Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen - abhängig davon, ob es zu den Brachenwächtern eine Briefspielreihe geben wird.<br/>
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Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln.
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Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.
  
=Drei Krähen und ein Räblein=
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[[Garetien:Esmeria_Darando_della_Tenna|Esmeria Darando della Tenna]]
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==Flieg Krähe, flieg!==
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= Ein Ende und ein Anfang =
Baronie Greifenpass, Tempel unserer gütigen Etilia, Kammhütten, RAH 1041
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Die Junkerin Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels tritt vor den Schweigsamen. Ihre Familie ist bei ihr. Ihr Tod, vor allem jedoch die Botschaft die sie einem ihrer Söhne mit ihren letzten Atemzügen hinterlässt, wirft jedoch Fragen aus.
  
Als Darian von Trottweiher im Tempel unserer gütigen Etilia eintraf, da glaubte er tatsächlich einen Augenblick lang seine Frau ins Gebet vertieft zu sehen. Bäuchlings sah er sie auf einem Teppich auf dem Boden liegen, die Beine gerade nach hinten gestreckt, die Arme zur Seite und es war der Geruch des Weihrauchs, der ihm schlussendlich den Rest gab. Da hörte er seine Frau weinen, schluchzen, voller Verzweiflung und Ohnmacht, voller Wut auf sich selbst und auf alle anderen um sie herum, selbst auf ihn und nichts, rein gar nichts, was er sagte oder tat, vermochte ihr Linderung zu verschaffen, vielmehr schien alles die ganze Situation nur noch zu verschlimmern. Und er hörte sie wimmern: ''„Wenn ihr mich so sehr hasst, wenn ich euch so egal bin, warum holt Golgari mich nicht gleich? Warum muss ich weiter leben? Weiter leiden? Was habe ich euch getan, dass ihr mich so verachtet, mich so straft? Warum kann ich nicht einfach tot umfallen? Morgen nicht mehr aufwachen? Warum?“''
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== Schwester ==
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Zsfg: Gerlinde von Altjachtern sucht ihren Bruder Drego in einer dringenden Angelegenheit auf.
  
Die Erinnerung überwältigte den Ritter. Er stürmte nach draußen. Er musste hier weg. Hier raus. Ertrug es nicht hier zu sein. Wie hatte er das damals nur ausgehalten? Wie hatte er das nur überstanden?
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[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]], 13. Rahja 1046 BF
  
{{Trenner Garetien}}
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„Ah, [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego]]“, entfuhr es mir beinahe etwas atemlos. Ganz unvermittelt blieb ich auf der großen Treppe stehen. „Hier bist du also.“ Mein Bruder stand wenige Schritte über mir, hielt seinen [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|Sohn]] in den Armen. Der Knabe, der so sehr meinem Bruder glich, schaute mich aus den großen Augen seines Vaters neugierig an. Umringt waren beide von Mitgliedern seines Hofstaates, darunter seine Pagen und Knappe, einige seiner Hausritter, die Hofkaplanin [[Garetien:Lindegard Tempeltreu|Lindegard Tempeltreu]] und die Vögtin [[Garetien:Yolande von Pranteln|Yolande von Raukenfels]].
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„[[Garetien:Gerlinde von Altjachtern|Gerlinde]]“, hob er an und zog die Stirn kraus, „Der Leuin zum Gruße.“
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„Die Leuin auch mit dir, Bruder“, erwiderte ich und erbrachte ihm den Kriegergruß. Daraufhin nahm der Knabe seine kleine Hand, ballte sie zur Faust und führe sie zu seinem Herz. Seine Bewegungen waren unkoordiniert, aber es war deutlich zu erkennen, dass er sich gerade ebenso an diesem Gruß versucht hatte. Alle begannen zu grinsen – auch ich. Dann schmiegte sich der Knabe ganz dicht an die Brust seines Vaters und schaute noch kecker drein wie zuvor.
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„Er ist so groß geworden“, merkte ich an, „Er wird eines Tages gewiss ein großer Krieger werden.“
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Das Grinsen meines Bruders wurde breiter, wobei er zärtlich seinem Sohn über das blonde Haar strich: „Du warst schon lange nicht mehr hier, Gerlinde.“
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„Du kannst mich jederzeit im Rondra-Tempel in [[Garetien:Stadt Überdiebreite|Überdiebreite]] antreffen“, erwiderte ich daraufhin nickend, „Es ist gar nicht weit von hier und du und die deinen sind mir dort jederzeit willkommen.“
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Ernst schaute er mich an: „Ich kann nicht vergessen, was mit den [[Garetien:Grafschaft Waldstein|Waldsteinern]] damals vorgefallen ist. Noch heute träume ich in so mancher Nacht von [[Garetien:Hermine von Alka|Hermine von Alka]].“
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Ich biss mir auf die Lippen. Daran hatte ich gar nicht gedacht. „Die Diener des [[Boron-Kirche|Schweigsamen]] könnend dir gewiss dabei helfen“, schlug ich vor, „Es gibt doch auch einen [[Garetien:Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle|Tempel]] ihrer Diener hier?“
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„[[Garetien:Familie Erlenfall|Erlenfaller]]“, seufzte er schwer und nickte bestätigend, „Dieser Tempel untersteht den Erlenfallern und diese haben eindrücklich bewiesen wozu sie fähig sind. Nicht einmal meiner einstigen Knappin [[Garetien:Eylrun von Erlenfall|Eylrun]] oder gar Hochwürden [[Garetien:Perainidane von Erlenfall|Perainidane]] ...“ Nun wandte er sich der Hofkaplanin zu. „... genießen mein uneingeschränktes Vertrauen.“ Schwester Lindegard wich dem Blick meines Bruders aus.
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Einen Augenblick war es still. Ich war keine Frau großer Worte. Ich war eine Dienerin der Leuin. Und ich begriff, dass ich beinahe nichts über meinen Bruder und dessen Leben wusste. So fand ich keine Worte. Was hätte ich auch sagen sollen? Die Situation schien kompliziert. Zu kompliziert um sie innerhalb weniger Wimpernschläge zu erfassen.
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Indes riskierte der Knabe immer wieder scheue Blicke. Das ein oder andere Mal wandte er sich mir gar mehr zu, schmiegte dann jedoch wieder eilig sein Gesicht an die Brust seines Vaters. Dass meine Bruder einmal Frau, Kinder und ein Baronsreif sein eigen nennen würde ...
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„Du hast dich nicht angekündigt. Warum bist du gekommen, Gerlinde?“
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Nun straffte ich mich: „Drego, du musst mich begleiten. Es bleibt uns nicht viel Zeit.“
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Er legte seinen Kopf leicht schräg: „Worum geht es?“
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„Vertraust du mir?“
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„Selbstredend!“, entfuhr es ihm ohne Zögern, „Du bist nicht nur eine Dienerin der [[Rondra-Kirche|Sturmherrin]], sondern auch meine Schwester.“
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„Wir müssen nach [[Garetien:Gut Jachtern|Hause]]“, eröffnete ich ihm und nickte energisch, „Sofort. Wir haben nicht viel Zeit.“
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„Nach ...?“, echote er tonlos und seine Augen verengten sich, „... Hause?“
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Äußerst langsam, aber überdeutlich nickte ich.
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„Was ...?“, seine Stimme brach.
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„[[Garetien:Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels|Mutter]]“, brachte ich nur heraus.
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„Sie ... sie ... sie hat meine [[Garetien:Ailsa ni Rian|Frau]] beleidigt. Sie hat ...“
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„Das ist nicht mehr wichtig, Drego“, ich schüttelte den Kopf und fasst an seine Schulter, „Es ist nicht mehr wichtig.“
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Mein Bruder wurde blass. Seine Augen füllten sich mit Tränen.
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== Vater ==
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Zsfg: Gerlinde und Drego kommen auf Gut Jachtern an und treffen auf ihren Vater.
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[[Garetien:Gut Jachtern|Gut Jachtern]], 13. Rahja 1046 BF
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Über [[Garetien:Dorf Wegscheide|Wegscheid]] und [[Garetien:Gut Roßsprunk|Roßsprunk]] ritten wir nach Gut Jachtern. Ich schwieg. Drego schwieg. Seine Bedeckung, ein [[Garetien:Jast Helmbald von Schwippingen|Knappe]] kurz vor seinem Ritterschlag und eine [[Leudane von Leuenberg|kaisermärker Ritterin]], schwieg. Wenig nach unserem Aufbruch setzte Regen ein. Zuerst waren die Tropfen ganz fein, gleich dem feinen Nebel der am Morgen gerne entlang der Raller lag. Eine willkommene Abkühlung in der Hitze des Rahjamondes. Dann jedoch wurde der Horizont zunehmend finsterer, der Regen wurde heftiger, die Tropfen dicker.
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Vollkommen durchnässt kamen wir mitten in der Nacht auf Gut Jachtern an. Die Praiosscheibe war seit Stunden untergegangen. Die Sterne hatten uns den Weg gewiesen und der Regen war unser ständiger Begleiter gewesen. Eilig brachten wir die Pferde in den Stall. Während Knappe und Ritterin sich mit dem Stallknecht um die Tiere kümmerte, ging ich mit Drego in das nahezu finstere Guthaus hinein und wurden von Dunkelheit empfangen. Es war ungewöhnlich still. Totenstill. Nur das Tropfen des Wasser von unseren gänzlich durchweichten Umhängen durchbrach die Stille. Hinter uns fiel die Tür ins Schloss. Drego erschrak hörbar.
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Da trat jemand mit einer Kerze zu uns in den Flur. „[[Garetien:Gerlinde von Altjachtern|Gerlinde]] und ... und [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego]]?“
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„[[Garetien:Elgor von Sturmfels|Vater]]?“, entfuhr es meinem Bruder leise. Unschlüssig machte er einige Schritte nach vorne.
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„Ja, Drego“, bestätigte sein Gegenüber, „Ich bin es. Dein Vater.“ Sein Gesicht lag noch immer im Dunkeln. Die Kerze spendete nur spärliches, düsteres Licht. Er machte einige Schritte auf seinen Sohn zu und schloss ihn in die Arme, ließ aber sogleich wieder los. „Ganz nass. Du bist ja ganz nass. Schreckliche Efferdnacht dort draußen.“
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Drego schluckte schwer als er unserem Vater gegenüberstand: „Es muss ernst um [[Garetien:Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels|Mutter]] stehen.“
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„Ja“, erwiderte er, „So ist es. Es geht zu Ende, Drego. Golgari ist bereits auf dem Weg.“
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Nun war es Vater, der schwer schluckte. Schemenhaft konnte man erkennen, wie er nickte. „Und Gerlinde“, fuhr er fort und nahm auch mich kurz in die Arme, ließ aber noch schneller von mir ab als von meinem Bruder, „Auch ganz nass. Allesamt seid ihr ganz nass. Alle beide. Eine wirklich grässliche Efferdnacht dort draußen.“
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„Ist [[Garetien:Moribert von Altjachtern|Mori]] ... ?“, wollte ich wissen.
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„... am Bett eurer Mutter“, vollendete er meinen Satz, „Er wacht dort zusammen mit [[Garetien:Boriane von Altjachtern|Boriane]].“ Erneut nickte er. „Ihr solltet eure nassen Kleider ablegen, etwas Trockenes anziehen und sie dann ablösen. Sie wachen dort schon recht lange.“
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„Sie hat mich fortgeschickt“, hob nun Drego an, „Das letzte Mal hat sie mich fortgeschickt. Ich sollte, nein, durfte ihr nicht unter die Augen treten.“
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Erneut nickte Vater: „Das Rauschen Golgaris in den Ohren deiner Mutter hat sie sanftmütiger gemacht, nicht milde, aber sanftmütiger, ein Lämmchen ist aber dennoch nicht aus ihr geworden. Selbst mit mir hat sie einige vernünftige Worte gewechselt, ehe sie mich angekeift und fortgeschickt hat, ich bin aber sicher, dass sie noch einmal nach mir rufen wird. Ganz gewiss sogar.“
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„Hm“, machte mein Bruder da noch immer zweifelnd.
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„Sie ist und bleibt deine Mutter“, fuhr unser Vater nun fort, „Und sie liebt dich, so viel kann ich dir sagen.“
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Da lachte Drego: „Ich war ihr doch nie gut genug! Ganz gleich was ich getan, wie sehr ich mich bemüht habe. Nun bin ich sogar Baron, habe [[Garetien:Ailsa ni Rian|Frau]] und [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|Ki]][[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|nd]][[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|er]], doch gut genug bin ich ihr noch immer nicht.“
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Er seufzte: „Ach, Drego, du kennst deine Mutter. Du kennst sie lange genug. Sie ist eine harte Frau. Hart zu sich, aber auch zu anderen. Keiner kann es ihr recht machen. Nicht einmal sie selbst kann es sich recht machen. Sie hat dir das Leben geschenkt, da kannst du ja wohl auch bei ihrem Tod dabei sein.“
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Da nickte er: „Dennoch hat sie meine Frau beleidigt. Sie angefeindet. Sie beschimpft.“
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„Ich weiß“, wusste auch unser Vater, „Ich habe keine rechte Erklärung dafür. Wobei ...“ Er hielt einen Moment inne. „Vielleicht verachtete sie sie so, weil dir und ihr etwas vergönnt war, was uns nie vergönnt war.“ Drego horchte auf. „Aus liebe den Bund vor der Herrin [[Travia-Kirche|Travia]] zu schließen. Unser Bund war bestimmt. Nicht durch uns.“
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„Neid?“, raunte Drego leise, „Aber warum seid Ihr nicht so? Ihr teilt doch dasselbe Schicksal.“
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Da zuckte er nur mit den Schultern: „Vielleicht weil ich vor Götterläufen entschieden habe, der Enge dieses Heimes und dieses Seins zu entfliehen.“ Er warf einen Blick auf mich. Ich straffte mich. Flucht, dass war nichts für eine Geweihte der [[Rondra-Kirche|Sturmherrin]]. „Außerdem seid ihr meine Kinder, mein Fleisch und Blut und ich wünsche mir, dass euch nur Gutes widerfahre und liebe euch alle gleichermaßen aus der tiefe meines Herzens heraus.“
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„Mutter hat immer nur Gerlinde bedingungslos geliebt“, mein Bruder blickte mit gesenktem Haupt zu mir, „Du warst ihr immer das Wichtigste. Die einzige, die alles im Leben richtig gemacht hat.“
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„Was hätte sie auch zu einer Geweihten der Herrin Rondra anderes sagen sollen?“, stellte sich unser Vater schützend vor mich, „Lass es gut sein, Drego. Das Ende ist nah. Ihr Zorn wird dich danach nie wieder treffen können. Versuche deinen Frieden mit ihr zu machen. Noch ist Zeit. Noch.“
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== Mutter ==
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<!--Zsfgh: Die alte Junkerin zu Altjachtern stirbt und ihre Kinder sind an ihrer Seite.
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[[Garetien:Gut Jachtern|Gut Jachtern]], Rahja 1046 BF
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„[[Garetien:Gerlinde von Altjachtern|Gerlinde]]“, dürr klang Mutters Stimme als ich an ihr Bett herantrat und mich auf die Bettkante setzte. Fahl war ihr Gesicht. Kraftlos ihre Augen. Seit meinem Aufbruch schien sie noch weiter gealtert zu sein.
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„[[Garetien:Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels|Mutter]]“, erwiderte ich ihr und nahm ihre Hand zwischen meine. Ein müdes Lächeln legte sich über ihre Wangen. Für einen winzigen Moment kehrte ein Leuchten in ihre Augen zurück, dann verschwand es jedoch sofort wieder.
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„Ich habe dir jemanden mitgebracht, Mutter“, hob ich an und schaute mich kurz zu meinem Bruder um, der einen Schritt hinter mir gewartet hatte, „[[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego]] ist hier.“
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Da trat mein Bruder zu uns an das Bett heran und grüßte mit einem Nicken: „Mutter.“
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Die Sterbende schaute ihn lange an. Sehr lange. Schwer atmete sie. „Du warst ... schon lange ... nicht mehr hier. Drego.“
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Er nickte, nahm sich einen Stuhl und setzte sich an das Bett. Hilfesuchend blickte er mich an. Doch da lag ja auch meine Mutter im Sterben und so zuckte ich nur mit den Schultern. Ich konnte ihm nicht helfen. Seinen Frieden musste er mit ihr schon alleine machen.
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„Ja“, erwiderte er lediglich.
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„Du hättest ... vorbeikommen ... sollen.“
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„Ich habe es versucht“, wieder suchte sein Blick meinen, „Ihr wolltet mich nicht sehen.“
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„Als es begann ... das Rauschen der ... Schwingen, da ... da dachte ich ... es sei die ... [[Garetien:Ailsa ni Rian|Krähe]]“, sie lachte kehlig und ein schlimmer Husten begann sie augenblicklich zu schütteln. Ich nahm ihre Hand fester in meine. Sie beruhigte sich. „Doch dann ...“ Zaghaft nickte sie. „... begriff ich.“
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Drego atmete hörbar ein und aus: „Ich bin ein weiteres Mal Vater geworden. Ein kleines, wunderschönes Mädchen hat uns die Herrin Tsa da zum Geschenk gemacht. Bereits im Phex 1045. Sie trägt den Namen [[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|Ederlinde]].“
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„Ederlinde also“, wiederholte sie, „Was ihr nur alle ... an diesem Namen ... an diesem Namen habt.“
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„Sie ist [[Garetien:Ederlinde von Luring|Graf Dregos Schwester]]“, erwiderte er ihr, „Und ich verehre ihn. Noch immer.“ Bitterkeit schwang bei seinen letzten Worten mit. Ich horchte auf. Schon immer hatte Drego [[Garetien:Drego von Luring|diesen Mann]] verehrte, zu ihm aufgeschaut, doch inzwischen schien da noch etwas anderes zu sein.
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„Dass diese ... diese diebische Elster ...“, hob sie an und Dregos Miene verfinstere sich, „... das schafft, was ... dieses [[Garetien:Boriane von Altjachtern|dumme Weib]] ...“ Damit meinte sie Boriane, die sie ebenso wenig leiden konnte wie die Gattin Dregos. „... erst nach [[Garetien:Praiodane von Altjachtern|mehr]][[Garetien:Jermorane von Altjachtern|facher]] ... Schande ... geschafft hat.“ Fassungslos schüttelte sie fast unmerklich ihren Kopf. „Bei den ... Zwölfen!“
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„Ihr solltet nicht so über Boriane sprechen“, wies ich sie sanftmütig zurecht, nicht nur, dass sie meine Mutter war, sondern sie lag auch im Sterben, „Die Götter haben uns dieses Schicksal auferlegt. Es war nicht Borianes Entscheidung und erst recht keine Absicht.“
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„Und da bist ... bist du dir ... sicher?“ Schwer sog die Sterbende die Luft ein. „Und Drego ...“ Erneut wandte sie sich an meinen Bruder. „Wo ... wo sind denn ... meine [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|En]][[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|kel]]? Warum sind sie ... nicht hier?“
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„Die Kinder kennen dich doch überhaupt nicht, Mutter“, half ich nun doch meinem Bruder, „Und sind noch viel zu klein, um zu begreifen, was hier vor sich geht. Sie sind auf [[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]]. Dort, wo sie hingehören.“
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„Hm“, machte sie da, ihre Augen fielen ihr langsam zu und ihr Kopf rollte zur von uns abgewandten Seite, „Hm.“
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Der Blick Dregos suchte meinen. Ich hielt noch immer die Hand unserer Mutter.
  
