Geschichten:...und ein ebenso besorgter Vater: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 30. Oktober 2016, 21:50 Uhr
Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat Alderan den Raum und sah sich nicht nur seinem Vater sondern auch gut einem halben Dutzend Offiziere gegenüber, welche um einen Tisch standen, auf dem eine Karte Perricums ausgebreitet war.
Oberst Bendan hörte sich gerade den Lagevortrag eines seiner Hauptmänner an, als völlig unerwartet sein Sohn hereinplatzte. Dieser meinte in der verblüfften Miene seines Vaters neben der allfälligen Überraschung auch so etwas wie Entsetzen oder Bedauern herauszulesen.
Der Reichsvogt hatte sich jedoch rasch gesammelt und wandte sich direkt an seinen unerwarteten Gast, wenn auch mir seltsam belegter Stimme. "Alderan, was hat Dich denn zu dieser späten und mittlerweile namenlosen Stunde hierher verschlagen?"
"Das fragst Du wirklich, Vater? Haffax hat die Stadt durch Verrat im Handstreich genommen und mittlerweile sind allerorten Kämpfe ausgebrochen! Mit Deinen Truppen wäre es ein leichtes, dieses Pack zurück ins Meer zu treiben. Stattdessen haltet ihr hier irgendwelche Planspiele ab, während draußen Unschuldige sterben!"
"Genug!", donnerte Bendan. "Wie redest Du mit mir? Glaubst Du, ich wüsste nicht, was draußen geschieht? Glaubst Du, ich säße hier nur tatenlos herum? Erinnerst Du Dich daran, wie ich Dir immer wieder erklärt habe, wie wichtig unbedingte Reichstreue ist? Und dass wir alle gemeinsam daran arbeiten sollten, dass das Reich wieder so groß und mächtig wird wie einst unter Kaiser Reto? Stattdessen verlieren wir uns in irgendwelchen kleinlichen Adelsfehden und hier in der Markgrafschaft noch dazu in regelrechten Kleinkriegen zwischen Raulschen und Nebachoten. Es reicht! Um den weiteren Niedergang des Reiches zu verhindern und zugleich das Fundament für seinen Wiederaufstieg zu legen habe ich schon im vergangenen Götterlauf eine Entscheidung getroffen. Eine Entscheidung, die dem Reich einen starken Herrscher mit einer ebenso starken Armee bescheren wird. Damit endlich Schluss ist mit all den kleinlichen Intrigen, Ämterpatronagen und all dem anderen Mist, mit dem wir uns all die Jahre selbst geschwächt haben." Die versammelten Offiziere nickten zustimmend.
Alderan fühlte sich, als hätte ihm gerade jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Alles schien sich zu drehen , als er die Frage stellte, deren Antwort er bereits erahnte und zugleich fürchtete. "Soll, soll das etwa heißen, dass Du und Dein Stab zu Haffax übergelaufen seid? Dass Du Alles, woran Du einstmals glaubtest und dem Du Treue gelobt hattest, aufgegeben, ja schnöde verraten hast? W-Warum?"
Bendans Antlitz wirkte nun deutlich milder, was sich auch in seinen jetzt weniger harsch formulierten Worten wiederspiegelte. "Mein Junge, glaubst Du, ich und die anderen hier haben die Brücken hinter uns leichtfertig abgebrochen? Glaubst Du, wir wüssten nicht, was für Folgen dieser Schritt für unsere Leben hatte und noch haben wird? Schau Dir doch allein das freche Treiben dieser Nebachoten an! So viele Götterläufe war ich immer bemüht, sie zu verstehen und zwischen ihnen und den Raulschen, wie sie uns nennen, zu vermitteln. Was hat es gebracht? Nichts, auch weil der Markgraf sich absolut nicht dafür interessiert, was in seinem Land vor sich geht. Das war für mich nur der letzte Beweis dafür, dass dieses Reich bereits in seinem Innersten verrottet ist. Außerdem ist Haffax kein blutsaufender dämonenverehrender Irrer, als der er immer dargestellt wird. Vergiss´ nicht, auch er diente viele Götterläufe ebenso treu und gut dem Reiche, bis er mit einem Fußtritt nach Maraskan abgeschoben wurde, damit dieser Leomar vom Berg seinen Posten übernehmen konnte. Warum? Einfach, weil er einer hochadligen und mächtigen Familie angehörte. Verdienste? Leistungen? Befähigung? Alles irrelevant! Und genau hier setzt Haffax an. In seinem Reich werden Ämter ausschließlich nach Eignung und Leistung besetzt. Kein aufgeblähter Hofstaat, kein untätiges Reichsgericht, keine in eigenen Intrigen gefangene Armee. Unter ihm als Kaiser würde das Reich auch wieder im übrigen Aventurien ernstgenommen, ja gefürchtet werden! Willst Du nicht auch mithelfen, an diesem erneuerten ja wahrhaftig Neuem Reich mitzuarbeiten?" Mit versöhnlichem Blick streckte er die rechte Hand in Richtung seines Sohnes aus.
