünt dann...“ Er verstummte. „Aber schau, dort! Dort reckt sich ein Schneeglöckchen keck hervor.“

Ich sah es nicht gleich, ich stand noch immer am Tisch, doch dann nickte ich und erwiderte: „Ja, das stimmt.“

Baldur von Immenhort blickte noch immer nach draußen, während mein Blick erneut auf den Tisch fiel und ich wieder feststellte, dass das Stück Tuch, vielmehr sogar ein Stoffbündel, wirklich an eine Robe der Geweihten erinnerte. Unweigerlich glitten meine Finger über die Ährenstickerei. Und dann, ganz plötzlich, begriff ich: Ich hatte nichts falsch gemacht, ich sollte…

„Ich… ich bin doch noch viel zu jung!“, meine Stimme zitterte, „Das ist... ist viel zu früh!“ Auch meine Finger zitterten. Ich war geschockt, denn das... das hatte ich nicht erwartet. Alles hatte ich erwartet, wirklich alles, aber... aber das?

„Nein, Lindegard“, Baldur von Immenhort bedachte mich mit einem sanften Blick, „Damals, als deine Lehrmeisterin dich zu uns in den Tempel brachte, stand es schlecht um dich. Keiner von uns glaubte aufrichtig daran, dass du es schaffen könntest. Eine Nacht verging. Es war bitterkalt, es war Winter. Und am nächsten Morgen, sah ich das zarte, helle Grün dort draußen zwischen dem Schnee hervorblitzen. Ein zartes Schneeglöckchen kämpfte sich ins Leben. Da keimte in mir die Hoffnung, dass du es ihm gleich tun würdest. Und so war es auch.“ Einen Moment schwieg er. „Dies ist der richtige Zeitpunkt. Unsere Herrin braucht uns. Ein jeden von uns. Sie braucht dich, Lindegard!“

Storchenbiss

Stadt Schwarztannen, im Tsa 1043 BF

In der Abgeschiedenheit dieses Raumes und meiner Göttin so nahe, erhielt ich meine Weihe. Ein Moment dem ich entgegengefiebert, aber der mich dann doch recht kalt erwischt hatte. Später erfuhr ich, dass Hochwürden zuvor Perainidane die Weihe erteilt hatte. Danach sah man ihn geraume Zeit erst einmal nicht mehr. Er war sehr erschöpft, hieß es nur. Zwei Novizen die Weihe kurz nacheinander zu erteilen, das sei in der Regel gar nicht möglich, doch die Herrin Peraine habe es so gewollte und nur weil es ihr Wille gewesen war, habe Hochwürden dies überhaupt vollbringen können.

Viel änderte sich durch meine Weihe nicht. Ich tat noch immer dieselben Dinge, die ich auch als Novizin getan hatte, ich ging noch immer denselben Aufgaben nach, denen ich auch als Novizin nachgegangen war. Und doch gab es Veränderungen. Ich hatte die einfache grüne Kutte der Novizen gegen eine Robe der Geweihten getauscht. Mir gebührte nun die Anrede Euer Gnaden, auch wenn alle lediglich Schwester Lindegard sagten. Doch eines, eines das änderte sich dann doch: Die Kraft meiner Herrin war in mir geweckt worden. Sie war, da war ich überzeugt, schon immer in mir gewesen, doch erst die Weihe hatte sie erweckt und nun, nun konnte ich sie auch nutzen. Bisher hatte ich das jedoch noch nicht getan, ihre Kraft sollte nur dann eingesetzt werden, wenn es ihrer wirklich bedurfte.

Es war inzwischen Tsa geworden und ich war gerade auf dem Rückweg von einer sehr schweren Geburt zurück in den Tempel, die Mutter hatte ich zusammen mit der alten Hebamme Hild, die ich noch immer als meine Lehrmeisterin bezeichnete, retten können, für das Ungeborene war es bereits zu spät gewesen, als in der Ferne ein feiner, heller Ton erklang. Er wehte von Burg Scharfenstein herüber. Wenige Augenblicke darauf stimmte die Feuerglocke der Stadt mit ein. Doch der klassische Ausruf „Feuer“ fehlte, stattdessen riefen die Büttel: „Zu den Waffen! Bürger, zu den Waffen!“ Da wusste ich, dass es passiert war.

Seit Hesinde belauerten sich Waldsteiner und Reichsforster an den Grenzen der beiden Grafschaften. Von der Stadtmauer aus wollten die Stadtwachen, die man im letzten Mond bereits verdoppelt hatte, immer wieder die Waldsteiner erspäht haben, wie sie sich an der Grenze der Grafschaften herumtrieben und wohl auskundschafteten, wo sie am Besten einfallen konnten. Man hatte in Schwarztannen jene Kräfte zusammengezogen, die nicht in die Kämpfe mit der Kaisermark oder Hartsteen verwickelt waren, das waren allerdings nicht viele, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass man am anderen Ende der Grafschaft auch noch Eslamsgrund im Nacken sitzen hatte. Verschärft wurde das ganze in Schwarztannen noch durch den Umstand, dass im Hesinde der Baron Raulfried Haltreu von Schwarztannen – Boron sei seiner Seele gnädig – bei der Vertreibung der Kaisermärker aus Gräflich Rubreth und der Baronie Syrrenholt gefallen war. Auch seinem Bruder Raulbrand Ughelm von Schwarztannen war es so ergangen. Gerade der Tod des Barons war so vollkommen unerwartet gekommen, dass seine Nachfolge noch nicht einmal geregelt war. Aber wer dachte auch schon daran, dass Golgari einen bald holen kam? Es war sein Bruder Raulbrin Reto von Schwarztannen, der seit diesem Tag zusammen mit seiner Mutter Enria von Schwarztannen Scharfenstein hielt.

