Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.
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= Custōsa=
[[Garetien:Esmeria_Darando_della_Tenna|Esmeria Darando della Tenna]]
 
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== Gedanken ==
Zurückzublicken und die eigenen Taten zu beurteilen, ist dem Menschen wohl zutiefst zu eigen. Damit einher geht natürlich die Frage, was man mit dem heutigen Wissen als hätte ändern können. Hätte man das damals bereits gewusst, hätte man alles zum Besseren wenden können – die Welt wäre eine ganz andere, eine bessere. Ja, dieser Blick zurück. Wie verlockend er doch ist! Wie verheißungsvoll! Und wie töricht zugleich. Wie die Menschen nur glauben können, eine einzige Entscheidung von ihnen hätte den Lauf der Dinge ändern können? Sind sie doch nicht mehr als ein winziger Wassertropfen im sommerlichen Morgendunst. Kaum sichtbar, wenig mehr als ein hauchdünner Schleier, durch den man in die Welt blickt, der kaum etwas verhüllt und der ebenso schnell und abrupt verschwindet, wie er gekommen ist. Das Ende, unausweichlich und unabdingbar. Und obwohl sie sich ihrer eigenen Bestimmung bewusst sind, nämlich der, dass sie alle sterben werden, verhalten sie sich nicht so. Sie geben nicht acht. Sie riskieren. Angetrieben vom Gefühl, dass sie mehr verdient haben. Mehr als andere. Weitaus mehr. Von Hass und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht zerfressen, vergessen sie ihre eigene Sterblichkeit und riskieren, das Einzige, das sie wirklich ihr Eigen nennen können: Ihr Leben. Interessant, nicht wahr?
 
<!--Aus dem Vorwort der »Wege der Wächterinnen«-->
 
== Esenfeld ==
 
=== Fremder ===
ZSF01: Ein Fremder kommt nach Esenfeld
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
»Es ist Zeit«, hob der Fremde an und bedachte die Frau ihm gegenüber aus seinen kalten, blauen Augen voller Abscheu. Der Mann saß hoch zu Ross. Er war ein harter Mann von kräftiger und Statur, dabei ungewöhnlich groß, mit noch immer dichtem schwarzem Haar und einer unfassbar tiefen Stimme. Über einem Kettenhemd trug er einen Wappenrock in Schwarz und Gelb. Ein Schwert in einer kunstvollen Scheide hing an seiner linken Seite. Seine Begleiter waren ebenfalls gerüstet und bewaffnet. Grimmig schauten sie drein. Die Pferde schnaubten. Unruhig drehten sie die Ohren. Das des Bannerträgers tänzelte einige Schritte rückwärts. Das Banner, das zwei schwarze Tannen auf zwei schwarzen Hügeln auf goldenem Grund zeigte, hing trostlos herab. Noch lag eine unerträglich schwüle Hitze über dem Land, doch begannen sich bereits dunkle Wolken am Himmel zu sammeln und einen unheilvollen Schatten auf den Innenhof zu werfen.
 
Während sich die Bediensteten des Wehrhofs dicht an die Gebäude gedrängt hatten, stand nur eine einzige Frau im Innenhof unweit der alten Eiche. Ein alter und ehrwürdiger Baum, der auch heute noch reichlich Blätter an seinen knorrigen und verwachsenen Ästen trug und dem man nachsagte, dass er schon immer an diesem Ort gestanden haben – noch weit vor dem Wehrhof. Eine alte Legende besagt, dass die Unschuldigen unter ihm stets Schutz fänden.
 
»Einen weiteren Götterlauf«, bat die Frau unweit des Baumes mit fester Stimme und nickte, wobei ihr eine Strähne ihres dunkelblonden Haares dabei ins Gesicht fiel. Mit einer eleganten Bewegung strich sie es zurück. Ihre tiefbraunen Rehaugen blickten zu dem Reiter empor. Sanft wirkten ihre Züge. Zurückhaltend. Regelrecht verhuscht. »Nur noch einen. Es wird der letzte sein. Ich bitte dich, [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ardo]], nur noch dieses eine Mal.«
 
»Nein«, erwiderte der Ritter barsch und ließ seine Rechte durch die Luft schnellen. Seine Augen funkelten zornig. Seine Gesichtszüge waren angespannt. »Nichts da.«
 
»Im Namen der Götter«, hob sie nun an und beugte beide Knie, wie man es nur vor den Göttern tat, ihr Haupt hielt sie dabei gesenkt, »Im Namen der Sturmherrin, ich flehe dich an: Lass mir meine Kinder. Es ist ein einziger weiterer Götterlauf, um den ich dich bitte. Nur einen noch. Danach sind sie dein. Ich schwöre es.« Bei den letzten Worten blickte sie auf. Ihre Blicke trafen sich. »Vor dem Gerechten.« Sie hob ihre Hand, als wollte sie einen Schwur ablegen.
 
Er lachte nur: »Vorbei sind die Zeiten, da der Blick eines scheuen Rehes mich milde stimmte.«
 
»Sie sind noch zu jung«, beharrte sie, »Gibt ihnen noch einen weiteren Götterlauf, Ardo.«
 
»Wozu?«, spie er nur hervor, »Was solltest ausgerechnet du, [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Algerte]], ihnen geben können?« Einen Moment herrschte angespannte Stille. »Außer Lügen und Verrat?«
 
»Die Liebe einer Mutter«, kam ihre Antwort prompt, wobei sie ihre Hände einer Umarmung gleich ausbreitete, »Und wenn eine die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern versteht, dann gewiss die Leuin höchst selbst.«
 
»Liebe gewinnt keinen einzigen Kampf, sie macht einen nur...«, er hielt einen Moment inne und blickte sie mit seinen harten Augen an, »... weich.« Er schluckte. »Naive.« Nun nahm er das Kinn ein Stück weiter nach oben. »Dumm.«
 
Erste Regentropfen begannen zu fallen. An der Wange der Hausherrin rann einer herab oder war es doch eine Träne?
 
»Ich habe dich zu lange gewähren lassen. Habe dich beschützt. Habe zu dir gestanden. Aber du...« Er holte Atem. »Die Kinder brauchen endlich ihren Vater!«
 
Nun lachte sie: »Ihren Vater? Ihren VATER?« Ihre Stimme überschlug sich. Leise begann Donner über sie hinwegzugrollen. Er drückte die Lippen fest aufeinander. Hielt die Zügel verkrampft in seinen Händen. »Vor Götterläufen hätten sie dich gebraucht. Vor Götterlaufen, Ardo! Ein jeder hier ist mehr Vater als du es je sei...«
 
Da stieß er seinem Pferd die Haken in die Flanken. Sie erhob sich. Das Tier preschte nach vorne. Zorn funkelte in seinen Augen. Nein, purer Hass. Vielleicht sogar Mordlust. Doch sie blieb stehen. Hielt seinem Blick stand. Reckte ihren Kopf noch ein wenig höher. Sie war stolz auf ihre Kinder. Auf jedes einzelne von ihnen. Niemals würde sie zulassen, dass er sie einfach so ihr wegnahm. Wie lange hatte er sich nicht für seine Kinder interessiert? Sie wich nicht aus. Sie blieb stehen. Und sein Hengst ritt sie einfach nieder. Begrub sie einfach unter sich. Sie hatte noch nicht einmal Zeit zu schreien oder war es das Donnergrollen, dass ihre Schreie übertönte? Reglos blieb sie liegen. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich. Blut quell aus verschiedenen Wunden empor. Der Regen wusch es fort. Und ihre Augen folgten dem Mann, dessen Kinder sie geboren hatte.
 
Er wendete das Pferd. Brachte es zum Stehen. Wieder grollte es. Es begann noch heftiger zu regnen. Er blickt auf die am Boden liegende herab. Sah das Blut. Mächtiger Donner fegte über sie hinweg. Das Banner begann in der aufgekommenen Brise hart zu flackern.
 
»Lasst sie liegen«, befahl er. Und alle gehorchten. Drängten sich noch dichter an die Gebäude. Nicht jedoch etwa aus Angst vor Wind und Wetter. Er war es, vor dem sie sich fürchteten. Und die beiden [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Kna]][[Garetien:Moribert von Schwarztannen|ben]] begriffen, dass er der gestrenge Herr sein musste, von dem ihnen ihre Mutter immer erzählt, ja vor dem sie eindringlich gewarnt hatte. Er war der Ritter zu Esenfeld. Er war ihr Vater.
 
=== Vater ===
ZSF02: Die beiden Knaben lernen ihren Vater kennen.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
Der [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ritter zu Esenfeld]] stieg vom Pferd. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Knechte kamen herbeigeeilt, kümmerten sich um die Tiere, während Regen und Wind über sie hinwegpeitschten. Donner grollte markerschütternd. Wütende Blitze zuckte vom Himmel herab. Erhellten den inzwischen stockfinster gewordenen Innenhof Esenfelds. Die Männer, der Ritter zu Esenfeld allen voran, drängten in das Gebäude hinein. Die Bediensteten wichen zurück. Die beiden Knaben, die noch immer stocksteif unweit der Tür standen, fassten sich unbewusst an den Händen, der kleinere der Knabe drängte sich an seinen größeren Bruder. Beide hatten sie das pechschwarze Haar ihres Vaters und die weichen, tiefbraunen Augen ihrer Mutter. Hinter ihnen stand eine [[Garetien:Waad|junge Frau]] mit leicht dunklerer Haut, grünen Augen und rotblondem Haar. Gerade eben hatten ihre beiden Hände auf den Schultern der Knaben geruht, nun ließ sie sie herab gleiten und wollte sich gerade ins Innere des Hauses zurückziehen, da trat der Hausherr mit festen Schritten entschieden auf die beiden Knaben zu und fixierte sie mit seinen harten kalten blauen Augen.
 
»Was steht ihr noch hier rum?«, blaffte er sie an, »Sorgt dafür, dass meine Männer etwas Vernünftiges zu Essen und Trinken bekommen, so lange Efferd uns zürnt.«
 
Ungläubig blickten die beiden noch immer dicht aneinander gedrängten Knaben, der eine mehr als einen Kopf kleiner als der andere, zu dem Fremden auf. »Rondra«, wisperte der [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Jüngere]]. Die linke Augenbraue des Ritters zuckte steil nach oben, seine Hand schnellte nach hinten und dann nach vorne auf die Wange des Knaben. Der schrie entsetzt auf, drückte sich in die Arme seines großen Bruders. Tränen schossen ihm in die Augen und Blut tropfte aus seiner Nase.
 
»Erhebe noch ein einziges Mal das Wort gegen deinen Vater und du liegst da draußen neben deiner ... «, drohte er mit erhobener Hand. Jene Hand, mit der er den Knaben eben gerade geschlagen hatte. »... Mutter.«
 
»Ja, Hoher Herr«, erwiderte der [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Ältere]], während er noch immer seinen heftig, schluchzenden Bruder in seinen Armen hielt, »Geht doch schon einmal hinein. Wir werden Euch sogleich bewirten.«
 
Wieder lag der harte und kalte Blick des Mannes auf den beiden Knaben. Und ohne seine Söhne eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Ritter zu Esenfeld an ihnen vorbei und auf die rotblonde Frau zu, die furchterfüllt immer weiter und weiter zurückwich. Ihm folgten seine Männer.
 
»Ich werde dich beschützen, Moribert«, wisperte der größere Knabe, dem noch immer weinenden kleineren zu als die Männer außer Hörweite waren, »Bleib einfach immer hinter mir, dann kann er dir nichts tun.« Er fuhr seinem Bruder über das kurze, schwarze Haar. Die beiden trennten sich. Moribert tropfte noch immer Blut aus der Nase. Der Regen wusch es fort. »Gishelm«, wimmerte der jedoch nur erstickt, »Ist das wirklich unser Vater?« Sein Blick glitt zu der noch immer reglos im Regen liegenden Frau. Ihrer [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Mutter]]. Ihre Augen waren noch immer geöffnet. Hatten die beiden Knaben fixiert. Ihre Lippen bewegten sich tonlos. Gishelm senkte den Blick.
 
=== Bastard ===
ZSF03a: Ein Bastard verdirbt dem Ritter zu Esenfeld die Laune.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
[[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ardo von Schwarztannen]] war gerade dabei den Wehrhof wieder in Besitz zu nehmen, da fiel sein Blick auf eine junge Frau. Eine [[Garetien:Waad|junge Frau]], die er noch nie zuvor hier gesehen hatte. Eine sehr hübsche junge Frau mit rotblondem Haar und tiefgrünen Augen und dem verheißungsvollen Hauch von Andersartigkeit. Der Ritter war nicht nur für seine Begierde bekannt, sondern auch dafür, sich zu nehmen, was er glaubte, was ihm zustünde.
 
Mit seinen kalten, blauen Augen fixierte er sie. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Sie schluckte schwer und stellte mit zitternden Händen den großen Bierkrug direkt neben ihm ab. Gerade als sie sich zurückziehen wollte, schnellte seine Hand nach vorne und packte sie am Handgelenk. Ein Schrei entrann ihrer Kehle, ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, ihr Atem ging schnell. Sie versuchte ihm ihr Handgelenk zu entwinden, aber er hielt sie nur noch fester. Immer fester.
 
»Schenk mir ein«, befahl er mit kalter Stimme und ließ abrupt ihre Hand los. Sie taumelte nach hinten. Umfasste instinktiv mit der unversehrten Hand ihr schmerzendes Gelenk und begann heftig zu schluchzen. »Schenk mir ein«, wiederholte er mit schneidender Stimme, »SOFORT!«
 
Das Schluchzen verstummte abrupt. Mit gebeugten Haupt trat sie erneut zu ihm heran, nahm mit der unversehrten Hand den Krug und goss zitternd und wimmernd Bier in seinen Becher ein. Und gerade als sie den Krug absetzte, da umfasste er seinen Becher, wandte sich zu ihr um und schüttete ihr den Inhalt ins Gesicht, wobei er mit trockener Stimme sage: »Du hast Bier verschüttet.«
 
Sie schrie auf und zuckte zusammen, taumelte dabei einige Schritte zurück. Inzwischen zitterte sie am ganzen Körper.
 
»Du hast Bier verschüttet«, wiederholte er erneut, »Dein ganzes Kleid ist voll davon.« Seine Gefolgsmänner verstummten. »So etwas dulde ich an meiner Tafel nicht.« Da rappelte sie sich mühsam auf. Den Kopf hielt sie noch immer gesenkt. Das Bier tropfte an ihr herab. Alle Blicke lagen auf ihr. Sie ging rückwärts Richtung Tür. Nur noch wenige Schritte. Bald würde sie diesem Scheusal entkommen sein. Doch dann richtete er erneut das Wort an sie:  »Zieh es aus!«
 
Die Rotblonde versuchte zu entkommen, doch die beiden Getreuen des Ritters unweit der Tür, packten sie einfach. Mit roher Gewalt zerrten sie die Frau zu ihrem Herren. Sie wehrte sich, schlug und trat um sich, doch die Männer waren einfach stärker und nachdem sie sie bei ihrem rotblondem Schopf gepackt hatten, ließ ihre Gegenwehr nach. Vor dem Herrn zu Esenfeld wurde sie bäuchlings zu Boden geworfen.
 
»Es gibt zwei Möglichkeiten«, meinte der Hausherr, erhob sich und trat auf die am Boden liegende zu. Ihr tränennasses Gesicht wandte sie von ihm ab. Sie wusste, was ihr drohte. Und auf Milde zu hoffen, war vergeblich. Ebenso auf Hilfe. »Entweder du tust es selbst oder...«, damit ließ er seinen Blick demonstrativ über seine Begleiter gehen, »... sie werden es tun.« Er hielt einen Moment inne. Und beugte sich zu ihr hinab. »Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen«, raunte er ihr zu, »Damit werden sie nicht aufhören.« Sie wimmerte. »Nun? Wie entscheidest du dich?«
 
Wimmernd und zitternd und bibbernd erhob sie sich. Ihr Gesicht von Tränen bedeckt. Und langsam, unter erstickten Schluchzen begann sie ihre Kleidung abzulegen. Und er begutachtete sie eindringlich. Musterte jedes Stück ihres Körpers, bis sein Blick an dem Brandmal an ihrer linken Brust hängen blieb. Eine Hand mit fünf abgespreizten Fingern – das Wappen der Familie Schwarztannen.
 
