Geschichten:Kressenburger Neujahrsstechen 1042 BF - Teil 21: Unterschied zwischen den Versionen
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'''Eine Lektion in ritterlichen Tugenden''' | |||
dramatis personae:<br> | |||
Ritter Holdwin vom Kargen Land zu Valpos Horn<br> | |||
sein Page Angrawen II. Amadan Timerlain<br> | |||
''In einem Zelt nahe [[Handlungsort ist::Greifenfurt:Stadt Kressenburg|Kressenburg]], 8. Praios 1042 BF, zur Mittagsstunde'' | |||
Angrawen deckte ein wenig unsicher den Tisch im Zelt seines Herrn. Gleich in der ersten Runde des Fußkampfes war Holdwin rausgeflogen! Als der Ritter sich seines Gambesons entledigt hatte, hatte Angrawen die großen blauen Flecken gesehen, die ihm Holdwins Kontrahent verpasst hatte, und war doch recht erschrocken. Wie schlimm das ausgesehen hatte! Dem 8-jährigen mit den blaugrünen Augen und dem strohblonden Haar war es nun ganz recht, ein wenig abseits des Trubels zu sein. So konnte er ein wenig über das Erlebte nachdenken. Er war so in Gedanken vertieft, dass er ganz vergaß, dem Ritter Bescheid zu geben, nachdem er seine Aufgabe erledigt hatte. | |||
Schließlich trat Holdwin von alleine ins Zelt. "Ah, ist also doch schon fertig! Na, wunderbar, dann können wir ja gleich essen!" Der Ritter hatte absichtlich an diesem Mittag keine Gaststube aufgesucht, um mit seinem Pagen alleine reden zu können. Anscheinend gut gelaunt setzte er sich an den Tisch, was Angrawen sehr irritierte. | |||
"Ähm... seid Ihr denn gar nicht verärgert?" | |||
"Natürlich ärgere ich mich!", gab Holdwin unumwunden zu, nachdem er einen ersten großen Bissen genommen hatte. "Und zwar über mich selbst! Ich habe mich von dem jungen Blauenburger völlig überraschen lassen. Der ging ja ran, als ginge es um Leben und Tod. Vielleicht sah er darin seine beste Möglichkeit, weil er noch nicht so viel Erfahrung hat und in einem längeren Kampf nicht so gut ausgesehen hätte. In jedem Fall hat ihm Rondra recht gegeben und er sich diesen Sieg redlich verdient! Ich hingegen habe eine wertvolle Erinnerung daran bekommen, den Gegner von Anfang an zu bedrängen. Glücklicherweise habe ich für diese Lektion nicht teuer bezahlen müssen... was nicht selbstverständlich ist, denn auch Turniere sind nicht ungefährlich! Die Koscher Fürstin Lorinai etwa verunglückte seinerzeit im Lanzengang tödlich." | |||
"Habt... habt Ihr deshalb Eurem Gegner und Brin von Gilbertholz den Krug Bier ausgegeben? Weil Ihr Euch freutet, dass es Euch nicht schwerer erwischt hat?" | |||
"Ja, auch deswegen! Aber in erster Linie, weil der Blauenburger ehrenhaft gekämpft hat, und so etwas muss man anerkennen. Er ist noch ein junger Ritter, wohl halb so alt wie ich. Das soll für ihn nicht nur ein großer Moment gewesen sein, sondern ein ganz prägendes Erlebnis werden, das ihm Selbstvertrauen gibt und an dem er wachsen kann." | |||
Angrawen war sich zwar nicht sicher, was Holdwin mit seinen letzten Worten meinte, es gefiel ihm aber, dass dieser einem Jüngeren anscheinend Mut machte. Das könnte er selbst gut gebrauchen! Gespannt blickte er den Ritter an, der erst einmal aß, bevor er weitersprach. | |||
"Für den Blauenburger wird es eine wichtige Erfahrung sein, Zuspruch von anderen zu bekommen. Sein Onkel Rondrian ist der erste Ritter Weidens! Da werden an Angrist Siegrain sicher hohe Erwartungen gestellt. Es wird schwer genug werden, aus dem Schatten einer Turnierlegende hervorzutreten." | |||