Wenig später, da war ich gerade im Tempel angekommen, verbreitet sich die Kunde, das etwas zu Füßen der Waldsteiner Weidburg, aber im Gebiet des Reichsforstes, vorgefallen war. Hochwürden Immenhort schickte Perainidane von Erlenfall zusammen mit Schwester Theria um dort jene Leben zu retten, die es noch zu retten gab, ganz gleich auf welcher Seite. Zum Abschied schloss ich meine Glaubensschwester in die Arme und raunte ihr mit Tränen in den Augen ins Ohr: „Halt dich bloß von Golgari fern, Perainidane!“

Sie lachte und erwiderte: „Der Storchenbiss in meinem Nacken reicht mir, Lindegard, einen von Golgari brauche ich nicht auch noch.“

Luringan

Gegeben im Tsa 1043, zu Füßen der Weidburg

An Ihre Gnaden Lindegard Tempeltreu, Tempel der eingebrachten Früchte, Schwarztannen

Liebste Schwester,
 
 
 
 
es war, wie wir vermutet hatten: Die Waldsteiner haben versucht in Schwarztannen einzufallen, dass es ihnen nicht recht gelungen ist, ist einzig und allein den wenigen, aber tapferen Reichsforstern geschuldet, die die Waldsteiner so lange beschäftigt haben, bis das Auftauchen des Greifen Luringan die Kämpfe zum Erliegen brachte, obgleich keiner von ihnen wissen konnte, dass er kommen und ihnen Beistehen würde.

Es ist nicht so, dass ich ihn selbst gesehen habe, aber die Schilderungen der Reichsforster und Waldsteiner waren diesbezüglich eindeutig und stimmten so sehr überein, dass es keinen Zweifel gab. Er war es gewesen, Lindegard. Der Greif Luringan hat ihnen beigestanden. Was für ein Zeichen!

Das Aufeinandertreffen hier zu Füßen der Weidburg war kurz, aber heftig gewesen. Die Reichsforster wurden von Raulward Sigwulf von Schwarztannen angeführt, der – vielleicht hast du es bereits gehört – gleich in den ersten Augenblicken so schwer verwundet wurde, das wir nichts mehr für ihn tun konnten. Es ist bereits der zweite Tote in seiner Familie und mein erster Toter, der in einem solchen Gefecht starb. Freilich habe ich schon Tote gesehen, so wie auch du, doch unsere Toten starben meist aufgrund von Krankheit oder ihres hohen Alters, dieser hier jedoch wurde umgebracht. Ja, Lindegard, es war Mord. In einem Kampf zu sterben ist immer Mord, zumal die Reichsforster in der Unterzahl waren.

Schwester Theria schickte mich zu den Waldsteinern. Ich glaube sie tat es, weil sie sich das nicht selbst zutraute, denn als sie den toten Schwarztannener sah, da huschte etwas über ihr Gesicht, etwas das ich noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte. Ob es das Grauen war? So war ich es, die sich um die Verwundungen der Waldsteiner kümmerte. Es verlangte mir einiges ab. Diese Fehde bringt Elend über uns, über uns alle und sie verlangt von uns, die wir Geweihte der Herrin Peraine sind, dass wir helfen, wem wir helfen können, ganz gleich auf welcher Seite. Es hört sich so leicht an, doch das ist es nicht. Die Waldsteiner unter Führung von Irberod von Leustein hatten ihre eigene Interpretation zu den Vorkommnissen...

Wenn unsere Arbeit hier getan ist, werden Schwester Theria und ich nach Steinhude aufbrechen. Es ist anzunehmen, dass sich die Waldsteiner nicht an Schwarztannen oder Scharfenstein herantrauen, sowohl Stadt als auch Burg sind zwar nicht uneinnehmbar, aber durch ihre Mauern gut geschützt und nur schwer direkt anzugreifen. Wir glauben, wir können hier mehr tun. Die Familie Dachshag wird uns aufnehmen.

Wir werden uns erst einmal nicht wieder sehen, Lindegard. Doch wenn wir beide in die Sterne blicken, so wie du es bei deiner Geburt getan hast, dann werden wir uns nahe sein, Sternguckerin. So werden wir die Zeit überstehen und der anderen immer nahe sein, so lange bis wir uns wieder in die Arme schließen werden.
 