»Verschwinde!«, angewidert wandte er sich ab, »Verkommener Bastard.«
 
=== Brüder ===
ZSF03b: Der Vater hasst die Mutter der Knaben, doch das war nicht immer so.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
Der [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Herr zu Esenfeld]] blieb über Nacht, denn der Zorn Efferds – viele eher Rondras, wenn man dem leisen Wispern der Bediensteten hinter vorgehaltener Hand glaubte – verzog sich nicht so schnell. Lange grollte es bedrohlich. Der Himmel in ein giftiges dunkles Grün getaucht. Und Blitz um Blitz zuckte herab. Einer setzte sogar die große, mächtige Eiche im Innenhof Esenfels in Brand. Erst da erlaubte der Herr, die [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Hausherrin]] endlich fortzuschaffen und das auch nur, weil sie im Weg lag, nicht etwa aus ... Mitleid, wie er wiederholt betonte.
 
Und erst als die Herrschaft schlief, hatte die rotblonde Zofe der Hausherrin es gewagt, nach einem Diener der Herrin Peraine aus Salzungen zu schicken. Indes saß die [[Garetien:Waad|Zofe]] der Verletzten an deren Bett, hielt ihre reglose und kalte Hand in der eigenen und musterte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht. [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Moribert]] krabbelte der Frau mit dem rotblondem Haar und den grünen Augen auf den Schoß und schmiegte sich dicht an sie. Den noch freien Arm legte sie um den Knaben und hauchte ihm anschließend einen Kuss aufs Haar. Gishelm indes trat neben sie an das Bett seiner Mutter.
 
»Ist das wirklich unser Vater?«, hob [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Gishelm]] hoffnungsvoll an, »Sag, dass er es nicht ist, Waad. Sag es! Bitte!«
 
Sie schluckte schwer und schüttelte traurig ihren Kopf. »Er ist euer Vater.« Ihr Stimme war ganz warm und weich. Gänsehaut jagte Gishelm Rücken hinab. »Ardo von Schwarztannen-Scharfenstein ist euer Vater. Und du, Gishelm , bist sein Erbe.«
 
»Ich will nicht, dass er mein Vater ist!«, entfuhr es dem Knaben da, »Ich will nicht sein Sohn sein. Erst recht nicht sein ...« Ihm fröstelte. »Erbe.«
 
Verständnisvoll nickte Waad.
 
»Kann nicht jemand anders unser Vater ein?«
 
»Nein«, erneut schüttelte sie den Kopf, »Das geht nicht. Ihr seid seine Kinder. Es gibt keine Zweifel. Ihr seid sein Fleisch und Blut. Und das ist es, was zählt.«
 
Einige Tränen liefen dem Knaben über das Gesicht und trotzig erwiderte er: »Ich will das aber nicht. Ich will nicht, dass dieser Mann mein Vater ist. Ich will das nicht.«
 
»Ich weiß, Gishelm, und ich verstehe dich. Sehr gut sogar.«
 
Seit der Geburt der Knaben des jüngeren der beiden Knaben war Waad immerzu um Algerte gewesen. Abends hatte sie mitgeholfen, die Knaben in den Schlaf zu wiegen, ihnen tulamidische Schlaflieder vorgesungen, Geschichten aus ihrer Heimat erzählt, war bei ihren ersten Schritten, ja bei ihren ersten Worten dabei gewesen. Sie hatte gemeinsam mit ihnen Esenfeld entdeckt. War in Bäume geklettert und hatten im Mühlbach geplantscht und im Wald getobt. Und wenn die Beine der Kinder zu schwer waren von den vielen Abenteuern, dann hatten sie sie nach Hause getragen. Abwechselnd natürlich. Sie war immerzu für die Knaben da gewesen. Immer. Jederzeit. Ja, sie war weitaus mehr als eine Zofe. Sie war eine Vertraute. Für die Hausherrin und ihre Kinder.
 
»Hasst er uns?«, riss Gishelm die Rotblonde aus ihren Gedanken. Unruhig verlagerte der Knabe das Gewicht von einem auf das andere Bein. Einen Moment blickte sie auf den Knaben in ihren Armen. Der ruhige und regelmäßige Atem verriet, dass er eingeschlafen war. »Hasst er uns?«, wiederholte der ältere der Knaben.
 
»Nein«, versicherte sie sanftmütig, »Nein, er hasst euch nicht. Nicht seine Söhne. Seine Erben. Nein, gewiss nicht. Ich denke sogar...« Sie hielt einen Moment inne. Wirkte angespannt.
»... dass er euch liebt. Auf seine... hm... eigene Art.« Waad zog ihre Augenbrauen nach oben. »Sicherlich. Er liebt euch. Da bin ich sicher.«


= [[Traumklinge — Briefspielreihe|Traumklinge]] =
Doch Gishelm beruhigte das nicht: »Hasst er ... hasst er Mutter?«
== [[Geschichten:Die Schlacht im Tal der Kaiser - Traumklinge|Traumklinge]] ==


Manchmal, ja manchmal da war es nur ein kleiner Schritt, der das Richtige vom Falschen, das Gute vom Bösen oder das Licht vom Schatten trennte. Und manchmal, ja manchmal befand man sich irgendwo dazwischen und jeder noch so kleine Schritt konnte der eine bedeutsame sein, der der über Gedeih oder Verderben entschied. Nur ein Schritt. Ein winziger, kleiner Schritt.<br/>
Waad konnte nicht anders, sie konnte nur nicken. Und dann, nach einem erschreckend langen Augenblick, in dem sie schwieg und die Hausherrin ernst betrachtete, hauchte sie so leise, dass es gerade so zu verstehen war: »Es war nicht immer so, Gishelm. Er war nicht immer so. Sie waren einander sehr zugetan. Ungleich, doch irgendwie glücklich. Doch dann ist Algerte etwas Schreckliches passiert. Etwas Entsetzliches.«
Doch was, wenn man nicht sicher war, in welche Richtung man gehen sollte, weil jede Richtung gleich aussah, weil alles genauso Richtig war wie Falsch, genauso Gut wie Böse, genauso Hell wie Dunkel. Ja, was dann? Was tun? Wohin gehen, wenn man nicht ausharren konnte sondern weiter musste?


Wie oft hatte ihre Herrin sich ihr offenbart, ihr immer wieder gezeigt, was sie von ihr erwartete, oftmals kryptisch und verschlungen, aber sie hatte es getan. Und nun? Nun da sie dringend ihre Herrin an ihrer Seite brauchte, so dringend, da schwieg sie sich aus und ganz gleich wie sehr sie sich mühte von ihr gehört zu werden, sie hörte oder viel mehr antwortete ihr nicht. So lange sie sich erinnern konnte, war sie immer da gewesen und nun? Nun war alles anders. Seit jenem Tag im [[Garetien:Tempel zu Ehren der Heiligen Thalionmel zu Schwarztannen|Tempel]] in [[Garetien:Stadt Schwarztannen|Schwarztannen]] hatte sie keine Vision mehr erhalten, nicht einmal geträumt hatte sie. Was war nur los? Lag es an ihr? Hatte sie es sich zu einfach gemacht? Ihre Herrin hatte doch gewollt, dass sie sich zum [[Garetien:Großfürstliches Fuchsrudel|Fuchsrudel]] aufmachte oder vielleicht doch nicht? Inzwischen war sie sich nicht mehr sicher. Inzwischen zweifelte sie. War das alles hier Strafe oder Prüfung? Oder beides zugleich? Wie konnte sie das wissen?
Gänsehaut erfasste den gesamten Körper des Knaben. So hatte er Waad noch nie sprechen hören. So voller Grauen. Und weil sie nicht mehr sagte, wusste der Knabe, dass es etwas wirklich Schreckliches gewesen sein muss.


Hinzu kam die Sehnsucht nach ihrem Zuhause. Die Sehnsucht nach ihrem [[Garetien:Lleu ui Rian|Oheim]], ihrer [[Garetien:Eilein ni Rian|Schwester]], nach der widerspenstigen [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondriga]]. Bei den Göttern, wie sehr sie dieses Mädchen vermisst! So sehr... Sie hatte nicht oft den Tempel verlassen. Sie war keine Geweihte, die umherreist um an Turnieren teilzunehmen oder gar in Schlachten zu ziehen. Warum eigentlich nicht? War sie feige? Sie war eben nicht so, sie diente ihrer Herrin auf anderen Wegen, verschlungene Wege. Viele verstanden das nicht. Viele verurteilten sie. Doch ihre Herrin hatte nie mehr von ihr verlangt oder eher hatte sie immer genauso das von ihr verlangt. Ihr Dienst für sie war eben ein anderer. Und ihr hatte es immer genügt, dass ihre Herrin zufrieden mit ihr war. Bisher schien sie das immer gewesen zu sein, doch nun? Wollte sie nun etwas anderes? Eben weil sie schwieg?
=== Geweihte ===
ZSF04: Eine Geweihte der Peraine kommt (unerwartet) nach Esenfeld.


Was war eine träumende Löwin noch, wenn ihre Träume verstummten? Was nutzte ihre Traumklinge, wenn diese nicht mehr zu führen war? Was war eine Geweihte noch wert, wenn ihre Herrin sich ihr nicht mehr offenbarte? War sie dann überhaupt noch eine? Und wenn nicht, was war sie denn dann?
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF


Doch [[Garetien:Elerea ni Rian|Elerea ni Rían]] entschied  genau das zu tun, was man von einer Geweihten der [[Rondra-Kirche|Sturmherrin]] erwartete, ganz gleich wie es in ihrem Inneren aussah und ganz gleich ob ihre Herrin auch weiterhin schwieg.
Wenig nach dem Morgengrauen traf eine [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihte der Herrin Peraine]] aus Salzungen ein. Zwar missfiel ihr Erscheinen dem Hausherren zutiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies. Und so tat er das, was von ihm erwartet wurde.


So zog sie aufrecht, mutig und stark in die Schlacht. So wie es Rondra-Geweihte taten. Und es fühlte sich gut an. Es fühlte sich richtig an. Plötzlich war sie sich sicher, dass ihre Herrin genau das gewollt hatte. Gewiss würde sie mit ihr sein. Mit ihr und all den anderen. Was auch immer kommen mochte, sie würde sicher an ihrer Seite sein. An ihrer und an der aller anderen. Und so kam ihr das „Für Rondra!“ über die Lippen als wäre sie schon ihr ganzes Leben in Schlachten gezogen...
»Peraine mit Euch, Euer Hochwürden« grüßte er sie demütig und beugte ganz leicht sein Haupt. Mit einer einladenden Geste bat er sie in das Gebäude hinein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.«


== [[Geschichten:Traumklinge - Gefangen|Gefangen]] ==
Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.«
'''[[Garetien:Tempel zu Ehren der Heiligen Thalionmel zu Schwarztannen|Tempel zu Ehren der Heiligen Thalionmel]], Efferd 1045 BF'''


„Sie haben [[Garetien:Elerea ni Rian|Elerea]]“, aufrichtige Besorgnis schwang in der Stimme des Geweihten mit, „Sie wurde gefangen genommen.“ Er hielt kurz inne. Aufmerksam musterte er die Anwesenden: die Mutter Elereas [[Garetien:Jandra von Schack|Jandra von Schack]], Elereas ältere Bruder [[Garetien:Fael ui Rian|Fael ui Rían]], ihre ältere Schwester [[Garetien:Eilein ni Rian|Eilein ni Rían]] und die Novizin [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondriga von Schack]]. „Sie wurde von den Königlichen bei der Schlacht im [[Garetien:Tal der Kaiser|Tal der Kaiser]] gefangen genommen.
Ardo von Schwarztannen blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.


Einen Augenblick war es still. Unfassbar still. Keiner von ihnen, nicht einmal der Prätor selbst, wagte zu atmen. Doch dann...
»Seid doch so gut«, ergriff die Geweihte nun wieder das Wort, »und bringt mich zu Eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«


„Sie hat...“, hob Eilein fassungslos an.
Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm wissen: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«


„... an einer Schlacht teilgenommen?“, endete Fael.
»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden.«


„Und das ohne mich?“, empörte sich die Novizin voller Inbrunst.
»Hm«, machte die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer und schaute betrübt drein. »Armes Kind.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie Eure beiden Söhne an ihrer Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem, da...« Sie verstummte.


Jandra von Schack wirkte noch blasser als zuvor. Irgendwie hatte sie geahnt, nein befürchtet, dass etwas Schlimmes geschehen war. Mütter spürten so etwas eben. „Aber...“, hob sie mit brüchiger Stimme an, „... sie lebt?“
Der Hausherr schwieg.


„Sie lebt“, bestätigte [[Garetien:Lleu ui Rian|Lleu ui Rían]] und fügte beschwichtigend hinzu: „Es geht ihr den Umständen entsprechend gut.
»Vermutlich werdet Ihr nicht lange bleiben, Hochgeboren?«, fuhr sie fort.


„Das ist gut“, meinte die Mutter sichtlich zerstreut, „Ja, das ist gut. Und... und... und jetzt?“
»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr, »Ich bin nur gekommen, um meine Söhne zu holen.«


„Moment“, meldete sich Eilein da zu Wort, „Was heißt, die Königlichen haben sie gefangen genommen?“
Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihren Blick.


„Na, dass sie sich auf die Seite des [[Garetien:Großfürstliches Fuchsrudel|Fuchsrudels]] gestellt hat“, erwiderte Fael energisch, „Oder wie würdest du das interpretieren?“
»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf Burg Scharfenstein.«


„Deswegen habe ich doch gefragt!“
»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«


„So etwas musste ja früher oder später passieren“, schimpfte nun der älteste der Geschwister, „Ihr Rían-Weiber seid allesamt nicht ganz dicht!“
»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.«


„Sag das noch einmal“, drohte die Rían zornig, „Und du hast meinem Schwertknauf in deinem ohnehin schon hässlichen Gesicht.“ Im Ringen mit dem Schwert machte ihr so leicht niemand etwas vor, schon gar nicht ihr Bruder. Doch dieser zischte nur: „Wage es, ''Fledermaus'', und ich werde dir deine Flügel st...“
»Auch Moribert? Er scheint mir noch recht jung.«


„Ruhe jetzt!“, polterte der Geweihte mit lauter und durchdringender Stimme, da verstummten die beiden augenblicklich und wandte sich sichtlich verstimmt ihrem Oheim zu, „Eure Mutter hat etwas gefragt und...“
»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigem Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Ich muss tun, was mein Herr von mir verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden.« Damit wollte er sich verabschiedete, wandte sich jedoch noch einmal um: »Sag, wer genau hat denn nach Euch geschickt?« Ein grausames Lächeln legte sich über seine Lippen. Sie zog die Augenbrauen belehrend nach oben und entgegnete lediglich: »Meine Herrin.«


Die Angesprochene räusperte sich: „Warum hat sie das getan? Warum hat sie sich auf die Seite des Fuchsrudels gestellt?“
=== Gefehlte ===
ZF05: Die Geweihte der Herrin Peraine sieht einen Ausweg.


„Ich weiß es nicht“, antwortete er aufrichtig, „Sie hat mit mir nicht darüber gesprochen. Hat sie etwas zu dir gesagt, Rondriga?“
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF


„Nein, hat sie nicht“, noch immer wirkte das Mädchen gekränkt, „Doch ist das Fuchsrudel nicht der Inbegriff der Ritterlichkeit? Wo sollte sich eine Geweihte der Herrin Rondra also sonst hinwenden, wenn nicht an sie? Und hätte sie es mir gesagt, dann wäre ich ganz sicher nicht mehr hier...
»Was ist genau vorgefallen?«, wollte die Geweihte von der rotblonde Zofe wissen, als sie am Bett der Verletzten stand und auf den blutigen Verband um deren Kopf blickte.


„Rondriga“, die Stimme des Prätors bebte, „Du kannst hier nicht tun und lassen, worauf du gerade Lust hast. Das hier ist ein Tempel.“ Er wurde zunehmend lauter. „Und du bist hier Novizin! Du hast zu tun, was ich dir auftrage und sonst nichts.
Die junge Frau schauten betreten drein und blickten zu Boden. Kein Wort verließ ihre zitternden Lippen. Sie wusste, dass ein jedes Wort ihr das Leben nur noch schwerer machte. Der Hausherr, nachdem er ihre wahre Herkunft erfahren hatte, war sicher nicht gut auf sie zu sprechen. Bisher hatte sie jede Begegnung mit ihm vermeiden können. Dafür hatte ihre Herrin gesorgt. Und sie war froh darüber gewesen, aber nun? Nun würde sie seinen Demütigungen und Grausamkeiten schutzlos ausgeliefert sein. Sie hatte genug Geschichten gehört. Waad wusste sehr gut, zu was er fähig war, selbst wenn nur ein Bruchteil der Gerüchte stimmte. Jede noch so kleine Verfehlung würde der Hausherr hart bestrafen. Und jede ihrer Verfehlungen war auch eine Verfehlung der Hausherrin, seiner Frau.