Dieser war von den jüngsten Worten seines Vaters so mitgenommen, dass er sich auf dem Kartentisch abstützen musste. Trotzig erwiderte er: "Ja, Du hast mit vielem Recht, was Du gerade sagtest. Aber das rechtfertigt nicht einmal im Ansatz euer Tun! Verrat zugunsten eines Verräters üben? Schon allein dieser Gedanke ist geradezu absurd. All die Jahre habe ich zu Dir aufgeschaut, Dich zum Vorbild genommen, mit Stolz darüber gesprochen, was für einen außergewöhnlichen Vater ich habe. Und all das war nur eine Lüge, ein schöner Schein? Nein, meine Treue kann man nicht mit einer feurigen Anklage wie der Deinen gerade rechtfertigen. Wenn Dir all die Geschehnisse der letzten Jahre nicht passten: warum hast Du dann nicht einfach Deinen Abschied genommen? Aber offenkundig geht es Dir wie so vielen anderen großen Redenschwingern letztlich nicht um ein vermeintlich höheres Ziel sondern lediglich um die Bewahrung von Macht und Einfluss." Nach einer kurzen Pause setzte Alderan noch mit tonloser Stimme hinzu: "Sei es wie es sei. Von nun an habe ich keinen Vater mehr. Und für Deinen Verrat fordere ich Dich zu einem Duell aufs dritte Blut. Wenn Du wirklich an Deine eigenen Worte glaubst, dann wirst Du diese Forderung nicht ausschlagen." Mit diesen Worten warf er Bendan seinen rechten Handschuh vor die Füße.
Dieser blickte einige lange Augenblicke mit einer Mischung ans Entschlossenheit und Traurigkeit auf seinen Sohn, bevor er entgegnete: "Gut, so soll es sein. Wir klären das gleich auf dem Appellplatz."
"Herr Oberst, verzeiht, das ist jetzt nicht der-", warf Arnwulf von Rothenfels, der stellvertretende Befehliger des Bombardenregiments, ein, bis er abrupt mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen gebracht wurde.
"Schweigt! Mein Sohn hat Recht. Wer wie wir für ein starkes, prinzipienfestes Reich eintritt, muss sich auch in seinem Handeln daran messen lassen. Also auf!"
Umringt von den versammelten Leutnanten und Hauptleuten hatten sich die beiden Kontrahenten auf dem großen Platz auf ihren Waffengang vorbereitet.
"Bereit?", fragte der Reichsvogt.
"Bereit.", antwortete dessen Sohn.
Mit einem beiderseitigen Nicken eröffneten sie den Zweikampf. Nach kurzem Abtasten begann Alderan seinen Vater mit einer Serie von Schlägen einzudecken, die dieser jedoch gekonnt parierte. Den kundigen Zuschauern dieses Duells schien es, dass der Oberst, der zweifelsohne der erfahrenere und bessere Kämpfer war, bewusst defensiv agierte, um seinen Sohn zu ermüden und dann leichtes Spiel mit ihm zu haben.
Bendan hingegen zögerte jedoch selbst die Initiative zu übernehmen, da er trotz des Zerwürfnisses nicht die Absicht hatte, seinen eigenen Sohn zu erschlagen, auch wenn ihm dessen wuchtige aber oftmals wenig präzisen Attacken mehr als einmal regelrecht dazu einluden. In den folgenden Minuten wurde die zunehmende Erschöpfung des Ritters mehr und mehr offenkundig und die versammelten Offiziere rechneten jeden Moment damit, dass ihr Kommandeur dem Duell ein rasches Ende bereitete. Dieses trat auch kurz darauf ein, jedoch anders als von allen erwartet. Bendan hatte einen von oben kommenden Hieb seines Sohnes offenkundig zu spät gesehen und das Schwert, zudem recht langsam, nach oben zur Abwehr gerissen. Die Klinge seines Sohnes fuhr tief durch Schulter und Brust seines Gegners der sofort tot zusammenbrach. Niemand der Versammelten konnte sich diesen groben Fehler in der Deckung erklären. Niemand würde dazu je die Gelegenheit erhalten.
Alderan erwachte einige Augenblicke später aus seinem Kampfrauch und begann, das gerade Geschehene zu realisieren. Sein Schwert fiel zu Boden, er selbst auf die Knie, hielt sich die Hände vors Gesicht und fing an zu weinen.
Von der nun ausbrechenden und teilweise sehr hitzig geführten Diskussion der Stabsoffiziere ihn betreffend bekam der in seiner Trauer und dem Entsetzen über das eben Geschehene gefangene Ritter nichts mit. Einige wollten ihn auf der Stelle erschlagen, während andere für Milde plädierten und den Ritter gehen lassen wollten, da er durch seine Tat bereits genug gestraft sei. Letztlich entschied Hauptmann von Rothenfels als Rangältester, ihn in eine der Arrestzeilen zu sperren und nach dem Ende der Kämpfe über sein Schicksal zu befinden.
Als der Kriegshafen mit Beginn des neuen Jahres endlich befreit und dessen Verteidiger getötet, gefangengenommen oder geflohen waren, fand man in einer der Zellen einen verwahrlosten und ausgezehrten Mann, der immer wieder "Vatermörder" vor sich hin brabbelte und die ihm in der Zelle gereichten Mahlzeiten nicht angerührt zu haben schien.
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