Geschichten:Im Sturm - Warten auf die Schlacht: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 4. Juni 2019, 07:50 Uhr
Stadt Natzungen, Besprechungszimmer der Baronin, später in der Nacht
Lange noch wurden für jede mögliche Situation des nächsten Tages Befehle vorbereitet – schließlich waren nur noch Leomar von Gerstungen, Hadrumir von Schwingenfels und die junge Baronin anwesend. Der Gerstunger musste den ganzen Abend hilflos mit ansehen, wie jeder seiner Einsprüche abgewiegelt wurde und er immer mehr übergangen worden war. Nur mühsam konnte er an sich halten.
Tanira sah müde zu dem Gerstunger: „Ich denke, für heute ist alles getan, was getan werden musste – lasst mich mit dem Junker nun allein.“
Wieder musste der Gerstunger schlucken, doch verlies er wie ein Kind, das wegen Ungehorsam hinaus geschickt wird, den Raum. ’Das wirst du irgendwann bereuen, mein Kind – dessen sei dir gewiss. Wäre dies nicht meine Stadt – ich würde meine Reiter nehmen und von dannen ziehen. Ich muss dringend zu Aldare sobald dies hier vorüber ist.’
Als sich die Türe hinter ihm schloss, stützte sich Tanira schwer auf dem Tisch auf und sank fast in sich zusammen. „Oh ihr Zwölfe – steht mir bei – ich bin nicht für so etwas vorbereitet worden.“ Dann blickte sie müde zu Hadrumir, der es sich mittlerweile in einem Stuhl bequem gemacht hatte. „Das ganze ist mehrere Nummern zu groß für mich, Hadrumir. Ich wurde in einer Kadettenschule ausgebildet um als unterer Offiziersrang zu dienen – nicht zum Führen.“ Sie lies sich stöhnend in ihren Sessel sinken.
Hadrumir reagierte nicht weiter auf ihre vertrauliche Anrede, er beobachtete sie aufmerksam. „Nun, das nötige Charisma habt Ihr aber dafür – und den Kopf wohl auch.“
„Nur reicht das nicht aus auf Dauer.“
Hadrumir bestätigte dies mit einem kurzen Nicken. Tanira schloss die Augen und massierte sich die Schläfen. „Ihr solltet euch hinlegen und noch etwas schlafen, Hochgeboren.“ Sie nickte müde. „Ja, das sollte ich – aber ich möchte vor dieser Schlacht noch, dass du etwas weißt.“
Hadrumir wartete ab schließlich begann sie zu sprechen. „Ich wollte mich nicht so verkaufen lassen, aber ich habe keine andere Wahl. Ich brauche einen starken Arm für Natzungen. Aber ich brauche auch die Gewissheit, dass mich der Mann an meiner Seite respektieren kann.“ Sie öffnete die Augen und blickte ihn offen an „Ich möchte, dass du in mir nicht nur eine Zuchtstute siehst, die deine Kinder und auch dich in den höheren Adel trägt. Mit was hat dich der Baron von Hutt überzeugt? Dein Zuspruch dem Alkohol gestern lässt mich vermuten, dass du eigentlich nicht einverstanden bist mit dem Arrangement. Ich will aber nicht, dass du dich gezwungen siehst dem Ganzen zuzustimmen.“ Sie verstummte nun und blickte ihn aufmerksam an.
„Ihr versteht gar nichts!" Hadrumir entspannte sich. „Ich lasse mich nicht gern benutzen. Von niemandem!"
Tanira erwiderte ernst: „Mir liegt es fern, Dich zu benutzen!"
Hadrumirs Augenbrauen krausten sich zusammen. „Ihr wollt mich nicht benutzen und doch tut Ihr es?" Er machte eine beruhigende Geste. „Aber keine Angst, von Euch fühle ich mich nicht benutzt. Wisst Ihr, eigentlich ist mir dieser ganze Konflikt um die Grafschaft egal. Ich habe diesem Reich gedient und es ist vor die Hunde gegangen. Irgendwann kommt der Moment, an dem man nur noch an sich denkt. An sich und an seine Untergebenen. Glaubt Ihr, dass die Schwingenfelser Güter den Einmarsch der Galotteska und die anschließenden Wirren so gut überstanden hätten, wenn ich nicht da gewesen wäre? Ich denke nicht. Das Leben hat mir gezeigt, dass man sich am Besten auf sich selbst verlässt. Aber eine Frau macht mich angreifbar. Wenn man meiner nicht habhaft werden kann, dann versucht man dies eben mit Euch."
Tanira blickte ihn mit wiedererwachender Aufmerksamkeit an. „Also heiratest du mich, um mir zu schaden?"
„Mitnichten! Ich tue dies, um Geismar und Ludorand eins auszuwischen. Geismar glaubt, er könne mich kontrollieren. Mir ist seine Fehde gegen den Hartsteener so was von egal. Und Ludorand meint, dass er die Fußstapfen seines Vaters Seginhardt ausfüllen kann. Mein Onkel war wie ein Vater für mich und ich werde den Grützer für seinen Tod auf ewig hassen. Wie er mich auf ewig hassen wird und mir schaden will. Daher finde ich Euch als Gemahlin eine gute Wahl. Ihr seid mutig und kühn. Dafür bewundere ich Euch! Ihr lasst Euch nicht so schnell schrecken wie jemand anderes! Das ich mich dadurch fortan "Baron" nennen darf, ist netter Nebeneffekt. Und trotzdem habe ich wegen unserer Vereinbarung Angst um Euch."