„Ich wäre ihr trotzdem gefolgt...“, meinte das Mädchen da nur störrisch.
Die Geweihte seufzte.  


„Und ich hätte dich daraufhin zu deiner Familie zurückgeschickt!“
»War er es?«, wollte sie nach Abreise des Hausherren mit strengem Blick wissen, »Hat er sie so zugerichtet? Mal wieder?«


Nun schluckte Rondriga und biss sich auf die Lippen. Das letzte was sie wollte war zu ihrer Familie zurückgeschickt zu werden, nicht etwa, weil sie ihre Familie nicht mochte, sondern weil es das Ende ihres Noviziates bedeutete und da sie eine glühende Verfechterin ihrer Göttin war wollte sie das auf keinen Fall. Auf gar keinen Fall.
Die Zofe schauten auf die Füße der Geweihten. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen.


„Sie hat nichts gesagt?, hakte Jandra nach.
»Bei Peraine!«, seufzte sie. »Schon gut«, sie winkte ab, »Ich habe schon verstanden. Es ist ja nicht so, als wäre ich das erste Mal hier.« Nachdenklich begann sie ihre Schläfe zu massieren. »Warum nur, Algerte? Warum nur?« Sie prüfte ihre Atmung. Ihre Reflexe. Zog die Augenlider nach oben. Da begann sie mit gekonnten Fingergriffen den Verband um den Kopf der Hausherrin zu lösen, die Wunde in Augenschein zu nehmen, sie zu säubern, zu nähen und neu zu verbinden. So kümmerte sie sich um alle Wunden. Die Zofe ging ihr dabei zur Hand. »War sie die ganze Zeit über bewusstlos?«


„Nur das sie fort müsse. Unsere [[Rondra-Kirche|Herrin]] wolle, dass sie ausziehe. Es war nicht das erste Mal, dass sie das zu mir gesagt hat. Nie hatte ich zweifel an ihren Worten. Auch heute habe ich keine. Ich habe damals deswegen nicht gefragt, wohin genau. Nun denke ich, ich hätte es getan...“, er seufzte schwer, „Zwar hat sie mir zwischendurch geschrieben, dass sie beim Fuchsrudel sei, damit ich mir keine Sorgen mache, aber es fiel kein Wort darüber, dass sie auch dort bleiben wolle und selbst wenn ich das gewusst hätte, erwartet hatte ich keineswegs, dass sie sich dann auch noch für sie in eine Schlacht stürzt. Das passt irgendwie so gar nicht zu ihr...“
Waad nickte stumm.


Die Novizin konnte da nur nicken, obgleich ihr kein Wort über die Lippen kam.
»Das ist vielleicht kein gutes Zeichen«, erklärte sie. Die Rotblonde blickten zu ihr. Die Geweihte wusch sich die Hände. Trocknete sie an einem Tuch. »Wir werden abwarten müssen. Ich werde bleiben. Den Beistand der Herrin Peraine erbitten. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich .... « Sie schluckte. »Ich habe Angst, dass...«


„Was wird jetzt mit ihr geschehen?, fragte die besorgte Mutter weiter.
»Was solle ich denn tun, Peralina?«, wandte sich Waad sichtlich verzweifelt an die Geweihte.


„Sie wird vor Gericht gestellt“, er brachte die Worte nur mühsam über die Lippen. Es ging hier um nicht irgendjemanden, es ging hier um seine Nicht, die er noch dazu durch ihr gesamtes Noviziat begleitet hatte. „Es sieht nicht gut aus.“ Er senkte seinen Blick. Er konnte Jandra von Schack nicht ins Gesicht sehen. „Ich gehe davon aus, dass auch sie wegen Hochverrates angeklagt werden wird.
»Du?«, sie schüttelte den Kopf, »Du tust alles, was in deiner Macht steht. Dies jedoch...« Sie deutet mit einer Geste um sich herum. »... steht nicht in deiner Macht.« Energisch nickte sie. »Es ist an der Zeit, dass sie endlich Schutz bei den Zwölfen sucht.« Mit ernster Miene betrachtete sie die Zofe. »Unter ihrem Schutz wird er es nicht wagen, Hand an sie zu legen, ganz gleich, wie viel Schuld sie zuvor auf sich geladen hat. Die Götter werden schützend ihre Hand über sie halten. In jedem Kloster, in jedem ihrer Tempel wäre sie sicher.«


„Auch“, hauchte die Schack da erstickte und augenblicklich begannen stumme Tränen über ihre Wangen zu rinnen. Fael und Eilein wirkten nun genauso blass wie ihre Mutter. Sie tauschten vielsagende Blicke aus. „Wo?“, wollte die Mutter tonlos wissen.
»Eingesperrt wäre sie«, meldete sich Waad zu Wort, »Könnte diesen Ort nie wieder verlassen, ohne seinen Zorn zu spüren zu bekommen. Und das schlimmer als jemals zuvor. Nie wieder ihre Söhne sehen.«


„Am [[Garetien:Königlich Garetisches Hoch- und Krongericht|Reichs- und Krongericht]] zu [[Garetien:Stadt Meilersgrund|Meilersgrund]].
»Leben muss bewahrt werden. Um jeden Preis. So lehrt es meine Herrin. Und genau das gilt auch für Algerte.« Sie hielt einen Moment inne. »Ihr Tod nutzt nur einem.«


„Aber...“, meldete sich Rondriga zu Wort, „... ist das nicht ein weltliches Gericht? Sie ist doch Geweihte! Da gehört sie doch gewiss vor ein kirchliches Gericht?“
Die junge Frau nickten betrübt.
„Nicht wenn man ihr Vergehen...“, er räusperte sich, „... ihre Tat... als weltliche betrachtet.“


„Und wer entscheidet darüber?, wollte ihre Zwillingsschwester wissen, „Wer entscheidet, ob es eine weltliche Tat ist oder nicht? Und welche Umstände führe zu diesem Urteil?“
»Aber welcher Tempel würde ihr Schutz gewähren?«, warf Waad ein, »Ganz Schwarztannen weiß was damals geschehen ist. Die Menschen haben sich die Mäuler über sie zerrissen. Noch heute...« Ihre zitternde Stimme brach.
Nun zuckte der Geweihte mit den Schultern: „Das kann ich nicht sagen. Vielleicht die [[Praios-Kirche|Praios-Kirche]]? Ich hatte so einen Fall noch nie. Ich weiß es nicht...


„Das bedeutet, sie können sie einfach so am Hoch- und Krongericht des Königreichs verurteilen?“, mischte sich Fael ein, „Einfach so?“
Peralina zuckte mit den Schultern: »Bis heute kann ich nicht sagen, wem ich wirklich glauben schenken kann.« Sie leckte über ihre Lippen. »Das Urteil war jedoch eindeutig.« Nun nickte sie. »Es gibt nur eine Kirche, die hier in der Baronie einen Tempel ihr eigen nennt und wenig auf die Ereignisse auf Dere gibt. Nur eine.«


„Nein, einfach so nicht“, nun schüttelte er den Kopf, „Es muss ein höherrangiger Geweihter unserer Kirche anwesend sein. Das war es dann aber auch schon.“
== Weißer Rabe ==


„Das ist doch lächerlich“, schimpfte Eilein ni Rían, „Absolut lächerlich.
=== Dunkelheit ===
ZFS: Langsam kommt Algerte wieder zu Bewusstsein, doch noch umfängt sie Dunkelheit.


„Mag sein“, erwiderte Lleu, „Mag sein. Doch es ist eben so.“
[[Garetien:Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle|Tempel des Weißen Raben]] zu Hexenmühle, Rahja 904 BF


„Aber wenn unsere Herrin doch genau das von ihr verlangt hat?“, verwandte sich die Novizin für die Geweihte, „Wie kann man sie dafür verurteilen?“
Als [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|sie]] erwachte war es still um sie herum. Still und dunkel. Die Luft war von Weihrauch erfüllt. Sie versuchte sich zu orientieren. Zu begreifen wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Es war zu dunkel. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren so unendlich schwer. So versuchte sie ihren Kopf zu heben, doch auch das schaffte sie nicht. Schmerzerfüllt sank sie zurück in das weiche Kissen und atmete angestrengt ein und aus. Ihr Kopf schmerzte. Sie biss die Zähne zusammen. Und erst da bemerkte sie: Sie war nicht allein.


„Ich nehme an, dass sie genau das aussagen wird“, glaubte der Geweihte, wobei er vermied auf den zweiten Teil von Rondrigas Frage einzugehen, „Weiter erwarte ich, dass sie deswegen darauf bestehen wird, dass es sich um eine kirchliche Angelegenheit handelt und sich folglich auch ein kirchliches Gericht ihres Prozesses annimmt. Wie erfolgreich dieses Vorgehen sein wird, kann ich nicht absehen. Wenn man es genau betrachtet, ändert das jedoch nichts. Wird sie schuldig gesprochen, ganz gleich vor welchem Gericht, dann erwartet sie stets die gleiche Strafe. Was auf Hochverrat steht, dass wissen wir alle...
Sie lag in einem Bett, das begriff sie jetzt. Und an ihrem Bett, da saß jemand. Auf der Bettkante saß jemand. Eine Gestalt. Dunkel zeichneten sich ihre Umrisse gegen die sie umgebende Finsternis ab. Ein Schatten. Mehr nicht. Ohne Gesicht. Bestehend aus Dunkelheit. Aus Finsternis. Doch sie hatte keine Angst. Keine Furcht.


„Man wird an ihr und all den anderen ein Exempel statuieren“, befürchtete Eilein.
Der Schatten beugte sich über sie. Eine Hand oder vielleicht doch eher ein Flügel streifte über ihre Stirn. Ganz weich und anschmiegsam. Da wurden ihre Lieder so schwer, dass sie einfach zufielen. Der Schmerz wich zurück. Und ihr Bewusstsein auch.


„Vermutlich“, stimmte der Geweihte nickend zu.
»Dem Raben gebührt, was des Raben ist«, raunte eine leise, leicht krächzende Stimme, »Und noch bist du noch nicht ganz sein.«


„Man könnte sie also hängen, wie einen...“, Fael stockte, „... elenden Dieb?“
=== Vergessen ===
ZFS: Der Herr des Vergessens hat Algerte ein ganz besonderes Geschenkt gemacht.


Und während Jandra von Schack entsetzt aufschluchzte, nickte der Geweihte mit ernster Miene: „Könnte man. Mit dem [[Garetien:Dartan Serpolet|Nandus-Geweihten]] haben sie das 1037 BF genauso gemacht...“
[[Garetien:Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle|Tempel des Weißen Raben]] zu Hexenmühle, Rahja 904 BF


== [[Geschichten:Traumklinge - Kompromisslos|Kompromisslos]] ==
Immer wieder erwachte sie. Und immer wieder sank sie in die Bewusstlosigkeit zurück. Aber mehr und mehr nahm sie die Welt um sich herum wahr. Geweihte des Schweigsamen kamen, wuschen ihren kraftlosen Körper, wechselten die Verbände, flößten ihr Brühe ein. Sie sprachen kaum, beantworteten ihre Fragen nur spärlich, beteten aber für sie und mit ihr, meist schweigend. Und so seltsam sie das auch zu Beginn fand, so erfüllten sie die Gebete mehr und mehr.
'''[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]], Efferd 1045 BF'''


„[[Garetien:Lleu ui Rian|Lleu]]“, [[Garetien:Jandra von Schack|Jandra von Schack]] fiel dem Geweihten augenblicklich in die Arme.
Irgendwann jedoch kam eine Geweihte der Herrin Peraine. Eine ältere Frau mit grauem Haar. Ein leichter Geruch nach Knoblauch lag in der Luft. Vermischte sich mit dem Weihrauch. Die Geweihte setzte sich an ihr Bett, nahm ihre Hand und blickte sie lange an.


„Ich wollte noch einmal nach Dir sehen“, fühlte sich der Geweihte verpflichtet zu erklären, „Das nimmt Dich alles doch sehr mit. Verständlicherweise.
»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch am Leben bist«, eine einzelne Träne rollte der Geweihten die Wange hinab. Sie wischte sie nicht fort. Sie tropfte auf ihre Robe und hinterließ einen kleinen nassen Fleck. »Nie zuvor habe ich jemanden gesehen, der so etwas überlebt hat! Nie hätte ich gedacht, dass du das überlebst. Nie! Vermutlich ist es einzig und allein der guten Pflege von...«


„Ja“, meinte sie da, wischte sich die Tränen aus den geröteten Augen und bot ihrem Gegenüber mit einer Geste einen Platz an: „Leistest Du mir noch ein wenig Gesellschaft?“
»Wo bin ich?«, hob die Verwundete an.


Er zögerte: „Ich hatte nicht vor lange zu bleiben. [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondriga]] wartet im Tempel. Sie ist ganz... durcheinander.“
»Im Schoß des Ewigen«, erklärte die Geweihte und blickte gütig auf die Frau hinab. In ihren alten Augen lag Wärme und Zuversicht. »In einem seiner Tempel.«


„Bitte“, die Schack bedachte ihn mit einem flehenden Blick und versicherte sogleich: „Es muss auch nicht für lange sein...
»Boron«, langsam nickte sie, »Was ... was ist passiert?«


Da setzte er sich und ließ sich von ihr einen Becher Wein reichen.
»Du warst dem Tod sehr nahe«, erklärte die Geweihte, »Sehr nahe. Aber Golgari, so sagten uns seine Diener, fand deine Zeit noch nicht gekommen. Und so kämpften wir um dein Leben. Und sie halfen dabei.«


„Es ist lange her, dass wir so beieinander saßen“, stellte sie nickend fest, „Sehr lange.
»Hm«, machte die Verletzte nachdenklich und versuchte sich aufzusetzen. Die Geweihte half ihr. Schob ihr ein Kissen in den Rücken. Und setzte sich dann wieder. »Und was ... was ist passiert?«


„Ja“, er rang sich ein Lächeln ab, „Dreißig Götterläufe würde ich vermuten.
»Ein Unglück«, erklärte sie schlicht und so als würde das einfach alles erklären und irgendwie tat es das auch.


„Einunddreißig“, korrigierte sie.
»Dann bin ich wohl beim Klettern gestürzt«, schloss sie, »Sollte wohl besser aufpassen.« Sie nickte. »Warum nicht ein Tempel des Herrn Phex? Warum ... Boron?«


„Jandra, wir wollten doch darüber nicht mehr sprechen..., erinnerte er sie an die damals getroffene Abmachung.
Verwundert blickte die Geweihte sie da nun an: »Ich ... ich glaube, ich verstehe nicht.«


„Ich fürchte, das müssen wir“, sie blickte ihn mit ihren verweinten Augen an.
»Es ist mein Zweitname. Mein Vater gab ihn mir, weil ich im Phex und dann auch noch am Tag des Glücks geboren wurde. Meine Mutter hielt das erst für einen Scherz.« Sie lachte kurz auf, wobei sie schmerzerfüllt das Gesicht verzerrte. »Wie ... wie geht es ihr?«


Er seufzte schwer: „Es war eine einmalige Angelegenheit...
»Das... das... ist mir nicht bekannt«, erwiderte die Geweihte kopfschüttelnd, »Aber warum Phex?«


„Ein Fehler“, seufzte sie gekränkt, „Das hast Du damals gesagt.
»Weil ich dort im Noviziat bin.«


„Weil es so war. Weil so etwas nicht passieren darf. Nicht mit der Frau des eigenen [[Garetien:Sionnach ui Rian|Bruders]].
Die Peraine-Geweihte riss ungläubig die Augen auf. »Noviziat?«, entfuhr es ihr wenig darauf und gerade in jenem Moment, dass gesprochen hatte, setzte eine Art Erkenntnis ein. »Kennst du ... deinen Namen?«


„Aber es ist doch nun mal passiert...“
Die Versehrte lachte: »Algerte Phexlieb von Waldfang. Und wer seid Ihr?«


Lleu seufzte schwer und erhob sich zum Abschied: „Ich werde morgen wieder kommen. Jandra ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um [[Garetien:Elerea ni Rian|Elerea]] zu helfen. Ich verspreche es dir. Ich schwöre es, bei meiner [[Rondra-Kirche|Herrin]]. Doch es kann sein, dass das alles nichts nützt...“
»Erinnerst du dich denn nicht an mich?«


„Du liebst sie immer noch, nicht wahr?“, sie schaute zu ihm auf.
Sie zog die Stirn kraus. Musterte die Geweihte kritisch: »Kennen wir uns?«


„Was meinst Du?
»Ich bin Peralina Tempeltreu«, stellte sie sich vor, aber Algerte schüttelte nur Kopf. Peralina nickte noch nachdenklicher. »Kannst du mir sagen, wer der Kaiser des Mittelreiches ist?«


Sie schluckte schwer: „Deine Bruder, so gern ich ihn auch hatte, geliebt habe ich ihn nie. Mein Herz, es gehörte immer nur Dir. Doch Du liebtest bereits eine andere. Eine Frau, mit der ich einfach nicht mithalten konnte. Sie steht so weit über uns allen, dass sie selbst für Dich unerreichbar ist und trotzdem tust Du alles um ihr nahe zu sein. Doch Du liebtest sie und Du liebst sie noch immer. Wie hätte ich da jemals einen Platz in Deinem Leben haben sollen?“
»[[Valpo|Valpo von Almada]] natürlich.«


„Mein Leben gehört meiner Herrin“, erwiderte er da und stellte sogleich klar: „Das war schon immer so und wird auch immer so sein.
=== Schutz ===
ZFS: Obwohl sie keine Gefangene ist, wird ihr dringend davon abgeraten, den Tempel zu verlassen. Schutz kann Algerte nur hier gewährt werden.


