Geschichten:Der Herr von Moorsch - Borstefred: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 6. Februar 2016, 17:46 Uhr
Markt Moorsch, Abend des 3. Ingerimm 1032 BF
„Auf den Sieg!“ dröhnte Borstefred von Katterquells Stimme über die Festgeräusche hinweg. Der abendliche Marktplatz war in das Flackern der Fackeln und eines großen Feuers getaucht, über dem ein etwas magerer Ochse am Spieß briet und bereits einen appetitanregenden Duft verbreitete. Borstefred hob den schweren Humpen zum Mund und tat einen tiefen Zug. Unter Jubeln und Freudenrufen taten seine Leute es ihm nach.
Er war zufrieden. Die Einnahme von Moorsch war fast reibungslos vonstatten gegangen. Die Bürger des Marktfleckens hatten keine Gegenwehr geleistet, als das Katterqueller Aufgebot anrückte. Borstefred hatte seinen Neffen Raulwin vorgeschickt, um ihnen mitzuteilen, dass von nun an kein Lurch aus der Familie Windischgrütz mehr über sie herrschen würde, denn die seien alle tot oder gefangen genommen. Dann hatte dieser die Moorscher aufgefordert, zum Zeichen ihrer Unterwerfung und freudigen Aufnahme ihrer neuen Herren die Summe von 200 Dukaten auszuhändigen. Sodann sollten sie zu Ehren der neuen Herren und ihrer tapferen Krieger einen Ochsen und zwei Fass Bier bereitstellen. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen hatte Raulwin zudem Geiseln genommen. Der kahlköpfige Geweihte des Efferd, der sich als Sprecher der Moorscher gerierte, hatte zwar dagegen Einwände erhoben. Doch Raulwin war dem Alten gründlich über den Mund gefahren und hatte ihm deutlich gemacht, dass der Pfaffe sich nicht in Dinge einmischen sollte, die ihn nichts angingen. Dann waren die Katterqueller Kriegsleute in den Ort hinein marschiert und lagerten sich auf dem Markt, während die Bürger sich verängstigt in ihre heruntergekommenen Häuser verkrochen hatten.
Mindestens genauso wichtig war Borstefred aber, dass Rapidora, seine ewig streitsüchtige Base, noch immer nicht aufgekreuzt war. Ihm war nur zu bewusst, dass sie Ansprüche anmelden würde. Umso wichtiger war es, dass er schnell gehandelt hatte und sofort nach dem Sieg an der Grunder Mühle von Ebenhain aus nach Moorsch aufgebrochen war.
Borstefred wandte sich an Raulwin, der neben ihm stand: „Sieh zu, dass die Wachen sich nicht besaufen. Ich will keine bösen Überraschungen erleben.“
Der Angesprochene nickte und machte sich auf den Weg. Der Junker von Katterquell hingegen schlenderte zwischen den Feiernden hindurch und genoss das Triumphgefühl und die ausgelassene Stimmung seiner Leute. Schließlich blieb sein Blick auf dem in den Schlussstein über der rundbogigen Eingangstür eingemeißelte Windischgrützer Wappen hängen. Er deutete dorthin und rief laut: „Morgen früh ist dieses schäbige Wappen verschwunden, klar?“
„Sogleich, Herr.“ Sofort liefen ein paar Eifrige nach Hammer und Meißel, eine Leiter wurde angeschleppt und unter den anfeuernden Rufen der anderen machte sich einer der Söldner an die Entfernung des Wappenschildes.
Der durchdringende Hall eines Signalhorns schallte plötzlich durch den Ort. Überrascht hielten die Feiernden inne, die geistesgegenwärtigeren und erfahreneren griffen sofort zu ihren Waffen. Laute Rufe ertönten. Dann verbreitete sich die Nachricht: Rapidora war angekommen. So plötzlich wie sie gekommen war löste sich die Anspannung unter dem Kriegsvolk. Hufgetrappel näherte sich und die Ritterin von Eisenmuth ritt mit ihren Gefolgsleuten auf den Marktplatz. Borstefred ging ihr entgegen: „Grüße, Rapidora. Schön dich zu sehen.“
„Grüße, Borstefred. Wie ich sehe, habt ihr euch schon nett eingerichtet“, erwiderte sie.
„Schön, dass du es noch heute Abend geschafft hast. Ich hätte nicht garantieren können, dass morgen noch etwas vom Ochsen für dich und deine Leute übrig gewesen wäre“, bemühte sich Borstefred, seinen aufkeimenden Ärger hinunter zu schlucken. Seine Taktik war offenbar nicht aufgegangen. Doch dann bemerkte er, dass ihr ewig hämisches Grinsen etwas gequält aussah. Ihr Gesicht wirkte bleich, wie er selbst im Flackern des Feuers erkennen konnte. Den linken Arm trug sie in einer Schlinge. Augenblicklich war er beruhigt. Er wollte ihr die Hand reichen, um ihr aus dem Sattel zu helfen, doch sie achtete nicht darauf, als sie vom Pferd stieg.