 
 
 
Deine Schwester

Perainidane

Drego

Tempel der eingebrachten Früchte, Stadt Schwarztannen, im Phex 1043 BF

Immer wieder erklang die Feuerglocke Schwarztannens. Durchdringend hallte ihr Geläut über die Stadt hinweg, rief nicht nur die Bürger zu den Waffen, sondern warnte auch alle Umliegenden vor einem möglichen nahenden Angriff der Waldsteiner.

Seit der „Schlacht im Greifen“, wie man jenes Aufeinandertreffen zwischen den Waldsteinern und den Reichsforstern zu Füßen der Weidburg inzwischen nannte, war es ruhig. Erstaunlich ruhig. Im Tempel nutzten wir die Zeit um uns auf das Schlimmste vorzubereiten. Keiner von und glaubte, dass es so ruhig bleiben würde, viel mehr handelte es sich dabei wohl um die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Noch ließ der Sturm jedoch auf sich warten.

In Schwarztannen gewöhnten wir uns an das wiederholte Läuten. Inzwischen war es so alltäglich, wie der Aufgang der Praiosscheibe. Das Leben ging weiter und doch verharrte es auf eine gewisse Art und Weise, zwar war ein Angriff auf die Stadt recht unwahrscheinlich, aber konnte man sich dessen sicher sein? Ein jeder harrte der Dinge die da kamen. Und sie kamen.

Anfang Phex ging das Gerücht in Schwarztannen um, dass Graf Drego den Baronsreif an einen bis jetzt gänzlich unbekannten Ritter verliehen habe, der denselben Namen trage. Die Familie Schwarztannen war außer sich, schließlich hatten sie fest damit gerechnet, dass die Baronie in den Händen ihrer Familie bleiben würde. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich, dass die Schwarztannener ernsthaft überlegten, das Tor Scharfensteins geschlossen zu halten und so den neuen Baron dazu zu zwingen sich nehmen zu müssen, was den angeblich seines sein solle. Weitere Gerüchte gingen um, die sich später als wahr herausstellen sollten: Noch bevor Baron Drego auch nur einen Fuß nach Schwarztannen gesetzt hatte, hatte er Xerber von Cronenfurt mit Baringen und Rondrara von Treleneck mit Esenfeld belehnt. Beide Güter waren zuvor in der Hand der Familie Schwarztannen gewesen. Es rumorte gewaltig in Scharfenstein. Und als er dann Mitte Phex in Schwarztannen eintraf, der neue Baron, blieb das Tor Scharfensteins geschlossen. Die Praios-Kirche hatte einen erheblichen Anteil daran, dass es nicht so blieb. Hochwürden aus Schwarztannen war ein harter Mann, er zwang die Schwarztannener in die Knie. So hieß es zumindest später. Wer kann schon in diesen Zeiten sagen, was wahr ist?

Als Ende Phex dann erneut der Klang der Glocke über Schwarztannen hinweg hallte, war ich gerade dabei einen der Kranken in dem kleinen Spital in unserem Tempel zu versorgen. An den Klang hatte ich mich ja inzwischen gewöhnt und so glaubte ich, dass es nur wieder eine dieser vermeintlichen Warnungen sei, wie es sie beinahe täglich gegeben hatte. Als Hochwürden jedoch zu mir kam, da wusste ich, dass dem nicht so war.

„Hinter Tannhus ist etwas vorgefallen“, raunte er mir leise zu, „Du wirst sofort aufbrechen, Lindegard. Du wirst Baron Drego begleiten.“

So lernte ich ihn kennen, den neuen Baron. Er war ein hochgewachsener Ritter, der in seine neue Rolle noch nicht recht hineinpasste. Er kam auch nicht allein, er bracht die Ritter Albur von Nordingen, Fael ui Rían und Yolande von Raukenfels mit. Auch sie lernte ich bald darauf kenne.

Rauch

Schwarztannen, Ende Phex 1043 BF

„Da hinten liegt Doriant“, ich deutete in Richtung des über dem Tannenwäldchen aufsteigenden Rauches.

„Dann sind sie schon dort“, schloss Albur von Nordingen, der einst als Hausritter auf Randersburg gedient hatte.

Mit trockener Kehle erwiderte ich lediglich: „Ja.“

„Ihnen in den Rücken zu reiten, wäre Irsinn“, meinte Yolande von Raukenfels, „Die Gefahr ist zu groß, dass sie Verstärkung aus Waldstein erhalten und uns zwischen ihren Fronten aufreiben.“

Drego von Altjachtern nickte zustimmend: „Was schlagt Ihr vor?“

„Wir reiten ihnen entgegen und versuchen schlimmeres zu verhindern“, antwortete die Ritterin, die bis vor kurzem noch im Reichsforter Grafenbann unter Nimmgalf von Hirschfurten – den selbstredend jedes Kind hier kannte – gedient hatte und auf deren Rat Baron Drego großen Wert zu legen schien. „Ihr habt erwähnt, es sei nicht der erste Übergriff, Euer Gnaden?“

„Ja“, meine Kehle war noch immer trocken, „Das letzte Mal haben sie versucht bei der Weidburg – zwischen Burg Scharfenstein und dem Dorf Steinhude – nach Schwarztannen einzufallen.“

„Und wie viele waren es?“, hakte sie nach.