„Da bist du so kompromisslos wie Elerea. Das muss sie von ihrem Vater haben.“
[[Garetien:Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle|Tempel des Weißen Raben]] zu Hexenmühle, Rahja 904 BF


„Mein Bruder war nie so!“
»Wer ist der Kaiser?«, wollte Algerte von der Geweihten wissen, nachdem diese sich um ihre Wunde gekümmert und auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte um zu beten.


„Ich weiß“, die Schack schaute ihn mit ihren verweinten Augen direkt an, „Nur Du warst immer so. Nur Du.
Die Geweihte hob langsam ihren Kopf, schob mit einer eleganten Bewegung die Kapuze ihrer schwarzen Robe zurück und offenbarte ihr rotes Haar. Sie hob ihren Blick. Jung wirkte ihr Gesicht. Doch ihre blau-grünen Augen offenbarten, dass sie nicht mehr so jung sein konnte. Andächtig faltete sie ihre Hände und legte diese in ihren Schoß.  


= [[Weiß wie Schnee — Briefspielreihe|Weiß wie Schnee]] =
»Hm«, machte Algerte, »Was ist aus [[Valpo|Valpo von Almada]] geworden?«
== Schicksal bleibt Schicksal ==
Hexenwald


[...]
»Seine Zeit war gekommen.«


= [[Vom Richtigen und Falschen — Briefspielreihe|Vom Richtigen und Falschen]] =
»Wie du das sagst«, stutzte die Adelige und schüttelte den Kopf.
== [[Geschichten:Vom_Richtigen_und_Falschen_–_Wahrheit|Wahrheit]] ==
'''[[Garetien:Baronie Schwarztannen|Baronie Schwarztannen]], Ende Hesinde 1044 BF'''


Gegen Mittag waren die beiden Reiter aufgebrochen, da hatte es bereits leicht geschneit. Seit dem hatte der Schneefall stetig zugenommen. Inzwischen waren sie mit einer dünnen, weißen Schicht bedeckt. Bisher war kein Wort gesprochen worden. Mit sorgenvoller Miene blickten beide dem Fallen des Schnees zu, lediglich der große, weiße Hund tollte aufgeregt in der weißen Pracht herum, versucht mit seinem großen Maul ein ums andere Mal eine der weißen Flocken zu fangen und freute sich seines Lebens.
»Vor Boron sind alle gleich.«


„Wo...“, hob das Mädchen mit zaghafter Stimme schließlich an, „... reiten wir hin?
»Aber dann muss es doch jemanden geben, der ihm nachfolgt?«


„Nach [[Garetien:Burg Luringen|Luringen]]“, erwiderte der andere Reiter nach einer gefühlten Ewigkeit.
»Es gibt viele«, erwiderte die Geweihte ruhig, »und doch keinen einzigen.«


„Zum [[Garetien:Drego von Luring|Grafen]]?“, ihre Stimme war seltsam brüchig.
»Dann wäre das Reich doch ohne Herren! Aber du sagt das so, als würde es dich nicht ... nicht im geringsten kümmern?«


„Zum Grafen“, bestätigte er, „Dort wirst du deine Ausbildung fortsetzen, [[Garetien:Nella ni Rian|Nella]].
»Es kümmert den Ewigen nicht«, erklärte sie langsam nickend, »Und damit kümmert es auch mich nicht. Dem Ewigen schert vieles nicht. Ihm ist gleich, was für Titel wir uns geben, welche Länder wir beanspruchen oder auch nur was wir besitzen. Vor ihm sind wir alle gleich. Ein jeder von uns.« Sie hielt einen Moment inne. »Eines Tages werden wir ihm alle gegenüber treten. Uns alle ereilt dasselbe Schicksal.«


Das Mädchen wusste daraufhin nichts zu sagen. Ihr war klar gewesen, dass er etwas vorgehabt hatte, aber sie hatte nicht gewusst, was es gewesen war. Nun wusste sie es und war nicht sicher, ob er sie doch besser noch ein Weilchen im Ungewissen hätten lassen können. Nur ein kleines Weilchen.
Algerte schwieg einen Moment, ehe sie wissen wollte: »Und wie lange war ich ohne Bewusstsein, dass ich den Tod eines Kaisers und seine fehlende Nachfolge nicht mitbekommen habe?«


„Du wirst an einer der besten [[Garetien:Luringer Knappenschar|Ritterschulen]] ausgebildet werden“, versuchte er sie aufzuheitern, „Einer der besten!“ Er schenkte ihr einen aufmunternden Blick. „Obgleich... ja, obgleich ihr Ruf in der letzten Zeit bedauerlicherweise gelitten hat. Nichtsdestotrotz ist es eine Ehre dort sein zu dürfen, Nella, ein große Ehre.“
Nun schüttelte die Geweihte ihren Kopf: »Nur wenige Tage, doch hat mein Herr dir seine Gnade des Vergessens zu teil werden lassen. Oder...« Und ein Lächeln legte sich über ihre Lippen. »... war es vielleicht sein ihm sehr verbundener Bruder?«


Noch immer schwieg sie. Starr blickte sie voran.
Einen winzigen Augenblick nur lag Erstaunen im Blick der Adeligen, dann jedoch kam der schmerzerfüllte Gesichtsausdruck zurück. Die Geweihte lächelte immer noch. Dieses Mal noch etwas vielsagender und freundlicher als Algerte das eine Dienerin des Schweigsamen zugetraut hätte. Und wenn sie es recht bedachte, war die Geweihte auch viel zu hübsch für den Dienst an solch einem Herrn. Außerdem hatte sie rotes Haar.


„Es ist nicht seine Schuld“, erklärte der [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron]] weiter und versuchte wieder einmal seinen Freund in Schutz zu nehmen. Das tat er oft. Genaugenommen tat er es immer. „Es ist nicht der Graf. Nein, er ist es sicher nicht. Gut, er ist nicht vollkommen. Aber wer ist das schon?“ Er hielt einen Moment inne. „Es sind jene, die ihn umgeben. Zumindest denke ich das. Ich nehme es an. Ich weiß es nicht, ich... ich war ja nicht lange an seinem [[Garetien:Reichsforster Grafenhof|Hof]].“ Nun blickte er wieder zu Nella hinüber. „Der Graf ist ein netter Kerl. Er versucht nur alles richtig zu machen, so wie wir alle. Wie ein jeder von uns.
»Du bist nicht die einzige, die es meinen Dienst hier unpassend findet«, kommentierte sie und zog eine Augenbraue nach oben, »Aber alles hat einen Grund. Doch nicht immer ist er für uns Menschen ersichtlich.«


Nun nickte sie zustimmend.
»Wie lange wird es dauern, bis ich in den Tempel meines Herren zurückkehren kann?«


„Ich habe auch versucht alles richtig zu machen“, führte er weiter aus, „Ich dachte, ich müsste [[Garetien:Ailsa ni Rian|Orknäschen]] ein gutes Leben bieten, aber... was heißt das schon? Manchmal da frage ich mich, ob  uns nicht ihr [[Garetien:Ritterherrschaft Praiosborn|Rittergut]] auch gereicht hätte. Diese Fehde hier... sie... sie ist mir zuwider. Sie ist mir... zu viel. Ich weiß nicht mehr, was richtig und was falsch ist, Nella. Alle sagten, dass es gut war, wie ich mit mit den Waldsteinern geeinigt habe.“ Er sprach von Duell mit [[Garetien:Hermine von Alka|Hermine von Alka]]. „Aber die Wahrheit ist doch, dass auch sie nicht hätte sterben müssen. Nein, sie hätte nicht sterben müssen. Und dennoch... dennoch hat es uns vielleicht weitere Tote erspart?“ Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Wie kann man sich sicher sein, dass man das Richtig tut?“
Ihre Gegenüber holte angestrengt Atem: »Verlasse den Tempel des Ewigen nicht, Algerte. Niemals!« Plötzlich wirkte sie sehr ernst. »Der Ewige schützt dich. Er gibt auf dich acht. Aber er kann das nur in seinem Schoß tun. Du musst wissen, die Welt dort draußen ist gefährlich. Auch wir gehen nur hinaus, wenn uns sein Ruf ereilt. Und meist vermeide ich auch das. Hier drinnen...« Sie deutete im viel zu kleinen Zimmer herum. Es gab lediglich ein schmales Bett mit einer Kleidertruhe an dessen Fußende, ein kleines Nachtkäschen und einen dreibeinigen Hocker. »... sind wir sicher. Dort draußen nicht.«


Es dauerte geraume Zeit, bis sie ihm antwortete: „Man kann immer nur Tun, was man denkt, was in einem Moment richtig ist. Im nächsten kann es schon verkehrt sein. Das ist alles. Mehr kann man nicht tun. Auch Ihr nicht.“
»Dann ... dann bin ich eine Geisel? Ihr haltet mich hier fest?«


„Ich schätze ihn wirklich sehr“, schloss er, „Den Grafen.
Die Geweihte schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Du kannst den Tempel jederzeit verlassen. Aber dort draußen, bist du auf dich alleine gestellt. Dies sei dir bewusst.« Damit erhob sie sich und wollte bereits das Zimmer verlassen als Algerte noch einmal das Wort ergriff: »Wie ist dein Name?«


„Ihr habt Euren [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|Sohn]] nach ihm benannt“, wusste sie, „Und Eure [[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|Tochter]] nach seiner [[Garetien:Lechmin Rondara von Luring|Schwester]], Hochgeboren. Das... das zeugt doch von einer engen Bindung.
»[[Gareiten:Etilinae Tempeltreu|Etilinae]]«, sie wandte sich zu der anderen um, »Er machte ihn mir zum Geschenk. Wirst auch du sein Geschenk annehmen?«


„Ja“, die Stimme des Barons klang plötzlich seltsam leer, „Und dennoch bin ich enttäuscht und verzweifelt und wütend zugleich. Egal wie oft ich um Hilfe bat, es kam keine. Ganz gleich wie ich gebettelt und gefleht habe, es kam keine. Es kam noch nicht mal eine Antwort!“ Nun schluckte er schwer. „Zum Traviabund mit Orknäschen ist er auch nicht gekommen...“ Resignation lag in seiner Stimme. „Zu den Tsafeierlichkeiten meiner Kinder wird er auch nicht erscheinen.“ Er seufzte schwer: „Die Wahrheit ist doch, dass ihn das alles nicht kümmert. Nichts davon.“
=== Geheimnis ===
ZFS:


== [[Geschichten:Vom_Richtigen_und_Falschen_–_Zeit|Zeit]] ==
Im Praios war Algerte wieder so weit genesen, dass sie aufstehen und umhergehen konnte. Unter den wachsamen Augen von Geweihten und Novizen, Mägden und Knechten erkundete sie den Tempel. Bald jedoch war er ihr zu klein. Vor allem jedoch zu ruhig. Selbst die Schritte der Geweihten waren kaum zu vernehmen. Sehnsuchtsvoll dachte sie an ihr Noviziat im Phex-Tempel zurück. Dort war es niemals so leise gewesen. Es hatte ein stetes Kommen und Gehen gegeben, ständiges Gemurmel und immerzu hatte ihr Lehrmeister eine Aufgabe für sie gehabt. Manchmal hatte sie nur gelauscht, andere Male hatte sie Informationen und später Dinge ausgetauscht oder beschafft. Lächelnd dachte sie zurück.
'''[[Garetien:Baronie Schwarztannen|Baronie Schwarztannen]], Ende Hesinde 1044 BF'''


„Weiß sie..., nahm [[Garetien:Nella ni Rian|Nella]] das Gespräch wieder auf, nachdem sie einige Zeit lang schweigend nebeneinander hergeritten waren, ... weiß sie es eigentlich? Die [[Garetien:Ailsa ni Rian|Reichsritterin]]? Weiß sie, dass ich nach [[Garetien:Burg Luringen|Luringen]] soll?“
So zog es sie in den Garten. Seltsam. Noch nie hatte sie einen Boron-Tempel mit einem Garten gesehen. Zumindest nicht mit so einem. Die Bäume waren alt und ehrwürdig und spendeten mit ihren niedrigen, aber stark belaubten Kronen bestehend aus verkrüppelten und gewundenen Ästen reichlich Schatten. Darunter gab es Büsche und Sträucher. Blumen fanden sich nicht. Dafür jedoch Kräuter. Manche rochen gar nicht, andere rochen sehr stark und intensiv. Dazwischen schlängelte sich ein kleineres, leise plätscherndes Bächlein umher, über das eine viel zu massive Brücke aus Bruchstein führte. Woher der Strom kam, war ebenso unklar, wie wohin er ging. Dazwischen fanden sich immer mehr oder weniger verwitterte und mit Moos bewachsene Darstellungen von Raben. Mal hingen sie von Bäumen herab. Andere standen auf hohen, schmalen Sockeln oder versteckten sich in den Gebüschen. Einer lugte gar aus dem kleinen Bächlein heraus, die Schwingen zum Flug erhoben. Doch eines hatten sie alle gemein: Sie waren allesamt weiß. Nun, sie befand sich auch im Tempel des weißen Raben. Und alle Tier, von es so einige hier gab, waren ebenso weiß. Weiße Mäuschen, die durch das Gebüsch huschten. Weißen Vögel, die leise in den Bäumen sangen. Ein weißes Eichhörnchen, dass seinen Kobel in einer der Kronen hatte und blitzschnell über die Grasflächen huschte. Natürlich war auch immer wieder ein weißer Rabe zu sehen. Das Tier schien gut mit der Tempelvorsteherin bekannt zu sein. Algerte sah sie oftmals in stiller Zwiesprache vereint. Ein Anblick, der ihr am ganzen Körper eine Gänsehaut verschaffte.


„Sie weiß es“, erwiderte [[Garetien:Drego von Altjachtern|er]] nickend, „Und ihr ist auch klar, dass du [[Garetien:Luringer Knappenschar|dort]] die best möglichste Ausbildung erhalten wirst. Eine, die weder Orknäschen noch ich dir im Moment bieten können. Ich weiß ja noch nicht einmal wie es weiter geht mit Schwarztannen. Ich weiß noch nicht mal, ob ich Orknäschen mit den [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|Zwil]][[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|lingen]] in den Kosch schicken werden muss...“ Er seufzte resigniert. „Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, dann werde ich es tun. Schweren Herzens. Dort sind sie sicher. Ja, dort sind sie sicher. Aber hier?“
Es gab noch etwas, das ihr ins Auge fiel. Viel eher jemand. Ein Knabe mit feuerrotem Haar. Er trug die Tracht eines Novizen, musste also im passenden Alter sein und kümmerte sich um die Tiere im Garten. Manchmal spielte er auch mit ihnen, als gäbe es keine anderen Kinder hier. Dabei gab es andere. Eines Tages setzte er sich neben sie auf die Bank unter einen der Bäume und schwieg. Er saß eine ganze Zeit so da und schwieg. Doch irgendwann wurde er unruhig.


Zweifelnd blickte er nach vorne. „Die Waldsteiner werden wieder kommen, so viel steht fest. Alles was ich durch das Duell mit [[Garetien:Hermine von Alka|Hermine von Alka]] bitte erkauft habe ist Zeit. Zeit, mit der ich nun nichts anzufangen weiß, weil ich nicht mehr weiß, was ich tun soll, weil ich nicht mehr weiß, was richtig und falsch ist.
"Bleibst du noch lange hier sitzen, Algerte?", wollte der Knabe wissen und vermied es sie anzusehen.


