Geschichten:Kressenburger Stadtgeflüster - Praios' Wille: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 11. September 2014, 19:13 Uhr
Praios’ Wille
Praios 1034 BF, Die Kressenburg
„Was soll das heißen der Baron ist nicht anwesend?“ Der Lichthüter wäre fast von seinem Stuhl aufgesprungen, bewahrte jedoch im letzten Moment die Fassung. Gerade gegenüber dem Vogt wusste er, dass er sich keine Blöße geben durfte. Aber er wartete nun schon seit Wochen darauf, dieses Gespräch zu führen, und jedes Mal war der junge Keilholtz wegen irgendeines fadenscheinigen Grundes nicht zu sprechen. „Gestern bei den Praiostagsfeierlichkeiten war er sehr wohl zugegen. Wo bitte ist er denn abgeblieben?“
„Verzeiht das Ungemach, Ehrwürden, doch Seine Hochgeboren ist auf dem Weg nach Hundsgrab. Er folgt einer Einladung des Junkers von Pechackern und dem praiosgefälligen Bund des Garafan, in dessen Reihen er dorten aufgenommen werden soll.“ Phexian ließ sich mit keiner Regung anmerken, wie sehr ihn die Unwissenheit des obersten Praios-Geweihten Kressenburgs belustigte. Auch, dass Badilak von Praiostann nun bereits zum dritten Mal umsonst vorstellig geworden war, schien dem alten Vogt ein ausgesprochen amüsanter Schachzug Phexens zu sein und er konnte es sich nicht verkneifen, Salz in die Wunde zu streuen. „Hernach wird Seine Hochgeboren in Eslamsroden weilen, wo er im Auftrag des Meisters der Mark die Ausbildung der Landwehren leitet. Wenn Ihr ihn also noch vor der Ernte sprechen möchtet, so müsstet Ihr Euch nach Broien bemühen.“
„Ich werde nichts dergleichen tun!“ Wütend fuhr die Faust des Geweihten auf den Tisch. „Bin ich denn ein Laufbursche? Wenn Seine Hochgeboren nicht zu sprechen ist, dann werdet eben Ihr Euch anhören, was ich zu sagen habe. Immerhin seid Ihr der Vertreter und habt als Vogt alle Vollmachten. Oder hat der junge Keilholtz Euch etwa an die kurze Leine genommen?“ Ein herausforderndes Glitzern trat in seine Augen.
Phexian erwiderte den Blick ruhig und äußerlich gelassen, aber die unterschwellige Beleidigung durch den Praiostann wurmte ihn. „Seid versichert, Ehrwürden, dass ich in Abwesenheit des Barons weiterhin die volle Entscheidungsgewalt habe, um die Baronie zu Praios’ Wohlgefallen zu führen. Was immer Ihr Seiner Hochgeboren zu sagen habt, könnt Ihr mir anvertrauen und ich werde es ihm getreulich weitergeben.“
„Schön, sehr schön.“ Badilak strich sich das Gewand zurecht, das durch seinen kleinen Ausbruch ein paar unerwünschte Falten geworfen hatte. „Ich habe nämlich in den letzten Monden mehr und mehr den Eindruck gewonnen, dass es um die Gunst und das Wohlgefallen des Götterfürsten hinsichtlich Kressenburgs nicht sonderlich gut bestellt ist. Diesen Zustand halte ich für untragbar und verlange, dass dem Abhilfe geschaffen wird.“
„Darf ich erfahren, wodurch sich Eurer Eindruck gefestigt hat, dass der Herr Praios mit uns unzufrieden ist?“ Phexians Stimme war vorsichtig, fast lauernd.
„Es ist doch ganz offensichtlich!“ Der Prätor stand erneut kurz vor einem Ausbruch, weil der alte Kieselholmer ihm offensichtlich nicht folgen konnte. Oder wollte, was er bei einem Spross dieser von Praios verlassenen Familie eher annahm. „Wenn Ihr die Zeichen nicht erkennt, was wahrscheinlich von einem einfachen Mann auch zu viel verlangt ist, so will ich sie Euch nennen.“ Wieder beobachtete er genau, wie seine Spitze auf den Vogt wirkte. Vielleicht war es sogar besser, dass der junge Baron nicht anwesend war, so konnte er den Kieselholmer endlich einmal in seine Schranken weisen.