„Dass kann ich Euch nicht sagen, da ich nicht vor Ort war“, ich zuckte mit den Schultern und fügte etwas leiser und ein wenig flehend hinzu: „Und bitte, bitte sagt nicht immerzu Euer Gnaden. Sagt Schwester Lindegard. Das tun alle hier. Einfach Schwester Lindegard, ja? Mit dem Euer Gnaden kann ich mich einfach nicht anfreunden...“

Und da war mir als huschte über jedes ihrer Gesichter ein kurzes Lächeln.

„Wir sollten uns jetzt aber wirklich eilen“, mischte sich Fael ui Rían ein, der einst Hausritter auf Rubreth gewesen war.

Baron Drego nickte schweigend.

„Und...“, die Raukenfelserin warf mir einen vielsagenden Blick zu, „... was ist mit Euch, Schwester Lindegard?“

„Oh, sorgt Euch mal nicht um mich“, wiegelte ich da ab, „Ich werde Euch zu Fuß nachfolgen.“ Die Ritter waren alle beritten. „Reitet nur voran, tut Eure Pflicht, ich werde anschließend die meine tun, nachdem ihr Eure tatet...“

Daraufhin ritten sie davon.

Unnötig

Dorf Doriant, Ende Phex 1043 BF

In Doriant rangen die drei Ritter um Baron Drego um jeden Spann des kleinen Dorfes. Mit aller ihnen zur Verfügung stehenden Macht, warfen sie sich gegen die Waldsteiner und ermöglichten so den bereits vor Ort gebliebenen Kämpfern einen Rückzug ohne dass sie fürchten musste, dass die Waldsteiner ihnen dabei in den Rücken fielen. Doch auch wenn sie tapfer kämpften, sie taten es vergebens. Immer mehr und mehr mussten sich die Reichsforster den Waldsteinern geschlagen geben. Immer weiter zogen sie sich im Häuserkampf zurück. Die Waldsteiner waren zahlenmäßig überlegen und auch wenn sie später behaupten sollten, man habe ihnen regelrecht kampflos Schwarztannen überlassen, so weiß ich, dass dem keineswegs so war. Die Reichsforster haben erbittert gekämpft, so gut sie konnten, sich nach Kräften gewehrt, dass habe selbst ich gesehen, die keine Ahnung von so etwas hat, aber es waren einfach zu vielen.

Am Ende des Tages war Doriant zwar verloren, einen weiteren Vormarsch der Waldsteiner konnten die wenigen Reichsforster jedoch erst einmal verhindern. Sie hatten sich eine für sie günstige Position am Rande des kleine Dorfes gesucht und blockierten erst einmal ein Weiterkommen ihrer Gegner. Doch das, was die Waldsteiner innerhalb eines Tages angerichtet hatten, war ja bereits auch schon genug. Von Waldstein aus, waren sie über Wegscheide bis nach Doriant gekommen und hatten geplündert und verheert, wo sie hatten plündern und verheeren können.

Am späten Abend, als es bereits finster und erbärmlich kalt war, ging ich zu den Waldsteinern, um deren Wunden zu versorgen. Die Kämpfe waren schon zuvor eingestellt worden, schon als es zu dämmern begonnen hatte, doch Frau von Raukenfels ließ mich nicht gehen, obgleich ich bereits während der Gefechte des Tages die Verwundeten auf unserer Seite versorgt hatte. Viele waren es nicht. Die meisten hatten sich hinter den Mühlbach zurückgezogen. Mir blieb nur zu hoffen, dass ein Geweihter aus Perainewiesen sich um sie kümmerte. Mein Platz war an der Seite des Barons und seiner Kämpfer, Hochwürden war diesbezüglich sehr eindeutig gewesen.

„Zu gefährlich“, erklärte mir die Ritterin zwischendurch, „Was wenn Ihr versehentlich durch einen verirrten Pfeil getroffen werdet, Schwester Lindegard?“ Die Pfeile der Waldsteiner waren in der Tat ein großes Problem, sie verursachten schwere Wunden und das aus der Distanz heraus. „Nein, das können wir nicht riskieren. Wir brauchen Euch doch, wer soll sich denn sonst um die Verwundeten kümmern?“ So wartete ich, wartete und dachte darüber nach, ob ein verirrter Pfeil, der einen Geweihten versehentlich traf, obgleich man es gar nicht wollte, auch ein Frevel war und ob die Götter einen dementsprechend dafür straften, weil es doch irgendwie schon ein Angriff auf einen Geweihten war und...

Bevor Frau von Raukenfels mich gehen ließ, versuchte sie noch ein Abkommen mit den Waldsteinern zu schließen, dass besagte, dass beide Seiten von Kämpfen bei Nacht absahen, aber die Waldsteiner wollten das nicht zusagen. „Immerhin scheinen sie zumindest was das Betriff ehrlich zu sein“, kommentierte die Ritterin seufzend. Es gelang ihr jedoch, ihnen das Versprechen abzuringen, nicht anzugreifen, so lange ich ihre Verwundeten versorgte. Sie sollten sich daran halten.