Nella holte Atem: „Ihr müsste mit denen sprechen. Sowohl mit dem [[Garetien:Drego von Altjachtern|Grafen]] als auch mit den Waldsteinern, vielleicht... vielleicht könnte Ihr Euch ja mit ihnen einigen?
Die Adelige lächelte sanft: "Warum fragst du?"


„Mit wem genau? Mit dem Grafen oder mit den Waldsteinern?“
"Du weist doch, ich kümmere mich um die Tiere hier im Garten", nun nickt er so, als würde das einfach alles erklären und blickte sie aus seinen tiefblauen Augen an. Algerte schüttelte sich. An irgendjemand erinnerte sie der Knabe, doch sie konnte sich nicht erinnern, an wen.


Nun zuckte sie mit den Schultern: „Frieden ist Frieden, oder nicht?
"Wie heißt du?"


„So einfach ist das nicht“, erwiderte er ihr da nur, „Ich bin dem Grafen verpflichtet.“
"Bayrin"


„Und er Euch“, brachte sie es auf den Punkt, „Wenn er Euch also nicht beisteht, warum solltet Ihr ihm beistehen?“ Sie schauten ihn fragend an. Er wich ihrem Blick jedoch aus. „Wenn man an der Brache lebt, dann lernt man schnell, dass man sich mit jenen zusammentun muss, die ähnliche Ziele verfolgen oder aber mit jenen, die einem Helfen sonst ist man tot. So einfach ist das. Wenn er Euch also nicht hilft, dann müsst Ihr jemand anderen finden, der es tut. Außerdem wie könnte er Euch für Gespräche mit den Waldsteinern abstrafen? Er hilft Euch doch ohnehin nicht und weil er Euch weder hilft noch antwortet, zwingt er Euch doch dazu Euch nach anderen Möglichkeiten umzusehen.“
"Und deine Mutter ist Etilinae, nicht wahr?"


„Hm“, machte er da, „So einfach ist es dennoch nicht, obgleich du irgendwie recht hast...
Nun lachte der Knabe, fuhr sich durch seinen roten Schopf und frotzelte: "Scharfsinnige Algerte."


Ihre Lippen umspielte ein vielsagendes Lächeln: „Ihr werdet eine Lösung finden, da bin ich mir sicher. Zum Wohle Eurer Untertanten, Eurer Frau und Eurer Kinder.“
Da musste auch Algerte lachen. "Keine Sorge, ich werde dich nicht stören", beteuerte sie, "Oder habe ich das jemals zuvor?"


Drego von Altjachtern nickte schwerfällig: „So wird es sein.
"Nein, aber...", hob er an und verstummte sofort wieder. Algerte sah, dass er etwas zu verbergen hatte. Angestrengt dachte der Knabe nach und biss sich dabei auf die Unterlippe. Seine Unruhe nahm zu. Algerte beobachtete aufmerksam. So wie sie es gelernt hatte. Dann seufzte er plötzlich schwer.


„Ihr könnt ihn ja noch einmal um Unterstützung bitten“, bot sie ihm einen möglichen Ausweg aus diesem ganzen unangenehmen Thema an, „Wenn Ihr ohnehin schon auf Burg Luringen seid.
"Algerte", flötete der Knabe nun, "Du weist doch sicher, warum der Schweigsame so heißt, nicht wahr? Und was das für seine Diener bedeutet, oder?" Er blickte sie aus seinen tiefblauen Augen an. Ganz klar waren sie. Beinahe so klar, wie der Himmel über ihr. "Und auch für seine Gäste?"


„Das habe ich vor. Sofern er mich empfängt.
"Ich kann eine Geheimnis bewahren", erwiderte sie ihm, "wenn du auch eines bewahren kannst." Damit hielt sie ihm ihre Hand hin.


„Warum sollte er nicht?“, sie zuckte mit den Schultern, „Und dann könnt Ihr ihm ja auch von Eurem Sohn Drego und Eurer Tochter Lechmin erzählen.
Mit großen Augen musterte er zuerst ihre dargebotene Hand an und schaute ihr dann in die Augen. "Gut", erklärte er und schlug ein. "Gut", stimmte sie zu.


Er nickte zustimmend. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen, wie so oft, wenn er an seine Kinder dachte.
Der Knabe zog seine Hand zurück, steckte sie seine Novizenrobe, holte etwas heraus, ließ sich auf die Knie sinken und säuselte: "Schneepfötchen. Schneepfötchen."


==[[Geschichten:Vom_Richtigen_und_Falschen_–_Gebrochen|Gebrochen]] ==
Und dann schälte sich etwas aus einem in der nähe befindlichen Gebüsch heraus. Weiß war es. Hatte eine schlanke, spitze Schnauze, aufrechte, dreieckige Ohren und eisblaue Augen.
'''[[Garetien:Gräflich Luring|Gräflich Luring]], Ende Hesinde 1044 BF'''


Inzwischen hatten sie Schwarztannen hinter sich gelassen.
Algerte stockte der Atem.


„Sie werden mich schikanieren“, vermutete die [[Garetien:Nella ni Rian|Rían]] sichtlich bedrückt nach geraumer Zeit, „Für die richtigen Adeligen bin ich eben immer noch nur eine...“ Sie schluckte schwer. „... Bürgerliche.“
=== Schneepfötchen ===
ZFS:


„Vermutlich hast du recht“, der [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron]] nickte ernst, „Dabei hat es einst mit all unseren Familien so begonnen: Eines Tages wurde jemand in den Adelsstand berufen. Doch viele scheinen ihre Wurzeln vergessen zu haben...
Auf leisen Pfoten tapste der weiße Fuchs eilig auf den Knaben zu und fraß aus seiner geöffneten Hand. Er war dabei so ruhig und zutraulich. Algerte stand der Mund offen. Eine Gänsehaut lief ihren Rücken hinab. Sie schüttelte sich.


Hilflos blickte er voran.
Nachdem der Fuchs sein Mahl beendet hatte, setzte er sich vor den Knaben und wirkte dabei wie ein zutraulicher Hund. Die Adelige ließ sich neben den Rothaarigen auf den Boden sinken.


„Und was... was soll ich dann tun?
"Schneepfötchen", raunte sie atemlos und glaubte, dieses Namen nicht zum ersten Mal gehört zu haben. "Und Schneepfötchen ist dein ... Geheimnis?"


„Du bist jetzt eine [[Garetien:Familie Rian|Rían]], Nella, und folglich wirst du tun, was eine Rían eben in so einer Situation tut: Tagsüber hältst du den Kopf hoch erhoben, wie alle die anderen auch und lässt dir nichts anmerken und nachts, ja nachts da heulst du einfach in dein Kissen.“ Einen Moment verstummte er, eher er gestand: „[[Garetien:Ailsa ni Rian|Orknäschen]] macht das auch immer so.“ Nun zuckte er mit den Schultern. „Sie denkt allerdings, dass ich es nicht weiß. Du darfst es ihr also nicht sagen.
"Ja", hauchte der Knabe ganz leise, "Er ist mein Geheimnis." Nun schluckte er schwer. "Er könnte den weißen Raben fangen. Und das... das darf nicht passieren!" Mit vor Schreck geweiteten Augen schaute er sie an. "Niemals! Verstehst du?"


„Werde ich nicht“, versicherte das Mädchen, „Ich werde sie ja ohnehin nicht mehr so oft sehen...“
Sie nickte stumm.


„Ja“, meinte er da nur, „Ich kann nicht sagen, wie oft wir uns sehen werden. Ich weiß nicht, wie oft Orknäschen oder ich nach [[Garetien:Burg Luringen|Luringen]] kommen werden. Es kann sein, dass dies das letzte Mal ist, dass wir uns sehen...
"Hochwürden darf es nicht wissen", fuhr er fort, "Sie würde ihn hier nicht dulden. Keinen einzigen Tag. Deswegen muss es geheim bleiben. Unser Geheimnis."


Das Mädchen nickte betrübt.
"Unser Geheimnis", bestätigte sie nickend, "Wie lange ist er schon hier?"


„Es ist auch so, dass ich dich nicht nur wegen deiner [[Garetien:Luringer Knappenschar|Ausbildung]] nach Luringen bringe“, gestand er schließlich ein, „Dass etwas an [[Garetien:Reichsforster Grafenhof|Graf Dregos Hof]] vor sich geht, das weiß ich, ich weiß allerdings nicht was und ich brauche dort jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Jemanden, wie dich, Nella. Jemanden der weiß, was richtig und falsch ist.
"Noch nicht lange", meinte der Knabe, "Und ich füttere ihn immer. Damit er nicht hungrig ist. Damit er keinen Grund hat den weißen Raben zu fangen. Verstehst du?"


Ihr entfuhr ein kehliges Lachen: „Warum sollte ich das besser wissen als Ihr?“
"Klug von dir", kommentierte sie, "Weiß du, ich glaube nicht, dass er den weißen Raben fangen wird. Füchse sind überaus klug. Ein ausgewachsener Rabe ist eine schwer zu fangende Beute, da ist es wesentlich einfacher, dir aus der Hand zu fressen."


„Du hast ein Gespür dafür“, erwiderte er und zuckte etwas hilflos mit den Schulter, „Du kommst von der Brache. Wenn du nicht weißt was richtig und falsch ist, wer denn dann?“
Er blicke sie an, seine Augen noch größer als zuvor: "Ich weiß, dass Schneepfötchen den weißen Raben nicht fangen wird, Algerte."


„Und... und was soll ich genau tun? Am Hof des Grafen?“
Ein kalter Schauer jagte ihr den Rücken hinab: "Du weist ... ?"


„Augen und Ohren offen halten“, erwiderte er ihr schulterzuckend, „Aufmerksam beobachten. Und dich in nichts hineinziehen lassen.“ Er holte Atem. „Und wenn du in Gefahr gerätst, dann muss du dir selber helfen, Nella. Du bist dort auf dich allein gestellt. Ich werde dir nicht helfen können, du wirst dir selbst helfen müssen...
Der Knabe nickte: "Schneepfötchen ist auf der Suche nach seiner Freundin Mondäuglein."


Auf Luringen gelang es Baron Drego in der Tat kurz mit seinem Freund dem Grafen zu sprechen. Der lobt ihn zwar für sein ritterliches Vorgehen in der Fehde gegen die Waldsteiner, ein ehrbares Duelle vor der Herrin [[Rondra-Kirche|Rondra]] sei schließlich an Ritterlichkeit und Ehrbarkeit kaum zu überbieten, aber eine Zusage um Unterstützung um zukünftige Angriffe der Waldsteinern zu verhindern gab es nicht. Er freute sich auch sichtlich und aufrichtig über [[Garetien:Drego Danos von Altjachtern|klein Drego]] und [[Garetien:Luned Lechmin ni Rian|klein Lechmin]], die beiden Zwillinge des Barons, doch konnte (oder wollte?) er angesichts der Umstände nicht zusichern, zur Tsafeierlichkeit der Kinder erscheinen zu können.
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[[Garetien:Esmeria_Darando_della_Tenna|Esmeria Darando della Tenna]]
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= Fische im Netz =
== Bedenkzeit ==
[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]]


{{Trenner Garetien}}
[[Garetien:Leudane von Leuenberg|Sie]] bat sich Bedenkzeit aus. [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]] verstand. Er schien wirklich ein netter Mensch zu sein und darüber hinaus über ein gutes Herz zu verfügen und dennoch, dennoch nahm sie es ihm übel, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. Dabei verstand sie ihn. Wenn sie all die Sehnsucht nach meiner Heimat beiseite schob, dann verstand sie ihn. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Nicht einfach so. Und sie konnte ihm nicht einfach Gefolgschaft schwören. Nicht einfach so.
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= [[Albtraumgestalt — Briefspielreihe‎|Albtraumgestalt]] =
== Einhornfrau ==
'''[[Garetien:Ritterherrschaft Praiosborn|See Praiosborn]], Praios 1045'''


Nella sah, dass Baron Drego gebrochener ging, wie er gekommen war. Wieder war er auf sich allein gestellt. Immerhin, so dachte das Mädchen, hatte sie Baduar. Damit erging es ihr besser als Baron Drego...
(...)


= [[Der Raller treu — Briefspielreihe|Der Raller treu]] =
= [[Der Raller treu — Briefspielreihe|Der Raller treu]] =
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„Hm“, machte die Haselbuscherin da, „Ist sie denn nicht mehr... im... im [[Greifenfurt:Kloster Rabenhorst|Kloster]]?“
„Hm“, machte die Haselbuscherin da, „Ist sie denn nicht mehr... im... im [[Greifenfurt:Kloster Rabenhorst|Kloster]]?“


„Das Kloster ist groß“, erwiderte ich ihr da, „Vielleicht ist sie noch da, vielleicht aber auch nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Dann hielt ich einen Moment inne. „Abgesehen davon war ich auch nicht sonderlich oft im Kloster, eigentlich war ich nur dann da, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Das war nicht oft. Die meiste Zeit war ich unterwegs. Manchmal glaube ich, dass es Absicht meiner Lehrmeisterin war. Sie wollte mich nicht zu sehr mit der Vergangenheit konfrontieren...“
„Das Kloster ist groß“, erwiderte ich ihr da, „Vielleicht ist sie noch da, vielleicht aber auch nicht.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“ Dann hielt ich einen Moment inne. „Abgesehen davon war ich auch nicht sonderlich oft im Kloster, eigentlich war ich nur dann da, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Das war nicht oft. Die meiste Zeit war ich unterwegs. Manchmal glaube ich, dass das die Absicht meiner Lehrmeisterin war. Sie wollte mich nicht zu sehr mit der Vergangenheit konfrontieren...“


„Schade“, kommentierte die Junkerin seufzend, „Schade ist es trotzdem. Sie ist immerhin deine Mutter.“
„Schade“, kommentierte die Junkerin seufzend, „Schade ist es trotzdem. Sie ist immerhin deine Mutter.“


„Ja“, entfuhr es mir kehlig, „Das schon, aber… sie könnte mir ohnehin nichts erzählen. Sie hat... hat vor geraumer Zeit eine Schweigegelübde abgelegt...“
„Ja“, entfuhr es mir kehlig, „Das schon, aber... sie könnte mir ohnehin nichts erzählen. Sie hat... hat vor geraumer Zeit eine Schweigegelübde abgelegt...“


