Geschichten:Der Konvent zu Natzungen - Thargunitoths Diener: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 4. Juni 2019, 09:16 Uhr

Es muss wohl kurz vor Mitternacht gewesen sein, Madas Angesicht wurde von mächtigen dunklen Wolken verhüllt, als die letzten Arbeiten des Küchenpersonals beendet waren und sich die Knechte und Mägde in ihre Kammern verzogen hatten. Allein die Hofköchin Dilga Rundarek und der Kellermeister Valpo Litschella verblieben noch eine Weile in der großen Schlossküche und sprachen großzügig dem übriggebliebenen Wein zu. Als dieser jedoch bald zu Neige ging, die Unterhaltung jedoch immer angeregter wurde und die dicke Hofköchin dem unverhältnismäßig viel dünneren Kellermeister wieder einmal schöne Augen machte, wollte dieser sich nun endlich die Gelegenheit nicht entgehen lassen und hoffte, dass ein, zwei weitere Becher Wein seinen Absichten sicherlich förderlich wären. Also piff er den Krug und machte sich auf zum Wein- und Vorratskeller, um noch ein wenig des anregenden Getränks nachzufassen. Die Baronin würde davon sowieso nichts erfahren, und außerdem nähme er ja nur von dem billigeren Almadaner. Er stieg also das kühle Gewölbe hinab, griff sich die Fackel am Ende der Treppe und marschierte guter Dinge den feuchten Gang entlang. Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Hatte er nicht eben etwas gehört? Er lauschte ins Dunkel doch nichts rührte sich.

Es waren sicher nur die Geräusche der Schuhe auf dem harten Steinboden gewesen. Er ging weiter und erkannte auch schon am Ende des Ganges den Weinkeller, durch starke Gitterstäbe vor unerwünschten Besuchern geschützt – allerdings kein Hindernis für ihn, denn er hatte ja den Schlüssel! Diebische Freude machte sich breit. Bis er dort war, musste der Kellermeister noch an zwei ähnlich gesicherten Vorratskammern vorbei, sowie an einer leerstehenden dritten, die jedoch kurzfristig zum Leichenkeller umfunktioniert worden war. Dort ruhten nun des tote Ritter Kilian von Hardenquell und der ermordete Leibgardist Brandstetter. Mit sichtlichem Unbehagen ging Valpo schnellen Schrittes an deren vorübergehender Ruhestätte vorbei, den Blick immer geradeaus gerichtet, kaum hörbar eine Anrufung Borons auf den Lippen. Endlich hatte er den Weinkeller erreicht, schloss auf und schickte sich an, den Krug mit der roten Flüssigkeit zu füllen.

Da! Schon wieder hatte er etwas gehört, und diesmal konnten es nicht seine Schritte gewesen sein! Hastig und mit zittrigen Fingern öffnete er den Hahn, ließ den Krug vollaufen und dann nicht wie raus hier! Eilends schlug er die Tür hinter sich zu und machte sich flugs auf den Weg aus diesem immerdunklen Gemäuer. Als Valpo am Leichenkeller vorbeikam, ent- deckte er zu seinem Schrecken, daß die Gittertür einen Spalt breit offenstand. Er verharrte ruhig und beobachtete die Zelle, doch nichts rührte sich. Die Toten lagen mit Tüchern verhüllt auf zwei langen Tischen, auf dem Linnen, das den Leichnam des Ritters bedeckte, ruhte sein unscheinbares Schwert. Um sich selbst zu beweisen, dass es hier unten mit rechten Dingen zuging, nahm Valpo all seinen Mut zusammen, stellte den Weinkrug ab und trat durch die Gittertür. Vorsichtig schritt er an der Wand entlang, ängstlich die flackernde Fackel dem Dunkel entgegenstreckend. So tastete er sich durch alle dunklen Ecken des Raumes, ohne jedoch etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Bald war der Kellermeister wieder an der Türe angelangt, wo er erst einmal tief durch- atmete. »Bei den Göttern, du bist ja schreckhafter als ein kleines Kind!«, dachte Valpo, als er sich zum Gehen umwandte.

