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Aktuelle Version vom 28. Februar 2014, 16:26 Uhr

Grafenresidenz bei Luring, 9. Rondra 35 Hal

Nimmgalf hatte die letzten drei Tage bei seinem Sohn verbracht, der sich immer noch bei seinem Freund Erlan auf Burg Zankenblatt befand, und den festen Entschluss gefasst, ihn in die sicheren Mauern der Burg Trollhammer seines Onkels Radulf zu bringen. Er hatte schon alles für seinen Umzug vorbereitet, doch bevor er stattfinden konnte, musste der Baron noch einmal zu seinem väterlichen Freund Graf Danos reisen, um mit ihm die jüngsten Entwicklungen in Hirschfurten zu bereden. So war er auch am Abend des 9. Rondra auf der gräflichen Burg von Ritter Danos eingetroffen, auf der der Graf Reichsforsts sich von der unsäglichen Dämonenattacke bei Puleth zu erholen versuchte. Damals war der Stolz der garetischen Ritterschaft vernichtet worden, und Danos, der doch ohnehin schon an panischer Dunkelangst litt, hatte dabei sein Augenlicht verloren. Dieses grauenhafte Erlebnis hatte ihm schwer zu schaffen gemacht und ihn so seelenkrank werden lassen, dass die Medici und Heiler nicht mit Sicherheit sagen konnten, ob er sich jemals wieder von diesem Zustand erholen würde. Auch Nimmgalf war ob des Schicksals seines Freundes und Bundesgenossen sehr betrübt, wünschte er sich doch so sehr, dass der Graf und er erneut in aller Freundschaft auf den stolzesten Tjostenplätzen im Königreiche die Lanzen kreuzen könnten, wie sie es schon so oft zuvor getan hatten.

Nimmgalf war auf Burg Luring vom gräflichen Haushofmeister freundlich empfangen worden, schließlich war der junge Baron dort kein Unbekannter, und gerne sah man ihn als Gast, hoffte man doch, dass seine Anwesenheit dem Grafen zumindest für kurze Zeit aus seinem Schwermut lösen könnte. Nimmgalf ließ sich von zwei Dienern zum Wohngemach des Grafen geleiten. Hunderte von Kerzen säumten den Weg, doch Nimmgalf fragte sich, ob man sie lediglich in der Hoffnung brennen ließ, dass Danos ihren Schein irgendwann wieder erblicken können würde. Als sie den Rittersaal erreicht hatten, klopfte einer der Diener an die Türe.

Nachdem ein kurzes „Ja bitte?“ erklang, öffnete er sie und bedeutete Nimmgalf einzutreten. Nimmgalf fand den Grafen in seinem gepolsterten Eichenstuhl vor dem prasselnden Kamin sitzend vor, ein Musikus spielte eine sanfte Weise auf der Flöte, doch das Gesicht des Grafen, der eine dunkle Binde um die Augen trug, zeugte von großer Melancholie.

Für einen Moment erschrak Nimmgalf, als er seinen guten Freund in diesem Zustand erblickte. Er schien in seiner eigenen Welt gefangen zu sein, unfähig den Verlust so vieler Dinge die ihm lieb und teuer gewesen waren verkraften zu können. Kurz zögerte der Baron doch dann besann er sich und betrat den Raum. „Die Zwölfe zum Gruße, alter Freund! Rondra, die Herrin des Sturmes und Schutzpatronin der Pfortenritter vor!“

Danos Gesichtszüge erhellten sich kurz, als er Nimmgalfs Stimme vernahm. „Nimmgalf? Mein Freund, sei mir gegrüßt! Komm nur herein und nimm Platz hier gleich neben mir am Kamin.“

Nimmgalf trat an ihn heran und umarmte den Grafen, der sich kurz erhoben hatte, nach Pfortenritterart. Dann setzte er sich auf einen Stuhl neben ihn. Er bemerkte, dass das anfängliche Lächeln in Danos Gesicht wieder verflogen war und meinte seinen Schwermut förmlich fühlen zu können.

Der Graf ergriff das Wort: „Ich bin froh, dass du mich besuchen kommst, Nimmgalf. Die letzten Wochen und Monde wurden mir lang und schwer. Ich bin für jede Abwechslung dankbar, und ganz besonders freut mich natürlich der Besuch des besten Tjostenreiters des Königreiches.“

Nimmgalf lächelte und fühlte sich geschmeichelt. „Welch großes Kompliment aus dem Munde des Ritters, von dem ich so viel gelernt habe. Einen schöneren Lohn kann sich ein wahrer Pfortenritter kaum wünschen, als in die Fußstapfen des Besten treten zu dürfen.“