„WAS?“, entfuhr es der Älteren vollkommen fassungslos als sie die Voliere wieder verließ, „Warum?“
„WAS?“, entfuhr es der Älteren vollkommen fassungslos als sie die Voliere wieder verließ, „Warum?“
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Tessia schaute zu Marbodane auf. Die [[Boron-Kirche|Boron]]-Geweihte war inzwischen etwas größer als ihre Base. „Ich weiß nur das, was man sich darüber erzählt. Was man sich hier darüber erzählt“, erwiderte sie mit rauer Stimme und zuckte sogleich entschuldigend mit den Schultern, „Ich weiß nichts darüber, was wirklich war, denn man erzählt sich viel, auch Dinge, die nicht wahr sind und da ich nicht weiß, was war...“ Sie hielt inne. „Was soll ich dir da erzählen?“
Tessia schaute zu Marbodane auf. Die [[Boron-Kirche|Boron]]-Geweihte war inzwischen etwas größer als ihre Base. „Ich weiß nur das, was man sich darüber erzählt. Was man sich hier darüber erzählt“, erwiderte sie mit rauer Stimme und zuckte sogleich entschuldigend mit den Schultern, „Ich weiß nichts darüber, was wirklich war, denn man erzählt sich viel, auch Dinge, die nicht wahr sind und da ich nicht weiß, was war...“ Sie hielt inne. „Was soll ich dir da erzählen?“
= Das dritte Kind =
== Albträume ==
'''[[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]], Firun 1045 BF'''
''Im Zimmer war es nahezu finster, obgleich draußen die Praiosscheibe hoch am Himmel stand. Die Luft war stickig und muffig, es roch nach kaltem Schweiß und nach Blut. Einige Kerzen versuchten die düstere Stimmung mit ihrem diesigen Licht zu vertreiben und vermochte es doch einfach nicht. Es war still. Entsetzlich still. Totenstill. [[Garetien:Ailsa ni Rian|Ailsa]] lag ruhig auf dem Bett, nahezu reglos.''
''„Ist es... ist es... tot?“, wisperte er leise der [[Garetien:Lindegard Tempeltreu|Hofkaplanin]] neben ihm zu.''
''„Ja“, hauchte sie fast tonlos und nickte zaghaft, „[[Garetien:Ederlinde Etilia von Altjachtern|Es]] ist tot und... und Eure Gattin...“ Erleichtert seufzte [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]]. Erleichtert, weil er sich nun nicht mehr entscheiden musste, wie er mit einem Kind umgehen sollte, dass doch nicht seines war. Die Götter hatte ein einsehen gehabt und ihn von dieser Entscheidung freigesprochen. „Die Götter haben weise entschieden“, schloss er und nickte ernst.''
''Die Peraine-Geweihte blickte ihn fassungslos an und schüttelte ihren Kopf. Mit anklagender Stimme erklärte sie: „Hochgeboren, wie könnt Ihr von einer weisen Entscheidung der Götter sprechen? Es war Eure Entscheidung! Eure allein! Und dadurch das Ihr nichts entschieden habt und untätig wart haben die Götter nun ihre weise Entscheidung gefällt das Ungeborene nicht allein übers Nirgendmeer zu schicken.“''
''Ein kalter Schauer ergriff von ihm Besitz, seine Hände begannen zu zittern, ungläubig schüttelte er seinen Kopf, dann stürzte er an das Bett seiner Liebsten nur um...''
{{Trenner Garetien}}
... schweißgebadet und schreiend zu erwachen. Drego von Altjachtern setzte sich auf und rang um Atem und noch mehr um Fassung. Kaum einen Wimpernschlag nachdem er von diesem entsetzlichen Traum aus dem Schlaf gerissen worden war, klopfte es an der Tür und [[Garetien:Jast Helmbald von Schwippingen|Jast]] trat herein: „Hochgeboren, braucht Ihr etwas?“
„Wo ist ''Orknäschen''?“, wollte er wissen.
„Ähm“, der Knappe schien einen Moment irritiert, „Ihr habt sie am Morgen nach Esenfeld zu meiner [[Garetien:Rondrara von Treleneck|Mutter]] bringen lassen, Hochgeboren.“
„Ja“, stimmte Baron Drego ihm tonlos zu, „Dann... dann... dann bringt mir Schwester Lindegard. Sofort.“
„Ja“, erwiderte der Knappe da, „Sehr wohl.“
Doch nach einiger Zeit kam er ohne die Geweihten zurück: „Schwester Lindegard ist nach [[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Esenfeld]] zu Eurer Gattin aufgebrochen. Meine Mutter hat nach ihr geschickt.“
„Dann... dann bring mir Euer Gnaden Rían“, verlangte er.
„Welche?“
Er verdrehte die Augen: „Euer Gnaden [[Garetien:Elerea ni Rian|Elerea ni Rian]].“
„Hält sich derzeit wahrscheinlich in ihrem [[Garetien:Tempel zu Ehren der Heiligen Thalionmel zu Schwarztannen|Heimattempel]] in Schwarztannen auf“, konnte er nur vermuten, „Auf Scharfenstein ist sie jedenfalls nicht. Doch zu dieser nachtschlafenden Zeit sind die Stadttore [[Garetien:Stadt Schwarztannen|Schwarztannens]] geschlossen. Soll ich Euer Gnaden [[Garetien:Nurinai ni Rian|Nurinai ni Rían]] wecken?“
„Nein“, entschied er, „Nein. Es wird auch so gehen. Gehen müssen. Ich möchte beten, geh jetzt.“
== Bitte ==
Gegeben im Tsa 1045, Esenfeld
{{Brief
|Adressat=An Euer Hochgeboren [[Garetien:Drego von Altjachtern|Drego von Altjachtern]], Baron zu [[Garetien:Baronie Schwarztannen|Schwarztannen]], [[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]]<br/><br/>
Liebster Drego,
|Text=so gerne ich unsere Kinder auch sehe und sie um mich habe, so sehr muss ich Dich nun darum bitten, sie nicht mehr zu mir bringen zu lassen. Nicht nur, dass der Weg für sie aufgrund ihres Alters doch recht beschwerlich ist, sondern ich kann mich derzeit auch nicht richtig um sie kümmern. Sie lernen gerade die Welt zu entdecken und ich bin ihnen dabei mehr Last als Hilfe. Abgesehen davon ist es mein Wunsch, dass sie sich nicht so an mich erinnern. Trotz der Ruhe und Pflege die mir hier zuteilt wird bessert mein Zustand sich leider bisher nicht. Ich bete zu den Göttern, dass sie mir beistehen. Mehr bleibt mir nicht zu tun. Die Zeit wird zeigen, ob die Götter mich erhören werden. Bis dahin gib gut auf unsere Kinder acht.
|Absender=[[Garetien:Ailsa ni Rian|Ailsa ni Rían]]<br/>Reichsritterin zu Praiosborn
}}


=Weitere Ideen=
=Weitere Ideen=
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*Die Krähe und ihr falsches Täubchen
*Die Krähe und ihr falsches Täubchen
*Hühnerbeinchen für Drego
*Hühnerbeinchen für Drego
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Aktuelle Version vom 28. Dezember 2025, 13:04 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Custōsa

Gedanken

Zurückzublicken und die eigenen Taten zu beurteilen, ist dem Menschen wohl zutiefst zu eigen. Damit einher geht natürlich die Frage, was man mit dem heutigen Wissen als hätte ändern können. Hätte man das damals bereits gewusst, hätte man alles zum Besseren wenden können – die Welt wäre eine ganz andere, eine bessere. Ja, dieser Blick zurück. Wie verlockend er doch ist! Wie verheißungsvoll! Und wie töricht zugleich. Wie die Menschen nur glauben können, eine einzige Entscheidung von ihnen hätte den Lauf der Dinge ändern können? Sind sie doch nicht mehr als ein winziger Wassertropfen im sommerlichen Morgendunst. Kaum sichtbar, wenig mehr als ein hauchdünner Schleier, durch den man in die Welt blickt, der kaum etwas verhüllt und der ebenso schnell und abrupt verschwindet, wie er gekommen ist. Das Ende, unausweichlich und unabdingbar. Und obwohl sie sich ihrer eigenen Bestimmung bewusst sind, nämlich der, dass sie alle sterben werden, verhalten sie sich nicht so. Sie geben nicht acht. Sie riskieren. Angetrieben vom Gefühl, dass sie mehr verdient haben. Mehr als andere. Weitaus mehr. Von Hass und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht zerfressen, vergessen sie ihre eigene Sterblichkeit und riskieren, das Einzige, das sie wirklich ihr Eigen nennen können: Ihr Leben. Interessant, nicht wahr?


Esenfeld

Fremder

ZSF01: Ein Fremder kommt nach Esenfeld

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Es ist Zeit«, hob der Fremde an und bedachte die Frau ihm gegenüber aus seinen kalten, blauen Augen voller Abscheu. Der Mann saß hoch zu Ross. Er war ein harter Mann von kräftiger und Statur, dabei ungewöhnlich groß, mit noch immer dichtem schwarzem Haar und einer unfassbar tiefen Stimme. Über einem Kettenhemd trug er einen Wappenrock in Schwarz und Gelb. Ein Schwert in einer kunstvollen Scheide hing an seiner linken Seite. Seine Begleiter waren ebenfalls gerüstet und bewaffnet. Grimmig schauten sie drein. Die Pferde schnaubten. Unruhig drehten sie die Ohren. Das des Bannerträgers tänzelte einige Schritte rückwärts. Das Banner, das zwei schwarze Tannen auf zwei schwarzen Hügeln auf goldenem Grund zeigte, hing trostlos herab. Noch lag eine unerträglich schwüle Hitze über dem Land, doch begannen sich bereits dunkle Wolken am Himmel zu sammeln und einen unheilvollen Schatten auf den Innenhof zu werfen.

Während sich die Bediensteten des Wehrhofs dicht an die Gebäude gedrängt hatten, stand nur eine einzige Frau im Innenhof unweit der alten Eiche. Ein alter und ehrwürdiger Baum, der auch heute noch reichlich Blätter an seinen knorrigen und verwachsenen Ästen trug und dem man nachsagte, dass er schon immer an diesem Ort gestanden haben – noch weit vor dem Wehrhof. Eine alte Legende besagt, dass die Unschuldigen unter ihm stets Schutz fänden.

»Einen weiteren Götterlauf«, bat die Frau unweit des Baumes mit fester Stimme und nickte, wobei ihr eine Strähne ihres dunkelblonden Haares dabei ins Gesicht fiel. Mit einer eleganten Bewegung strich sie es zurück. Ihre tiefbraunen Rehaugen blickten zu dem Reiter empor. Sanft wirkten ihre Züge. Zurückhaltend. Regelrecht verhuscht. »Nur noch einen. Es wird der letzte sein. Ich bitte dich, Ardo, nur noch dieses eine Mal.«

»Nein«, erwiderte der Ritter barsch und ließ seine Rechte durch die Luft schnellen. Seine Augen funkelten zornig. Seine Gesichtszüge waren angespannt. »Nichts da.«

»Im Namen der Götter«, hob sie nun an und beugte beide Knie, wie man es nur vor den Göttern tat, ihr Haupt hielt sie dabei gesenkt, »Im Namen der Sturmherrin, ich flehe dich an: Lass mir meine Kinder. Es ist ein einziger weiterer Götterlauf, um den ich dich bitte. Nur einen noch. Danach sind sie dein. Ich schwöre es.« Bei den letzten Worten blickte sie auf. Ihre Blicke trafen sich. »Vor dem Gerechten.« Sie hob ihre Hand, als wollte sie einen Schwur ablegen.

Er lachte nur: »Vorbei sind die Zeiten, da der Blick eines scheuen Rehes mich milde stimmte.«

»Sie sind noch zu jung«, beharrte sie, »Gibt ihnen noch einen weiteren Götterlauf, Ardo.«

»Wozu?«, spie er nur hervor, »Was solltest ausgerechnet du, Algerte, ihnen geben können?« Einen Moment herrschte angespannte Stille. »Außer Lügen und Verrat?«

»Die Liebe einer Mutter«, kam ihre Antwort prompt, wobei sie ihre Hände einer Umarmung gleich ausbreitete, »Und wenn eine die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern versteht, dann gewiss die Leuin höchst selbst.«

»Liebe gewinnt keinen einzigen Kampf, sie macht einen nur...«, er hielt einen Moment inne und blickte sie mit seinen harten Augen an, »... weich.« Er schluckte. »Naive.« Nun nahm er das Kinn ein Stück weiter nach oben. »Dumm.«

Erste Regentropfen begannen zu fallen. An der Wange der Hausherrin rann einer herab oder war es doch eine Träne?

»Ich habe dich zu lange gewähren lassen. Habe dich beschützt. Habe zu dir gestanden. Aber du...« Er holte Atem. »Die Kinder brauchen endlich ihren Vater!«

Nun lachte sie: »Ihren Vater? Ihren VATER?« Ihre Stimme überschlug sich. Leise begann Donner über sie hinwegzugrollen. Er drückte die Lippen fest aufeinander. Hielt die Zügel verkrampft in seinen Händen. »Vor Götterläufen hätten sie dich gebraucht. Vor Götterlaufen, Ardo! Ein jeder hier ist mehr Vater als du es je sei...«

Da stieß er seinem Pferd die Haken in die Flanken. Sie erhob sich. Das Tier preschte nach vorne. Zorn funkelte in seinen Augen. Nein, purer Hass. Vielleicht sogar Mordlust. Doch sie blieb stehen. Hielt seinem Blick stand. Reckte ihren Kopf noch ein wenig höher. Sie war stolz auf ihre Kinder. Auf jedes einzelne von ihnen. Niemals würde sie zulassen, dass er sie einfach so ihr wegnahm. Wie lange hatte er sich nicht für seine Kinder interessiert? Sie wich nicht aus. Sie blieb stehen. Und sein Hengst ritt sie einfach nieder. Begrub sie einfach unter sich. Sie hatte noch nicht einmal Zeit zu schreien oder war es das Donnergrollen, dass ihre Schreie übertönte? Reglos blieb sie liegen. Nur ihr Brustkorb hob und senkte sich. Blut quell aus verschiedenen Wunden empor. Der Regen wusch es fort. Und ihre Augen folgten dem Mann, dessen Kinder sie geboren hatte.

Er wendete das Pferd. Brachte es zum Stehen. Wieder grollte es. Es begann noch heftiger zu regnen. Er blickt auf die am Boden liegende herab. Sah das Blut. Mächtiger Donner fegte über sie hinweg. Das Banner begann in der aufgekommenen Brise hart zu flackern.

»Lasst sie liegen«, befahl er. Und alle gehorchten. Drängten sich noch dichter an die Gebäude. Nicht jedoch etwa aus Angst vor Wind und Wetter. Er war es, vor dem sie sich fürchteten. Und die beiden Knaben begriffen, dass er der gestrenge Herr sein musste, von dem ihnen ihre Mutter immer erzählt, ja vor dem sie eindringlich gewarnt hatte. Er war der Ritter zu Esenfeld. Er war ihr Vater.

Vater

ZSF02: Die beiden Knaben lernen ihren Vater kennen.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Ritter zu Esenfeld stieg vom Pferd. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Knechte kamen herbeigeeilt, kümmerten sich um die Tiere, während Regen und Wind über sie hinwegpeitschten. Donner grollte markerschütternd. Wütende Blitze zuckte vom Himmel herab. Erhellten den inzwischen stockfinster gewordenen Innenhof Esenfelds. Die Männer, der Ritter zu Esenfeld allen voran, drängten in das Gebäude hinein. Die Bediensteten wichen zurück. Die beiden Knaben, die noch immer stocksteif unweit der Tür standen, fassten sich unbewusst an den Händen, der kleinere der Knabe drängte sich an seinen größeren Bruder. Beide hatten sie das pechschwarze Haar ihres Vaters und die weichen, tiefbraunen Augen ihrer Mutter. Hinter ihnen stand eine junge Frau mit leicht dunklerer Haut, grünen Augen und rotblondem Haar. Gerade eben hatten ihre beiden Hände auf den Schultern der Knaben geruht, nun ließ sie sie herab gleiten und wollte sich gerade ins Innere des Hauses zurückziehen, da trat der Hausherr mit festen Schritten entschieden auf die beiden Knaben zu und fixierte sie mit seinen harten kalten blauen Augen.

»Was steht ihr noch hier rum?«, blaffte er sie an, »Sorgt dafür, dass meine Männer etwas Vernünftiges zu Essen und Trinken bekommen, so lange Efferd uns zürnt.« 

Ungläubig blickten die beiden noch immer dicht aneinander gedrängten Knaben, der eine mehr als einen Kopf kleiner als der andere, zu dem Fremden auf. »Rondra«, wisperte der Jüngere. Die linke Augenbraue des Ritters zuckte steil nach oben, seine Hand schnellte nach hinten und dann nach vorne auf die Wange des Knaben. Der schrie entsetzt auf, drückte sich in die Arme seines großen Bruders. Tränen schossen ihm in die Augen und Blut tropfte aus seiner Nase.

»Erhebe noch ein einziges Mal das Wort gegen deinen Vater und du liegst da draußen neben deiner ... «, drohte er mit erhobener Hand. Jene Hand, mit der er den Knaben eben gerade geschlagen hatte. »... Mutter.« 

»Ja, Hoher Herr«, erwiderte der Ältere, während er noch immer seinen heftig, schluchzenden Bruder in seinen Armen hielt, »Geht doch schon einmal hinein. Wir werden Euch sogleich bewirten.«

Wieder lag der harte und kalte Blick des Mannes auf den beiden Knaben. Und ohne seine Söhne eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Ritter zu Esenfeld an ihnen vorbei und auf die rotblonde Frau zu, die furchterfüllt immer weiter und weiter zurückwich. Ihm folgten seine Männer.

»Ich werde dich beschützen, Moribert«, wisperte der größere Knabe, dem noch immer weinenden kleineren zu als die Männer außer Hörweite waren, »Bleib einfach immer hinter mir, dann kann er dir nichts tun.« Er fuhr seinem Bruder über das kurze, schwarze Haar. Die beiden trennten sich. Moribert tropfte noch immer Blut aus der Nase. Der Regen wusch es fort. »Gishelm«, wimmerte der jedoch nur erstickt, »Ist das wirklich unser Vater?« Sein Blick glitt zu der noch immer reglos im Regen liegenden Frau. Ihrer Mutter. Ihre Augen waren noch immer geöffnet. Hatten die beiden Knaben fixiert. Ihre Lippen bewegten sich tonlos. Gishelm senkte den Blick.

Bastard

ZSF03a: Ein Bastard verdirbt dem Ritter zu Esenfeld die Laune.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Ardo von Schwarztannen war gerade dabei den Wehrhof wieder in Besitz zu nehmen, da fiel sein Blick auf eine junge Frau. Eine junge Frau, die er noch nie zuvor hier gesehen hatte. Eine sehr hübsche junge Frau mit rotblondem Haar und tiefgrünen Augen und dem verheißungsvollen Hauch von Andersartigkeit. Der Ritter war nicht nur für seine Begierde bekannt, sondern auch dafür, sich zu nehmen, was er glaubte, was ihm zustünde.