Ein in dieser Stille ohrenbetäubendes Scheppern und Klirren ließ ihn zusammenfahren. Eiseskälte kroch da dem Kellermeister langsam vom Nacken bis in die Beine und er wusste genau, dass er schreien und fortlaufen wollte. Wie gelähmt blieb er aber stehen und folgte dem inneren Zwang, sich umdrehen zu müssen. Langsam drehte er den Kopf und sah, was er eigentlich schon wusste. Das große Ritterschwert war vom Linnen gerutscht und auf den Steinboden gepoltert ... und ... der Körper des Ritters richtete sich gemächlich unter seinem weißen Totentuch auf! Nun hielt Valpo nichts mehr: Mit schreckensverzerrtem Gesicht schrie er so laut er konnte, stürzte aus der Zelle, stolperte über den Weinkrug, hetzte die Treppe hinauf und fiel auf den harten, glitschigen Stufen hin. Wieder wandte er sich zurück, doch noch was der Gang leer ...

»Nur weg von hier!«, dachte der Kellermeister, als er auch schon zur Küche gelangte, dort das Handgelenk der völlig überforderten Köchin mit festem Griff packte und sie zur Tür zerrte ...

Die ersten Gardisten, denen das flüchtende Pärchen begegnete, lachten nur, als ihnen in wirren Sätzen das unheimliche Erlebnis offenbart wurde. Trotzdem besannen sie sich auf die Order ihres Hauptmanns, jeder Absonderlichkeit nachzugehen und so machte sich einer von ihnen auf in Richtung Keller, während der andere den völlig verstörten Kellermeister und die Köchin zu beruhigen versuchte und zu ihren Kammern begleitete. Wenig später war auch der zweite Wachmann auf dem Weg in den Keller, denn sein Kamerad war von dort noch immer nicht zurückgekehrt. Er stieg vorsichtig die Stufen hinab und rief nach ihm, doch niemand antwortete. Stock6nster verlor sich der Gang vor ihm im Nichts, einzig in einer der hinteren Zellen erhellte ein schwacher Lichtschein die Finsternis. Ein metallisches Schaben war zu vernehmen, als der Gardist seinen Säbel zog und sich Schritt für Schritt auf den schwachen Lichtschein zugbewegte. Nach einigen Schritt wusste er, dass dieses Leuchten aus dem Leichenkeller kommen musste, dessen Gittertür weit offen stand. Schweißperlen traten auf seine Stirn.

Spann für Spann schob er sich dicht ans Gewölbe gepresst den Gang entlang, bis er endlich die Gitterstäbe erreicht hatte. Vorsichtig drehte er den Kopf zur Seite, um die Zelle einsehen zu können. Dort lag, nur noch schwach glimmend, eine Fackel am Boden, dahinter leblos, mit einer entsetzlichen Wunde am Hals, sein Kamerad! Da schlug aus dem Nichts ein Schwert wuchtig gegen die Gitterstäbe, dass der Soldat die Waffe fallen ließ, einen Schritt zurücktaumelte und seine Deckung preisgab. Er bemerkte nicht einmal, dass er sich die Hosen benässte, als aus einer dunklen Ecke der Zelle der stolze Ritter Kilian von Hardenquell trat. Die tödliche Wunde in seinem Brustkorb hatte an dieser Stelle das bronzierte Kettengewand schwarz verfärbt, der Anblick der fahlen Gesichtszüge und erloschenen Augen ließen dem Gardisten das Blut in den Adern gefrieren.

Aus der Finsternis schälte sich da ein weiterer Schatten. Es war der Körper des Uslenrieder Leibgardisten Hardubal Brandstetter, der mit durchschnittener Kehle und klagend emporgereckten Armen langsam den Raum durchmaß. Der Soldat vergaß sogar das Beten und rannte um sein Leben. Bis zum Fuße der Treppe kam er, dann musste er sich übergeben. Mit tropfnasser Hose gelangte er zum Hauptmann Arres, der trotz der Unfähigkeit seines wild gestikulierenden Untergebenen, auch nur ein einziges Wort herauszubringen, sofort verstand, dass im Keller etwas Furchtbares geschehen sein musste. Der Gesichtsausdruck des Gardisten hatte Bände gesprochen und die Spuren, die er auf dem Boden hinterließ, taten das Ihrige dazu. Ohne großes Aufsehen zu erregen, ließ er die Baronin wecken und stellte eiligst eine vierköpfige Truppe zusammen, die sich zum Keller aufmachte.

