Geschichten:Perricumer Ratsgeschichten - Zauber und Zahlen: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 30. August 2014, 14:39 Uhr
Anwesen der Familie Quintian-Hohenfels in der Reichsstadt Perricum, Anfang Praios 1037 BF
In der Nacht hatte es geregnet und der Straßenstaub war durch die vielen Füße und Hufe der Stadt noch nicht wieder aufgewirbelt worden. Klares Morgenlicht ergoß sich über Gassen, Mauern und Dächern. Die Rufe der Fischer und Fischhändler, die ihren Fang am Hafen verhandelten drangen nur leise herüber. In Begleitung ihrer Leibmagd stieg die Ratsherrin Ginaya von Alxertis die Treppe zum Anwesen Odoards von Quintian-Hohenfels hinauf. Die Adlige wirkte mit ihrer zierlichen Gestalt eher wie eine Heranwachsende, doch ihr Gang war sicher und selbstbewusst. Ein Diener öffnete auf das Klopfen der Magd und ließ die beiden Frauen ein. Kurz darauf kam ihnen der Hausherr zur Begrüßung entgegen.
Als Odoardo Ginaya in sein Arbeitszimmer zur ungestörten Unterhaltung geführt hatte, blieb dieser plötzlich stehen und betrachtete versonnen, ja fast schon ein wenig verliebt ein Landschaftsbild, welches an der Wand vor dem Schreibtisch hing. "Ein echter Seemond", sprach er leicht verträumt, "'Frühling in der Grünen Ebene' nannte der Meister dieses außergewöhnliche Gemälde. Es hat mich einiges an Zeit, Mühen und auch Geld gekostet, um es in meinen Besitz zu bringen, aber die Brillanz dieses Werkes, diese Lebendigkeit, das an jedem einzelnen Pinselstrich zu erkennende Genie Golodion Seemonds, ist wirklich jeden einzelnen Dukaten wert. Aber wahre Kunst ist ohnehin nicht mit schnödem Geld zu bezahlen." Der irritierte Blick seines Gastes riß Quintian-Hohenfels wieder ins Hier und Jetzt zurück, welches weit weniger spektakulär war als Odoardos jüngste Erwerbung.
"Es freut mich, Euch an diesem Morgen wohlauf und bei guter Laune zu sehen“, begann die Adlige die Unterhaltung, „Manch einer würde nach den Ereignissen und Anschuldigungen der letzten Tage sehr kummervoll dreinblicken. Ich selbst bin ehrlich erschüttert von dem, was der Reichsvogt hat verlauten lassen.“
"Verzeiht, meine Liebe, ich war mit meinen Gedanken ganz woanders, wie ihr sicherlich bemerkt hattet," fuhr der Ratsherr mit einem charmanten Lächeln fort, während er die Dame mit einem formvollendeten Handkuß begrüßte. "Setzt euch doch!" Während Ginaya dies tat, füllte der Gastgeber aus einer prächtigen Karaffe Wein in zwei feingearbeitete Kristallgläser. "Bester Raschtulswaller Sandwein, meine Teure einfach herrlich!"
"Ja, die jüngsten Vorgänge im Rat wie auch das Verhalten dieses kleinen Mannes, pardon, Reichsvogts, sind wirklich sehr betrüblich. Vielleicht wäre es an der Zeit für einige tsagefällige Veränderungen", wobei der Ratsherr offenließ, wen oder was er genau meinte, auch wenn dies offensichtlich schien.
"Wisst Ihr, Quintian-Hohenfels, ich glaube, im Grunde verfolgen wir viele gemeinsame Ziele und könnten gut im Rat zusammenarbeiten. So sehe ich viele Übereinstimmungen, etwa in der Frage zum Ausbau von Pelkhafen. Darum empfinde ich es als wichtig, vor allem über das zu reden, was sich als Stein des Anstoßes erweisen könnte, um sinnlose Streitereien von vornherein auszuschließen. Meint Ihr nicht auch?", Ginaya nahm das dargebotene Glas mit allergrößter Selbstverständlichkeit entgegen.