Phexian bemühte sich um Ruhe. In ihm brodelte es, doch nach außen strahlte er nichts als interessierte Gelassenheit aus. „Ich bitte darum, Ehrwürden. Erleuchtet mich.“
„Ich werde mich bemühen, auch wenn ich da wenig Hoffnung hege.“ Badilak verzog die Lippen zu einem Hohnlächeln. Die Wortwahl seines Gegenübers machte ihm deutlich, dass seine Kritik an der Lehensführung wohl getroffen hatte. „Nehmen wir als Erstes die Umtriebe der Druiden, welche zudem ihren Ursprung in Eurer Familie haben, zumindest teilweise.“ Wieder weidete sich der Prätor einen Moment am Unwillen des Vogtes, der die Lippen fest aufeinander presste, um keine ungehörige Erwiderung zu geben. „Zwar habe ich, mit ein wenig Hilfe durch den Baron und Eurer Anverwandten, einen dieser Schwarzmagier im letzten Götterlauf unschädlich machen können, doch ist uns auch einer vom Scheiterhaufen entwischt und das wäre ihm ohne Hilfe weiterer Schwarzkünstler nicht möglich gewesen. Ohne jeden Zweifel streunen sie noch immer in den Wäldern herum und warten nur auf die nächste Gelegenheit, uns götterfürchtigen Menschen zu schaden.“
Der Lichthüter machte eine Pause, um Phexian Gelegenheit zu geben, sich über die Anschuldigungen und Andeutungen wider seine Familie zu beschweren, doch der Vogt setzte sich nur bequemer hin, da er erwartete, noch eine längere Liste zu hören zu bekommen. „Bitte fahrt fort, Ehrwürden, ich bin ganz Ohr.“
„Wie Ihr wünscht. Eine Sache, an die ich Euch wohl kaum erinnern brauche, ist die Situation in Immingen. Es ist keine zwölf Götterläufe her, als der Namenlose selbst dorten der Entfesselung durch seine Anhänger gefährlich nahe war. Ich bin mir bewusst, dass sich die Draconiter diesem Ort angenommen haben. Aber unter ihnen sind auch Magier, die ich für denkbar ungeeignet halte, sich an solch einem Ort der Versuchung aufzuhalten. Zumal ich das Problem für einen solchen Orden mit begrenzten Mitteln und weitläufigen Zielsetzungen für nicht dauerhaft lösbar halte.“ Badilak machte keinen Hehl aus seiner geringen Meinung. Seine Stimme troff förmlich vor Überheblichkeit. „Ich bin mir sicher, dass sie bald das Interesse an Immingen verloren haben werden und uns mit diesem ungelösten Problem zurücklassen.“
„Die Brüder und Schwestern haben uns bisher sehr geholfen, Ehrwürden. Ihren Einsatz als Fehlschlag herabzuwürdigen käme mir anmaßend vor. Zumal es seit dem zweiten Angriff keine weiteren Vorfälle mehr gegeben hat.“ Phexian war ehrlich erstaunt, dass der Praiostanner den Hesinde-Geweihten eine Lösung des Problems nicht zutraute. Es war offensichtlich, dass es den Praioten ärgerte, dass der Imminger Ritter damals nicht die Kirche des Götterfürsten zur Hilfe gerufen hatte.
„Der nächste kritische Punkt ist die stete Ausweitung der Wildermark“, fuhr der Prätor, erbost über den Widerspruch, fort. „Inzwischen kommen die Verbrecher auch zu uns nach Kressenburg, obgleich wir abgelegen und weit weg scheinen. Erst im letzten Rahja wurde, wie Ihr wisst, eine Bande Rauschkraut-Schmuggler gestellt und gerichtet. Hierbei hat Seine Hochgeboren zwar beeindruckende Entscheidungsfreudigkeit gezeigt, doch bin ich besorgt über sein Rechtsverständnis und die Selbstverständlichkeit, mit der er sich bei der Aburteilung des Hagenbronners über gängige Rechtspraktiken hinweggesetzt hat. Ich fürchte um seine Seele, wenn er sich in solche Nähe zum Herren der Rache begibt.“
„Ardo hat völlig korrekt gehandelt und der Meister der Mark hat sein Urteil bestätigt! Zudem wurde sämtliches Schmuggelgut Euch überstellt, um eine zukünftige Verwendung zu unterbinden.“ Der Vogt nahm sich mit Mühe zurück. Die Anschuldigungen waren natürlich haltlos, da Ardo in den Augen aller, auf die es ankam, richtig gehandelt hatte. Selbst die Praios-Kirche hatte den Vorfall bisher kommentarlos abgenickt. Des Prätors jetziger Vorstoß war in seinen Augen eine unerhörte Eigenmächtigkeit.
Badilak indes lächelte. Hier also war der wunde Punkt des alten Mannes. Die Vorwürfe gegen sich und seine Familie kannte er und wusste sie einzuordnen, aber einen Angriff auf seinen ehemaligen Knappen schien er nicht so kaltblütig hinnehmen zu können.
