Geschichten:Hartsteener Banner - Ungulas Abschied: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 12. Februar 2016, 19:44 Uhr
Festung Feidewald, Travia 1035
Das Klopfen an ihrer Kammertür ließ Griseldis hochschrecken und sogleich wurde ihr wieder bewusst, warum sie sich die ganze Zeit so müde und zerschlagen vorkam. Auf ihr mattes „Herein“ betrat aber nicht irgendeine Magd das karg eingerichtete Zimmer.
„Mutter!“
„Phex zum Gruße, Griseldis“, Ungula von Quintian-Quandt schloss die Tür hinter sich.
„Was machst du hier? Wie bist du in die Festung gekommen? Und seit wann bist du da?“, die Ritterin stand von ihrem Lager auf, um ihre Mutter zu begrüßen.
„Immer mit der Ruhe, Kind“, die Handelsherrin nahm den Schleier vom Gesicht, den sie üblicherweise in der Öffentlichkeit trug, seit sie beim Brand des Kontors in der Reichsstadt Hartsteen übel entstellt worden war: „Erst einmal will ich dich mal anschauen. Bendrich sagte mir, dass es dir nicht so sonderlich gut geht.“ Sie griff ihre Tochter an den Schultern, „Blass, müde und kraftlos, in der Tat“, Ungula runzelte die Stirn, „kein Wunder, dass er dich nicht mitnehmen will, wenn sie morgen früh den Ausfall machen. Isst du auch genug? Oder hast du Fieber?“
„Es ist nichts weiter“, versuchte Griseldis abzuwehren, „Was hat es mit dem Ausfall auf sich?“
„Sie haben beschlossen, dass sie einen Angriff auf die Baustelle des Zyklopen wagen wollen, den die Luidoristen gerade heran schaffen lassen. Fast alle werden mitkommen: Bendrich und sogar Udalbert, dein Bruder sowieso. Nur Werdomar hat eine gute Ausrede gefunden, um die Mauern nicht verlassen zu müssen. Er wird mit dir hier bleiben und derweil die Stellung halten.“
„Komm, setz dich Mutter“, bot Griseldis Ungula den einzigen Schemel im Raum an, während sie selbst sich auf die Kante ihres Bettkastens hockte und neugierig fragte: „Also, erzähl: Wie bist du durch den Belagerungsring gekommen?“
„Es mag so einige Wege zur Feste Feidewald geben, die dem Unkundigen verschlossen bleiben“, Ungulas Augen blinzelten listig doch dann seufzte sie unvermittelt auf, „Leider kenne ich nur einen davon und wurde bei seinem Betreten entdeckt. Er ist jetzt nicht mehr zu benutzen.“
„Also wirst du da bleiben?“, die ältere Dame wusste nicht recht, ob Freude oder Furcht im Blick ihrer Tochter lag, als sie diese Frage stellte.
„Nein. Meine Nachrichten habe ich überbracht und von großem Nutzen bin ich hier nicht mehr. Ich werde mit ihnen gehen, wenn sie den Zyklopen angreifen.“
„Du? Du kannst doch gar nicht kämpfen, Mutter. Willst du dein Leben wegwerfen?“, Griseldis schien geradezu entsetzt ob dieses Ansinnens.
Ungula schüttelte den Kopf: „Ich werfe es nicht weg, Kind. Ich werfe es in eine Waagschale, und zwar für Boronian und dich. Ich will nicht zulassen, dass noch eines meiner Kinder vor mir den Weg übers Nirgendmeer antritt. Keine Mutter und kein Vater sollte so etwas erleben müssen.“
„Aber…“
„Schau mich an, Griseldis. Was siehst du?“
„Du bist meine Mutter, ich will nicht, dass…“
„Sei ruhig. Ich bin verbrannt, Kind. Die Menschen sehen mich kurz an und wenden den Blick voll Abscheu ab. Aber das ist nur das eine. Ich leide Schmerzen, Tag und Nacht. Ich schlafe kaum noch und es gibt keine Linderung. Es ist Zeit, dass sich der Herr Boron meiner erbarmt. Pass du auf dich auf, Kind. Bete für mich und sieh zu, dass ich ein ordentliches Begräbnis bekomme. Ich habe bei unserem Vetter Lechdan Anweisungen und eine gewisse Summe zu diesem Zweck hinterlegt.“
Griseldis presste die Lippen aufeinander: „Ich werde dich nicht allein lassen“, sagte sie fest und wischte sich eine Träne aus dem Auge, „Ich kämpfe an deiner Seite, Mutter. Für die Familie.“
Doch die schüttelte den Kopf: „Du hast eine andere Aufgabe.“
„Wie meinst du das?“
Ungula blickte ihre Tochter tadelnd an: „Jeder, der bei wachem Verstand ist, muss es dir doch ansehen. Wer ist der Vater?“ Die jäh erscheinende Röte im Gesicht ihrer Tochter und die darauf folgende Stille verriet Ungula alles. Sie ergriff Griseldes Hand, als diese den Kampf gegen das hervorbrechende Schluchzen verlor und sagte nur: „Kind, Kind, Kind.“ Viele Gedanken schossen der Handelsherrin durch den Kopf. Allein sie behielt sie für sich und drückte ihre erwachsene Tochter fest an sich. Lange saßen sie umschlungen und ohne ein Wort zu sagen da.
Schließlich, als sich Griseldis beruhigt hatte und sich von ihrer Mutter löste, sinnierte diese: „Schade, dass ich mein Enkelkind wohl nicht mehr zu Gesicht bekommen werde. Versprich mir, dass du ihm nicht erzählst, wie ich … jetzt aussehe, ja?“
„Ich…ich verspreche es“, der Kloß in Griseldis Hals ließ sie kaum einen Ton hervorbringen.
„Gut“, Ungula nickte zufrieden, „Und nun schlage ich vor, dass wir uns etwas Wein bringen lassen, um unseren Abschied zu feiern, eh?“