"Dann wird der Sieg heute ihn besonders erfreuen!" | |||
"Ja, das glaube ich auch! Darum wollte ich, dass er ihm in möglichst guter Erinnerung bleibt. Aber auch aus Niederlagen läßt sich lernen... nimm etwa unsere Reisegefährtin Ilpetta von Hirschingen – eine fürstliche Schlachtreiterin, ein alter Name mit einer langen Tradition, eine schwierige Aufgabe, all dem gerecht zu werden. Dennoch strahlt sie immer wie ein Sonnenschein, auch nach einer klaren Niederlage wie heute. Oder denke an unseren anderen Begleiter Ungolf von Plötzbogen: Beim Fürstenturnier zu Angbar war er in jeder Disziplin in der ersten Runde raus; heute ist es ihm erneut so gegangen. Trotzdem wird er nicht verzagen, sondern es immer wieder versuchen. Diese aufrichtige Zuversicht sei Dir ein Vorbild." | |||
"War das das Turnier im letzten Jahr, als Ihr meinen Vater kennengelernt habt?" | |||
"Genau das!", lachte Holdwin und nahm sich noch einmal nach. | |||
Hinterher wurde er etwas ernster. "Weißt Du, so ein Wettstreit ist nicht nur wichtig, um in Form zu bleiben. Es geht auch darum, sich an die gemeinsame Sache zu erinnern. Ritter sein heißt mehr als kämpfen zu können. Jeder Straßenräuber kann eine Waffe schwingen – aber die wenigsten können dauerhafte Bündnisse schließen! Es ist aber unsere Pflicht, über den heutigen Tag hinauszudenken, denn wir Ritter verteidigen das Reich und alle, die dort leben, gegen Unbill. Darum müssen wir zusammenhalten, auch wenn es immer wieder Zank und Hader zwischen uns oder unseren Familien gibt. Die Turniere und all ihre Zeremonien und Rituale dienen dazu, uns das ins Gedächtnis zu rufen." | |||
"Für Rondra und Famerlor...", sagte Angrawen leise. | |||
"Ja, das ist der Geist!", freute sich Holdwin. "Den vorgesehenen Platz in dieser Welt mag man bei der Geburt bekommen haben, doch muss man sich erkämpfen und verteidigen können, was einem zusteht! Die praiosgefällige Ordnung kann nur aufrechterhalten werden, wenn sie durch rondrianische Tugenden gestützt wird! Darum war es mir so wichtig, mit Dir nach Kressenburg zu reisen." | |||
"Das habt Ihr für mich gemacht?", staunte Angrawen. | |||
"Ja, klar!", antwortete Holdwin. "Mit anderen Rittern Bier trinken können hätte ich auch zu Hause am Angbarer See! Ich will, dass Du so früh wie möglich all die Aufregung mitbekommst, die Eindrücke, das große Publikum um Dich herum... Du sollst mit dieser Situation vertraut werden und langsam aber sicher lernen, mit Mut, Ruhe und Gelassenheit zu reagieren. Denn das wird später im Leben entscheidend sein, um die Ordnung zu bewahren und die Schwachen zu beschützen – da gehen Praios und Rondra Hand in Hand." So sehr Holdwins Schützling auch ergriffen sein mochte von dem, was er gehört hatte, bei dem Gedanken an Lärm und Menschenmengen fuhr er leicht zusammen. Der Ritter hatte eine Ahnung, was los war, und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. "Mach Dir keine Sorgen, wenn es am Anfang ein wenig viel ist. Mein Bruder Boromil fand Turniere als Kind immer sehr anstrengend... und dennoch ist aus ihm ein Ritter geworden." | |||
Angrawen war sehr dankbar, dass Holdwin ihn verstand. "Habt vielen Dank, Herr!" | |||
Holdwin lächelte ihm freundlich zu. "Du bist ein guter Junge, Angrawen. Lass uns doch nachher die zweite Runde des Fußkampfes ansehen. Ich denke, ich gebe meinem Körper einen Tag Schonung, bevor ich für die Tjoste übe." | |||
"Ganz wie Ihr wünscht!" | |||