„Ob das Handeln des Barons vor Praios’ Augen korrekt war, kann weder der Meister der Mark noch dieser Laienorden, in den Seine Hochgeboren nun wohl als Belohnung für sein Handeln aufgenommen werden soll, wirklich beurteilen. Die Kirche des Götterfürsten hält sich indes eine abschließende Beurteilung noch vor, aber ich will nicht in Abrede stellen, dass der Baron im Glauben, das Beste für die Mark zu tun, gehandelt hat. Gleichwohl“, sprach er, mahnend den Finger hebend, weiter, „müssen wir bedenken und beobachten, welche Folgen seine Taten auf die Einigkeit nicht in der Mark sondern im Reich haben. Denn ich bezweifle, dass gerade die Waldsteiner der Rechtsauffassung seiner Hochgeboren und des Meisters der Mark folgen werden. Hier ist Zwietracht gesät, wo wir sie nicht gebrauchen können, dräut uns im Osten doch ein größerer Feind.“
Wieder nahm der Vogt das Gehörte wortlos in sich auf. Widerworte, hatte er erkannt, fruchteten beim Lichthüter nicht, so begründet sie auch waren. Der Prätor war mit einem klaren Ziel hierher gekommen und Phexian wartete ungeduldig darauf, wann sein Gesprächspartner den eigentlichen Grund seines Kommens offenbaren würde.
„Zudem ist mir zu Ohren gekommen“, wechselte Badilak scheinbar zusammenhanglos das Thema, “dass Seine Hochgeboren nach seiner Belehnung vollmundig versprochen hat, dem Götterfürsten seinen Dank auszudrücken. Ein Fest zu seinen Ehren wollte er ausrichten, doch habe ich bisher weder von eine Feier gehört, noch habe ich Vorbereitungen dazu wahrgenommen. Das lässt mich befürchten, dass der Baron seine Versprechen und Verpflichtungen Praios gegenüber nicht sonderlich ernst nimmt oder aber nicht in der Lage ist, diese zu erfüllen.“
Phexian schwieg zuerst weiter, doch dann wurde offensichtlich, dass der Prätor nun eine Erwiderung erwartete. Der Vogt zögerte, denn die Beweggründe Badilaks waren ihm nicht gänzlich offenbar. Der Lichthüter wollte etwas von Ardo, etwas Großes und Wichtiges. Aber was?
„Ihr seid also hier, um den Baron daran zu erinnern, dass er dem Götterfürsten noch ein Festmahl schuldig ist?“
„Wenn man es so will“, meinte Badilak listig, „ist ein Fest tatsächlich Teil dessen, was Praios von Seiner Hochgeboren erwartet. Denn was wäre eine Tempelweihe ohne eine angemessene Feier?“
„Ein Tempel?“, fragte Phexian ungläubig. Der Vogt glaubte seinen Ohren nicht trauen zu können. „Einen neuen Tempel für den Götterfürsten? Aber warum? Euer Kloster ist doch jetzt schon das größte Götterhaus in Kressenburg. Und wie glaubt Ihr, sollen wir das bezahlen? Die Baronie wirft kaum genug ab, um alle, die darin wohnen, zu ernähren und die vorhandenen Tempel und Schreine zu unterhalten. Euer Fest könnt Ihr meinethalben haben, aber wir können keinen Tempelneubau stemmen, ohne Kressenburg auf Generationen zu ruinieren.“
„Baut meinem Herren ein neues Haus, damit sein Name und jedes Gebet an ihn wieder mit Ehrfurcht gesprochen wird! Wie Ihr das anstellt, ist mir völlig gleichgültig, Kieselholm.“ Badilaks Stimme war kalt wie Eis. „Aber Praios wird sich angesichts der Zustände in diesen Landen nicht mit weniger zufrieden geben als ich in seinem Namen verlangt habe.“ Seine Lippen verzogen sich zu einem fast diabolischen Lächeln, als er sich zum Gehen erhob. „Sagt dem jungen Keilholtz, es sei eine jener Questen, denen er anscheinend so gerne nachjagt. Dann ist er vielleicht zugänglicher, wenn Ihr ihm Praios Wunsch mitteilt. Sollten die Belange des Götterfürsten aber weiterhin so sträflich missachtet werden, könnt Ihr Euch sicher sein, dass die Kirche die Fähigkeit des Barons und auch Euer Urteilsvermögen in dieser Sache einer eingehenderen Untersuchung unterziehen wird.“
„Ich nehme Euch beim Wort, Ehrwürden.“ Phexian hatte sich schnell gefangen und seine Stimme war so nüchtern und berechnend wie immer, wenn er ein Geschäft abschloss. Nachdem der Praiostanner seine höfliche Maske hatte fallen lassen und die unverhohlene Drohung in den Raum gestellt hatte, war ihm klar, dass sein Schützling diesmal ein Problem hatte, vor dem er nicht einfach zum nächsten Turnier davon reiten oder zu seinen Freunden flüchten konnte.
„Das solltet Ihr auch! Praios mit Euch.“
Mit diesem kurzen Gruß wandte sich der Lichthüter zur Tür und ließ den verhassten Vogt allein zurück.