„Sehr weise. Auch ich bin kein Freund unnötiger Streitereien; das kostet nur Zeit und Nerven. Wieviel angenehmer ist es da doch für beide Seiten, zu einer Übereinkunft zu gelangen, um sich dann den angenehmeren Dingen des Lebens widmen zu können.“
Mit nun deutlich geschäftsmäßiger Stimme fuhr er fort: "Auch ich schätze euch und eure Arbeit im Rat sehr und denke, daß wir uns auf einen, wie sagt doch der Bosparaner: Modus vivendi werden verständigen können. Der Ausbau von Pelkhafen ist mir persönlich einerlei, ich könnte mir also gut vorstellen, euer diesbezügliches Ansinnen zu unterstützen. Ich selbst hingegen begrüßte es sehr, wenn ich noch Unterstützer für meinen Wunsch fände, die Draconiter ganz offiziell mit der Untersuchung alter Relikte im Umland der Stadt zu beauftragen. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, wird sich auch für die Zukunft gewappnet sein, findet ihr nicht? Außerdem: Wer mag schon wissen, was noch alles für Kostbarkeiten - nicht nur in künstlerischer Hinsicht - unter der Erde schlummern und ihrer Entdeckung harren?"
Die Junkerin von Goldackern legte den Kopf schief und ihr rechter Mundwinkel verzog sich zu einem halben, schwer zu deutenden Lächeln: „Natürlich weiß ich um Eure Bemühungen, werter Quintian-Hohenfels. Euer Forscherdrang in allen Ehren, aber ich fürchte der Ertrag wird den Aufwand nicht rechtfertigen. Und wir haben als Stadträte einen Auftrag gegenüber der ganzen Communitas: Da gibt es bei weitem Wichtigeres als uralte Steine. An dieser Stelle werden wir darum bedauerlicherweise nicht zu einer Übereinkunft gelangen. Aber vielleicht tröstet es Euch ein wenig zu wissen, dass ich gleichfalls gegen die Einsetzung eines Kontrollgremiums für die magischen Schulen zu stimmen gedenke.“
Die letzten Worte Ginayas verhallten nicht ungehört bei Odoardo. Nachdenklich betrachtete er sein Glas und drehte es am Stiel gedankenverloren einige Male hin und her. Mit einem Lächeln entgegnete der Ratsherr: "Nun, es überrascht mich nicht wirklich, daß mein Antrag wenig Zustimmung findet, so sehr ich dies auch bedauere. Aber gut, man kann halt nicht alles haben, es wohl aber erstreben. Es freut mich aber, daß wir beide zumindest was dieses merkwürdige Kontrollgremium angeht, einer Meinung sind."
Das gefüllte Kristallglas locker in der Hand und den Ellenbogen auf die Armlehne ihres Stuhles gestützt fuhr Ginaya im Plauderton fort: „Ihr sagtet, der Ausbau von Pelkhafen wäre Euch einerlei. So recht mag ich daran nicht glauben, denn auch Eure Geschäfte würden dadurch eindeutig profitieren. Also: was steckt hinter Eurem vorgeblichen Desinteresse?“
Das Lächeln Odoardos verwandelte sich in ein fast schon breites Grinsen. "Och, meine Geschäfte laufen so oder so derzeit recht gut. Aber sagen wir mal so: das Leben ist doch ein stetes Geben und Nehmen. Wer etwas gibt, dem mag - jetzt oder etwas später - auch etwas gegeben werden."
„Das klingt...fair“, die ohnehin tadellose Haltung der Adligen hatte sich noch einmal versteift: „Andererseits, jeder Krämerlehrling weiß, dass Blankowechsel nicht ungefährlich sind, Quintian-Hohenfels. Was wollt Ihr?“
"Kurz und knapp: Ich trage mich mit dem Gedanken, bei der nächsten Ratssitzung als Kämmerer zu kandidieren und auf Heller und Kreuzer nachzurechnen, wo unser hochverehrter Ratsmeister eigentlich die ganzen Unsummen läßt, die die Stadt einnimmt, respektive, ob die Einnahmen nicht weiter ausgebaut werden können." Mit einem Lächeln schloß Odoardo: "Über eure Unterstützung hierbei würde ich mich sehr freuen."
"Es überrascht mich ein wenig, dass Ihr Euch zu dieser Aufgabe berufen fühlt, Quintian-Hohenfels. Aber ich nehme an, das Jonglieren mit Zahlen lässt sich auch als eine Art Kunst ansehen", Ginaya erhob sich, und näherte sich dem Gemälde, das der Ratsherr zuvor so versunken betrachtet hatte und schob hinterher, „...die einen ganz eigenen Zauber entfaltet..." Schließlich, fast als müsse sie sich losreißen, wandte sich die Junkerin wieder ihrem Gastgeber zu, "Aber nichts desto trotz ein interessantes Vorhaben, Ratsherr. Ich werde darüber nachdenken."