Dort stieß nach einer Weile Ihre Hochgeboren Maline hinzu, die, nach kurzer Aufklärung die Führung übernahm. Fackeln wurden entzündet und vorsichtig betrat man das bedrohliche Gewölbe. Stickiger Leichengeruch erfüllte die Luft, die immer feuchter zu werden schien. Etwa bis zur Hälfte des Ganges waren die Streiter ohne Zwischenfälle vorgedrungen, als die Baronin urplötzlich stehen blieb. Fünfzehn Schritt vor ihr spielte sich im Halbdunkel ein grauenerregendes Schauspiel ab: Der mit unheiligem Leben erfüllte Leichnam des Ritters trat mit ungleichmäßigen Bewegungen aus dem Leichenkeller heraus und wandte sich den Eindringlingen mit blankem Schwerte und gesenktem Kopfe entgegen. Ihm folgte der tote Leibgardist, ähnlich ungelenk, der sich inzwischen eines Säbels bemächtigt hatte.

Die beiden Schemen wurden von einem dämonisch kalten und unwirklichen Totenlicht umschimmert, das ihre Glieder nur unscharf erkennen ließ. In ihren Gesichtern stand sowohl gebrochener Wille und gedemütigter Stolz, als auch unermessliches Leid geschrieben. Die Soldaten und die Baronin wichen unwillkürlich einen Schritt zurück, hatte doch jeder von ihnen noch den rondragefälligen Zweikampf des Ritters mit dem Uslenrieder Baron vor Augen. Diesem stolzen Recken und gefallenen Hochverräter war es trotz seines Opfers immer noch nicht vergönnt, ewige Ruhe zu finden. Nein, vielmehr war er nun das Werkzeug eines abscheulichen Meisters der schwarzen Künste geworden, der vermutlich auch der Urheber aller anderen üblen Zwischenfälle gewesen war. Baronin Maline blickte sich um. Einer der vier Männer hatte dem Anblick der beiden Untoten nicht standgehalten und das Weite gesucht. »Bei Praios, wie mag das da wohl in Tobrien gewesen sein?«, durchfuhr es sie kurz. Nur ihr Hauptmann und drei weitere Gardisten waren noch da. Sie schickte einen weiteren Mann dem flüchtigen hinterher, um diesen daran zu hindern, Alarm zu schlagen. Die schlafenden Herrschaften sollten nichts davon erfahren, jedenfalls noch nicht.

Die Tür am Treppenende fiel ins Schloss und die Baronin wandte sich wieder den immer noch wie erstarrt verharrenden Gegnern zu. Es stand nun vier gegen zwei, doch Maline befürchtete, dass nach dem ersten Schlagabtausch auch noch die beiden anderen Soldaten die Hosen gestrichen voll haben könnten.


Der Ritter – zu Lebzeiten

Als würde eine innere Stimme es ihnen befehlen, kamen der Ritter (oder die Überreste dessen, was er einmal gewesen war) und der ehemalige Leibgardist nun langsam auf die kleine Gruppe zu. Die Baronin nahm ihr Schwert in beide Hände und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Hauptmann Arres und die beiden Gardisten folgten ihr.

»Möge Boron uns beistehen und euch Frieden geben!«, sprach sie leise und holte zum ersten Hieb aus.

Klirrend trafen sich die beiden Schwerter in der Luft, denn der untote Ritter hatte unerwartet behände die Waffe zur Parade erhoben. Da traf ihn auch schon ein zweiter Schlag in der Seite und riss etliche Eisenringe aus dem Hemd ... Zolthan von Arres und die beiden Soldaten trieben indessen den Leibgardisten zurück, der dem Hauptmann bereits eine leichte Verletzung am Arm beigebracht hatte. Der untote Körper hatte allerdings seinerseits schon mehrere Hiebe hinnehmen müssen, was dieser jedoch gleichgültig erduldete.