„Ja, in der Tat, war es allein der Zufall, dass wir nicht nach Ebenhain geritten sind“, er bemerkte sehr wohl den lauernden Blick der nun vor ihm stehenden Ritterin, doch er ging nicht darauf ein und befahl den Umstehenden: „Los, macht für die Leute meiner Base Platz am Feuer!“ Dann wandte er sich wieder an Rapidora: „Was ist mit deinem Arm passiert?“
„Deine Fürsorge rührt mich, Vetter. Aber es gibt wichtigeres, über das wir reden müssen.“
„Hat das nicht bis morgen Zeit? Iss und trink! Feiere den Sieg mit uns und erhole dich von dem langen Ritt.“ Borstefred ahnte bereits, worum sich dieses Gespräch drehen würde, aber vielleicht würde er sie noch ein wenig hinhalten können.
Doch Rapidora schüttelte den Kopf: „Ich bin nicht den ganzen Tag geritten, nur um deinem mageren Ochsen die Knochen auszusaugen und mit dir Bier zu saufen, Vetter.“
„Wie du meinst, Base. Dann lass uns hineingehen“ er deutete auf das Vogteigebäude. Rapidora nickte und folgte dem Katterqueller ins Innere, der sich in der Amtstube hinter einen großen Tisch setzte und der Ritterin den Stuhl gegenüber anbot. „Also, was willst du, Rapidora?“
„Ich will meinen gerechten Anteil an der Beute.“
„Fein.“ Borstefred beugte sich neben den Tisch und fingerte einen Schlüssel aus seiner Tasche. Dann öffnete er die dort stehende Truhe und holte einen prall gefüllten Beutel hervor: „50 Dukaten.“
„Du willst mich wohl verhohnepiepeln?“ Rapidora brauste auf, „Wenn der Blautann mich erkannt oder gar erwischt hätte, wäre nicht nur ich dran gewesen, das kannst du wissen.“
„Na gut, 100 Dukaten.“ Ein weiterer Beutel fand seinen Weg auf den Tisch.
Sie schüttelte energisch den Kopf: „Du bist gerade dabei, ein ganzes Junkertum einzusacken, und willst mich damit abspeisen?“
„Ich habe nicht vor, es selbst zu behalten.“ Borstefred sah den Moment der Überraschung in ihrem Gesicht und das Rasen ihrer Gedanken und er wusste, was nun kommen würde.
„Dann gib es mir!“
Nun, war es an Borstefred, den Kopf zu schütteln: „Du wirst es nicht bekommen, Rapidora.“
„Wer dann?“ fragte sich scharf.
„Raulwin.“
Sie schnaubte: „Du bist ein Trottel, wenn du auf den reinfällst! Seit Linai tot ist, weicht dir der Schleimer nicht von der Seite. Es ist doch offensichtlich, was er will.“
„Kann ich es ihm verdenken?“ Borstefred zuckte mit den Schultern, „Er hat sich eindeutig bewährt. Und er muss ein tatkräftiger und gerissener Kerl sein, wenn er später die Familie zusammenhalten soll. Ich wäre ein Narr, wenn ich das nicht fördern würde. Keiner von euch anderen hat das Zeug dazu in dem Maße, wie ich es bei Raulwin sehe.“
„Kein anderer hat euch den Blautann so gut vom Halse halten können wie ich, als ihr die Windischgrützer fertig gemacht habt“, entgegnete die Ritterin, „Verdammt, es ist mein gutes Recht, dass meine Mühen angemessen belohnt werden!“
„Rapidora, du hast mit Gut Eisenmuth bereits mehr als dir jemals zustand. Nimm das Gold und sei zufrieden. Eine weitere Herrschaft wirst du nicht bekommen, es sei denn, du erstreitest sie dir wie deine erste. Morgen werde ich meine Entscheidung bekannt geben, dann darfst du gerne Einspruch erheben und Raulwin herausfordern.“
„Du weißt genau, dass ich das nicht kann.“ Die unterdrückte Wut in ihren Augen war unübersehbar.
„In der Tat. Du wirst also warten müssen, bis wieder eine Herrschaft frei wird.“
Ein zufriedenes Lächeln breitete sich auf Borstefreds Gesicht aus, als Rapidora heftig aufstand, wutentbrannt den Raum verließ, und die Tür hinter sich laut ins Schloss fallen ließ. Das gezischte „Mistkerl!“ konnte ihm die Laune nicht verderben – und das Gold hatte sie auch da gelassen.