Mit seinen kalten, blauen Augen fixierte er sie. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. Sie schluckte schwer und stellte mit zitternden Händen den großen Bierkrug direkt neben ihm ab. Gerade als sie sich zurückziehen wollte, schnellte seine Hand nach vorne und packte sie am Handgelenk. Ein Schrei entrann ihrer Kehle, ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, ihr Atem ging schnell. Sie versuchte ihm ihr Handgelenk zu entwinden, aber er hielt sie nur noch fester. Immer fester.

»Schenk mir ein«, befahl er mit kalter Stimme und ließ abrupt ihre Hand los. Sie taumelte nach hinten. Umfasste instinktiv mit der unversehrten Hand ihr schmerzendes Gelenk und begann heftig zu schluchzen. »Schenk mir ein«, wiederholte er mit schneidender Stimme, »SOFORT!«

Das Schluchzen verstummte abrupt. Mit gebeugten Haupt trat sie erneut zu ihm heran, nahm mit der unversehrten Hand den Krug und goss zitternd und wimmernd Bier in seinen Becher ein. Und gerade als sie den Krug absetzte, da umfasste er seinen Becher, wandte sich zu ihr um und schüttete ihr den Inhalt ins Gesicht, wobei er mit trockener Stimme sage: »Du hast Bier verschüttet.«

Sie schrie auf und zuckte zusammen, taumelte dabei einige Schritte zurück. Inzwischen zitterte sie am ganzen Körper.

»Du hast Bier verschüttet«, wiederholte er erneut, »Dein ganzes Kleid ist voll davon.« Seine Gefolgsmänner verstummten. »So etwas dulde ich an meiner Tafel nicht.« Da rappelte sie sich mühsam auf. Den Kopf hielt sie noch immer gesenkt. Das Bier tropfte an ihr herab. Alle Blicke lagen auf ihr. Sie ging rückwärts Richtung Tür. Nur noch wenige Schritte. Bald würde sie diesem Scheusal entkommen sein. Doch dann richtete er erneut das Wort an sie: »Zieh es aus!« 

Die Rotblonde versuchte zu entkommen, doch die beiden Getreuen des Ritters unweit der Tür, packten sie einfach. Mit roher Gewalt zerrten sie die Frau zu ihrem Herren. Sie wehrte sich, schlug und trat um sich, doch die Männer waren einfach stärker und nachdem sie sie bei ihrem rotblondem Schopf gepackt hatten, ließ ihre Gegenwehr nach. Vor dem Herrn zu Esenfeld wurde sie bäuchlings zu Boden geworfen.

»Es gibt zwei Möglichkeiten«, meinte der Hausherr, erhob sich und trat auf die am Boden liegende zu. Ihr tränennasses Gesicht wandte sie von ihm ab. Sie wusste, was ihr drohte. Und auf Milde zu hoffen, war vergeblich. Ebenso auf Hilfe. »Entweder du tust es selbst oder...«, damit ließ er seinen Blick demonstrativ über seine Begleiter gehen, »... sie werden es tun.« Er hielt einen Moment inne. Und beugte sich zu ihr hinab. »Und nur damit wir uns nicht falsch verstehen«, raunte er ihr zu, »Damit werden sie nicht aufhören.« Sie wimmerte. »Nun? Wie entscheidest du dich?«

Wimmernd und zitternd und bibbernd erhob sie sich. Ihr Gesicht von Tränen bedeckt. Und langsam, unter erstickten Schluchzen begann sie ihre Kleidung abzulegen. Und er begutachtete sie eindringlich. Musterte jedes Stück ihres Körpers, bis sein Blick an dem Brandmal an ihrer linken Brust hängen blieb. Eine Hand mit fünf abgespreizten Fingern – das Wappen der Familie Schwarztannen.

»Verschwinde!«, angewidert wandte er sich ab, »Verkommener Bastard.«

Brüder

ZSF03b: Der Vater hasst die Mutter der Knaben, doch das war nicht immer so.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Herr zu Esenfeld blieb über Nacht, denn der Zorn Efferds – viele eher Rondras, wenn man dem leisen Wispern der Bediensteten hinter vorgehaltener Hand glaubte – verzog sich nicht so schnell. Lange grollte es bedrohlich. Der Himmel in ein giftiges dunkles Grün getaucht. Und Blitz um Blitz zuckte herab. Einer setzte sogar die große, mächtige Eiche im Innenhof Esenfels in Brand. Erst da erlaubte der Herr, die Hausherrin endlich fortzuschaffen und das auch nur, weil sie im Weg lag, nicht etwa aus ... Mitleid, wie er wiederholt betonte.

Und erst als die Herrschaft schlief, hatte die rotblonde Zofe der Hausherrin es gewagt, nach einem Diener der Herrin Peraine aus Salzungen zu schicken. Indes saß die Zofe der Verletzten an deren Bett, hielt ihre reglose und kalte Hand in der eigenen und musterte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht. Moribert krabbelte der Frau mit dem rotblondem Haar und den grünen Augen auf den Schoß und schmiegte sich dicht an sie. Den noch freien Arm legte sie um den Knaben und hauchte ihm anschließend einen Kuss aufs Haar. Gishelm indes trat neben sie an das Bett seiner Mutter.

»Ist das wirklich unser Vater?«, hob Gishelm hoffnungsvoll an, »Sag, dass er es nicht ist, Waad. Sag es! Bitte!«

Sie schluckte schwer und schüttelte traurig ihren Kopf. »Er ist euer Vater.« Ihr Stimme war ganz warm und weich. Gänsehaut jagte Gishelm Rücken hinab. »Ardo von Schwarztannen-Scharfenstein ist euer Vater. Und du, Gishelm , bist sein Erbe.«

»Ich will nicht, dass er mein Vater ist!«, entfuhr es dem Knaben da, »Ich will nicht sein Sohn sein. Erst recht nicht sein ...« Ihm fröstelte. »Erbe.«

Verständnisvoll nickte Waad.

»Kann nicht jemand anders unser Vater ein?«

»Nein«, erneut schüttelte sie den Kopf, »Das geht nicht. Ihr seid seine Kinder. Es gibt keine Zweifel. Ihr seid sein Fleisch und Blut. Und das ist es, was zählt.«

Einige Tränen liefen dem Knaben über das Gesicht und trotzig erwiderte er: »Ich will das aber nicht. Ich will nicht, dass dieser Mann mein Vater ist. Ich will das nicht.«

»Ich weiß, Gishelm, und ich verstehe dich. Sehr gut sogar.« 

Seit der Geburt der Knaben des jüngeren der beiden Knaben war Waad immerzu um Algerte gewesen. Abends hatte sie mitgeholfen, die Knaben in den Schlaf zu wiegen, ihnen tulamidische Schlaflieder vorgesungen, Geschichten aus ihrer Heimat erzählt, war bei ihren ersten Schritten, ja bei ihren ersten Worten dabei gewesen. Sie hatte gemeinsam mit ihnen Esenfeld entdeckt. War in Bäume geklettert und hatten im Mühlbach geplantscht und im Wald getobt. Und wenn die Beine der Kinder zu schwer waren von den vielen Abenteuern, dann hatten sie sie nach Hause getragen. Abwechselnd natürlich. Sie war immerzu für die Knaben da gewesen. Immer. Jederzeit. Ja, sie war weitaus mehr als eine Zofe. Sie war eine Vertraute. Für die Hausherrin und ihre Kinder.

»Hasst er uns?«, riss Gishelm die Rotblonde aus ihren Gedanken. Unruhig verlagerte der Knabe das Gewicht von einem auf das andere Bein. Einen Moment blickte sie auf den Knaben in ihren Armen. Der ruhige und regelmäßige Atem verriet, dass er eingeschlafen war. »Hasst er uns?«, wiederholte der ältere der Knaben.

»Nein«, versicherte sie sanftmütig, »Nein, er hasst euch nicht. Nicht seine Söhne. Seine Erben. Nein, gewiss nicht. Ich denke sogar...« Sie hielt einen Moment inne. Wirkte angespannt. »... dass er euch liebt. Auf seine... hm... eigene Art.« Waad zog ihre Augenbrauen nach oben. »Sicherlich. Er liebt euch. Da bin ich sicher.«

Doch Gishelm beruhigte das nicht: »Hasst er ... hasst er Mutter?«

Waad konnte nicht anders, sie konnte nur nicken. Und dann, nach einem erschreckend langen Augenblick, in dem sie schwieg und die Hausherrin ernst betrachtete, hauchte sie so leise, dass es gerade so zu verstehen war: »Es war nicht immer so, Gishelm. Er war nicht immer so. Sie waren einander sehr zugetan. Ungleich, doch irgendwie glücklich. Doch dann ist Algerte etwas Schreckliches passiert. Etwas Entsetzliches.«

Gänsehaut erfasste den gesamten Körper des Knaben. So hatte er Waad noch nie sprechen hören. So voller Grauen. Und weil sie nicht mehr sagte, wusste der Knabe, dass es etwas wirklich Schreckliches gewesen sein muss.

Geweihte

ZSF04: Eine Geweihte der Peraine kommt (unerwartet) nach Esenfeld.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Wenig nach dem Morgengrauen traf eine Geweihte der Herrin Peraine aus Salzungen ein. Zwar missfiel ihr Erscheinen dem Hausherren zutiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies. Und so tat er das, was von ihm erwartet wurde.

»Peraine mit Euch, Euer Hochwürden« grüßte er sie demütig und beugte ganz leicht sein Haupt. Mit einer einladenden Geste bat er sie in das Gebäude hinein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.« 

Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.« 

Ardo von Schwarztannen blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.

»Seid doch so gut«, ergriff die Geweihte nun wieder das Wort, »und bringt mich zu Eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«

Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm wissen: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«

»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden.«

»Hm«, machte die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer und schaute betrübt drein. »Armes Kind.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie Eure beiden Söhne an ihrer Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem, da...« Sie verstummte.

Der Hausherr schwieg.

»Vermutlich werdet Ihr nicht lange bleiben, Hochgeboren?«, fuhr sie fort.

»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr, »Ich bin nur gekommen, um meine Söhne zu holen.«

Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihren Blick.

»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf Burg Scharfenstein.«

»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«

»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.«

»Auch Moribert? Er scheint mir noch recht jung.«

»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigem Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Ich muss tun, was mein Herr von mir verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden.« Damit wollte er sich verabschiedete, wandte sich jedoch noch einmal um: »Sag, wer genau hat denn nach Euch geschickt?« Ein grausames Lächeln legte sich über seine Lippen. Sie zog die Augenbrauen belehrend nach oben und entgegnete lediglich: »Meine Herrin.«

Gefehlte

ZF05: Die Geweihte der Herrin Peraine sieht einen Ausweg.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Was ist genau vorgefallen?«, wollte die Geweihte von der rotblonde Zofe wissen, als sie am Bett der Verletzten stand und auf den blutigen Verband um deren Kopf blickte.

Die junge Frau schauten betreten drein und blickten zu Boden. Kein Wort verließ ihre zitternden Lippen. Sie wusste, dass ein jedes Wort ihr das Leben nur noch schwerer machte. Der Hausherr, nachdem er ihre wahre Herkunft erfahren hatte, war sicher nicht gut auf sie zu sprechen. Bisher hatte sie jede Begegnung mit ihm vermeiden können. Dafür hatte ihre Herrin gesorgt. Und sie war froh darüber gewesen, aber nun? Nun würde sie seinen Demütigungen und Grausamkeiten schutzlos ausgeliefert sein. Sie hatte genug Geschichten gehört. Waad wusste sehr gut, zu was er fähig war, selbst wenn nur ein Bruchteil der Gerüchte stimmte. Jede noch so kleine Verfehlung würde der Hausherr hart bestrafen. Und jede ihrer Verfehlungen war auch eine Verfehlung der Hausherrin, seiner Frau.

Die Geweihte seufzte.

»War er es?«, wollte sie nach Abreise des Hausherren mit strengem Blick wissen, »Hat er sie so zugerichtet? Mal wieder?«

Die Zofe schauten auf die Füße der Geweihten. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen.

»Bei Peraine!«, seufzte sie. »Schon gut«, sie winkte ab, »Ich habe schon verstanden. Es ist ja nicht so, als wäre ich das erste Mal hier.« Nachdenklich begann sie ihre Schläfe zu massieren. »Warum nur, Algerte? Warum nur?« Sie prüfte ihre Atmung. Ihre Reflexe. Zog die Augenlider nach oben. Da begann sie mit gekonnten Fingergriffen den Verband um den Kopf der Hausherrin zu lösen, die Wunde in Augenschein zu nehmen, sie zu säubern, zu nähen und neu zu verbinden. So kümmerte sie sich um alle Wunden. Die Zofe ging ihr dabei zur Hand. »War sie die ganze Zeit über bewusstlos?«

Waad nickte stumm.

»Das ist vielleicht kein gutes Zeichen«, erklärte sie. Die Rotblonde blickten zu ihr. Die Geweihte wusch sich die Hände. Trocknete sie an einem Tuch. »Wir werden abwarten müssen. Ich werde bleiben. Den Beistand der Herrin Peraine erbitten. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich .... « Sie schluckte. »Ich habe Angst, dass...«

»Was solle ich denn tun, Peralina?«, wandte sich Waad sichtlich verzweifelt an die Geweihte.

»Du?«, sie schüttelte den Kopf, »Du tust alles, was in deiner Macht steht. Dies jedoch...« Sie deutet mit einer Geste um sich herum. »... steht nicht in deiner Macht.« Energisch nickte sie. »Es ist an der Zeit, dass sie endlich Schutz bei den Zwölfen sucht.« Mit ernster Miene betrachtete sie die Zofe. »Unter ihrem Schutz wird er es nicht wagen, Hand an sie zu legen, ganz gleich, wie viel Schuld sie zuvor auf sich geladen hat. Die Götter werden schützend ihre Hand über sie halten. In jedem Kloster, in jedem ihrer Tempel wäre sie sicher.«

»Eingesperrt wäre sie«, meldete sich Waad zu Wort, »Könnte diesen Ort nie wieder verlassen, ohne seinen Zorn zu spüren zu bekommen. Und das schlimmer als jemals zuvor. Nie wieder ihre Söhne sehen.«

»Leben muss bewahrt werden. Um jeden Preis. So lehrt es meine Herrin. Und genau das gilt auch für Algerte.« Sie hielt einen Moment inne. »Ihr Tod nutzt nur einem.«

Die junge Frau nickten betrübt.

»Aber welcher Tempel würde ihr Schutz gewähren?«, warf Waad ein, »Ganz Schwarztannen weiß was damals geschehen ist. Die Menschen haben sich die Mäuler über sie zerrissen. Noch heute...« Ihre zitternde Stimme brach.

Peralina zuckte mit den Schultern: »Bis heute kann ich nicht sagen, wem ich wirklich glauben schenken kann.« Sie leckte über ihre Lippen. »Das Urteil war jedoch eindeutig.« Nun nickte sie. »Es gibt nur eine Kirche, die hier in der Baronie einen Tempel ihr eigen nennt und wenig auf die Ereignisse auf Dere gibt. Nur eine.«

Weißer Rabe

Dunkelheit

ZFS: Langsam kommt Algerte wieder zu Bewusstsein, doch noch umfängt sie Dunkelheit.

Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle, Rahja 904 BF

Als sie erwachte war es still um sie herum. Still und dunkel. Die Luft war von Weihrauch erfüllt. Sie versuchte sich zu orientieren. Zu begreifen wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Es war zu dunkel. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren so unendlich schwer. So versuchte sie ihren Kopf zu heben, doch auch das schaffte sie nicht. Schmerzerfüllt sank sie zurück in das weiche Kissen und atmete angestrengt ein und aus. Ihr Kopf schmerzte. Sie biss die Zähne zusammen. Und erst da bemerkte sie: Sie war nicht allein.

Sie lag in einem Bett, das begriff sie jetzt. Und an ihrem Bett, da saß jemand. Auf der Bettkante saß jemand. Eine Gestalt. Dunkel zeichneten sich ihre Umrisse gegen die sie umgebende Finsternis ab. Ein Schatten. Mehr nicht. Ohne Gesicht. Bestehend aus Dunkelheit. Aus Finsternis. Doch sie hatte keine Angst. Keine Furcht.

Der Schatten beugte sich über sie. Eine Hand oder vielleicht doch eher ein Flügel streifte über ihre Stirn. Ganz weich und anschmiegsam. Da wurden ihre Lieder so schwer, dass sie einfach zufielen. Der Schmerz wich zurück. Und ihr Bewusstsein auch.