Für einige der Waldsteiner kam jedoch jede Hilfe zu spät. Eine von ihnen war von einem Pfeil direkt in die Stirn getroffen worden und vermutlich augenblicklich daran gestorben, einem weiteren war es mit einem Schuss direkt ins Herz ebenso ergangen. Jener, mit dem Bauchschuss hatte vermutlich noch etwas länger gelebt, war aber ebenfalls bereits tot und eine Bogenschützin, die einen Durchschuss im Oberschenkel erlitten hatte, machte sich gerade ans Sterben.

„Alles Euer Werk“, kommentierte der Anführer Irberod von Leustein grimmig, dessen Namen ich aus dem Brief von Schwester Perainidane kannte, den ich mir aber irgendwie anders vorgestellt hatte. Er war alt, hatte schlohweißes Haar und zählte gewiss weit über 60 Götterläufe. Den Anführer der Waldsteiner hatte ich mir irgendwie anders – vor allem jedoch jünger – vorgestellt.

„Unser?“, entfuhr es mir sichtlich fassungslos.

„Wessen sonst? Glaubt Ihr etwa, dass wir unsere eigenen Leute mit Pfeilen spicken?“

„Das war dieser Greifenfurter“, mischte sich nun eine Frau ein. Später erzählte mir jemand, dass es sich bei ihr um Hermine von Alka handelte. Sie war ungefähr halb so alt wie der Leusteiner, aber mindestens genauso hartherzig und kalt, vielleicht musste man das aber auch in so einer Fehde sein. Zumindest stellte ich mir das als sehr hilfreich vor.

„Dieser Keilholtzer!“, sie ballte die Fäuste, „Wenn ich den erwische, der kann was erleben!“

Ich versorgte die Verwundeten so gut ich es vermochte. Die Sterbende hüllte ich in einige Decken ein, weil sie erbärmlich fror. Zwar war ich schon das ein oder andere Mal an der Seite eines Sterbenden gewesen, als dieser endgültig vom Leben zum Tod überging, aber ihr Sterben hier draußen, war nicht nur einfach erbärmlich und jämmerlich zugleich, sondern vor allem eines: Absolut unnötig.

Abwechslung

Dorf Doriant, Ende Phex 1043 BF

Noch in derselben Nacht wurde ich zu einer Geburt hinter die Linien der Waldsteiner gerufen. Man ließ mich passieren. Doch kaum war das Kind geboren, trat eine Frau zu mir, die hier genaugenommen gar nicht sein konnte, weil sie sich auf Doriant aufhielt.

„Mein werter Gatte“, blanker Hohn klang aus ihrer Stimme, „Gerbald von Luring-Schneitzig, ebenfalls ein Diener der Herrin Peraine, hat in Schwarztannen beim Tempel explizit darum gebeten, Euch zu schicken.“

„Er hat...“, ich war verwirrt, „... nach mir verlangt?“

„Nun, Ihr seid doch Schwester Lindegard, oder nicht?“

Ich nickte verunsichert.

„Anzunehmen, dass Ihr einer seiner zahlreichen Bastarde seid. Es ist schließlich hinlänglich bekannt, dass er sich gerne mit der ein oder anderen willigen Gläubigen einlässt und ebenso ist hinlänglich bekannt, dass dies durchaus Folgen hat. Vermutlich seid ihr solch eine dieser...“, erklärte sie und war dabei so ruhig und gelassen, dass ich ihre Worte einfach nicht fassen konnte, „... Folgen.“

Ich starrte sie an.

„Was schaut Ihr denn so, Schwester Lindegard? Ich spreche doch lediglich das aus, was allen bestens bekannt ist“, ein vielsagendes Lächeln huschte über ihre Gesicht.

„Dann seid ihr... Hardane von Doriant?“

„So ist es, Schwester Lindegard, so ist es.“

„Warum habt Ihr dann nicht auch um Doriant gekämpft?“

Nun lachte sie: „Ach Kind, was wisst Ihr denn schon über das, was da draußen vor sich geht. Ihr seid doch immer nur in Schwarztannen gewesen...“

Einen Moment war es still.

„Was wollt Ihr?“, wollte ich dann wissen.

„Ihr werde von mir Nachricht an den neuen Baron überbringen.“

„Werde ich?“

„Ja, das werdet Ihr“, ihre Stimme ließ keinen Widerspruch zu, „Ihr könnt ihm sagen, dass wir hier bereits genug Zeit hatten um uns auf einen möglichen Überfall durch die Waldsteiner vorzubereiten.“ Sie ließ erst einmal offen, was das genau bedeutete. „Er soll dafür sorgen, der Herr Baron, dass die Waldsteiner möglichst schnell Schwarztannen verlassen, selbst wenn das bedeutet, dass sie in Gräflich Luring einfallen. Sollen sie ruhig bei unserem werten Herrn Grafen Plündern und Brandschatzen, uns hat es bereits schlimm genug getroffen.“

„Ähm“, brachte ich lediglich heraus.