Der Graf lächelte kurz doch dann sanken seine Mundwinkel erneut herab. „Wenn es jemanden gibt, der sie ausfüllt, dann wohl Du, mein junger Freund. Und kein bisschen Neid empfinde ich dabei, sondern nur Stolz. Es erfüllt mich mit Ehre, dich im Bund der Pfortenritter an meiner Seite zu wissen.“

Nimmgalf war froh, den erfahrenen Ritter durch das Gespräch an vergangene, glücklichere Zeiten erinnern zu können, und so seinen Schwermut zumindest für eine Weile zu vertreiben. Er berichtete noch einmal vom letztjährigen großen Turnier zu Wehrheim und auch, dass es in etwa einer Woche beim Schwertfest in Eslamsgrund ein kleines Turnier geben würde, an dem auch er teilzunehmen gedachte, obwohl Turniere derzeit sehr rar geworden waren. Danos hörte ihm interessiert zu, auch wenn er bisweilen etwas abwesend und mit seinen Gedanken in der Ferne wirkte. Auch er erzählte seinerseits von vergangenen Tagen. Schließlich fuhr er fort: „Doch sage mir, war es allein der Wunsch den Ritter Danos noch einmal zu sehen, oder gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb Du mich hier aufsuchst?“

Nimmgalf blickte ihn eine Weile an. „Den gibt es, in der Tat. Wie Ihr vielleicht wisst, lebe ich nun schon eine Weile nicht mehr daheim in meiner Baronie, die mir auf heimtückische Art von meiner hoffentlich bald ehemaligen Gattin entrissen wurde, und die ich mir so bald wohl auch nicht zurückholen kann. Doch nun habe ich ein neues Zuhause gefunden. Mein Onkel Radulf gewährt mir eine sichere Zuflucht auf seiner Burg in den Rakula-Hügeln, und ich habe vor sein Angebot anzunehmen.“

Auf Graf Danos Nachfrage hin berichtete Nimmgalf kurz und knapp was vorgefallen war, und warum er so schnell nicht nach Leihenbutt zurückkehren konnte.

„So sehr es mich betrübt zu hören, dass Du von deiner Frau so schändlich hintergangen wurdest, so sehr freut es mich doch, dich in meiner Grafschaft dauerhaft begrüßen zu dürfen, mein Freund. Herzlich willkommen in Reichsforst!“

Doch Nimmgalf blieb ernst. „Ich weiß nicht, ob Ihr es bereits wusstet, doch mein Onkel ist alt und mittlerweile schwer erkrankt. Ich fürchte, er wird das Ende dieses Jahres nicht mehr erleben.“

Danos atmete tief ein und aus. Erneut hatte ihn die Melancholie ergriffen und seine Worte klangen traurig. „Das zu hören betrübt mich sehr, Nimmgalf! Ich habe deinen Onkel stets als treuen Lehnsmann und guten Berater geschätzt. Sein Verlust wird für uns beide sicher sehr schmerzlich werden, aber dies ist nun leider der Lauf der Dinge.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort. „Ich hörte auch vom Verlust seiner beiden Söhne. Brinwulf war ja, wie Du weißt, mein Schwiegersohn. So wie die unseren haben sicher alle Familien des Königreiches schlimme Verluste zu beklagen. Ach ich wünschte, die Götter hätten es nie so weit kommen lassen.“ Traurig lies er den Kopf sinken.

In diesem Moment klopfte es an der Türe. „Herein?“ rief Danos und die Türe öffnete sich. Eine schöne, dunkelhaarige Frau von fast dreißig Götterläufen trat herein. „Verzeiht, Vater, aber ich wollte fragen ob... oh, Ihr habt Besuch?“

Als Nimmgalf die Frau in ihrem dunkelroten Brokatkleid erblickte, kamen Erinnerungen auf, die er schon lange verdrängt hatte. Ederlinde von Luring, die Tochter des Grafen Danos, war damals Nimmgalfs große Liebe gewesen. Nicht eine Adelsfeier hatte er ausgelassen, um ihr den Hof zu machen, Dutzende heißer Liebesgedichte hatte er ihr geschrieben, ihr ritterliche Minne geschworen, doch sie hatte ihn nie erhören wollen. Es hatte ihr sehr gefallen so umschwärmt zu werden, denn Nimmgalf war damals bei weitem nicht der einzige Bewerber um die Hand der schönen Grafentochter gewesen. Doch dann hatte sie sich für seinen Vetter Brinwulf entschieden, einem schneidigen Offizier, dem eine glänzende Karriere bei der Raulsgarde verheißen war. Doch er war vor Wehrheim gefallen, und Ederlinde war nun Witwe.