Angrawen begann, den Tisch abzuräumen. Holdwin war zufrieden. Dragowins Sohn machte ihm bisher viel Freude. Und wenn es ihm gelang, dem Jungen etwas beizubringen, dann war ihm das die blauen Flecken allemal wert. | |||
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Aktuelle Version vom 23. Oktober 2019, 18:22 Uhr
Eine Lektion in ritterlichen Tugenden
dramatis personae:
Ritter Holdwin vom Kargen Land zu Valpos Horn
sein Page Angrawen II. Amadan Timerlain
In einem Zelt nahe Kressenburg, 8. Praios 1042 BF, zur Mittagsstunde
Angrawen deckte ein wenig unsicher den Tisch im Zelt seines Herrn. Gleich in der ersten Runde des Fußkampfes war Holdwin rausgeflogen! Als der Ritter sich seines Gambesons entledigt hatte, hatte Angrawen die großen blauen Flecken gesehen, die ihm Holdwins Kontrahent verpasst hatte, und war doch recht erschrocken. Wie schlimm das ausgesehen hatte! Dem 8-jährigen mit den blaugrünen Augen und dem strohblonden Haar war es nun ganz recht, ein wenig abseits des Trubels zu sein. So konnte er ein wenig über das Erlebte nachdenken. Er war so in Gedanken vertieft, dass er ganz vergaß, dem Ritter Bescheid zu geben, nachdem er seine Aufgabe erledigt hatte.
Schließlich trat Holdwin von alleine ins Zelt. "Ah, ist also doch schon fertig! Na, wunderbar, dann können wir ja gleich essen!" Der Ritter hatte absichtlich an diesem Mittag keine Gaststube aufgesucht, um mit seinem Pagen alleine reden zu können. Anscheinend gut gelaunt setzte er sich an den Tisch, was Angrawen sehr irritierte.
"Ähm... seid Ihr denn gar nicht verärgert?"
"Natürlich ärgere ich mich!", gab Holdwin unumwunden zu, nachdem er einen ersten großen Bissen genommen hatte. "Und zwar über mich selbst! Ich habe mich von dem jungen Blauenburger völlig überraschen lassen. Der ging ja ran, als ginge es um Leben und Tod. Vielleicht sah er darin seine beste Möglichkeit, weil er noch nicht so viel Erfahrung hat und in einem längeren Kampf nicht so gut ausgesehen hätte. In jedem Fall hat ihm Rondra recht gegeben und er sich diesen Sieg redlich verdient! Ich hingegen habe eine wertvolle Erinnerung daran bekommen, den Gegner von Anfang an zu bedrängen. Glücklicherweise habe ich für diese Lektion nicht teuer bezahlen müssen... was nicht selbstverständlich ist, denn auch Turniere sind nicht ungefährlich! Die Koscher Fürstin Lorinai etwa verunglückte seinerzeit im Lanzengang tödlich."
"Habt... habt Ihr deshalb Eurem Gegner und Brin von Gilbertholz den Krug Bier ausgegeben? Weil Ihr Euch freutet, dass es Euch nicht schwerer erwischt hat?"
"Ja, auch deswegen! Aber in erster Linie, weil der Blauenburger ehrenhaft gekämpft hat, und so etwas muss man anerkennen. Er ist noch ein junger Ritter, wohl halb so alt wie ich. Das soll für ihn nicht nur ein großer Moment gewesen sein, sondern ein ganz prägendes Erlebnis werden, das ihm Selbstvertrauen gibt und an dem er wachsen kann."
Angrawen war sich zwar nicht sicher, was Holdwin mit seinen letzten Worten meinte, es gefiel ihm aber, dass dieser einem Jüngeren anscheinend Mut machte. Das könnte er selbst gut gebrauchen! Gespannt blickte er den Ritter an, der erst einmal aß, bevor er weitersprach.
"Für den Blauenburger wird es eine wichtige Erfahrung sein, Zuspruch von anderen zu bekommen. Sein Onkel Rondrian ist der erste Ritter Weidens! Da werden an Angrist Siegrain sicher hohe Erwartungen gestellt. Es wird schwer genug werden, aus dem Schatten einer Turnierlegende hervorzutreten."
"Dann wird der Sieg heute ihn besonders erfreuen!"