„Wir wussten ja bereits seit Hesinde, dass sie an der Grafschaftgrenze lauern. Die Hälfte der Vorräte haben wir auf Doriant gut versteckt. Die Waldsteiner haben sich zwar an einem Angriff auf Doriant versucht, sind aber angesichts des kläglichen Versuches gescheitert. Mit ein paar Bögen ist das eben nicht zu bewerkstelligen, selbst wenn man Brandpfeilen verschießt“, sie zuckte mit den Schultern, „In Ermangelung von Belagerungswaffen, den für eine Belagerung benötigten Männer und Frauen und mangels Wille sind die weitergezogen. Wehrlose Bauern zu plündern ist eben wesentlich einfacher und leichter zu bewerkstelligen und Doriant, Doriant war immer und wird immer sein.“ Sie hielt einen Moment inne. „Die andere Hälfte der Vorräte ist bei den Bauern verblieben, wobei sie Anweisung hatte, davon wiederum die Hälfte gut zu verstecken und die andere Hälfte unter Tränen plündern zu lassen. Ähnliches gilt auch für das Vieh, wobei wir da einen guten Handel mit den Nachbarn getroffen haben.“

„Einen... Handel?“

„Wir haben ihnen unser Vieh verkauft.“

„Und?“, fragte ich tonlos.

„Na, verkauft eben“, sie schenkte mir ein vielsagendes Lächeln, „Das Geld haben wir gut versteckt. Genauso wie unsere anderen Wertgegenstände. Alles gut verborgen. Das finden die Waldsteiner nicht. Wie immer haben wir aber etwas zurückbehalten, damit sie etwas zum Plündern haben. Und wer weiß, vielleicht kaufen wir das Vieh ja zurück?“ Sie zwinkerte mir zu. „Im Übrigen sind auch viele der jungen Frauen auf Doriant. Das gilt auch für viele Mädchen.“

Ich schaute sie nur fragend an.

„Wahrlich, Ihr seid einfach zu jung!“, entfuhr es ihr kopfschüttelnd, „Nicht immer können die Teilnehmer eines solchen Raubzuges auch ihre Hosen anbehalten, vor allem wenn sie ihrer Meinung nach nicht genug zum Plündern und Brandschatzen gefunden haben, dann lassen sie ihre Enttäuschung schon mal an anderen aus... Und was glaubt Ihr könnte effektiver sein, als in den Feind die eigene Saat zu pflanzen?“

Mir blieben die Worte im Halse stecken.

Wieder lachte sie: „Es hat einen guten Grund, warum kein einziger Geweihter der Sturmherrin hier ist, meint Ihr nicht auch?“

Ich nickte nur.

„Im Übrigen erwarten die Waldsteiner Verstärkung. Ein paar Tage habt ihr jedoch noch.“

„Und das wisst Ihr woher?“

Sie grinste mich an: „Ich schätze Vielfalt und Abwechslung. Ich meine, Ihr wollte doch nicht auch jeden Tag Grütze essen, nicht wahr?“

Ich schaute noch einmal nach dem vor kaum einer Stunde geborenem Kind und verabschiedete mich dann. Im ersten Licht des nächsten Tages überbrachte ich Baron Drego die Informationen, die ich zuvor erhalten hatte. Es war das erste Mal, aber gewiss nicht das letzte, dass ich den Boten spielte.

Verstärkung

Dorf Doriant, Ende Phex 1043 BF

Es vergingen einige unbedeutende Tage, in denen nicht sonderlich viel passierte. Es gab einige kleiner Scharmützel zwischen den Häusern Doriants, sonst war es erschrecken ruhig. Entsetzlich ruhig. Jeden Abend versorgte ich die Wunden des Tages und jener davor. Inzwischen war meine Schürze über und über mit Blut besudelt. Ich hätte sie waschen müssen, aber ich hatte keine Möglichkeit dazu und selbst wenn mir das gelungen wäre, wie hätte ich sie trocken bekommen sollen?

Immer wieder schmuggelte ich Informationen auf die andere Seite oder nahm welche entgegen. Es gab nie etwas Schriftliches, denn das sei einfach zu gefährlich. Wohl fühlte ich mich dabei nicht. Noch bedrückender war für mich jedoch, dass die Waldsteiner mich ausfragten. Eher subtil versuchten sie herauszubekommen, wie viele wir noch waren und ob wir Verstärkung erwarteten. Ich schwieg.