Tanira legte den Kopf etwas schräg. ’Er hat Angst um mich? Er kennt mich doch erst drei Tage.’ Eine Falte erschien auf ihrer Stirn, ehe sie ihm antwortete: „Jemand anderes würde nicht die Dreistigkeit besitzen wie du, mich einfach zu entführen. Und falls doch – müssen wir meine Wachen eben besser ausbilden. Das tut sowieso dringend Not. Und so wie ich möchte, dass der Mann an meiner Seite mir Respekt gegenüber erbringt, möchte ich ihn achten können. Der Mann, den ich am meisten achte, ist schon verheiratet – und zu alt, du aber scheinst ihm sehr ähnlich zu sein. Heiraten muss ich schnellstmöglich – das ist eine Notwendigkeit, aber ob ich jemanden finden könnte, den ich so achten kann, ist fraglich. Und irgendwie imponierst du mir sehr.“ Sie gähnte. „Doch du schätzt mich falsch ein – ich bin nicht mutig. Wenn ich an den morgigen Tag denke, würde ich am liebsten weglaufen. Es erinnert mich so an den Abend vor der einzigen Schlacht, in der ich wirklich mitgekämpft habe und nicht nur den Nachschub und den Tross organisiert habe. Ich habe mich vor Angst am nächsten Tag fast nicht auf dem Pferd halten können – und als uns die Goldene Lanze entgegenkam, hatte ich mit dem Leben abgeschlossen.“ Ihre Stimme wurde immer leiser, als sie den Tag der Drei-Kaiser-Schlacht noch einmal vor Augen hatte. „Mir war, als hätten mir Praios, Rondra und alle andern Götter noch einmal das Leben geschenkt, als sich die Lanzen bei den Goldenen hoben und sie sich uns anschlossen. Ich hoffe, sie haben dies getan, weil ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen habe. Und da sie mich an diesen Platz gestellt haben, werde ich mein Möglichstes tun, um mein Volk, meine Familie und mich zu schützen. Leider besteht gerade meine Familie nur noch aus mir und dem einzigen Verwandten, den ich noch habe, erklärte ich vor Stunden die Fehde.“ Sie seufzte auf. „Doch es ist spät, wir sollten noch ein paar Stunden versuchen, Schlaf zu finden.“ Im Aufstehen blickte sie Hadrumir tief in die Augen. „Und bitte nenn mich Tanira, wenn wir alleine sind.“
„Wie du wünschst. Verwechsle aber Angst und Feigheit nicht! Du sagst es selber. Du hast Angst und dies ist gut so. Angst macht den Menschen vorsichtig. Aber lass Dich von deiner Angst nicht lähmen. Jeder Mensch hat Angst, aber nicht jeder Mensch schafft es, diese Angst zu besiegen. Der dies aber schafft, ist mutig. Ich habe Schlachten erlebt, in denen der einfache Bauer sich einem unbesiegbar scheinenden Feind entgegengeworfen hat, während der Adlige nehmen ihm sich feige aus dem Kampf zurückzog, weil er es nicht schaffte, die Angst um sein Leben zu besiegen.“ Tanira nickte zustimmend – auch sie hatte genau solches gesehen. „Ich habe genauso Angst vor dem morgigen Tag wie du, aber ich zeige sie nicht." Er erwiderte ihren Blick. „Du hast Angst, aber du stellst dich deiner Angst. Und das macht dich zu einer mutigen Frau."
Sie blickte ihm noch kurz müde, aber dankbar in die Augen – dann ging sie zur Türe. „Auf morgen dann – mögen die Götter unseren Anspruch als gerecht einschätzen und uns den Sieg schenken. Schlaf gut Hadrumir.“ Sie verließ ihr Büro und wandte sich im Gang ihrem Schlafgemach zu.
Hadrumir wandte sich ebenfalls zum Gehen. Auf dem Weg zu seinem Schlafgemach ging er noch zu Hauptmann Raul. „Sorgt dafür, dass die Wachen heute Nacht gut aufpassen. Könnte sein, dass der Grützer versucht, uns zu überraschen.“
„Zu Befehl!“ Hadrumir lächelte. Der morgige Tag würde eine bittere Niederlage für den Grützer bereithalten.
Feldlager vor den Toren der Stadt zur gleichen Zeit
„Wie meint ihr das: wir haben Versorgungsprobleme?“ Bodebert von Windischgrütz blickte seinen Stabsoffizier unwillig an.
„Wir konnten die letzten beiden Tage keinen Bauernhof finden, auf dem noch Vorräte oder Vieh vorhanden war, Euer Hochgeboren. Selbst Heu war nur auf manchen Höfen zu bekommen. Die Natzungerin hat alle Vorräte und das gesamte Vieh der Bauern im Umkreis in der Stadt einlagern lassen. Ab morgen früh muss ich streng rationieren.“
Donnernd krachte die Faust Bodeberts auf die Platte des behelfsmäßigen Planungstisches „Dieses Flittchen beginnt mich aufzuregen. Sie wird morgen bitter dafür bezahlen.“
„Soll ich Boten nach Versorgungsgütern zurückschicken?“
„Nein, wir nehmen morgen die Stadt – dort ist genug vorhanden.“ Der Offizier nickte und verließ dann das Zelt Bodeberts.
◅ | Das Band ist zerrissen, die Fehde ist erklärt! |
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Ein Briefwechsel | ▻ |