Geschichten:Mauern überall: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 5. September 2018, 17:10 Uhr
Traviakapelle im Kloster Sankt Parinor, Königreich Garetien, am späten Nachmittag des 4. Peraine 1041 BF:
Dramatis personae:
Oldebor von Weyringhaus, Burggraf von Kaiserlich Raulsmark,
Sigman von Weyringhaus, sein ältester Sohn
Das schwere, verwitterte Portal aus Eichenholz öffnete sich knarrend. Gerade weit genug, dass ein Mann hindurchschlüpfen und das Tor vorsichtig wieder hinter sich zuziehen konnte. Seine Stiefel scharrten über den Steinfußboden, in den die Schritte aus Jahrhunderten schon tiefe Spuren hineingegraben hatten. Das Geräusch war nicht laut, aber in der Stille der Kapelle hallte es von den Mauern wider. Er nahm in einer Bankreihe rechts des Mittelgangs Platz. Den rechten Ellenbogen legte er auf die Rückenlehne der Bank vor ihm, die linke Hand hing kraft- und reglos in seinem Schoß. Das Kinn in die rechte Hand gestützt, schaute er zu dem älteren Mann hinüber, der eine Reihe weiter vorn in einer Bank auf der linken Seite saß.
Burggraf Oldebor hatte sich nicht umgedreht, nicht einmal aufgeblickt. Die Schritte seines ältesten Sohnes konnte er unter Tausenden erkennen. Sein Blick - oder vielmehr seine Augen, denn der Blick ging eher gedankenverloren ins Leere, als dass er noch etwas fixierte - war auf die marmorne Platte im Tempelboden gerichtet, kurz vor den Stufen des Altars.
Durch die buntgläsernen Fenster im Westen fiel die Abendsonne in die Kapelle. Einen anderen Weg gab es für die Sonnenstrahlen nicht mehr. Die anderen Fenster blickten auf Mauern und in dunkle Räume. Einst, vor vielen hundert Götterläufen, war die Kapelle ein kleiner, freistehender dörflicher Tempel gewesen. Aber als Burggraf Thessan das Kloster Sankt Parinor stiftete, da ließ er die neuen Mauern auf drei Seiten um den alten Bau herum errichten, so dass aus dem Tempel eine Hauskapelle wurde. Eine Kapelle, in der seither die Familie Weyringhaus ihre Götterdienste feierte, ihre Traviabünde schloss und ihren berühmtesten Ahnherrn begraben hatte.
"Thessan" war in tiefen Lettern in die Marmorplatte eingemeißelt. Die schräg einfallenden Sonnenstrahlen ließen den Schriftzug aus Licht und Schatten hervortreten. Das Wappen der Familie und ein Konterfei ihres teuren Verstorbenen waren noch zu erahnen. Aber was sonst einmal als Epitaph in den Stein geschlagen worden war, ließ sich nicht mehr entziffern. Fast fünf Jahrhunderte an Gläubigen waren darüber hinweggeschritten, hatten den Stein geglättet und poliert.
"Und?", fragte Sigman schließlich in das lange Schweigen hinein.
Der Burggraf zuckte müde mit den Schultern. "Überall Mauern. Es ist jetzt fast ein Jahr her, dass ich die Ballade fand - und seither bin ich keinen Schritt vorangekommen." Er setzte sich in der Bank auf und drehte sich seitwärts, so dass er seinen Sohn anschauen konnte. "Gut, zunächst ging es auf den Spendenzug nach Rommilys, und im neuen Jahr hatte ich erst einmal ordentlich zu tun. Aber seitdem? Jeder Weg, den ich beschreite, endet in einer Sackgasse."
Sigman nickte verständnisvoll. "Die Archive der Stadt des Lichts ...", begann er.
"... werden noch auf Generationen durcheinander sein", setzte sein Vater fort. "Das Aufräumen hat gerade erst begonnen. Im Rondra-Tempel gibt es niemanden, der noch alte Sagen und Legenden aus der Gegend kennt. Und im Hesinde-Tempel ...", er hielt mit säuerlicher Miene inne.
"... lässt man uns nicht ein", führte sein Sohn den Satz zuende.
"Da habe ich nun wirklich alles versucht", seufzte Oldebor, "und was ich selber vom Verbot der Nandus-Kirche halte, ist ja bekannt. Aber mitgefangen, mitgehangen."
Nach dem Verhallen der letzten Silben herrschte wieder Stille. Als er sie wieder unterbrach, sprach Sigman leiser.
"Und die Boron-Kirche?"
Der Burggraf holte so tief Luft, dass selbst das Geräusch seines Atems von den Mauern widerhallte. "Ich habe meine Zweifel, ob Thessan wirklich in diesem Grab liegt", erwiderte er kaum vernehmbar. "Die Ballade endet damit, dass er die drei goldenen Kugeln forttrug, an einen unbekannten Ort. Wer weiß, ob er von dort überhaupt zurückgekommen ist ..."
"Aber?"
"Aber es wäre ein frevelhaftes Ansinnen an die Boronkirche, wenn ich nur wegen solcher Zweifel und Vermutungen um die Öffnung des Grabes ersuchen würde. Da möchte ich vorher etwas Handfestes haben, oder wenigstens einen deutlichen Fingerzeig."
"Was ist mit der Grabplatte?"
"Die habe ich schon kopieren lassen. Selbst in der Schraffur lässt sich nur noch ein Bruchteil vage entziffern, nichts von Belang." Über die Züge des Burggrafen flog - kaum noch zu erkennen in der einsetzenden Dämmerung - ein verkniffenes Lächeln. "Man könnte meinen, Xeledon selbst habe sich da einen Scherz erlaubt. Die Spuren, die wir nun gerne lesen würden, haben wir selber ausgelöscht."
Sigman verzog ebenfalls kurz das Gesicht. "Also gibst du auf?", fragte er.
"Was?!", rief der Burggraf erstaunt. Die einzelne Silbe hallte mehrere Pulsschläge lang durch den Raum. Etwas leiser fuhr Oldebor fort: "So schnell gebe ich bestimmt nicht auf. Ich werde das Pferd jetzt von der anderen Seite aufzäumen." Die fragende Miene seines Sohnes mehr erahnend als erkennend, erklärte er: "Ich habe die Einladung bekommen zur Langen Jagd auf der Pfalz Kaiserley. Zum Gedenken an die tausendjährige Besiedelung Greifenfurts. Also ein sehr praiosgefälliges Unterfangen. Wenn ich hier nichts über Thessan herausfinde, dann bekomme ich anderswo vielleicht wenigstens einen Fingerzeig zu den drei goldenen Kugeln."
"Und ganz allgemein kann es nicht schaden, bei diesem Ereignis anwesend zu sein", erwiderte sein Sohn.
Der Burggraf nickte ob dieser Selbstverständlichkeit. "A propos anwesend - wieso bist du hier?", fragte er dann.
"Es ist Vollmond", antwortete Sigman schlicht.
Ob die Miene des Burggrafen ein wissendes Lächeln zeigte, war in der einsetzenden Dunkelheit nun wirklich nicht mehr zu erkennen. Er erhob sich, klopfte seinem Sohn auf die Schulter, öffnete das Portal und trat nach draußen.
Kaum war die schwere Tür ins Schloss gefallen und der Widerhall verebbt, war ein leises, schabendes Geräusch aus einer seitlichen Mauernische zu hören.
"Phex zum Gruße, mein Silberschatz", sagte Sigman in die Dunkelheit hinein. "Wieviel hast du mitgehört?"