Dass es keine Verstärkung geben würde, hatte mir Yolande von Raukenfels deutlich genug gesagt. Die meisten der Reichsforster kämpften mit der Kaisermark, die anderen mit Hartsteen und der klägliche Rest musste die ganze Grafschaft vor Übergriffen aus Waldstein und Eslamsgrund verteidigen. Ja, verteidigen. Sowohl die Waldsteiner, als auch die aus Eslamsgrund waren die Kriegstreiber. Sie wollten Blut, warum sonst verweigerten sie sich über einen Waffenstillstand zu sprechen oder gar zu verhandeln? So nutzten sie die Situation aus, die Schlund und Kaisermark absichtlich herbeigeführt hatten. Offensichtlich hatten die nämlich falsche Informationen gestreut. Sie hatten Ereignisse vorgetäuscht, die eine gegenseitige Fehde nach sich ziehen mussten, doch es geschah nichts. Es war – da waren sich alle um Baron Drego einig – eine perfide Täuschung gewesen. Und der Reichsforst war strategisch gesehen einfach im Nachteil, während man hier gegen Waldstein, Eslamsgrund, Kaisermark und Harsteen kämpfte, kämpften die Kaisermärker lediglich gegen Harsteen und den Reichsforst, meist jedoch sogar nur gegen den Reichsforst und feierten sich auch noch dafür. Ein Sieg für die Reichsforster war aussichtslos. Mich ließ das fassungslos zurück und oft fragte ich mich, wie die Reichsforster das ertrugen. Wie sie ertrugen zu wissen, dass sie nicht nur Opfer einer hinterlistigen Intrige geworden sind, sondern auch dass sie absolut nichts tun konnten. Mehr noch, dass sie machtlos waren. Und trotzdem kämpften sie.

Während dieser Zeit überlegten Baron Dregos Kämpfer immer wieder, wie sie der Übermacht der Waldsteiner Herr werden konnten und stellten schnell fest, dass das einfach nicht möglich sein würde. Aufhalten würden man sie nicht können. Man entschied also daher, um weiteren Schaden von Schwarztannen abzuwenden, dass man sie so schnell wie möglich nach Gräflich Luring weiterziehen ließ, dabei wollte man unbedingt verhindern, dass sie weiter ins Innere von Schwarztannen vordrangen. Es wurde ein Plan ausgeheckt. Ein Plan, der vielversprechend klang.

Hinterhalt

Dorf Salzkotten, Anfang Peraine 1043 BF

„Wo ist Frau von Raukenfels?“, fragte ich verwirrt, als wir man am frühen Morgen Richtung Salzkotten aufbrach.

„Die kommt schon noch“, versicherte mir Drego von Altjachtern.

„Aber...“, ging es mir nicht aus dem Kopf, „Wo ist sie denn?“

„Beeilt Euch besser, Schwester Lindegard. Wenn Euch einer von den Pfeilen der Waldsteiner findet, könnt Ihr niemanden mehr helfen...“, schmetterte Fael ui Rían meine Frage ab.

Es gab einen guten Grund, warum sie fehlte. Baron Drego, was wusste ich ja bereits, schätze sie nicht nur sehr, sondern vertraute ihr auch über alle Maßen und deswegen hatte er ihr die Aufgabe gegeben, die Falle zuschnappen zu lassen:

Man lockte die Waldsteiner in Richtung Salzkotten. Man lockte sie über die dortige Brücke. Dann machte der eine Teil der Reichsforster, der ursprünglich vor den Waldsteinern gewesen war, plötzlich kehrt, gleichzeitig kamen hinter den Waldsteiner die anderen Reichsforste aus der Deckung. Nun saßen die Waldsteiner auf der Brücke fest. Eingekeilt zwischen ihren Feinden. Sie hatten sie ausgetrickst. Sie waren in die Falle gegangen. Selbst von weitem, sah ich das entsetzen der eingeschlossenen, die Angst in ihren Augen. Ich fühlte nichts, lediglich so etwas wie... hm... Genugtuung? Ich schämte mich nicht einmal für dieses Gefühl.

Und als wir bereits dachten, wir würden siegen, da passierte etwas, mit dem keiner gerechnet hatte. Noch nicht einmal die Waldsteiner selbst. Am Horizont tauchten Reiter auf. Als ich sie sah, war mir klar, dass es vorbei war. Es war... vorbei! Ich schrie: „Rückzug! Rückzug!“ Doch keiner hörte mich. Ich hörte mich ja noch nicht einmal selbst. Ich wusste, sie würden die Raukenfelserin und ihre Reichsforster von hinten aufreiben. In meinem Verstand ging alles durcheinander, ich musste etwas tun, aber was? Nicht Frau von Raukenfels, konnte ich nur denken, alle, aber nicht sie. Nicht sie! Später konnte ich mich nicht daran erinnern, wie ich durch den Bach gegangen bin. Doch der Bach führte nicht viel Wasser, obgleich das Bachbett hier breit war. Ich weiß nur noch, dass sie da plötzlich vor mir lag. Ein Pfeil hatte sie in die Brust getroffen. Schmerzerfüllt stöhnte sie. Oben hörte ich, wie die Reiter auf die Reichsforster trafen. Ich hörte Schrei, wiehernde Pferde und ich sah, wie so manches verängstigte Tiere über die Brüstung der Brücke sprangen und nicht mehr aufstehen konnte, weil sie sich die Beine gebrochen hatten. Ich zog die Raukenfelserin unter Aufbietung all meiner Kraft unter die Brücke und dann stand da plötzlich diese Waldsteinerin vor mir...

„Ihr wollt sie töten?“, wollte ich mit unglaublich feste, jedoch kehliger Stimme wissen und stellte mich schützend vor die am Boden liegende Ritterin, „Dann müsst Ihr zuerst mich töten!“

Sie legte mir die Spitze ihres Schwertes an die Kehle. Ich blickte sie an. Sie blickt zurück. Ich bewegte mich nicht. Sie bewegte sich auch nicht. Einen unfassbar langen Moment verharrten wir da und die Welt um uns herum wurde stumm. Wir hielten beide den Atem an.

