Heroldartikel:Der Nôrnstieg: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 25. Dezember 2022, 12:01 Uhr

Der Nôrnstieg


Blank der Fels, über den sie dereinst geritten,

dunkel die Schlucht, die ihr Grab birgt,

und immer noch vermeint man im Echo der Berghänge die sirrenden Pfeile zu hören,

das Prasseln der Pferdehufe,

das Klirren von Stahl auf Stahl,

und die Schreie der Verwundeten im Winde.

Dann sucht das irrende Auge nach den schneeumkränzten Gipfeln,

vermeint im rostigen Rot der Flechten eine andere Farbe auszumachen.

Dann vermeint der Unsichere den Nachhall jener Schwingen zu hören,

die sie uns genommen haben,

damals,

an Peraines Nadel.

(Ode vom Nôrnstieg, von Gerion Spindel)


Mitten auf dem Marktplatz von Yrramis steht ein alter Wegestein, welcher an dieser Stelle wohl schon stand, bevor sich fahrende Händler hier niederließen und das kleine Landstädtchen gründeten. Hier trifft die alte Handelsstraße von Lowangen nach Greifenfurt, der Saljethweg, auf einen anderen, bei weitem nicht so häufig genutzten Pfad, der sich auf der einen Seite hoch ins Gebirge, auf der anderen Seite an den Hängen des Thasch entlang gen Messergrassteppe windet.

Der Wegestein hat viele Gräuel gesehen und die Herrschaft der Orken ist nicht die letzte Schmach, dem der alte, aus dunklem Gestein geschlagene Findling ein stummes Dulden entgegensetzt.

In den verwitterten Stein sind vier Gesichter gehauen, die in alle vier Richtungen starren, die Augen seltsam starr auf einen Punkt am Ende des Weges gerichtet und die Münder in einem seltsamen Lächeln erstarrt, einerseits furchtsam, andererseits fröhlich. Wer auch immer der unbekannte Meister war, sein Werk trotzt Wind und Wetter und die Jahre haben der Fratzen keine Spuren versetzen können. Gleichwohl scheinen sie weder ganz menschlich noch sonst irgendeiner Rasse zugehörig.

Lediglich die Schriftzeichen, die man an seinem Fuße eingemeißelt hat, haben im fortdauernden Wind ihre Form verloren und sind bis fast zur Unkenntlichkeit abgeschliffen. Doch sagen die alten Leute, die hier wohnen, einstmals habe dort eine Drohung gestanden, oder ein Segen, ganz, wie man ihn lesen mag: „Ihr, die Ihr als Feinde kommt, kehrt den Weg zurück, den Ihr gekommen, oder der Zorn der Berge mag Euch treffen! Doch kommt Ihr als Freund, so mag der Stein nicht bröckeln und der Pfad Euch leiten. Und möget Ihr Euer Ziel finden und möget Ihr Euch nicht verirren und mögen die Geister der Berge über Euch wachen.“

Von hier aus ist es nur noch eine Zehntagesreise bis Nordhag über den Finsterkamm, vom Svelttal kommend über die äußerste Ecke Greifenfurts in die Weidener Lande, die Heldentrutz.

Verläuft der Pfad auch zuerst mit kaum wahrnehmbarer Steigung, so scheinen die hohen Gipfel des Passes doch immer zum Greifen nah. Erst langsam, dann immer spürbarer schraubt sich der Weg in die Höhe und ehe man sich versieht, öffnet sich der Blick auf das unten liegende Tal und die kauernden Hütten von Yrramis.

Immer höher hinauf steigt der Weg, der hier, anders als dies beim Saljethweg ist, an manchen Stellen kaum mehr als solcher auszumachen ist. Zumeist folgt man einfach dem ausgetretenen Pfad in der Hoffnung, dass dieser sich nicht irgendwo zwischen den Felsen verliert.

Die Reisenden haben zur Kennzeichnung des Weges schon vor langen Zeiten damit begonnen, jeweils in Sichtweite Steinhaufen aufzuschichten, an denen sich der Wandernde orientieren kann. Manchmal hat man auch in die Felswände einen großen, stilisierten Greifen geschlagen. So sucht sich jeder Reisende von Steinhaufen zu Steinhaufen und Greif zu Greif seinen Weg, immer beseelt von der Angst, hinter der nächsten Ecke könnten diese Zeichen plötzlich fehlen.

Doch taucht man, wenn man bei seinem Anstieg die höheren Vorgebirge gemeistert hat, immer wieder in liebliche Täler herab, in denen eine deutlich sichtbare Spur in der Grasnarbe den Schritt weist, und in denen liebliche Bächlein zwischen saftigen Grasbüscheln zu Tale stürzen und von denen aus der Weg sich in neuerliche Höhen heraufschraubt, bis er endlich einer kargen Felslandschaft Platz macht.