„Vater?“, hörte er eine Stimme aus dem Inneren des Tempel rufen. Eilig wischte sich Darian die nahenden Tränen aus den Augen und mahnte sich Fassung zu wahren.
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„Ich kann nicht vergessen, was sie über ''Orknäschen'' gesagt hat“, wisperte er ernst, „Nicht einmal zu unserem Traviabund ist sie gekommen. Unsere Kinder hat sie nie besucht, dabei war ihr Weg genauso weit wie meiner. Sagt man nicht, dass der nahende Tod einem die eigenen Fehler vor Augen führt und man bereut?“
  
„Vater?“, hörte er erneut die Stimme seiner Tochter, „Vater, seid Ihr das?
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„So heißt es“, bestätigte ich, „Doch kein einziges Wort der Reue oder gar eine Entschuldigung wird je über ihre Lippen kommen. Falls du deswegen gekommen bist, Drego, dann bist du vergebens gekommen. Sie wird nicht um Verzeihung bitten. Bei keinem von uns. Bei den Unsterblichen ...“ Ich ließ meinen Blick schweifen. „... wird sie es jedoch gewiss tun. Sie ist eine göttergefällige Frau.
  
Da trat Ailsa aus dem Tempel heraus. Aus jenem Tempel, in dem früher seine Frau auch immer gebetet und den Herrn von Tod und Schlaf um Beistand gebeten hatte, damals, als dieser Tempel noch ein richtiger Tempel gewesen war.
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Scharf sog er die Luft ein.
  
„Vater?“, fragte sie erneut.
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„Verzeih ihr“, bat ich ihn für sie, „Sie ist einfach nur ein Mensch. Ein fehlbarer Mensch. Eine Mutter, die im Sterben liegt und sich nicht mehr wünscht als, dass ihre Kinder an ihrer Seite sind, um sie bei ihrem letzten Atemzug zu begleiten.Ich nahm seine Hand und legte sie auf die unserer Mutter. Widerwillen stand in seinen Augen, in seiner gesamten Gestik und Mimik, doch er ließ es geschehen.
  
„Ailsa, ich bin hier!“, erwiderte er ihr da endlich und versuchte sich an einem Lächeln. Dann fielen sich Vater und Tochter in die Arme, so wie sie es immer taten, bei jedem Wiedersehen. Und obgleich er sich redlich bemüht hatte, sich nichts anmerken zu lassen, musste Ailsa doch irgendetwas bemerkte haben, denn sie wollte besorgt wissen: „Ist alles in Ordnung? Ihr seht so blass aus!“
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So verging die Nacht. Mal hielt er die Hand unserer Mutter, mal ich. [[Garetien:Moribert von Altjachtern|Moribert]] und Boriane und auch unser [[Garetien:Elgor von Sturmfels|Vater]] schauten immer wieder vorbei. Es war still. Erstaunlich still. Niemanden war so recht nach reden. Abwechselnd dösten mein Bruder und ich. An richtigen Schlaf war nicht zu denken.
  
„Der Weihrauch..., entschuldigte er sich eilig.
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Mutter erwacht nicht mehr. Zumindest nicht mehr richtig. Gelegentlich redete sie unverständliches, wirres Zeug. Mitten in der Nacht, draußen war es stockfinster, nur eine kleine Kerze spendete Licht, schreckte ich hoch. Ein scharfes Geräusch hatte mich geweckt. Ich blickte zu den beiden hinüber. Sah, wie meine Mutter Drego am Kragen gepackt hatte. Mit aller Kraft hielt sie ihn fest. Ihre Knöchel traten noch weißer hervor. Mit gestürzten Lippen blickte sie ihn streng an. Drego war wie erstarrt.
  
„Oh!“, machte Ailsa da nur schuldbewusst, „Das habe ich... ich vollkommen vergessen. Ich weiß doch, dass er Euch nicht gut tut...“
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Und mit unheimlicher, nahezu körperloser Stimme sprach sie: „''Kein Kind aus deinem Blut wird je den Baronsreif tragen, ohne dass sein junges Leben nicht sinnlos verlischt.''
  
„Schon gut!“, versicherte der Ritter da nur nickend. Seit damals konnte er den Geruch nach Weihrauch nur schwer ertragen. „Du wolltest mit mir sprechen?“
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Sie ließ ihn los. Sackte auf das Bett zurück. Und starb. Ein kalter Schauder jagte meinen Rücken hinab. Dregos und mein Blick trafen sich.
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Da reichte ihm seine Tochter ein Stück zerknittertes Papier.
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== Bruder==
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<!--Zsfg: Drego und sein älterer Bruder sprechen sich aus.
  
„Was ist das?“, fragte er.
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[[Garetien:Gut Jachtern|Gut Jachtern]], Rahja 1046 BF
  
„Garether Tagespostille“, antwortet Ailsa knapp.
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Der Tod unserer [[Garetien:Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels|Mutter]] setzte uns allen zu. Wir lagen uns weinend in den Armen und hielten uns aneinander fest. Auch [[Garetien:Elgor von Sturmfels|Vater]] war da. Selbst er weinte. Und so fühlten sich selbst meine Tränen nicht falsch an, dabei konnte ich mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal geweint hatte.
  
Verwirrt schaute er sie an: „Woher hast Du die denn?“
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Nachdem wir alle am Bett versammelt waren, bat ich den [[Boron-Kirche|Schweigsamen]] um Geleit für unsere Mutter. So wie sie es sich gewünscht hatte. Danach bracht [[Garetien:Boriane von Altjachtern|Boriane]] Haselnussbrand. Warm und weich rann er meine Kehle hinab und vertrieb das Gefühl der Enge in meiner Brust – vorerst zumindest. Vater öffnete die Fenster. Kühle, feuchte Luft der Efferdnacht drang zu uns hinein.
  