„Du solltest nicht hier sein, Lindegard“, zischte die große, hochgewachsene Frau und für einen winzigen Moment glaubte ich ein seltsames Leuchten in ihren Augen zu sehen, dann wandte sie jedoch ihr Blick zur Raukenfelserin, dann wieder zu mir zurück und das Leuchten war verschwunden, „Du solltest in Schwarztannen sein. Im Tempel.“

„Ich bin genau richtig hier!“, entgegnete ich ihr. Mein Herz schlug heftig, innerlich zitterte ich, aber äußerlich blieb ich ruhig und wiederholte dann: „Wenn Ihr sie töten wollt, dann müsst Ihr mich auch töten!“

Wieder glitt ihr Blick zu der Raukenfelserin, eher er dann wieder zu mir zurückkehrte. Sie nahm das Schwert von meiner Kehle.

„Los!“, herrschte sie mich an, „Schaff sie rüberschaffen. Dir bleibt nicht viel Zeit. Beeil dich!“

Ihren Blick werde ich nie vergessen.

Nebelstreif

Dorf Salzkotten, Anfang Peraine 1043 BF

Wie ich die verwundete Ritterin an das andere Ende der Brücke durch den Mühlbach brachten, konnte ich später nicht mehr sagen. Es war gelungen, das war alles was zählte. Ich hatte auch erst einmal gar keine Zeit darüber nachzudenken, weil ich zuerst ihre Wunden versorgen musste. Ich sprach meinen ersten Heilsegen. Es sollte nicht der letzte an diesem Tag bleiben. Weitere Verwundete auf unserer Seite sollten folgen, obgleich man den Rückzug angetreten war. Für manche konnte ich etwas tun, für manche nicht. Am Abend gab es keinen Reichsforster Kämpfer mehr, der unversehrt war.

Als ich zu den Waldsteinern ging, hatte ich bereits all meine durch meine Herrin verliehene Kraft aufgebraucht. Die Waldsteiner bekamen den Rest. Inzwischen hatten sie aber einen passablen Fälscher unter sich. Entweder sie hatten zuvor keinen unter sich gehabt, weil es sie selbst überrascht hatte, wie weit sie gekommen waren oder sie hatte nicht erwartet, dass wir so sehr Widerstand leisteten. Auch auf ihrer Seite gab es viele Verletzte, auch einige Tote. Uns hatte es aber schlimmer getroffen, ohne Frage.

Ich tat, was ich konnte, doch der Widerwille den Waldsteinern auch weiterhin zu helfen, wuchs stetig in mir. Was bürdete mir meine Herrin hier eigentlich auf? Wie konnte sie von mir erwarten, nein sogar verlangen, dass ich jenen Beistand, die die meinen töteten? Hatte ich anfänglich noch Versuch irgendwie neutral zu bleiben, war mir das inzwischen einfach nicht mehr möglich. Mehr und mehr hatte ich Partei für meine Reichsforster ergriffen, nicht zuletzt weil sie sich verzweifelt wehrten, obgleich sie nicht die geringste Chance hatten.

Es war schon spät, als der Anführer der Waldsteiner Irberod von Leustein und seine Stellvertreterin Hermine von Alka zu mir traten.

„Was wollt ihr von mir?“, fragte ich sie sichtlich ungehalten, weil ich noch immer dabei war die Verwundeten auf ihrer Seite zu versorgen.

„Ihr seid die einzige Geweihte hier, Schwester Lindegard“, sagte die Alka, als würde das alles erklären.

„Ihr solltet den Zwölfen dankbar sein, dass ich hier bin, sonst wäre der ein oder andere eurer Leute bereits elendig krepiert!“, blaffte ich sie zornig an.

„Im Bach stehen ungefähr ein Halbes Dutzend Streitrösser, alle haben sie mehr oder weniger gebrochene Knochen. Wenn wir ihnen zu nahe kommen, werden sie uns töten. Sie in diesem Zustand zurücklassen, können wir aber auch nicht. Was sollen wir mit ihnen tun?“

Ich lachte irre: „Das fragt Ihr mich?“

„Ihr seid die einzige Geweihte hier“, wiederholte die Alka schulterzuckend.

„Sucht Ihr etwa so etwas wie Absolution?“, erneut lachte ich, „Schickt Eure Bogenschützen. Wer Menschen töten kann, kann auch Pferden den Garaus machen.“

So geschah es. Sie töteten die schwer verletzten Tiere. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das letzte von ihnen starb, anscheinend war es einfacher einen Menschen zu töten als ein Pferd. Aber was verstand ich schon davon? Ich sah wie Nebelstreif, der treue Gefährte der Raukenfelserin, einen elendigen Tod starb und wie der Mühlbach sich rot färbte. Blutrot.

(...)

Dorf Salzkotten, Ende Peraine 1043 BF

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Sternguckerin

Dorf Salzkotten, Ende Peraine 1043 BF

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