»Dem Raben gebührt, was des Raben ist«, raunte eine leise, leicht krächzende Stimme, »Und noch bist du noch nicht ganz sein.«

Vergessen

ZFS: Der Herr des Vergessens hat Algerte ein ganz besonderes Geschenkt gemacht.

Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle, Rahja 904 BF

Immer wieder erwachte sie. Und immer wieder sank sie in die Bewusstlosigkeit zurück. Aber mehr und mehr nahm sie die Welt um sich herum wahr. Geweihte des Schweigsamen kamen, wuschen ihren kraftlosen Körper, wechselten die Verbände, flößten ihr Brühe ein. Sie sprachen kaum, beantworteten ihre Fragen nur spärlich, beteten aber für sie und mit ihr, meist schweigend. Und so seltsam sie das auch zu Beginn fand, so erfüllten sie die Gebete mehr und mehr.

Irgendwann jedoch kam eine Geweihte der Herrin Peraine. Eine ältere Frau mit grauem Haar. Ein leichter Geruch nach Knoblauch lag in der Luft. Vermischte sich mit dem Weihrauch. Die Geweihte setzte sich an ihr Bett, nahm ihre Hand und blickte sie lange an.

»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch am Leben bist«, eine einzelne Träne rollte der Geweihten die Wange hinab. Sie wischte sie nicht fort. Sie tropfte auf ihre Robe und hinterließ einen kleinen nassen Fleck. »Nie zuvor habe ich jemanden gesehen, der so etwas überlebt hat! Nie hätte ich gedacht, dass du das überlebst. Nie! Vermutlich ist es einzig und allein der guten Pflege von...«

»Wo bin ich?«, hob die Verwundete an.

»Im Schoß des Ewigen«, erklärte die Geweihte und blickte gütig auf die Frau hinab. In ihren alten Augen lag Wärme und Zuversicht. »In einem seiner Tempel.«

»Boron«, langsam nickte sie, »Was ... was ist passiert?«

»Du warst dem Tod sehr nahe«, erklärte die Geweihte, »Sehr nahe. Aber Golgari, so sagten uns seine Diener, fand deine Zeit noch nicht gekommen. Und so kämpften wir um dein Leben. Und sie halfen dabei.«

»Hm«, machte die Verletzte nachdenklich und versuchte sich aufzusetzen. Die Geweihte half ihr. Schob ihr ein Kissen in den Rücken. Und setzte sich dann wieder. »Und was ... was ist passiert?« 

»Ein Unglück«, erklärte sie schlicht und so als würde das einfach alles erklären und irgendwie tat es das auch.

»Dann bin ich wohl beim Klettern gestürzt«, schloss sie, »Sollte wohl besser aufpassen.« Sie nickte. »Warum nicht ein Tempel des Herrn Phex? Warum ... Boron?«

Verwundert blickte die Geweihte sie da nun an: »Ich ... ich glaube, ich verstehe nicht.«

»Es ist mein Zweitname. Mein Vater gab ihn mir, weil ich im Phex und dann auch noch am Tag des Glücks geboren wurde. Meine Mutter hielt das erst für einen Scherz.« Sie lachte kurz auf, wobei sie schmerzerfüllt das Gesicht verzerrte. »Wie ... wie geht es ihr?«

»Das... das... ist mir nicht bekannt«, erwiderte die Geweihte kopfschüttelnd, »Aber warum Phex?«

»Weil ich dort im Noviziat bin.«

Die Peraine-Geweihte riss ungläubig die Augen auf. »Noviziat?«, entfuhr es ihr wenig darauf und gerade in jenem Moment, dass gesprochen hatte, setzte eine Art Erkenntnis ein. »Kennst du ... deinen Namen?«

Die Versehrte lachte: »Algerte Phexlieb von Waldfang. Und wer seid Ihr?«

»Erinnerst du dich denn nicht an mich?«

Sie zog die Stirn kraus. Musterte die Geweihte kritisch: »Kennen wir uns?«

»Ich bin Peralina Tempeltreu«, stellte sie sich vor, aber Algerte schüttelte nur Kopf. Peralina nickte noch nachdenklicher. »Kannst du mir sagen, wer der Kaiser des Mittelreiches ist?«

»Valpo von Almada natürlich.«

Schutz

ZFS: Obwohl sie keine Gefangene ist, wird ihr dringend davon abgeraten, den Tempel zu verlassen. Schutz kann Algerte nur hier gewährt werden.

Tempel des Weißen Raben zu Hexenmühle, Rahja 904 BF

»Wer ist der Kaiser?«, wollte Algerte von der Geweihten wissen, nachdem diese sich um ihre Wunde gekümmert und auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte um zu beten.

Die Geweihte hob langsam ihren Kopf, schob mit einer eleganten Bewegung die Kapuze ihrer schwarzen Robe zurück und offenbarte ihr rotes Haar. Sie hob ihren Blick. Jung wirkte ihr Gesicht. Doch ihre blau-grünen Augen offenbarten, dass sie nicht mehr so jung sein konnte. Andächtig faltete sie ihre Hände und legte diese in ihren Schoß.

»Hm«, machte Algerte, »Was ist aus Valpo von Almada geworden?«

»Seine Zeit war gekommen.«

»Wie du das sagst«, stutzte die Adelige und schüttelte den Kopf.

»Vor Boron sind alle gleich.«

»Aber dann muss es doch jemanden geben, der ihm nachfolgt?«

»Es gibt viele«, erwiderte die Geweihte ruhig, »und doch keinen einzigen.«

»Dann wäre das Reich doch ohne Herren! Aber du sagt das so, als würde es dich nicht ... nicht im geringsten kümmern?«

»Es kümmert den Ewigen nicht«, erklärte sie langsam nickend, »Und damit kümmert es auch mich nicht. Dem Ewigen schert vieles nicht. Ihm ist gleich, was für Titel wir uns geben, welche Länder wir beanspruchen oder auch nur was wir besitzen. Vor ihm sind wir alle gleich. Ein jeder von uns.« Sie hielt einen Moment inne. »Eines Tages werden wir ihm alle gegenüber treten. Uns alle ereilt dasselbe Schicksal.«

Algerte schwieg einen Moment, ehe sie wissen wollte: »Und wie lange war ich ohne Bewusstsein, dass ich den Tod eines Kaisers und seine fehlende Nachfolge nicht mitbekommen habe?«

Nun schüttelte die Geweihte ihren Kopf: »Nur wenige Tage, doch hat mein Herr dir seine Gnade des Vergessens zu teil werden lassen. Oder...« Und ein Lächeln legte sich über ihre Lippen.  »... war es vielleicht sein ihm sehr verbundener Bruder?«

Einen winzigen Augenblick nur lag Erstaunen im Blick der Adeligen, dann jedoch kam der schmerzerfüllte Gesichtsausdruck zurück. Die Geweihte lächelte immer noch. Dieses Mal noch etwas vielsagender und freundlicher als Algerte das eine Dienerin des Schweigsamen zugetraut hätte. Und wenn sie es recht bedachte, war die Geweihte auch viel zu hübsch für den Dienst an solch einem Herrn. Außerdem hatte sie rotes Haar.

»Du bist nicht die einzige, die es meinen Dienst hier unpassend findet«, kommentierte sie und zog eine Augenbraue nach oben, »Aber alles hat einen Grund. Doch nicht immer ist er für uns Menschen ersichtlich.«

»Wie lange wird es dauern, bis ich in den Tempel meines Herren zurückkehren kann?«

Ihre Gegenüber holte angestrengt Atem: »Verlasse den Tempel des Ewigen nicht, Algerte. Niemals!« Plötzlich wirkte sie sehr ernst. »Der Ewige schützt dich. Er gibt auf dich acht. Aber er kann das nur in seinem Schoß tun. Du musst wissen, die Welt dort draußen ist gefährlich. Auch wir gehen nur hinaus, wenn uns sein Ruf ereilt. Und meist vermeide ich auch das. Hier drinnen...« Sie deutete im viel zu kleinen Zimmer herum. Es gab lediglich ein schmales Bett mit einer Kleidertruhe an dessen Fußende, ein kleines Nachtkäschen und einen dreibeinigen Hocker. »... sind wir sicher. Dort draußen nicht.«

»Dann ... dann bin ich eine Geisel? Ihr haltet mich hier fest?«

Die Geweihte schüttelte den Kopf. »Keineswegs. Du kannst den Tempel jederzeit verlassen. Aber dort draußen, bist du auf dich alleine gestellt. Dies sei dir bewusst.« Damit erhob sie sich und wollte bereits das Zimmer verlassen als Algerte noch einmal das Wort ergriff: »Wie ist dein Name?«

»Etilinae«, sie wandte sich zu der anderen um, »Er machte ihn mir zum Geschenk. Wirst auch du sein Geschenk annehmen?«

Geheimnis

ZFS:

Im Praios war Algerte wieder so weit genesen, dass sie aufstehen und umhergehen konnte. Unter den wachsamen Augen von Geweihten und Novizen, Mägden und Knechten erkundete sie den Tempel. Bald jedoch war er ihr zu klein. Vor allem jedoch zu ruhig. Selbst die Schritte der Geweihten waren kaum zu vernehmen. Sehnsuchtsvoll dachte sie an ihr Noviziat im Phex-Tempel zurück. Dort war es niemals so leise gewesen. Es hatte ein stetes Kommen und Gehen gegeben, ständiges Gemurmel und immerzu hatte ihr Lehrmeister eine Aufgabe für sie gehabt. Manchmal hatte sie nur gelauscht, andere Male hatte sie Informationen und später Dinge ausgetauscht oder beschafft. Lächelnd dachte sie zurück.

So zog es sie in den Garten. Seltsam. Noch nie hatte sie einen Boron-Tempel mit einem Garten gesehen. Zumindest nicht mit so einem. Die Bäume waren alt und ehrwürdig und spendeten mit ihren niedrigen, aber stark belaubten Kronen bestehend aus verkrüppelten und gewundenen Ästen reichlich Schatten. Darunter gab es Büsche und Sträucher. Blumen fanden sich nicht. Dafür jedoch Kräuter. Manche rochen gar nicht, andere rochen sehr stark und intensiv. Dazwischen schlängelte sich ein kleineres, leise plätscherndes Bächlein umher, über das eine viel zu massive Brücke aus Bruchstein führte. Woher der Strom kam, war ebenso unklar, wie wohin er ging. Dazwischen fanden sich immer mehr oder weniger verwitterte und mit Moos bewachsene Darstellungen von Raben. Mal hingen sie von Bäumen herab. Andere standen auf hohen, schmalen Sockeln oder versteckten sich in den Gebüschen. Einer lugte gar aus dem kleinen Bächlein heraus, die Schwingen zum Flug erhoben. Doch eines hatten sie alle gemein: Sie waren allesamt weiß. Nun, sie befand sich auch im Tempel des weißen Raben. Und alle Tier, von es so einige hier gab, waren ebenso weiß. Weiße Mäuschen, die durch das Gebüsch huschten. Weißen Vögel, die leise in den Bäumen sangen. Ein weißes Eichhörnchen, dass seinen Kobel in einer der Kronen hatte und blitzschnell über die Grasflächen huschte. Natürlich war auch immer wieder ein weißer Rabe zu sehen. Das Tier schien gut mit der Tempelvorsteherin bekannt zu sein. Algerte sah sie oftmals in stiller Zwiesprache vereint. Ein Anblick, der ihr am ganzen Körper eine Gänsehaut verschaffte.

Es gab noch etwas, das ihr ins Auge fiel. Viel eher jemand. Ein Knabe mit feuerrotem Haar. Er trug die Tracht eines Novizen, musste also im passenden Alter sein und kümmerte sich um die Tiere im Garten. Manchmal spielte er auch mit ihnen, als gäbe es keine anderen Kinder hier. Dabei gab es andere. Eines Tages setzte er sich neben sie auf die Bank unter einen der Bäume und schwieg. Er saß eine ganze Zeit so da und schwieg. Doch irgendwann wurde er unruhig.

"Bleibst du noch lange hier sitzen, Algerte?", wollte der Knabe wissen und vermied es sie anzusehen.

Die Adelige lächelte sanft: "Warum fragst du?"

"Du weist doch, ich kümmere mich um die Tiere hier im Garten", nun nickt er so, als würde das einfach alles erklären und blickte sie aus seinen tiefblauen Augen an. Algerte schüttelte sich. An irgendjemand erinnerte sie der Knabe, doch sie konnte sich nicht erinnern, an wen.

"Wie heißt du?"

"Bayrin"

"Und deine Mutter ist Etilinae, nicht wahr?"

Nun lachte der Knabe, fuhr sich durch seinen roten Schopf und frotzelte: "Scharfsinnige Algerte."

Da musste auch Algerte lachen. "Keine Sorge, ich werde dich nicht stören", beteuerte sie, "Oder habe ich das jemals zuvor?"

"Nein, aber...", hob er an und verstummte sofort wieder. Algerte sah, dass er etwas zu verbergen hatte. Angestrengt dachte der Knabe nach und biss sich dabei auf die Unterlippe. Seine Unruhe nahm zu. Algerte beobachtete aufmerksam. So wie sie es gelernt hatte. Dann seufzte er plötzlich schwer.

"Algerte", flötete der Knabe nun, "Du weist doch sicher, warum der Schweigsame so heißt, nicht wahr? Und was das für seine Diener bedeutet, oder?" Er blickte sie aus seinen tiefblauen Augen an. Ganz klar waren sie. Beinahe so klar, wie der Himmel über ihr. "Und auch für seine Gäste?"

"Ich kann eine Geheimnis bewahren", erwiderte sie ihm, "wenn du auch eines bewahren kannst." Damit hielt sie ihm ihre Hand hin.

Mit großen Augen musterte er zuerst ihre dargebotene Hand an und schaute ihr dann in die Augen. "Gut", erklärte er und schlug ein. "Gut", stimmte sie zu.

Der Knabe zog seine Hand zurück, steckte sie seine Novizenrobe, holte etwas heraus, ließ sich auf die Knie sinken und säuselte: "Schneepfötchen. Schneepfötchen."

Und dann schälte sich etwas aus einem in der nähe befindlichen Gebüsch heraus. Weiß war es. Hatte eine schlanke, spitze Schnauze, aufrechte, dreieckige Ohren und eisblaue Augen.

Algerte stockte der Atem.

Schneepfötchen

ZFS:

Auf leisen Pfoten tapste der weiße Fuchs eilig auf den Knaben zu und fraß aus seiner geöffneten Hand. Er war dabei so ruhig und zutraulich. Algerte stand der Mund offen. Eine Gänsehaut lief ihren Rücken hinab. Sie schüttelte sich.

Nachdem der Fuchs sein Mahl beendet hatte, setzte er sich vor den Knaben und wirkte dabei wie ein zutraulicher Hund. Die Adelige ließ sich neben den Rothaarigen auf den Boden sinken.

"Schneepfötchen", raunte sie atemlos und glaubte, dieses Namen nicht zum ersten Mal gehört zu haben. "Und Schneepfötchen ist dein ... Geheimnis?"

"Ja", hauchte der Knabe ganz leise, "Er ist mein Geheimnis." Nun schluckte er schwer. "Er könnte den weißen Raben fangen. Und das... das darf nicht passieren!" Mit vor Schreck geweiteten Augen schaute er sie an. "Niemals! Verstehst du?"

Sie nickte stumm.

"Hochwürden darf es nicht wissen", fuhr er fort, "Sie würde ihn hier nicht dulden. Keinen einzigen Tag. Deswegen muss es geheim bleiben. Unser Geheimnis."

"Unser Geheimnis", bestätigte sie nickend, "Wie lange ist er schon hier?"

"Noch nicht lange", meinte der Knabe, "Und ich füttere ihn immer. Damit er nicht hungrig ist. Damit er keinen Grund hat den weißen Raben zu fangen. Verstehst du?"

"Klug von dir", kommentierte sie, "Weiß du, ich glaube nicht, dass er den weißen Raben fangen wird. Füchse sind überaus klug. Ein ausgewachsener Rabe ist eine schwer zu fangende Beute, da ist es wesentlich einfacher, dir aus der Hand zu fressen."

Er blicke sie an, seine Augen noch größer als zuvor: "Ich weiß, dass Schneepfötchen den weißen Raben nicht fangen wird, Algerte."

Ein kalter Schauer jagte ihr den Rücken hinab: "Du weist ... ?"

Der Knabe nickte: "Schneepfötchen ist auf der Suche nach seiner Freundin Mondäuglein."