„Von Scanlail!“, seufzte die Ritterin als würde das einfach alles erklären, „Sie war mal wieder im Plunderhaus. Nachdem sie dort gespielt hat und sie gerade etwas essen wollte, trat ein Händler dort auf und bot Steine an Lederbändern gegen Dämonen an.“
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„Die Mädchen“, hob die neue Hausherrin an, „werden bittere Tränen um ihre Großmutter weinen.“
  
„Ach den!“, der alte Ritter winkte ab, „Den kenne ich. Der kommt regelmäßig. Hat immer irgendwelchen Tand dabei. Teuren, unnützen Tand. Wie viel hat er denn dieses Mal für seine... hm... ''Amulette'' verlangt?“
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[[Garetien:Moribert von Altjachtern|Moribert]] nickte bestätigend. Er war ganz blass.
  
„Zehn Dukaten.“
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„Sie haben sie so sehr geliebt“, fügte Boriane noch hinzu und rieb sich schniefend über die Augen. Selbst sie, für die Mutter nie auch nur ein einziges freundliches Wort übrig gehabt hatte, war von Trauer und Schmerz erfüllt. Liebevoll legte sie ihren Arm um Moribert und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. So vertraut mit meinem Bruder hatte ich sie noch nie gesehen. „Vielleicht sollten wir eine Kleinigkeit essen“, schlug die Scheupelburgerin vor, „Es war eine lange Nacht und bis zum Morgengrauen wird auch noch die ein oder andere Stunde vergehen.“ Erneut hauchte sie meinem Bruder einen Kuss auf die Wange, strich ihm nachdenklich über sein Kinn und verschwand. Die Tür ließ sie offen. Wenig darauf konnte man Geklapper und leises Summen aus der Küche hören. Sie hätte auch die Magd wecken können ...
  
Darian schüttelte lachend seinen Kopf: „Zehn Dukaten? Für einen Stein an einem Lederband?“
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„Weißt du eigentlich“, hob da Moribert an und schaute zu dem noch immer sehr blassen Drego hinüber, „wie sehr ich dich beneide, [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego]]? Du hast es weiter gebracht als jeder einzelne von uns.
  
„Der gegen Dämonen schützen soll“, fügte seine Tochter übertrieben nickend hinzu.
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Drego blickte nur zwischen mir und Moribert umher, dann zuckte er mit den Schultern und entgegnete: „Eine Fügung des [[Phex-Kirche|Herrn Phex]], denn mehr als mein Name war es nicht, der den [[Garetien:Drego von Luring|Grafen]] dazu veranlasst hat, mich mit [[Garetien:Baronie Schwarztannen|Schwarztannen]] zu belehnen. Vielleicht dachte auch so mancher bei Hofe, mit mir sei ein leichtes Spiel zu treiben. Gegen die [[Garetien:Grafschaft Waldstein|Waldsteiner]] stand ich alleine.“ Sein Blick schweifte zu mir. „Bis zum heutigen Tag haben sie es nicht mehr gewagt, anzugreifen.“ Er wusste genauso gut wie ich, dass die Angelegenheit nicht so einfach war, aber ich widersprach ihm nicht. „Diese Prüfung der Götter, denn etwas anderes war es nicht, habe ich bestanden.“ Langsam, aber überdeutlich nickte er. „Ich habe mich bewährt und deutlich gemacht, dass man mich ernst nehmen muss – auch wenn das noch nicht jeder wahrhaben will.
  
„Ich nehme an Scanlail hat ihm ordentlich das Geschäft versaut?“
+
Moribert nickte.
  
Nun lachte Ailsa: „Sie hat wohl durch das ganze Gasthaus gebrüllt: ''‘Wenn ihr schon immer gefürchtet habt, beim Scheißen von einem Dämon geholt zu werden, dann kauft dieses Amulett. Für nur zehn Dukaten könnt ihr euch sicher sein, dass er euch erst danach holt und ihr sauber nach Alveran einziehen könnt.’''
+
„Glaube mir, an vielen Tagen wünsche ich mir, ich hätte mich nie in diese Fehde gestürzt. Die Waldsteiner haben mich angegriffen und auch wenn sie sich bis jetzt ruhig verhalten, so konnte bisher einfach keine endgültige Einigung erzielt werden – auch bis zum heutigen Tag nicht. Sie verhalten sich ruhig, aber wie lange noch?“ Fragend schaute er uns an. „Nach den Waldsteinern waren da die [[Garetien:Familie Erlenfall|Erlenfaller]]. Sie trachtete nach meinem Baronsreif und dabei war es ihnen vollkommen gleichgültig, ob sie ihn mit oder ohne meinen Kopf in Händen hielten. Mein [[Garetien:Ailsa ni Rian|Orknäschen]] hätte diesen Irrsinn fast mit ihrem Leben bezahlt. Und meine [[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|jüngste Tochter]] ...“ Seine Stimme brach. Betreten schaute er drein. Ich sah ihm deutlich an, dass er kurz davor gestanden hatte, etwa zu offenbaren, worüber er besser geschwiegen hätte. „Oft denke ich darüber nach, wie alles gekommen wären, wenn ich mit ihr einfach in ihre Heimat gegangen wäre ...“
  
Der Ritter lachte so herzlich, dass er sich die Tränen aus den Augen reiben musste: „Ja, das ist meine Tochter. Ganz ohne Zweifel. Die Wortgewandtheit, die hat sie eindeutig von mir!
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„Aber du bist dein eigener Herr“, erwiderte ihm Moribert, „Ich habe, solange ich denken kann, unter dem Zorn und der Wut unserer Mutter gelitten. Von Boriane und unseren [[Garetien:Ederlinde von Altjachtern|Kindern]] ganz zu schweigen. Du konntest dich mit deiner Gattin in Schwarztannen verstecken, aber für uns hat es nie ein Entkommen gegeben.“ Seine Miene verfinsterte sich. „Unsere [[Garetien:Praiodane von Altjachtern|Erstgeborene]] hat Mutter ausbrennen lassen, weil sie Magie für Madas Fluch hielt. Alle habt ihr nur zugesehen, aber keiner hat unsere Mädchen beigestanden. Unsere [[Garetien:Jermorane von Altjachtern|Zweitgeborene]] wurde an den Namenlosen Tagen geboren und Mutter hat verfügt, sie in die Obhut ihres [[Garetien:Firunian von Altjachtern|Oheim]] im [[Garetien:Ritterherrschaft Gnadenthal|Hüter des Gnadenthals]] zu geben. Wieder habt ihr alle nur zugesehen, aber keiner hat etwas unternommen. Wenig vor ihrem Tod hat sie Jemorane dorthin bringen lassen, obwohl sie noch viel zu jung war, als habe sie geahnt, dass wir das nie ohne sie getan hätten. Unsere [[Garetien:Alrike Herdane von Altjachtern|Drittgeborene]] soll an den Grafenhof ...
  
Da musste Ailsa schmunzeln. „Er hatte diese Postille dabei. Er begründete nämlich die Notwendigkeit, bei ihm so ein Amulett zu erwerben damit, dass es in der Dämonenbrache wieder zu unheiligen Umtrieben gekommen sei und es ja jederzeit - auch im Kosch - zu solcherlei Vorkommnissen kommen könne.“ Dann deutete sie auf einen Artikel: „Hier.“
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„Tu das nicht!“, entfuhr es Drego entschieden. Energisch schüttelte er den Kopf. „Das ist kein guter Ort. Glaub mir. Bei all dem, was dir von Mutter angetan wurde, das ist kein guter Ort für deine Tochter. Wirklich nicht.“
  
Darian las. Manchmal nickte er zustimmend. Manchmal schüttelte er seinen Kopf. Am Schluss lächelte er seine Tochter an: „Du willst es versuchen?“
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„Was willst du damit sagen?“, wollte ich da nun wissen, „Du bringst schwere Anschuldigungen vor! Ich hoffe, du hast dir deine Worte wohlüberlegt!
  
Etwas verunsichert zuckte sie mit ihren Schultern: „Ich bin mir nicht sicher.“
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„[[Garetien:Gerlinde von Altjachtern|Gerlinde]]“, hob er da an, „Mir ist klar, was ich da sage und ich habe gute Gründe, warum ich es sage. Doch kann ich nichts Genaueres sagen. Ihr müsst mir vertrauen. Bei allem, was passiert ist, ist mir doch eines klar geworden: Meine Familie ist das Wichtigste für mich. Ich würde sie in Gefahr bringen. Ich würde euch in Gefahr bringen. Jeder, der mehr weiß, ist in Gefahr. Und außerdem ...“ Er musterte mich eindringlich. „... dürftest du darüber nicht einfach hinwegsehen, Gerlinde.“
  
„Warum?“, entfuhr es dem Ritter da sichtlich fassungslos, "Das ist doch..."
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„Dann muss ich es erst recht erfahren“, energisch nickte ich, „Also sprich, Bruder, sprich.
  
„Mutter würde gewiss schrecklich weinen!, unterbrach sie ihn ernst.
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Doch Drego schüttelte seinen Kopf: „Nein, nein und noch einmal nein. Und ganz gleich wie sehr du mir zusetzt, ich werde nicht reden. Mehr als einen Verdacht habe ich nicht, Gerlinde. Einen begründeten Verdacht, aber ...Er hielt inne. Ich straffte mich und schenkte ihm einen scharfen Blick. „... das reicht nicht. Mir ist das klar. Außerdem ist das nicht deine Angelegenheit. Das ist eine Angelegenheit des Reichsforstes und nicht einer der Waldsteiner.
  
„Ach, Ailsa, Eure Mutter wird immer weinen!“, wies er ihre Bedenken zurück, „Sie liebt Euch eben und deswegen weint sie und das - das kannst Du mir glauben - wird sich nie ändern. Niemals! Kein Grund also, es nicht zu versuchen.“
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„Ich diene der Himmlichen Leuin und ...“
  
Seine Tochter schwieg einen Augenblick, ehe sie betreten fragte: „Was mach ich denn, wenn sie mich nicht wollen?
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„Ja, Gerlinde“, erwiderte er mir da, „Mutter wurde nie müde das zu betonen. Niemals.
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„Was machst Du denn, wenn Du beim ritterlichen Zweikampf verlierst?“
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== Nichte ==
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<!--Zsfg: Alrike Herdane wird Pagin bei ihrem Oheim, Baron Drego.
  
Ailsa starrte ihren Vater verständnislos an.
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[[Garetien:Gut Jachtern|Gut Jachtern]], Rahja 1046 BF
  
„Du gehst erhobenen Hauptes hin, bedankst Dich für die Ehre, gehst erhobenen Hauptes dort wieder raus und heulst in der darauffolgenden Nacht in Dein Kissen.
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[[Garetien:Alrike Herdane von Altjachtern|Alrike Herdane]] und ihre kleine Schwester [[Garetien:Ederlinde von Altjachtern|Ederlinde]] weinten unablässig. Träne um Träne kullerte von den Wangen der beiden Mädchen hinab, als wir [[Garetien:Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels|Mutter]] auf dem Boronanger beisetzte. Ich sprach den Grabsegen, so wie es ihr Wunsch gewesen war. Die Praiosscheibe stand am wolkenfreien Horizont. Dieser Tag war schön. Viel zu schön.
  
„Ich hab noch nie in mein Kissen geheult!“, widersprach sie energisch.
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Noch am selben Tag brach ich mit meinem Bruder gen [[Garetien:Burg Scharfenstein|Scharfenstein]] auf. Die drittgeborene Tochter unseres ältesten Bruders, Alrike Herdane, ritt mit uns. Ohne eine Regung war sie auf Anweisung ihres Vaters mitgekommen. [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego]] hatte ihm versichert, dass [[Garetien:Drego von Luring|Graf Drego]] es ihm sicher nicht übel nähme, wenn er seine Tochter erst einmal zu seinem Bruder an den Hof gäbe. Noch sei das Mädchen jung, hatte er erklärt, noch könne man gut begründen, dass es besser für sie war innerhalb der Familie Pagin zu sein. Drego war ungewöhnlich unbeugsam gewesen und von einer noch ungewöhnlicheren Entschlossenheit erfüllt. [[Garetien:Moribert von Altjachtern|Moribert]] widersprach nicht. Er war gewohnt, zu folgen. [[Garetien:Boriane von Altjachtern|Boriane]] hatte bitterlich geweint, ihre Tochter geherzt und geküsst. Alrika Herdane war teilnahmslos geblieben.
  