Gerade setzte einer der Gardisten eine Finte an, als jener in der großen Weinlache, die der zerborstene Krug des Kellermeisters hinterlassen hatte, ausrutschte und direkt vor die Füße des lebenden Leichnams fiel. Einen Augenblick später hatte der Untote dem Gestürzten seinen Säbel tief in den Rücken gerammt. Der Hauptmann wollte nicht wahrhaben, was er da sah und setzte mit einem Schrei der Verzweiflung einen gewaltigen Schlag an. Der trennte dem Untoten den linken Arm ab, was ihn wiederum nicht sonderlich zu beeindrucken schien, sondern geradewegs zu einer neuen Attacke trieb.

Für den letzten verbliebenen Gardisten reichte dieser Anblick allerdings völlig, seine Waffe wegzuwerfen und blindlings die Flucht zu ergreifen ... »Verdammt!« dachte die Baronin, als sie aus den Augenwinkeln sah, wie auch der letzte Soldat vor dem Anblick des Untoten kapitulierte. Doch da musste sie auch schon wieder ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihren Gegner richten, der zwar keine schnellen Attacken durchführte, aber niederhöllisch fest zuschlug. Sie hatte dem untoten Körper bereits gehörig zugesetzt: Er zog ein Bein nach und ein verunglückter Schlag hatte den unseligen Ritter das halbe Gesicht gekostet, was es Maline nicht eben leichter machte, ihn zu bekämpfen. Sie musste unentwegt an des Reichsbehüters Heerbann in Tobrien denken, diese unglücklichen Streiter, denen solche Schrecken tagein, tagaus im Nacken saßen. Ein weiteres Mal schlug der Untote zu, begleitet von einem grollenden Geräusch tief aus seinem Rachen. Mit Mühe fing Maline den Schlag kurz über ihrer Schulter auf. Nicht mehr lange würde sie der niederhöllischen Ausdauer dieses Wesens standhalten können, zumal sie der Kettenmantel ihres Gegenübers zwang, jeden ihrer Schläge sorgfältig zu platzieren.

Ein langgezogenes, zutiefst widernatürliches Röcheln gewann für einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit. Weiter hinten im Gang stand Hauptmann von Arres in Ausfallposition, immer noch fest den Säbel haltend, dessen Blatt er bis zum Heft durch die Brust seines untoten Gegners getrieben hatte! Augenblicke später kippte der lebende Leichnam vornüber. Dieser Moment der Unachtsamkeit aber war es, der dem Ritter einen unschätzbaren Vorteil verschaffte. Ein wuchtiger Schlag traf das Schwert der Baronin in einem Winkel, dass es ihr das Handgelenk verdrehte und sie ihre Waffe unfreiwillig verlor. Da der untote Rittes sofort nachsetzte und die nunmehr unbewaffnete Baronin zu einem hastigen Schritt nach hinten zwang, stolperte sie und fiel schmerzhaft auf den Rücken. Schon war der Ritter zum finalen Stoß bereit ... da hielt er völlig unerwartet inne!

»Warum, bei den Göttern, stößt es nicht zu?«, schoss es der Wehrlosen durch den Kopf, als blitzschnell ein mächtiger Streich dem Ritter den Kopf vom Rumpfe trennte. Das Schwert fiel scheppernd zu Boden, langsam sank der Torso in die Knie und gab den Blick auf den Hauptmann frei, der erschöpft nach Atem rang. »Warum hat er gezögert?«, fragte von Arres immer noch atemlos.

»Ich weiß es nicht. Vielleicht hat ein letzter Rest an Ritterlichkeit über die unheiligen Kräfte gesiegt«, antwortete die Baronin während sie sich aufrappelte. »Und warum habt Ihr Euch nicht zur Seite gerollt, während er zögerte?«, fragte da der Hauptmann süffisant.

»Hm ...!«