„Nimmgalf von Hirschfurten? Nimmgalf, sei gegrüßt! Es ist schon eine lange Weile her, als wir uns zum letzten mal sahen, nicht wahr?“ Sie schritt elegant auf ihn zu und hielt ihm die rechte Hand hin. Nimmgalf wurde durch ihre Worte aus seinen Gedanken gerissen.

Er stand auf, trat auf die Frau zu und gab ihr der Etikette halber einen dezenten Handkuss „Ederlinde, ich hätte nicht erwartet, dich hier anzutreffen.“

„Seit Brinwulfs Tod und Vaters Erblindung kümmere ich mich um ihn. Er braucht mich hier an seiner Seite, also bin ich für ihn da.“ Sie bedachte den Grafen mit einem fürsorglichen Blick, doch dieser war erneut in seinen schwermütigen Gedanken gefangen.

Nimmgalf blickte ihr prüfend in die Augen. Er wusste, dass diese Frau nicht so voller Herzensgüte war, wie sie es ihm hier glauben machen wollte, sondern stets nur auf eigene Vorteile bedacht war, doch ließ er sich nichts anmerken. Mit solchen Frauen hatte er inzwischen leidvolle Erfahrungen gesammelt.

„Das freut mich sehr für ihn. Und mein Beileid zum Verlust deines Ehemannes“, antwortete Nimmgalf.

Ederlinde schlug die Augen nieder. „Danke“, flüsterte sie.

Für eine Weile schwiegen sie. Dann ergriff Nimmgalf auch im Hinblick auf den betrübt wirkenden und dem Musikus schwermütig lauschenden Danos das Wort. „Es tut immer weh, geliebte Menschen zu verlieren, doch dürfen wir die Gegenwart nicht aus den Augen verlieren.“ Für eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Erst einen Moment zu spät begriff er, dass seine Worte ein wenig ungeschickt gewählt waren. Er blickte Ederlinde noch einmal an: „Verzeih mir bitte, aber ich war gerade dabei, mit deinem Vater ein paar wichtige Dinge zu bereden.“

„Oh, ich bin es, die sich entschuldigen sollte!“ antwortete sie. „Schließlich habe ich euer Gespräch unterbrochen. Ich werde mich sofort zurückziehen. Wenn Ihr noch irgendetwas braucht, Vater, werde ich es Euch sofort herbei bringen lassen.“

„Im Moment nicht, danke mein Kind“, antwortete Danos. Mit einem höflichen Knicks verabschiedete sich Ederlinde von den beiden Pfortenrittern und verließ den Raum.

Nimmgalf setzte sich wieder hin. „Ich hätte nicht erwartet, sie hier anzutreffen, Danos. Ihr wisst ja sicher noch, wie ich damals für sie empfand.“

„Sie hat den Verlust ihres Mannes recht schnell überwunden, schließlich ist sie eine von Luring. Ich habe sie und ihre kleine Tochter zu mir geholt. Wenigstens das Lachen meines Enkelkindes erfreut in diesen schweren Tagen noch mein Herz.“ Er wagte den milden Versuch eines Lächelns, doch es misslang. „Doch zurück zu dir, was wolltest Du mir noch sagen?“

Nimmgalf atmete tief durch. „Es geht um die Nachfolge für die Baronie Hirschfurten. Radulf weiß, dass er nicht mehr viel Zeit auf Dere hat. Bei der Suche nach seinem Nachfolger ist seine Wahl auf mich gefallen.“

Als er das vernahm überkam den Grafen große Freude. Er stand auf und tastete sich vor bis er ihm die Hand auf die Schulter legen konnte. „Oh Nimmgalf, mein guter Freund, ich könnte mir keinen besseren Lehnsmann vorstellen als dich. Ich bin mir sicher, dass du deinem Haus und deiner Familie alle Ehre machen wirst, und gerne gebe ich dir meinen Segen dazu.“

Nimmgalf überlegte kurz, ob er ihm noch von dem Haken an der Sache berichten sollte, der sich in Form eines gewissen Answin von Rabenmund herauszubilden schien, doch wollte er den Grafen nicht unnötig in seiner aufkeimenden Freude bremsen. „Es freut mich sehr, dass Ihr es so seht, Danos. Dann wird also dereinst wohl der Tag kommen, an dem ich Euch, meinem Bundesbruder, den Lehnseid leisten werde. Ich hoffe nur für meinen Onkel, dass dieser Tag noch in weiter Ferne liegen möge.“ Graf Danos beglückwünschte ihn noch einmal und schon bald kam das Gespräch wieder auf alte Zeiten und glorreiche Tage zurück, als die Pfortenritter ihre stolzen Banner wehen ließen.

Was die beiden nicht bemerkten waren die Schritte, die sich langsam entfernten, nachdem die Türe ganz leise geschlossen worden war. Ederlinde musste über das soeben Vernommene nachdenken.