„Da haben mir Deine Schwestern aber was anderes erzählt...“
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„Ganz sicher wird es dir in Scharfenstein gefallen“, erklärte mein Bruder unsere Nichte auf dem Weg nach Scharfenstein, „Es gibt dort viele Kinder, darunter auch meine Pagen. Außerdem natürlich meine eigenen Kinder: Du wirst [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|Drego]], [[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|Lechmin]] und [[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|Ederlinde]] kennenlernen. Und mein ''[[Garetien:Ailsa ni Rian|Orknäschen]]''.“ Er seufzte. „Meine Frau.“
  
„Ach”, schimpfte Ailsa, „Diese alten Petzen!“
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„Die diebische Elster?“, entfuhr es dem Kind da.
  
==Eine Krähe im Wind==
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Dregos Miene verfinsterte sich: „Das ist deine Großmutter, die da aus dir spricht.“ Er hielt inne. „Niemand, der mein ''Orknäschen'' kennt, kann so über sie reden. Gar niemand. Auch du wirst so nie wieder von ihr reden. Nie! Hast du das verstanden?“
Baronie Greifenpass, Kosch, Rondra 1042
 
  
Am wolkenlosen blauen Himmel zog eine einsame Krähe ihre Bahnen. Sie nutzte den Wind und ließ sich treiben. Scheinbar ohne Ziel, ohne Mühe. Die vier Reiterinnen, unter ihnen ein Mädchen auf einem Pony, bemerkte sie erst gar nicht und als sie dann auf sie aufmerksam wurde, hätte sie nicht sagen können, wie lange sie schon da waren.
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Betreten blickte das Mädchen zu Boden und nickte.
Der Wind trieb sie weiter, weiter in jene Richtung, in die sich auch die kleine Reisegruppe mit den schwer beladenen Packpferden bewegte. Sie schlug einmal kräftig mit ihren Flügeln, um an Höhe zu gewinnen, und rief: „Krâwa. Krâwa.
 
  
{{Trenner Garetien}}
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„Anstatt die Worte einer alten Frau nachzuplappern, solltest du dir lieber selbst ein Bild machen. Irgendwann wirst du begreifen, wessen Worten zu trauen ist und wessen nicht.“ Er hielt inne. „Aufrichtige und Ehrbare sind selten.“
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„Schaut mal!“, die Reiterin auf der Langmähne deutet an den Horizont hinauf. Sie trug, so wie die anderen auch, eine leichte Cappa aus dünnem schwarzem Wolltuch, welche sie nicht nur vor der zu dieser Jahreszeit hochstehender Praiosscheibe, sondern auch vor dem Staub der Reise schützen sollte. „Wir haben Geleitschutz!“
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= Fische im Netz =
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== Bedenkzeit ==
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[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]]
  
„Geleitschutz?”, erwiderte die Reiterin auf ihrem Schimmel abfällig und schüttelte ihren Kopf. Sie war eine hochgewachsene Frau mit meerblauen Augen und tiefbraunem Haar - etwas, dass alle drei Reiterinnen gemeinsam hatten. Diese jedoch trug ihr Haar zu einem schmalen Zopf zu ihrer Linken geflochten. An ihrem Gürtel hing ein Langschwert und an ihrem Pferd eine Orknase. „Ich habe Dir, Scanlail, gesagt, Du sollst das Vieh nicht anfüttern. Die wird uns jetzt überallhin folgen. Was sollen die denn auf Schloss Sonnentor von uns denken?“
+
[[Garetien:Leudane von Leuenberg|Sie]] bat sich Bedenkzeit aus. [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]] verstand. Er schien wirklich ein netter Mensch zu sein und darüber hinaus über ein gutes Herz zu verfügen und dennoch, dennoch nahm sie es ihm übel, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. Dabei verstand sie ihn. Wenn sie all die Sehnsucht nach meiner Heimat beiseite schob, dann verstand sie ihn. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Nicht einfach so. Und sie konnte ihm nicht einfach Gefolgschaft schwören. Nicht einfach so.
  
„Das ist ein Zeichen, Schwestern!“, mischte sich die dritte Reiterin auf ihrer Teshkalerin ein. Sie trug eine schwarze Robe aus Wolltuch auf der eine aufwändige silberne Stickerei in Form eines Raben prangte. Ihr Haar trug sie offen und so kurz, dass es nicht mehr reichte um es zusammenbinden zu können. „Ein Zeichen der Götter. Sie wird uns Glück bringen.“
+
= [[Albtraumgestalt — Briefspielreihe‎|Albtraumgestalt]] =
 +
== Einhornfrau ==
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'''[[Garetien:Ritterherrschaft Praiosborn|See Praiosborn]], Praios 1045'''
  
„Ich dachte eine Krähe bringt Regen...“, murrte die Ritterin da nur und verwies auf ein bekanntes Wiegenlied aus ihrer koscher Heimat, welches Scanlail nun anstimmte. Mit ihrer lieblichen und gut ausgebildeten Stimme sang sie:
+
(...)
  
„Eine für Regen,<br/>
+
= [[Der Raller treu — Briefspielreihe|Der Raller treu]] =
Zwei für Wind,<br/>
 
Drei für Liebe,<br/>
 
Und vier ein Kind,<br/>
 
Fünf für Silber,<br/>
 
Sechs für Gold,<br/>
 
Sieben ein Unglück,<br/>
 
Götter, seid uns hold!<br/>
 
Götter, Götter, wir...“
 
  
Die Ritterin blickte währenddessen zum Horizont empor und betrachtete, wie die Krähe dort oben entlang glitt. Es schien so mühelos, geradezu beneidenswert mühelos. Was wusste so ein Tier denn schon von den Zwängen, die auf ihr lasteten? Es flog einfach. Folgte dem Wind. Ließ sich von ihm treiben, an fremde Ort führen - ganz gleich wohin sie der Wind trieb, sie folgte ihm, ohne Plan, ohne Ziel, sie ließ geschehen, was geschah. Und sorgen, worum musste sie sich sorgen? Um das Morgen gewiss nicht und um die darauffolgenden Praiosläufe sicher auch nicht. Natürlich musste sie sich selbst ernähren, aber sonst? Sonst war sie eines - frei! Wie gerne wäre sie eine Krähe im Wind, so frei und ohne Zwänge...
+
== Verschwunden ==
 +
'''[[Garetien:Markt Rallingen|Markt Rallingen]], im Travia 1044 BF'''
  
„... wir sind Euch treu“, endete die Skaldin. Da wandte die Ritterin ihren Blick wieder nach vorne.
+
= [[Zeit zu sterben — Briefspielreihe|Zeit zu sterben]] =
  
„Was glaubst Du denn, was sie von uns denken?“, warf die Geweihte auf.
+
== [[Geschichten:Zeit zu sterben – Prolog|Prolog]] ==
 +
'''[[Greifenfurt:Junkertum Haselbusch|Junkertum Haselbusch]], Efferd 1044 BF'''
  
„Vielleicht, Nurinai, dass wir lebensmüde sind?“, schlug die Angesprochene da stirnrunzelnd vor, „Schließlich wollen wir freiwillig und erneut gegen widerwärtige dämonische Umtriebe vorgehen und dass - das wissen wir vom Haffaxfeldzug nur allzu gut - bezahlt man nur allzu oft mit seinem eigenen Leben. Das ist doch schon irgendwie... Wahnsinn!“
+
Es war ein winziger Augenblick, ein Moment nicht länger als ein Atemzug, ein Wimpernschlag oder gar ein Herzschlag nur der Unachtsamkeit, des Zögerns, des Nachdenkens, des Verweilens, des Müßigganges oder auch nur der Neugierde der das Leben vom Tod trennte. Und so wie es so manchem Menschen auf Dere erging, erging es auch dem Hasen, der unerwartet meinen Weg kreuzte oder kreuzte ich den seinen? Er zögerte zu lange. Schaute mich zu lange an. Dachte zu lange nach. Verweilte zu lange. Da packte ihn der vom Himmel herabstürzende Habicht mit seinen kräftigen, gelben Krallen und hielt ihn fest. Das Tier kämpfte und schrie verzweifelt um sein Leben, doch der Habicht hielt es fest. Es sprang und tobte, doch unerbittlich hielt der Habicht es fest.
  
„In der Tat, ein gewisses Maß an Wahnsinn gehört wohl dazu. Ganz gewiss sogar., stimmte Nurinai mit ein, der der Wahnsinn in allerlei Ausprägungen und Formen durchaus gut - vielleicht sogar etwas zu gut - bekannt war, „Aber auch ein großes Maß an Idealismus.
+
Und einen winzigen Augenblick später tauchte ein Hund auf. Ein brauner, alter, etwas zotteliger Hund. Auch er verharrte. Zögerte. Schaute [[Greifenfurt:Marbodane von Haselbusch|mich]] an. Interessiert. Neugierig. Er dachte nach. Er dachte angestrengt nach. Schnupperte. Ob er mich kannte? Und einen winzigen Augenblick später tauchte eine [[Greifenfurt:Tessia von Haselbusch|Frau]] auf, eilte an die Seite des Habichts, kniete sich nieder, packte den Hasen und machte ihm den Garaus, wobei sie die Bauchdecke des Tieres mit seinem Eberfänger öffnete um dem Habicht seinen Anteil zu geben. Gierig fiel der Vogel über die Eingeweide der Beute her.
  
„Und waren es nicht schon immer diejenigen, Ailsa, die Veränderungen herbeigeführt haben, die sich willentlich und im vollen Bewusstsein in Abenteuer und Gefahren gewagt haben?“, fügte die Skaldin hinzu, „Es ist also nicht die Frage, was Du glaubst, was andere von UNS denken, es ist vielmehr die Frage, was WIR glauben, damit zu erreichen.
+
So war er, mein [[Boron-Kirche|Herr]], Gebieter über Schlaf und Tod. Unablässig und unerbittlich schickte er seine Diener aus. Und nun hatte er mich hierher geschickt: Nach [[Greifenfurt:Burg Haselbusch|Hause]]...
  
„So eine Gelegenheit ergibt sich nur ein einziges mal im Leben..“, hob Ailsa an.
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== [[Geschichten:Zeit zu sterben – Wiedersehen|Wiedersehen]] ==
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'''[[Greifenfurt:Junkertum Haselbusch|Junkertum Haselbusch]], Efferd 1044 BF'''
  
„... und um die Baronin vom Greifenpass weiter zu zitieren: ‘''... und Du wärst eine verdammte Idiotin, wenn Du es nicht versuchst!''’“, wurde sie kurz darauf von Nurinai unterbrochen, „Sei einfach keine verdammte Idiotin, Ailsa. Diese Gelegenheit ist Deine Gelegenheit und wenn Du sie nicht nutzt, dann wirst Du Dir das ein Leben lang vorwerfen. Und was mich angeht, so ist für mich nur eines wichtig: In eurer Nähe zu sein.“
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Blut tropfte von der schimmernden Klinge des Eberfängers. Die Frau richtete sich auf und erst da fiel ihr Blick auf mich. Einen Moment verharrte auch sie, zögerte, dachte nach. Ob sie sich wohl fragte, warum ihr Hund nicht gebellt hatte?
  
Einen Augenblick schwiegen alle etwas betreten. Als sie Kinder waren, da hatten sie sich oft gestritten - auch heute war das nicht wesentlich anders. Doch heute wussten sie, dass sie zueinander gehörten, dass sie auf den anderen angewiesen waren. Sie liebten sich genauso, wie sie sich gelegentlich hassten. Doch wenn es darauf ankam, wenn etwas oder jemand sie von außen bedrohte, dann hielten sie zusammen und abgesehen davon, waren die Streitigkeiten spätestens am Abend vergessen. Sie waren eben Schwestern und daran vermochte nichts und niemand etwas zu ändern.
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„Dela?“, Tessia von Haselbusch musterte mich, „Nein! Marbo... [[Greifenfurt:Marbodane von Haselbusch|Marbodane]]?“
  
„Jemanden wie Dich, eine Geweihte wie Du eine bist, kann man dort draußen gewiss gut gebrauchen, Nurinai. Du verstehst Dich nicht nur auf den Grabsegen, sondern auch auf das Bewahren und Erhalten von Leben, das Heilen von Wunden - körperlich wie seelisch. Eine Geweihte an der Seite zu haben, noch dazu eine des Herrn von Tod und Schlaf, kann nie verkehrt sein“, meinte die Ritterin und sprach da durchaus aus eigener Erfahrung, „Gerade im Angesicht des Todes.
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Langsam nickte ich. Gemächlich trottete der Hund auf mich zu.
  