Endlich, die Luft scheint vor Kälte zu flirren und die Augen haben schon lange kein Grün mehr gesehen, erreicht man eine tiefe Schlucht, über die ein einfaches Felsband, gerade groß genug, um zwei Pferden nebeneinander Platz zu gewähren, hinüber führt: Peraines Nadel.

Dieser Punkt, der zur märkischen Baronie Finsterrode gehört, ist gerade in diesem Jahr zu einer traurigen Berühmtheit gelangt, verlor hier doch in der Schlacht mit den Orken ein Gutteil der märkischen Edlen ihr Leben, allen voran der kaiserliche Marschall der Mark.

So hat man auch an dieser Stelle vor nicht ganz einem Mond eine Gedenktafel anbringen lassen, auf welche einerseits die Namen aller Gefallenen, andererseits die eingangs stehende Ode des märkischen Barden Gerion Spindel gemeißelt sind.

Folgt man der Passstraße, so windet sie sich hier nur noch ein kurzes Stück nach oben, um an der Flanke der steil aufragenden Nimmerkuppe vorbei wieder hinunter ins Tal zu weisen. Linkerhand die Bergflanke, fällt das Felsband, auf dem man geht, rechterhand allmählich ab und mündet in eine bizarre Felslandschaft, die wiederum ein gutes Stück weiter anzusteigen beginnt, um letztlich mit den Höhenzügen des Finsterkammes zu verschmelzen. Egal zu welcher Jahreszeit, an dieser Stelle liegt immer Schnee und so mancher Wanderer musste hier, kurz vor dem Abstieg, sein Maultier wieder umdrehen, weil er in dichtes Schneegestöber kam, welches das Felsenband rutschig und unpassierbar macht.

Liegt der Pfad aber einmal im Lichte der Praiosscheibe, so vermag man von hier aus bis hinüber zum Neunaugensee zu blicken und das geübte Auge kann sogar Trallop und Baliho erkennen, weil sich die Landschaft hier ausbreitet wie eine Landkarte. Lediglich das Nebelmoor macht seinem Namen alle Ehre und verweigert sich dem Staunenden.

Von hier aus führt der Weg in merklichem Gefälle zu Tale, obwohl man, hat man den Pass erreicht, noch gerade einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt hat. Doch scheinen die Berghänge der Weidener Seite trotz oder vielleicht gerade aufgrund ihrer Herbheit lieblicher zu sein als die kargen Hänge des Svelttales.

Hier führt der Weg des Reisenden immer wieder durch hoch aufragende Kiefernwälder und üppige Bergwiesen, nur ab und an von einer Almhütte oder einem Bergbauerngehöft unterbrochen. Auf den umliegenden Hängen kann der Wanderer trutzige Burgen erspähen und weit unten im Tale lockt das leuchtende Geld der Felder.

Seit kurzem hat sich der Weg des wandernden verändert. Von Yrramis aus auf halber Höhe zum Pass haben die Märker ein befestigtes Lager errichtet, welches den Nôrnstieg sichern und Reisenden Zuflucht geben soll. Von hier aus schwärmen immer wieder Patrouillen in die umliegenden Täler, um umherstreifende Orken zu jagen und zu töten. Drei weitere dieser kleineren Lager passiert der Wanderer, ehe er das Weidensche erreicht, das größte direkt unterhalb von Peraines Nadel.

Hat man dann die Felsbrüche hinter sich gelassen und die tieferen Hänge des Finsterkammes erreicht, so wird man einer ganzen Reihe von kleineren Baustellen ansichtig, die hier, in maximaler Sichtweite zueinander, angefangen wurden.

Dem Vorbild der Greifenfurter folgend hat man in Weiden damit begonnen, eine Wachtpostenkette zu errichten, die vor weiteren Angriffen durch die Orken schützen soll.

Endlich hat den Wandernden die Passstraße wieder in die Ebene geführt und vorbei an reifenden Feldern schlängelt sich der Weg, begleitet vom Gurgeln eines kleinen Baches, bis hin zu dem kleinen Landstädtchen Nordhag, wo man die letzten Schäden der Belagerung durch die Orken gerade zu beseitigen sucht und wo so freundliche Gasthäuser wie der „alte Esel“ um die Gunst des Kunden buhlen.



 Wappen Mittelreich.svg  Wappen Markgrafschaft Greifenfurt.svg  
 Wappen Baronie Finsterrode.svg
 
Texte der Hauptreihe:
Autor: Volker W.