Geschichten:Bruder des Blutes 1: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 28. Februar 2014, 16:49 Uhr

Langsam versank die PRAiosscheibe hinter dem Zagroschgebirge und lies die Stadt Hahnendorf im trüben Zwielicht zurück. Die Stadttore waren längst geschlossen, die Menschen hatten sich in ihre Häuser zurückgezogen und Irean war sicher, dass einige sogar die Türen vernagelt hatten.

Irean schüttelte den Kopf. Wieso hatten die Menschen hier nur soviel Angst vor den kommenden fünf Tagen? In Fasar wusste man zwar um das Rattenkind, aber man maß ihm nicht diese Bedeutung zu und verschanzte sich fünf Tage lang. Im Gegenteil, die Tulamiden hatten sogar einen ihrer Feiertage in jener Zeit.

Aber egal. Irean stieg von der Stadtmauer herunter und schritt durch die Strassen Hahnendorfs. Kein Büttel der Stadtgarde war bereit gewesen, in diesen Tagen Wache zu halten. So musste er wohl oder übel selbst nach dem Rechten sehen.

Am Marktplatz angekommen, blieb er stehen und schaute in die Runde. Erbärmlich. Selbst die Fenster hatten einige dieser ach so mutigen Bürger vernagelt. Irean spuckte aus. Und solchen Feiglingen diente er. Er hob seinen Kopf und schaute hinauf zur Burg. Dort war man weniger feig. Weithin sichtbar leuchteten die Fenster. Und hinter einem saß die Edle Ayla

Irean schüttelte den Kopf. Das durfte nicht sein! Ayla war die Schwester seines Feindes. Jenes Mannes, der das Erbe seines Vaters an sich gerissen hatte. Und der das Ansehen seines Vaters mit Füssen trat. Als Irean vor gut einem Götterlauf zum ersten Mal Eslamsgrund betreten hatte, wollte er nur erfahren, wo er herkam. Doch seitdem hatte sich einiges verändert. Nun wollte er mehr. Er wollte das Erbe seiner Väter antreten. Nicht der Dukaten wegen. Nicht der Macht wegen. Nein.

Es war etwas weitaus Größeres, dass ihn antrieb. Er wollte Rache! Irean spürte, dass der Fremmelsfelder Vogt etwas mit dem Tod seines Vaters zu tun hatte. Und bei KOR und seiner Mutter RONdra, er würde den Vogt dafür strafen.

Irean senkte den Kopf. Doch wie? Der Vogt war feige und intrigant, aber er war nicht dumm. Zwar hatte Irean Anhaltspunkte, dass Brasibert von Hahnentritt den alten Yantur getötet hatte. Doch als Beweis gegen einen Vogt von Adel reichte dies bei weitem nicht.

"Irean", klang ein halblauter Ruf über den Platz.

Irean lächelte. Baltram Helmisch war immerhin ein wenig mutiger als der Rest der Hahnendorfer. Er hatte es doch tatsächlich gewagt, eines seiner Fenster zu öffnen. Irean atmete tief durch und schritt langsam zum Haus seines Freundes hinüber. Baltram hatte ihn einst dazu überredet, die Stadtgarde Hahnendorfs aufzubauen und seitdem hatte sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen ihnen entwickelt. Sofern dies zwischen einem Holzhändler und einem KOR-Geweihten möglich war.

"Was kann ich für Dich tun, Baltram?", fragte Irean und deutete eine Verbeugung an.

"Wieso gehst Du nicht nach Hause?", Baltram ignorierte den ironischen Unterton in der Frage seines Freundes. "Niemand verlässt in diesen Tagen das Haus, niemand wird die Stadt angreifen. Es gibt keinen Grund, dass Du in dieser unheiligen Zeit draußen rumläufst."

"Und was ist, wenn es doch einen solchen Niemand gibt?", entgegnete Irean.

Baltram schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Zweck weiter darüber zu diskutieren. Irean war einfach zu sturköpfig. Aber vielleicht lies er sich durch ein anderes Thema ins Haus locken.

"Worüber hast du dort drüben nachgedacht? Du starrtest wie gebannt auf die Burg…", fragte Baltram.

Irean sah zu Boden.

"Ah, es geht also um sie", schlussfolgerte Baltram, "Es wird aber auch Zeit, dass Du endlich jemanden findest um den Traviabund einzugehen."

Irean schüttelte den Kopf, "Nein mein Freund. Jene Frau ist unerreichbar."

Baltram lächelte, "In der Liebe ist nichts unerreichbar. Wenn Du sie liebst, dann gibt es auch einen Weg zu ihr."

"Den gibt es nicht. Ich bin auf einem Weg, der von ihr fortführt", entgegnete Irean, "Ich kann nicht ihren Bruder bekämpfen und zugleich um sie werben…"

Baltram nickte, "Du kennst meinen Standpunkt dazu. Ich halte wenig von Rache. Aber umso mehr von der Liebe. Komm rein, und wir unterhalten und bei einem Krug Wein darüber."

Irean ignorierte das Angebot, schaute in den Himmel über Hahnendorf und seufzte. "Ich habe jetzt fünf Tage in denen ich in Ruhe nachdenken kann. Schließlich wagt sich ja keiner der tapferen Hahnendorfer vor die Tür."

"Spotte nicht über uns. Die Zwölfe haben jeden von uns mit anderen Stärken geschaffen, und mit Schwächen. Wir mögen nicht so mutig sein wie du, aber fast alle hier haben eine Familie und ein Dach über dem Kopf. Das ist es, was für uns zählt, und worauf wir stolz sind. Und das würde auch dir gut tun."

Irean schaute seinen Freund nachdenklich an, "Meine Heimat war Fasar. Dort hatte ich Andere meines Glaubens - sie waren meine Familie. Und wenn ich nicht weiter wusste, dann ging ich in den Tempel und KOR schenkte mir Zuversicht. Doch hier? Hier bin ich allein, keine Gläubigen, kein Tempel..."

"Nun, wenn dir dein Gott weiterhelfen soll, reite doch nach Höllenwall", schlug Baltram vor.

"Höllenwall? Wieso?", Irean runzelte die Stirn.

"Ich erfuhr vor kurzem, dass der dortige Baron einen Schrein deines Gottes errichtet hat. Das mag schon ein oder zwei Götterläufe her sein. Solche Nachrichten sind für Eslamsgrunder nicht sonderlich interessant…", Baltram fing unwillkürlich an, sich für die zurückgehaltene Information zu entschuldigen.

Irean schaute hinauf zur Burg, "Ein Schrein des KOR?... Wo genau liegt er?"

Baltram riss die Augen auf, "Schlag dir das aus dem Kopf, Irean. Du wirst nicht in den Namenlosen Tagen reiten."

Irean fixierte Baltram, "Wo?"