Nurinai schwieg sich dazu aus. Sie sprach nicht über diejenigen, denen sie in Zeiten großer Not beigestanden hatte. Gerade wegen ihrer Verschwiegenheit wurde sie sehr geschätzt und war so manches Mal gerade von Adeligen gut entlohnt worden. Den größten Teil gab sie selbstredend an ihre Kirche weiter, behielt nur ein wenig zurück, schließlich musste sie ihr Leben auch irgendwie bestreiten. So war sie auch an die hübsche Teshkalerin gekommen, die auf den sehr bezeichnenden Namen ''Mors'' hörte.
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„Ich... ich hätte dich fast nicht erkannt“, erklärte sie etwas verwundert, „Du... du hast dich verändert und doch...“ Sie legte ihren Kopf etwas zur Seite und musterte ihre Gegenüber. „... bist du irgendwie dieselbe geblieben.“ Etwas verwundert zuckte sie mit den Schultern. „Lediglich älter bist du geworden. Ja...“ Ein verschmitztes Lächeln legte sich über ihre Wangen. „... älter.
  
„Und jemanden wie mich...“, erklärte die Skaldin da sichtlich gekränkt, weil keine ihrer beiden Schwestern daran gedacht hatte, auch über sie so voll des Lobes zu sprechen, „... kann man auch immer und überall gebrauchen, denn gerade im Angesicht von Tod und Verderben ist Zerstreuung durch Musik und Gesang äußerst wichtig, nicht zuletzt weil es neben Ablenkung auch die Moral stärkt.“ Sie untermalte das Ganze mit einem energischen, geradezu theatralischen Nicken. „Außerdem muss sich ja auch jemand um Lorinchen kümmern.“
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Ich erwiderte ihr Lächeln: „Älter bin ich geworden, [[Greifenfurt:Tessia von Haselbusch|Tessia]].“ Der Hund – besser gesagt eine Hündin – war nun ganz nahe bei mir. Interessiert roch sie an mir, leckte mir über den Handrücken, ehe sie sich vor mir ins Gras warf, mir ihren nackten Bauch entgegen reckte um von mir gestreichelt zu werden. „Aber Irmi..., ich ging in die Knie und kraulte das Tier ausgiebig, „Irmi hat mich erkannt.“
  
Das braunhaarige Mädchen auf ihrem Pony blickte mit einem leichten Ausdruck von Panik in ihren blauen Augen erst zu Scanlail hinüber, dann zu Nurinai und schlussendlich zu Ailsa. Letztere lächelte sie einfach nur an und zuckte mit den Schultern und sagte: „Ja, irgendjemand muss sich auch um Lorinchen kümmern - nachdem diese ihre Verpflichtung gegenüber ihrer Pagenmutter erfüllt hat.
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„Ja...“, die Jägerin säuberte eilig ihren Eberfänger und steckte ihn zurück in die Scheide, „Es verwundert mich. Sie ist alt geworden, Marbodane. Ich meine, wie lange ist es her, dass du nicht mehr hier warst?“ Unwissend zuckte sie mit den Schultern. „Ich hatte nicht erwartet, dass sie dich nach all den Götterläufen noch erkennt. Sie erkennt ja geradeso noch [[Greifenfurt:Dankwart von Haselbusch|Dankwart]] und mich, aber dich?“ Fragend blickte sie ihre Gegenüber an.
  
Da verschwand die Panik aus den Augen der Pagin und zurück kehrte der unschuldige Blick, den sie auch sonst immer an den Tag legte.
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„Tiere haben ein Gespür für den Tod“, wusste ich, „Das sagt man auch uns nach oder viel mehr unserem [[Boron-Kirche|Herrn]]...
  
„Was erwartet Ihr denn?“, wollte sie wissbegierig wissen und belegte ihre Herrin mit einem aufmerksamen Blick.
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„Dann bist du gekommen, weil... ?“, die Frau schluckte schwer, „... jemand von uns sterben wird?“
  
„Ich erwarte..“, Ailsa hielt einen Moment inne und dachte nach. Die letzte Zeit hatte sie viel nachgedacht. Sie hatte Nächte wach gelegen. Hatte den Rat von Vertrauten und nicht zuletzt von den Göttern eingeholt. Sie hatte gezweifelt, an sich selbst, am Vorhaben und daran, ob sie genügte, ob sie tatsächlich eine Aussicht hatte. Da draußen gab es so viele tapfere Ritter und Recken, warum sollte man gerade sie auswählen? Laut ausgesprochen hatte sie ihre Zweifel jedoch möglichst nicht - sie sollten schließlich nicht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
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Ich nickte.
  
Auf dem Weg zum Kaiserturnier 1042 hatte sie noch große Zweifel darüber gehegt, ob sie es wirklich wagen sollte. Doch danach - nachdem sie glaubte bei der richtigen Person, im richtigen Augenblick, die richtigen Worte fallen gelassen zu haben - war die Sache für sie klar: Diese Gelegenheit, war ihre Gelegenheit. Und sie, Ailsa ni Sceard, würde einfach nicht scheitern.
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== [[Geschichten:Zeit zu sterben – Erinnerung|Erinnerung]] ==
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'''[[Greifenfurt:Junkertum Haselbusch|Junkertum Haselbusch]], Efferd 1044 BF'''
  
„Zunächst ist es eine Aufgabe. Eine Aufgabe voller Unwägbarkeiten und voller Gefahren und doch so voller Möglichkeiten. Vielleicht bringt sie uns Ruhm und Ehre, vielleicht im Leben“, sie lachte, „vielleicht auch nur vor den Göttern. Dann ist es ein Auftrag, verbunden mit einer großen Verantwortung. Wir haben uns bewiesen, sind gegen Haffax gezogen, haben schreckliches erlebt - aber wir sind noch da! Doch der Heerzug, er war die eine Sache, das dort draußen ist eine andere - wir werden nicht so viele sein und welche Schrecken dort auf uns warten, dass kann keiner sagen. Ich will es nicht vergleichen; ich glaube das das nicht möglich ist, einfach weil die Umstände andere sind.“ Sie holte Atem. „Vielleicht wird man mir weitere Aufgaben übertragen, vielleicht kann ich aufsteigen, mehr sein als eine landlose Ritterin, die von Turnier zu Turnier zieht - manchmal mit mehr, manchmal mit weniger Erfolg. Vielleicht wartet dort draußen ein Leben auf mich, von dem ich bisher nichts wusste und ein Zuhause. Der Kosch und vor allem das Rittergut unseres Vaters wird immer unsere Heimat bleiben, aber ein richtiges Zuhause… das haben wir bisher nirgendwo gefunden.
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[[Greifenfurt:Tessia von Haselbusch|Tessia]] schluckte schwer und versuchte sich an einem Lächeln während sie mir kehlig erklärte: „Sterben müssen wir alle eines Tages, nicht wahr?
  
Einen Moment schwiegen sie alle, was deutlich zeigte, dass sie alle einer Meinung waren - ein Zustand, der unter den drei Schwestern nicht allzu häufig vorkam und meist auch nicht lange vorhielt. In ihnen schlugen zwei Seelen: Die Koscher Seele ihres Vaters und die albernische Seele ihrer Mutter und weil beide gleich stark waren - obgleich sie den Kosch von Kindesbeinen an kannten und Albernia nur aus Erzählungen und von einigen wenigen Reisen - konnten sie in keinem der beiden ein Zuhause finden. Innerlich waren sie hin- und hergerissen zwischen hier und dort und egal wie sie sich entschieden hätten, es hätte sich doch nur ein Leben lang nicht richtig angefühlt.
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„So ist es“, erwiderte ich und sah in ihren Augen die Angst, die Angst jemanden den sie von Herzen liebte zu verlieren. Ich kannte diese Angst nur zu gut, zwar nicht von mir selbst, aber von jenen Menschen, denen ich begegnete. Mein [[Boron-Kirche|Herr]] war bei den meisten gefürchtet, so nahm er ihnen doch das Liebste. Und obgleich er doch auch der Herr über den Schlaf und auch über die Träume war, so dachte kaum jemand an diese Aspekte wenn er meiner ansichtig wurde...
  
„Und vielleicht finden wir einen netten Mann für Dich...“, platzte es plötzlich aus Scanlail heraus.
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„Nun gut“, schloss die Junkersgemahlin sichtlich ernst, „Dann wollen wir mal auf die [[Greifenfurt:Burg Haselburg|Haselburg]] gehen. Ich würde gerne sagen, dass [[Greifenfurt:Dankwart von Haselbusch|Dankwart]] sich freuen wird, dich zu sehen, [[Greifenfurt:Marbodane von Haselbusch|Marbodane]], aber ich fürchte, dass das nicht der Wahrheit entspricht...“
  
„... mit dem Du dann zusammen eine Wachburg oder einen Wachturm bewohnst...“, stimmte die Geweihte mit ein.
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Verständnisvoll nickte ich: „Ich weiß, Tessia, ich weiß. Er grollt mir noch immer...“
  
„... und mit gaaanz vielen süßen kleinen Kindern füllst.“
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„Tief in seinem Herzen weiß er wohl, dass du keine Schuld trägst“, nun klang ihre Stimme bitter, „Aber...“ Regelrecht hilflos zuckte sie nun mit den Schultern. „Schon bevor wir dich und deine [[Greifenfurt:Daria von Haselbusch|Schwester]] nach dem Tod eures [[Greifenfurt:Dankraul von Haselbusch|Vaters]] auf der Haselburg aufgenommen haben, haben wir Kinder verloren. Das letzte kurz bevor du dein Noviziat begonnen hast...“ Damals hatte es meinem Oheim gereicht. Er hatte meine Anwesenheit einfach nicht mehr ertragen. So hatte er mich fortgeschickt. Ein Noviziat in der Boron-Kirche war ihm passend erschienen, schließlich hatte ich stets gewusst, wann jemand stirbt, eine seltsame Gabe, die nicht nur ihn verängstigt hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte man mir meinen heutigen Namen gegeben: Marbodane. „... danach hat uns [[Tsa-Kirche|Tsa]] diese zweifelhafte Gnade nicht mehr zuteil werden lassen.“
  
„Ach, was soll ich denn mit einem Mann?“, winkte Ailsa da lachend ab, „Wenn ich nachts jemanden brauche, der mir meine Decke klaut oder schnarcht oder gleich beides dann hab ich doch euch!“
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„Bist du traurig darüber?“
Und für alles andere hatte sie ihn. Ja, ihn. Ein vielsagendes Lächeln legte sich über ihre Wangen. Und irgendwie war sie sich erstaunlich sicher, dass er sie das ein oder andere mal besuchen würde...
 
  
„Nur damit das klar ist“, erhob die Skaldin da ihren Einspruch, „ICH schnarche NICHT!
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„Ich weißt nicht recht“, meinte sie da unsicher, „Irgendwie schon und irgendwie auch nicht. Ich... ich weiß es einfach nicht. Ich meine...“ Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Dankwart und ich haben immerhin Lechdan und das ist mehr als manche andere haben. Ich will auch nicht undankbar sein, aber... aber manchmal frage ich mich schon, warum ausgerechnet uns das passieren musste...Etwas fragend blickte sie die Geweihte an.
  
„Und ob!“, konnte da die Geweihte nur lachen, „Und wie! Du solltest Dir mal nachts zuhören! Du hast schon mehrfach den kompletten Borrewald abgeholzt und das in einer Nacht!
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„Darauf kann ich dir keine zufriedenstellende Antwort geben“, erwiderte ich leise seufzend, „Aber vielleicht ist euch das passiert, weil ihr das ertragen konntet, jemand anders wäre vermutlich daran zerbrochen...
  
„Das ist mein Pferd!“, verteidigte sich Scanlail da energisch, „Mein Pferd schnarcht!“
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Tessia schwieg sich dazu aus, aber an ihrer Reaktion sah ich deutlich, dass sie meine Worte nicht richtig an sich heranlassen konnte und auch gar nicht wollte.
  
Noch im selben Augenblick brachen Ailsa, Nurinai und Lorine in schallendes Gelächter aus.
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Wenige Augenblicke als die Haselburg – eher ein befestigtes Haus als eine Burg – vor uns auftauchte, wollte sie sehr ernst von mir wissen: „Ist es [[Greifenfurt:Lechdan von Haselbusch|Lechdan]]? Wird er sterben?“
  
„Als nächstes… als nächstes da erzählst Du uns noch, Dein Gaul… Dein Gaul könnte singen oder… oder… oder auf Deiner Fidel spielen.“, brachte Ailsa schließlich mühsam heraus.
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Ich schüttelte den Kopf: „Es ist jemand hier. Hier auf der Haselburg.“
  
„Ach, warum sollte ich denn so etwas erzählen, das wäre doch schlicht und ergreifend einfach nur kompletter Unsinn!“
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Seltsamerweise schien sie erleichtert. Vermutlich lag es einfach daran, dass die größte Sorge meines Oheims stets jene gewesen war, auch noch Lechdan zu verlieren. Er war eben ihr einziges Kind und der designierte Erbe. Aus diesem Grund hatte mein Oheim mich auch fortgeschickt, ganz so als könnte er damit verhindern, dass es weitere Tote gäbe...
  