"Ja, das glaube ich auch! Darum wollte ich, dass er ihm in möglichst guter Erinnerung bleibt. Aber auch aus Niederlagen läßt sich lernen... nimm etwa unsere Reisegefährtin Ilpetta von Hirschingen – eine fürstliche Schlachtreiterin, ein alter Name mit einer langen Tradition, eine schwierige Aufgabe, all dem gerecht zu werden. Dennoch strahlt sie immer wie ein Sonnenschein, auch nach einer klaren Niederlage wie heute. Oder denke an unseren anderen Begleiter Ungolf von Plötzbogen: Beim Fürstenturnier zu Angbar war er in jeder Disziplin in der ersten Runde raus; heute ist es ihm erneut so gegangen. Trotzdem wird er nicht verzagen, sondern es immer wieder versuchen. Diese aufrichtige Zuversicht sei Dir ein Vorbild."
"War das das Turnier im letzten Jahr, als Ihr meinen Vater kennengelernt habt?"
"Genau das!", lachte Holdwin und nahm sich noch einmal nach.
Hinterher wurde er etwas ernster. "Weißt Du, so ein Wettstreit ist nicht nur wichtig, um in Form zu bleiben. Es geht auch darum, sich an die gemeinsame Sache zu erinnern. Ritter sein heißt mehr als kämpfen zu können. Jeder Straßenräuber kann eine Waffe schwingen – aber die wenigsten können dauerhafte Bündnisse schließen! Es ist aber unsere Pflicht, über den heutigen Tag hinauszudenken, denn wir Ritter verteidigen das Reich und alle, die dort leben, gegen Unbill. Darum müssen wir zusammenhalten, auch wenn es immer wieder Zank und Hader zwischen uns oder unseren Familien gibt. Die Turniere und all ihre Zeremonien und Rituale dienen dazu, uns das ins Gedächtnis zu rufen."
"Für Rondra und Famerlor...", sagte Angrawen leise.
"Ja, das ist der Geist!", freute sich Holdwin. "Den vorgesehenen Platz in dieser Welt mag man bei der Geburt bekommen haben, doch muss man sich erkämpfen und verteidigen können, was einem zusteht! Die praiosgefällige Ordnung kann nur aufrechterhalten werden, wenn sie durch rondrianische Tugenden gestützt wird! Darum war es mir so wichtig, mit Dir nach Kressenburg zu reisen."
"Das habt Ihr für mich gemacht?", staunte Angrawen.
"Ja, klar!", antwortete Holdwin. "Mit anderen Rittern Bier trinken können hätte ich auch zu Hause am Angbarer See! Ich will, dass Du so früh wie möglich all die Aufregung mitbekommst, die Eindrücke, das große Publikum um Dich herum... Du sollst mit dieser Situation vertraut werden und langsam aber sicher lernen, mit Mut, Ruhe und Gelassenheit zu reagieren. Denn das wird später im Leben entscheidend sein, um die Ordnung zu bewahren und die Schwachen zu beschützen – da gehen Praios und Rondra Hand in Hand." So sehr Holdwins Schützling auch ergriffen sein mochte von dem, was er gehört hatte, bei dem Gedanken an Lärm und Menschenmengen fuhr er leicht zusammen. Der Ritter hatte eine Ahnung, was los war, und klopfte ihm ermutigend auf die Schulter. "Mach Dir keine Sorgen, wenn es am Anfang ein wenig viel ist. Mein Bruder Boromil fand Turniere als Kind immer sehr anstrengend... und dennoch ist aus ihm ein Ritter geworden."
Angrawen war sehr dankbar, dass Holdwin ihn verstand. "Habt vielen Dank, Herr!"
Holdwin lächelte ihm freundlich zu. "Du bist ein guter Junge, Angrawen. Lass uns doch nachher die zweite Runde des Fußkampfes ansehen. Ich denke, ich gebe meinem Körper einen Tag Schonung, bevor ich für die Tjoste übe."
"Ganz wie Ihr wünscht!"
Angrawen begann, den Tisch abzuräumen. Holdwin war zufrieden. Dragowins Sohn machte ihm bisher viel Freude. Und wenn es ihm gelang, dem Jungen etwas beizubringen, dann war ihm das die blauen Flecken allemal wert.