==Träume einer Krähe==
+
== [[Geschichten:Zeit zu sterben – Mutter|Mutter]] ==
===Das, was war===
+
'''[[Greifenfurt:Junkertum Haselbusch|Junkertum Haselbusch]], Efferd 1044 BF'''
  
''Das Madamal stand hoch am Horizont. Glomm in blutrotem Licht. Schnee fiel. Dicke weiße Flocken. Sie fror. Wollte ihre Kleider enger um sich ziehen. Doch sie trug nur eine dünnes Hemd aus schwarzer durchscheinender Seide. Sonst nichts. Überhaupts nichts. Nicht einmal Schuhe. Mit den nackten Füßen stand sie im knöcheltiefen Schnee und fror. Fror erbärmlich.
+
„Wie geht es...“, [[Greifenfurt:Tessia von Haselbusch|Tessia]] stockte einen Moment während sie ihren Habicht in die Voliere brachte, entschied sich dann aber ihre Frage zu Ende zu formulieren, „... deiner [[Greifenfurt:Korgunde von Korbronn|Mutter]]?“
  
''Plötzlich begann die Erde unter ihren Füßen zu erzittern, regelrecht zu beben. Sie wandte sich um: Ein Schneesturm bewegte sich direkt auf sie zu. Doch es war kein gewöhnlicher Schneesturm: Während die Flocken geradezu neckisch im Licht des Madamals glitzerten drang das Klirren von Metall auf Metall aus ihm heraus, das Wiehern und Schnauben von Pferden, deren beschlagene Hufe, die im Galopp über den Boden getrieben wurden. Viele beschlagenen Hufe. Sehr viele.
+
Es dauerte entsetzlich lange, bis ich eingestand: „Ich habe sie schon sehr lange nicht mehr gesehen. Sehr lange.
  
''Ansonsten war es still.<br/>
+
„Hm“, machte die Haselbuscherin da, „Ist sie denn nicht mehr... im... im [[Greifenfurt:Kloster Rabenhorst|Kloster]]?“
''Die Ruhe vor dem Sturm.<br/>
 
''Und dann erkannte sie die ersten Reiter...
 
  
''„STÜRMEN!“, dröhnte es über sie hinweg.
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„Das Kloster ist groß“, erwiderte ich ihr da, „Vielleicht ist sie noch da, vielleicht aber auch nicht.Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Dann hielt ich einen Moment inne. „Abgesehen davon war ich auch nicht sonderlich oft im Kloster, eigentlich war ich nur dann da, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Das war nicht oft. Die meiste Zeit war ich unterwegs. Manchmal glaube ich, dass das die Absicht meiner Lehrmeisterin war. Sie wollte mich nicht zu sehr mit der Vergangenheit konfrontieren...
  
''Und Ailsa lief. Sie lief so schnell sie konnte. Lief vor den Reitern davon. Doch die Reiter kamen immer näher. Sie sah sie nicht. Doch sie konnte sie spüren. Das Beben der Erde unter ihren nackten Füßen. Dann preschte ein Reiter in voller Rüstung zu ihrer Rechten an ihr vorbei. Sein Blick fest nach vorne gerichtet. Dann einer zu ihrer Linken. Weitere folgten. Bald darauf blieb Ailsa atemlos stehen. Ihre Lunge brannte. Noch immer preschten Reiter an ihr vorbei. Ganz nahe, unglaublich nahe, doch nicht ein Einziger streifte sie. Dann erkannte sie das Wappen - die Fürstlichen Schlachtreiter. Und ohnmächtig musste sie zusehen, wie sie über die schmale Brücke in das Flusskastell eintritten.
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„Schade“, kommentierte die Junkerin seufzend, „Schade ist es trotzdem. Sie ist immerhin deine Mutter.
  
''„Nein!“, brüllte sie und versucht trotz der tausenden kleine Nadeln, die die Kälte unablässig in ihre Brust stach, dem Strom der Reiter zu folgen, „Nein! Das ist ein Falle! Eine Falle! Hört auf! Zieh euch zurück! Zurück! Solange ihr noch kön...“
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„Ja“, entfuhr es mir kehlig, „Das schon, aber... sie könnte mir ohnehin nichts erzählen. Sie hat... hat vor geraumer Zeit eine Schweigegelübde abgelegt...“
  
''Und noch im selben Augenblick schlossen sich die Tore. Schlachtrösser mit ihren Reitern prallten im vollen Galopp dagegen. Die Tiere hatten noch versucht das unvermeidliche abzuwenden, versuchten auf die Hinterhand zu steigen. Doch es war zu spät. Mit einem dumpfen Schlag schmetterte es sie gegen die dicken Bohlen. Herzzerreißendes Wiehern übertönte jedes Kampfgeschrei. Einen Augenblick herrschte blankes Entsetzen. Fassungslosigkeit. Eine Ladung Pech wurde über die Erstürmer auf der schmalen Brücke verschüttet, löste alle aus ihrer Erstarrung. Mensch und Tiere schrien vor Schmerzen auf. Schlachtrösser, die in Panik versuchten aus der Engstelle herauszukommen, in dem sie aus Verzweiflung von der schmalen Brücke in den Untergrund sprangen. Manche unterschätzten das Brückengeländer und brachen sich die Hinterläufe daran. Manche brachen sich beim Sprung in die Tiefe gleich beide Vorderläufe. Andere versuchten die Flucht nach hinten. Sprangen über andere Schlachtrösser und Reiter oder versuchten es, rissen mehr als einen aus dem Sattel. Schlachtrösser, die gegen Schlachtrösser prallten. Dazwischen die Reiter, die eilig versuchten Platz zu machen, nicht unter die Hufe der aufgebrachten Tiere zu geraten. Manche retteten sich ins Wasser, wo sie ertranken. Manche schafften es nicht rechtzeitig sich vor den mächtigen Hufen in Sicherheit zu bringen.
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„WAS?“, entfuhr es der Älteren vollkommen fassungslos als sie die Voliere wieder verließ, „Warum?“
  
''„BRECHT DAS TOR AUF!
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Wieder zuckte ich mit den Schultern: „Auch das weiß ich nicht. Meine Lehrmeisterin hat es mir gesagt. Vor meiner Weihe. Zu dieser Zeit hatte ich nämlich überlegt sie aufzusuchen und nach... nach [[Greifenfurt:Dankraul von Haselbusch|meinem Vater]] zu fragen. Aber...“ Meine Stimme brach. Über meinen Vater wusste ich kaum etwas. Er war seit langem tot. Ich hatte ihn nie kennengelernt. Selbst meine ältere Schwester [[Greifenfurt:Daria von Haselbusch|Daria]] konnte sich kaum an ihn erinnern. „... dafür war es zu spät.“ Ich versuchte mich an einem Lächeln, denn ich spürte den mitleidigen Blick meiner Base auf mir Ruhen. „Als sie es mir sagte, hatte sie Tränen in den Augen. So wie du jetzt...
  
''„AUFBRECHEN!
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„Ach, [[Greifenfurt:Marbodane von Haselbusch|Marbodane]]“, schniefte sie, „Ich hatte so gehofft, dass sie dir irgendwann alles erklären könnte, denn ich...“ Sie schluckte schwer. „... ich weiß nicht, ob es [[Greifenfurt:Dankwart von Haselbusch|Dankwart]] je tun wird und ich selbst weiß zu wenig. Und... und wenn er es nicht tut dann... dann...“ Tessia zuckte sichtlich hilflos mit den Schultern. „... dann wird es für ewig im Dunkeln liegen.
  
''Und Ailsa lief. Nahm einen Platz am improvisierten Rammbock ein und stürmte mit den anderen auf das Tor zu. Pfeile prasselten auf sie nieder. Sie liefen weiter. Immer weiter. Was auch immer sie von oben oder der Seite traf, sie gaben nicht auf. Immer wieder stürmten sie auf das Tor. Dort drinnen waren ihre Leute. In einem Hinterhalt. Sie waren ausgeliefert! Das Tor musste aufgebrochen werden. Sie mussten da rein! Sie mussten! Oder die anderen starben. Würden elendig dahingemezelt. Ach was! Geschlachtet. Sie mussten!
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„Und du?“, wollte ich zaghaft wissen, „Weißt du nichts?“
  
''Ihr Vordermann fiel. Sie rückte auf. Unter ihr der Getroffene. Sie hörte seine Schreie nicht. Sie hörte nur ihren eigenen Atem, den eigenen Herzschlag, das Rauschen des Blutes in ihren Adern. Sie stieg über das hinweg, was unter ihr lag, versuchte nicht zu stürzen, nicht zu straucheln, doch Halt zu finden war schwierig. Keiner schaute nach unten. Ihre Blicke waren nach vorne gerichtet. Auf das Ziel. Es war das Einzige, das zählte.
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Tessia schaute zu Marbodane auf. Die [[Boron-Kirche|Boron]]-Geweihte war inzwischen etwas größer als ihre Base. „Ich weiß nur das, was man sich darüber erzählt. Was man sich hier darüber erzählt“, erwiderte sie mit rauer Stimme und zuckte sogleich entschuldigend mit den Schultern, „Ich weiß nichts darüber, was wirklich war, denn man erzählt sich viel, auch Dinge, die nicht wahr sind und da ich nicht weiß, was war...“ Sie hielt inne. „Was soll ich dir da erzählen?“
  
''Und das Tor gab nach. Sie konnte es nicht sehen. Sie spürte es. Wieder nahmen sie anlauf. Wieder stiegen sie über die Toten, über Reiter und Pferde, manche noch nicht einmal ganz zu Boron gegangen, wieder stürmten sie gegen das Tor. Ailsa schrie und die anderen fielen mit ein. Ein unglaubliches Gebrüll erhob sich über dem Schlachtfeld. Da barst das Tor. Sie stürmte hindurch, fielen mehr als sie liefen und…
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= Das dritte Kind =
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== Albträume ==
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'''[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]], Firun 1045 BF'''
  
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''Im Zimmer war es nahezu finster, obgleich draußen die Praiosscheibe hoch am Himmel stand. Die Luft war stickig und muffig, es roch nach kaltem Schweiß und nach Blut. Einige Kerzen versuchten die düstere Stimmung mit ihrem diesigen Licht zu vertreiben und vermochte es doch einfach nicht. Es war still. Entsetzlich still. Totenstill. [[Garetien:Ailsa ni Rian|Ailsa]] lag ruhig auf dem Bett, nahezu reglos.''
  
''Irgendwo in der Ferne hört sie das Weinen eines Säuglings. Sie stolperte auf die Ruine einer Burg zu. Noch immer fiel Schnee. Er hatte bereits begonnen die kläglichen Mauerreste zu bedecken. Noch immer fror sie. Noch immer trug sie nur ihre dünnes Hemd. Das Weinen wurde lauter und lauter. Sie lauschte. Hörte zu. Und glaubte, das Kind zu kennen...
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''„Ist es... ist es... tot?“, wisperte er leise der [[Garetien:Lindegard Tempeltreu|Hofkaplanin]] neben ihm zu.''
  
''„Aldiran!“, entfuhr es ihr entsetzt und sie lief in die Ruine hinein, „Aldiran!“
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''„Ja“, hauchte sie fast tonlos und nickte zaghaft, „[[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|Es]] ist tot und... und Eure Gattin...Erleichtert seufzte [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]]. Erleichtert, weil er sich nun nicht mehr entscheiden musste, wie er mit einem Kind umgehen sollte, dass doch nicht seines war. Die Götter hatte ein einsehen gehabt und ihn von dieser Entscheidung freigesprochen. „Die Götter haben weise entschieden“, schloss er und nickte ernst.''
  
''Immer weiter und weiter lief sie durch das Gemäuer. Sie musste das Kind finden! Das Kind war der Erstgeborene ihrer Baronin, sie hatte ihn an seinem Weinen erkannt. Sie hatte ihn eindeutig erkannt. Es musste er sein!
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''Die Peraine-Geweihte blickte ihn fassungslos an und schüttelte ihren Kopf. Mit anklagender Stimme erklärte sie: „Hochgeboren, wie könnt Ihr von einer weisen Entscheidung der Götter sprechen? Es war Eure Entscheidung! Eure allein! Und dadurch das Ihr nichts entschieden habt und untätig wart haben die Götter nun ihre weise Entscheidung gefällt das Ungeborene nicht allein übers Nirgendmeer zu schicken.“''
  
''Sie eilte durch ein Gewirr an Fluren und Gängen, immer weiter und weiter und auch durch eine Tür…
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''Ein kalter Schauer ergriff von ihm Besitz, seine Hände begannen zu zittern, ungläubig schüttelte er seinen Kopf, dann stürzte er an das Bett seiner Liebsten nur um...''
  
 
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''Da umfasste sie jemand von hinten und zog sie an sich heran. Ein wohliger Seufzer entrann ihrer Kehle. Sie schloss ihre Augen und ließ sich gegen den Körper hinter ihr fallen. Ihren Kopf neigte sie leicht nach rechts, legte ihn gegen die Schulter hinter ihr.
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... schweißgebadet und schreiend zu erwachen. Drego von Altjachtern setzte sich auf und rang um Atem und noch mehr um Fassung. Kaum einen Wimpernschlag nachdem er von diesem entsetzlichen Traum aus dem Schlaf gerissen worden war, klopfte es an der Tür und [[Garetien:Jast Helmbald von Schwippingen|Jast]] trat herein: „Hochgeboren, braucht Ihr etwas?“
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„Wo ist ''Orknäschen''?“, wollte er wissen.
  
''„Wie lange?“, fragte sie ganz heißer, „Wie lange ist es her?
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„Ähm“, der Knappe schien einen Moment irritiert, „Ihr habt sie am Morgen nach Esenfeld zu meiner [[Garetien:Rondrara von Treleneck|Mutter]] bringen lassen, Hochgeboren.
  
''Eine Antwort erhielt sie nicht. Stattdessen fuhr er ihr ganz langsam mit seiner Nase vom Ansatz ihrer Schulter bis zu ihrem Ohr hinauf. Sie erschauderte. Ein angenehmer kalter Schauer jagte ihren Rücken hinab. Dann begann er sie mit Küssen zu bedecken und nahm dabei denselben Weg wie zuvor auch, während seine Rechte unter ihr dünnes Hemd wanderte, nur um es ihr dann wenige Augenblicke später über den Kopf zu ziehen. Diese Gelegenheit nutzte sie um sich zu ihm umzudrehen und sich an ihn anzuschmiegen. Und sein Geruch, ja sein Geruch, er raubte ihr die Sinne. Wie konnte es nur sein, dass er sie so um den Verstand brachte? Wie konnte es sein, dass sie so gerne in seiner Nähe war? Dass sie einfach nicht Nein sagen konnte?
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„Ja“, stimmte Baron Drego ihm tonlos zu, „Dann... dann... dann bringt mir Schwester Lindegard. Sofort.“
  
''Einen Moment lang verharrte sie so, ganz dicht an ihn geschmiegt. Mit ihren Händen hielt sie ihn umfasst, kein Finger mehr hätte zwischen sie gepasst. Seine Hände glitten von ihren Schulterblättern stetig tiefer. Sie schaute zu ihm auf, blickte ihm direkt in die Augen und versprach: „Dieser Tag, wird ein ganz besonderer werden…“
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„Ja“, erwiderte der Knappe da, „Sehr wohl.
  
''Er lächelte sie an und stieß sie mit sanftem Nachdruck auf das Bett hinter ihr...
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Doch nach einiger Zeit kam er ohne die Geweihten zurück: „Schwester Lindegard ist nach [[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Esenfeld]] zu Eurer Gattin aufgebrochen. Meine Mutter hat nach ihr geschickt.
  
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„Dann... dann bring mir Euer Gnaden Rían“, verlangte er.
  
''Sie fiel hart. Um sie herum war alles finster. Über ihr baute sich ein dunkler Schatten auf. Sie versuchte sich aufzurichten, von diesem Ort wegzukommen, aber sie war vor Angst erstarrt, regelrecht gelähmt, selbst das Atmen fiel ihr zunehmend schwerer. Der Schatten über ihr wurde immer dichter und dichter, senkte sich immer mehr und mehr zu ihr herab. Sie schrie, doch hörte ihren eigenen Schrei nicht. In ihr da war nur Furcht, nur Angst. Es war ihr Ende. Sie flehte zu den Göttern: „Helft mir! Bitte helft mir! Ich will nicht sterben, ich will le…“
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„Welche?“
  
''Da durchbrach der Schrei einer Krähe die Finsternis. Und mit ihr kam das Licht. Der Schatten erzitterte, bäumte sich auf. Die Krähe verharrte einen Augenblick über ihm. Dann stürzte sie sich auf ihn herab. Zerschmetterte ihn. Zerbarst ihn. Tausende funkelnde Splitter prasselten wie Hagelkörner auf Ailsa herab. Einen winzigen Augenblick noch schwebte die Gespensterkrähe über allem. Erhaben, mutig, stark. Dann stand da plötzlich ihre Schwester. „Nuri…“''
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Er verdrehte die Augen: „Euer Gnaden [[Garetien:Elerea ni Rian|Elerea ni Rian]].
  
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„Hält sich derzeit wahrscheinlich in ihrem [[Garetien:Tempel zu Ehren der Heiligen Thalionmel zu Schwarztannen|Heimattempel]] in Schwarztannen auf“, konnte er nur vermuten, „Auf Scharfenstein ist sie jedenfalls nicht. Doch zu dieser nachtschlafenden Zeit sind die Stadttore [[Garetien:Stadt Schwarztannen|Schwarztannens]] geschlossen. Soll ich Euer Gnaden [[Garetien:Nurinai ni Rian|Nurinai ni Rían]] wecken?“
  
„...nai?“, Ailsa erwachte. Verwirrt. Leicht panisch. Sie atmete schnell, Schweiß stand auf ihrer Stirn. „Nurinai? Bist Du da? Wo… wo bist Du? Und… und wo bin ich?
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„Nein“, entschied er, „Nein. Es wird auch so gehen. Gehen müssen. Ich möchte beten, geh jetzt.“
  
„Auf dem Weg nach Schloss Sonnentor.“, wisperte die Geweihe leise und nahm sanft ihre Hände von Ailsas Schläfen, „Es war nur ein Traum, ''weiße Lilie'', nur ein Traum. Nichts weiter. Es ist vorbei, hörst Du? Es ist vorbei!“
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== Bitte ==
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Gegeben im Tsa 1045, Esenfeld
  
„Der Heerzug ist… vorbei?“, versicherte sich Ailsa.
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{{Brief
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|Adressat=An Euer Hochgeboren [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego von Altjachtern]], Baron zu [[Garetien:Baronie Schwarztannen|Schwarztannen]], [[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]]<br/><br/>
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Liebster Drego,
  
„Er ist vorbei., erwiderte Nurinai sanftmütig, „Der Heerzug ist vorbei. Doch die Schrecken bleiben.
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|Text=so gerne ich unsere Kinder auch sehe und sie um mich habe, so sehr muss ich Dich nun darum bitten, sie nicht mehr zu mir bringen zu lassen. Nicht nur, dass der Weg für sie aufgrund ihres Alters doch recht beschwerlich ist, sondern ich kann mich derzeit auch nicht richtig um sie kümmern. Sie lernen gerade die Welt zu entdecken und ich bin ihnen dabei mehr Last als Hilfe. Abgesehen davon ist es mein Wunsch, dass sie sich nicht so an mich erinnern. Trotz der Ruhe und Pflege die mir hier zuteilt wird bessert mein Zustand sich leider bisher nicht. Ich bete zu den Göttern, dass sie mir beistehen. Mehr bleibt mir nicht zu tun. Die Zeit wird zeigen, ob die Götter mich erhören werden. Bis dahin gib gut auf unsere Kinder acht.
  
„Schläfst Du heute bei mir?“, bat die Ritterin hoffnungsvoll, „Falls der Traum wieder kommt?“
+
|Absender=[[Garetien:Ailsa ni Rian|Ailsa ni Rían]]<br/>Reichsritterin zu Praiosborn
  
Die Geweihte antwortete nicht, sondern schmiegte sich unter die Decke zu ihrer Schwester.
+
}}
  
===Das, was ist===
+
=Weitere Ideen=
[folgt noch]
+
*Drei Krähen und zwei Räblein
===Das, was sein wird===
+
*Krähen im Maul des Greifen
[folgt noch]
+
*Das eiserne Band
==Hofhaltung==
+
*Iwo und Iwana
[in Bearbeitung, aber noch nicht fertig]
+
*Die Krähe und ihr falsches Täubchen
 +
*Hühnerbeinchen für Drego

Aktuelle Version vom 26. April 2024, 04:54 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.


Ein Ende und ein Anfang

Die Junkerin Jurfinde von Altjachtern-Sturmfels tritt vor den Schweigsamen. Ihre Familie ist bei ihr. Ihr Tod, vor allem jedoch die Botschaft die sie einem ihrer Söhne mit ihren letzten Atemzügen hinterlässt, wirft jedoch Fragen aus.

Schwester

Vater

Mutter

Bruder

Nichte

Fische im Netz

Bedenkzeit

Burg Scharfenstein

Sie bat sich Bedenkzeit aus. Baron Drego verstand. Er schien wirklich ein netter Mensch zu sein und darüber hinaus über ein gutes Herz zu verfügen und dennoch, dennoch nahm sie es ihm übel, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. Dabei verstand sie ihn. Wenn sie all die Sehnsucht nach meiner Heimat beiseite schob, dann verstand sie ihn. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Nicht einfach so. Und sie konnte ihm nicht einfach Gefolgschaft schwören. Nicht einfach so.

Albtraumgestalt

Einhornfrau

See Praiosborn, Praios 1045

(...)

Der Raller treu

Verschwunden

Markt Rallingen, im Travia 1044 BF

Zeit zu sterben

Prolog

Junkertum Haselbusch, Efferd 1044 BF

Es war ein winziger Augenblick, ein Moment nicht länger als ein Atemzug, ein Wimpernschlag oder gar ein Herzschlag nur der Unachtsamkeit, des Zögerns, des Nachdenkens, des Verweilens, des Müßigganges oder auch nur der Neugierde der das Leben vom Tod trennte. Und so wie es so manchem Menschen auf Dere erging, erging es auch dem Hasen, der unerwartet meinen Weg kreuzte oder kreuzte ich den seinen? Er zögerte zu lange. Schaute mich zu lange an. Dachte zu lange nach. Verweilte zu lange. Da packte ihn der vom Himmel herabstürzende Habicht mit seinen kräftigen, gelben Krallen und hielt ihn fest. Das Tier kämpfte und schrie verzweifelt um sein Leben, doch der Habicht hielt es fest. Es sprang und tobte, doch unerbittlich hielt der Habicht es fest.

Und einen winzigen Augenblick später tauchte ein Hund auf. Ein brauner, alter, etwas zotteliger Hund. Auch er verharrte. Zögerte. Schaute mich an. Interessiert. Neugierig. Er dachte nach. Er dachte angestrengt nach. Schnupperte. Ob er mich kannte? Und einen winzigen Augenblick später tauchte eine Frau auf, eilte an die Seite des Habichts, kniete sich nieder, packte den Hasen und machte ihm den Garaus, wobei sie die Bauchdecke des Tieres mit seinem Eberfänger öffnete um dem Habicht seinen Anteil zu geben. Gierig fiel der Vogel über die Eingeweide der Beute her.

So war er, mein Herr, Gebieter über Schlaf und Tod. Unablässig und unerbittlich schickte er seine Diener aus. Und nun hatte er mich hierher geschickt: Nach Hause...

Wiedersehen

Junkertum Haselbusch, Efferd 1044 BF

Blut tropfte von der schimmernden Klinge des Eberfängers. Die Frau richtete sich auf und erst da fiel ihr Blick auf mich. Einen Moment verharrte auch sie, zögerte, dachte nach. Ob sie sich wohl fragte, warum ihr Hund nicht gebellt hatte?

„Dela?“, Tessia von Haselbusch musterte mich, „Nein! Marbo... Marbodane?“

Langsam nickte ich. Gemächlich trottete der Hund auf mich zu.

„Ich... ich hätte dich fast nicht erkannt“, erklärte sie etwas verwundert, „Du... du hast dich verändert und doch...“ Sie legte ihren Kopf etwas zur Seite und musterte ihre Gegenüber. „... bist du irgendwie dieselbe geblieben.“ Etwas verwundert zuckte sie mit den Schultern. „Lediglich älter bist du geworden. Ja...“ Ein verschmitztes Lächeln legte sich über ihre Wangen. „... älter.“

Ich erwiderte ihr Lächeln: „Älter bin ich geworden, Tessia.“ Der Hund – besser gesagt eine Hündin – war nun ganz nahe bei mir. Interessiert roch sie an mir, leckte mir über den Handrücken, ehe sie sich vor mir ins Gras warf, mir ihren nackten Bauch entgegen reckte um von mir gestreichelt zu werden. „Aber Irmi...“, ich ging in die Knie und kraulte das Tier ausgiebig, „Irmi hat mich erkannt.“

„Ja...“, die Jägerin säuberte eilig ihren Eberfänger und steckte ihn zurück in die Scheide, „Es verwundert mich. Sie ist alt geworden, Marbodane. Ich meine, wie lange ist es her, dass du nicht mehr hier warst?“ Unwissend zuckte sie mit den Schultern. „Ich hatte nicht erwartet, dass sie dich nach all den Götterläufen noch erkennt. Sie erkennt ja geradeso noch Dankwart und mich, aber dich?“ Fragend blickte sie ihre Gegenüber an.

„Tiere haben ein Gespür für den Tod“, wusste ich, „Das sagt man auch uns nach oder viel mehr unserem Herrn...“

„Dann bist du gekommen, weil... ?“, die Frau schluckte schwer, „... jemand von uns sterben wird?“

Ich nickte.

Erinnerung

Junkertum Haselbusch, Efferd 1044 BF

Tessia schluckte schwer und versuchte sich an einem Lächeln während sie mir kehlig erklärte: „Sterben müssen wir alle eines Tages, nicht wahr?“

„So ist es“, erwiderte ich und sah in ihren Augen die Angst, die Angst jemanden den sie von Herzen liebte zu verlieren. Ich kannte diese Angst nur zu gut, zwar nicht von mir selbst, aber von jenen Menschen, denen ich begegnete. Mein Herr war bei den meisten gefürchtet, so nahm er ihnen doch das Liebste. Und obgleich er doch auch der Herr über den Schlaf und auch über die Träume war, so dachte kaum jemand an diese Aspekte wenn er meiner ansichtig wurde...

„Nun gut“, schloss die Junkersgemahlin sichtlich ernst, „Dann wollen wir mal auf die Haselburg gehen. Ich würde gerne sagen, dass Dankwart sich freuen wird, dich zu sehen, Marbodane, aber ich fürchte, dass das nicht der Wahrheit entspricht...“

Verständnisvoll nickte ich: „Ich weiß, Tessia, ich weiß. Er grollt mir noch immer...“

„Tief in seinem Herzen weiß er wohl, dass du keine Schuld trägst“, nun klang ihre Stimme bitter, „Aber...“ Regelrecht hilflos zuckte sie nun mit den Schultern. „Schon bevor wir dich und deine Schwester nach dem Tod eures Vaters auf der Haselburg aufgenommen haben, haben wir Kinder verloren. Das letzte kurz bevor du dein Noviziat begonnen hast...“ Damals hatte es meinem Oheim gereicht. Er hatte meine Anwesenheit einfach nicht mehr ertragen. So hatte er mich fortgeschickt. Ein Noviziat in der Boron-Kirche war ihm passend erschienen, schließlich hatte ich stets gewusst, wann jemand stirbt, eine seltsame Gabe, die nicht nur ihn verängstigt hatte. Zu jenem Zeitpunkt hatte man mir meinen heutigen Namen gegeben: Marbodane. „... danach hat uns Tsa diese zweifelhafte Gnade nicht mehr zuteil werden lassen.“

„Bist du traurig darüber?“

„Ich weißt nicht recht“, meinte sie da unsicher, „Irgendwie schon und irgendwie auch nicht. Ich... ich weiß es einfach nicht. Ich meine...“ Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Dankwart und ich haben immerhin Lechdan und das ist mehr als manche andere haben. Ich will auch nicht undankbar sein, aber... aber manchmal frage ich mich schon, warum ausgerechnet uns das passieren musste...“ Etwas fragend blickte sie die Geweihte an.

„Darauf kann ich dir keine zufriedenstellende Antwort geben“, erwiderte ich leise seufzend, „Aber vielleicht ist euch das passiert, weil ihr das ertragen konntet, jemand anders wäre vermutlich daran zerbrochen...“

Tessia schwieg sich dazu aus, aber an ihrer Reaktion sah ich deutlich, dass sie meine Worte nicht richtig an sich heranlassen konnte und auch gar nicht wollte.

Wenige Augenblicke als die Haselburg – eher ein befestigtes Haus als eine Burg – vor uns auftauchte, wollte sie sehr ernst von mir wissen: „Ist es Lechdan? Wird er sterben?“

Ich schüttelte den Kopf: „Es ist jemand hier. Hier auf der Haselburg.“

Seltsamerweise schien sie erleichtert. Vermutlich lag es einfach daran, dass die größte Sorge meines Oheims stets jene gewesen war, auch noch Lechdan zu verlieren. Er war eben ihr einziges Kind und der designierte Erbe. Aus diesem Grund hatte mein Oheim mich auch fortgeschickt, ganz so als könnte er damit verhindern, dass es weitere Tote gäbe...

Mutter

Junkertum Haselbusch, Efferd 1044 BF

„Wie geht es...“, Tessia stockte einen Moment während sie ihren Habicht in die Voliere brachte, entschied sich dann aber ihre Frage zu Ende zu formulieren, „... deiner Mutter?“

Es dauerte entsetzlich lange, bis ich eingestand: „Ich habe sie schon sehr lange nicht mehr gesehen. Sehr lange.“

„Hm“, machte die Haselbuscherin da, „Ist sie denn nicht mehr... im... im Kloster?“

„Das Kloster ist groß“, erwiderte ich ihr da, „Vielleicht ist sie noch da, vielleicht aber auch nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Dann hielt ich einen Moment inne. „Abgesehen davon war ich auch nicht sonderlich oft im Kloster, eigentlich war ich nur dann da, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Das war nicht oft. Die meiste Zeit war ich unterwegs. Manchmal glaube ich, dass das die Absicht meiner Lehrmeisterin war. Sie wollte mich nicht zu sehr mit der Vergangenheit konfrontieren...“

„Schade“, kommentierte die Junkerin seufzend, „Schade ist es trotzdem. Sie ist immerhin deine Mutter.“

„Ja“, entfuhr es mir kehlig, „Das schon, aber... sie könnte mir ohnehin nichts erzählen. Sie hat... hat vor geraumer Zeit eine Schweigegelübde abgelegt...“

„WAS?“, entfuhr es der Älteren vollkommen fassungslos als sie die Voliere wieder verließ, „Warum?“

Wieder zuckte ich mit den Schultern: „Auch das weiß ich nicht. Meine Lehrmeisterin hat es mir gesagt. Vor meiner Weihe. Zu dieser Zeit hatte ich nämlich überlegt sie aufzusuchen und nach... nach meinem Vater zu fragen. Aber...“ Meine Stimme brach. Über meinen Vater wusste ich kaum etwas. Er war seit langem tot. Ich hatte ihn nie kennengelernt. Selbst meine ältere Schwester Daria konnte sich kaum an ihn erinnern. „... dafür war es zu spät.“ Ich versuchte mich an einem Lächeln, denn ich spürte den mitleidigen Blick meiner Base auf mir Ruhen. „Als sie es mir sagte, hatte sie Tränen in den Augen. So wie du jetzt...“

„Ach, Marbodane“, schniefte sie, „Ich hatte so gehofft, dass sie dir irgendwann alles erklären könnte, denn ich...“ Sie schluckte schwer. „... ich weiß nicht, ob es Dankwart je tun wird und ich selbst weiß zu wenig. Und... und wenn er es nicht tut dann... dann...“ Tessia zuckte sichtlich hilflos mit den Schultern. „... dann wird es für ewig im Dunkeln liegen.“

„Und du?“, wollte ich zaghaft wissen, „Weißt du nichts?“

Tessia schaute zu Marbodane auf. Die Boron-Geweihte war inzwischen etwas größer als ihre Base. „Ich weiß nur das, was man sich darüber erzählt. Was man sich hier darüber erzählt“, erwiderte sie mit rauer Stimme und zuckte sogleich entschuldigend mit den Schultern, „Ich weiß nichts darüber, was wirklich war, denn man erzählt sich viel, auch Dinge, die nicht wahr sind und da ich nicht weiß, was war...“ Sie hielt inne. „Was soll ich dir da erzählen?“

Das dritte Kind

Albträume

Burg Scharfenstein, Firun 1045 BF

Im Zimmer war es nahezu finster, obgleich draußen die Praiosscheibe hoch am Himmel stand. Die Luft war stickig und muffig, es roch nach kaltem Schweiß und nach Blut. Einige Kerzen versuchten die düstere Stimmung mit ihrem diesigen Licht zu vertreiben und vermochte es doch einfach nicht. Es war still. Entsetzlich still. Totenstill. Ailsa lag ruhig auf dem Bett, nahezu reglos.

„Ist es... ist es... tot?“, wisperte er leise der Hofkaplanin neben ihm zu.

„Ja“, hauchte sie fast tonlos und nickte zaghaft, „Es ist tot und... und Eure Gattin...“ Erleichtert seufzte Baron Drego. Erleichtert, weil er sich nun nicht mehr entscheiden musste, wie er mit einem Kind umgehen sollte, dass doch nicht seines war. Die Götter hatte ein einsehen gehabt und ihn von dieser Entscheidung freigesprochen. „Die Götter haben weise entschieden“, schloss er und nickte ernst.

Die Peraine-Geweihte blickte ihn fassungslos an und schüttelte ihren Kopf. Mit anklagender Stimme erklärte sie: „Hochgeboren, wie könnt Ihr von einer weisen Entscheidung der Götter sprechen? Es war Eure Entscheidung! Eure allein! Und dadurch das Ihr nichts entschieden habt und untätig wart haben die Götter nun ihre weise Entscheidung gefällt das Ungeborene nicht allein übers Nirgendmeer zu schicken.“

Ein kalter Schauer ergriff von ihm Besitz, seine Hände begannen zu zittern, ungläubig schüttelte er seinen Kopf, dann stürzte er an das Bett seiner Liebsten nur um...

Trenner Garetien.svg

... schweißgebadet und schreiend zu erwachen. Drego von Altjachtern setzte sich auf und rang um Atem und noch mehr um Fassung. Kaum einen Wimpernschlag nachdem er von diesem entsetzlichen Traum aus dem Schlaf gerissen worden war, klopfte es an der Tür und Jast trat herein: „Hochgeboren, braucht Ihr etwas?“

„Wo ist Orknäschen?“, wollte er wissen.

„Ähm“, der Knappe schien einen Moment irritiert, „Ihr habt sie am Morgen nach Esenfeld zu meiner Mutter bringen lassen, Hochgeboren.“

„Ja“, stimmte Baron Drego ihm tonlos zu, „Dann... dann... dann bringt mir Schwester Lindegard. Sofort.“

„Ja“, erwiderte der Knappe da, „Sehr wohl.“

Doch nach einiger Zeit kam er ohne die Geweihten zurück: „Schwester Lindegard ist nach Esenfeld zu Eurer Gattin aufgebrochen. Meine Mutter hat nach ihr geschickt.“

„Dann... dann bring mir Euer Gnaden Rían“, verlangte er.

„Welche?“

Er verdrehte die Augen: „Euer Gnaden Elerea ni Rian.“

„Hält sich derzeit wahrscheinlich in ihrem Heimattempel in Schwarztannen auf“, konnte er nur vermuten, „Auf Scharfenstein ist sie jedenfalls nicht. Doch zu dieser nachtschlafenden Zeit sind die Stadttore Schwarztannens geschlossen. Soll ich Euer Gnaden Nurinai ni Rían wecken?“

„Nein“, entschied er, „Nein. Es wird auch so gehen. Gehen müssen. Ich möchte beten, geh jetzt.“

Bitte

Gegeben im Tsa 1045, Esenfeld

An Euer Hochgeboren Drego von Altjachtern, Baron zu Schwarztannen, Burg Scharfenstein

Liebster Drego,
 
 
 
 
so gerne ich unsere Kinder auch sehe und sie um mich habe, so sehr muss ich Dich nun darum bitten, sie nicht mehr zu mir bringen zu lassen. Nicht nur, dass der Weg für sie aufgrund ihres Alters doch recht beschwerlich ist, sondern ich kann mich derzeit auch nicht richtig um sie kümmern. Sie lernen gerade die Welt zu entdecken und ich bin ihnen dabei mehr Last als Hilfe. Abgesehen davon ist es mein Wunsch, dass sie sich nicht so an mich erinnern. Trotz der Ruhe und Pflege die mir hier zuteilt wird bessert mein Zustand sich leider bisher nicht. Ich bete zu den Göttern, dass sie mir beistehen. Mehr bleibt mir nicht zu tun. Die Zeit wird zeigen, ob die Götter mich erhören werden. Bis dahin gib gut auf unsere Kinder acht.
 
 
 
 
Ailsa ni Rían
Reichsritterin zu Praiosborn

Weitere Ideen

  • Drei Krähen und zwei Räblein
  • Krähen im Maul des Greifen
  • Das eiserne Band
  • Iwo und Iwana
  • Die Krähe und ihr falsches Täubchen
  • Hühnerbeinchen für Drego