Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.
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= Custōsa=
[[Garetien:Esmeria_Darando_della_Tenna|Esmeria Darando della Tenna]]
 
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== Gedanken ==
Zurückzublicken und die eigenen Taten zu beurteilen, ist den Menschen wohl zu tiefst zu eigen. Damit einher geht natürlich, was man mit dem heutigen Wissen als hätte ändern können. Hätte man dieses eine damals bereits gewusst, hätte man alles zum Besseren wenden können, die Welt wäre eine ganz andere, eine bessere. Ja, dieser Blick zurück. Wie verlockend er doch ist. Wie verheißend! Und wie töricht zu gleich. Wie die Menschen nur glauben können, eine einzige Entscheidung von ihnen hätte den Lauf der Dinge ändern können? Sind sie doch nicht mehr als ein winziger Wassertropfen im sommerlichen Morgendunst. Kaum sichtbar, wenig mehr als ein hauchdünner Schleier, durch den man in die Welt blickt, der kaum etwas verhüllt und der ebenso schnell und abrupt verschwindet, wie er gekommen ist. Das Ende unausweichlich und unabdingbar. Und obwohl sie sich ihrer eigenen Bestimmung bewusst sind, nämlich der, dass sie alle sterben werden, verhalten sie sich nicht so. Sie geben nicht acht. Sie riskieren. Angetrieben vom Gefühl, dass sie mehr verdient haben. Mehr als andere. Weitaus mehr. Von Hass und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht zerfressen, vergessen sie ihre eigene Sterblichkeit und riskieren, das einzige, das sie wirklich ihr eigen nennen können: Ihr Leben. Interessant, nicht wahr?
 
Aus dem Vorwort der »Wege der Wächterinnen«
 
== Esenfeld ==
 
=== Fremder ===
ZSF01: Ein Fremder kommt nach Esenfeld
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
»Es ist Zeit«, hob der Fremde an und bedachte die Frau ihm gegenüber aus seinen kalten, blauen Augen voller Abscheu. Der Mann saß hoch zu Ross. Es war ein harter Mann von kräftiger Statur, dabei ungewöhnlich groß und mit noch immer dichtem schwarzen Haar. Über einem Kettenhemd trug er einen Wappenrock in Schwarz und gelb, den Farben der Baronie Schwarztannen. Ein Schwert in einer kunstvollen Scheide hing an seiner linken Seite. Seine Begleiter waren ebenfalls gerüstet und bewaffnet. Grimmig schauten sie drein. Der Bannerträger, der das Wappen der Familie Schwarztannen führte, blickte zum wolkenverhangenen Horizont hinauf. Ein einzelner Regentropfen verirrte sich auf seine Wange. Ein Sturm zog auf. Noch jedoch war es unerträglich heiß und schwül.
 
»Einen weiteren Götterlauf«, erwiderte sie ihm und blickt ihn mit ihren weichen, braunen Augen wie ein verhuschtes Reh an. Ihr dunkelblondes Haare fiel sanft um ihr Gesicht. »Nur noch einen. Es wird der letzte sein. Ich bitte dich, Ardo, nur noch dieses eine Mal.«
 
»Nein«, erwiderte der Ritter barsch und ließ seine Rechte durch die Luft schnellen, »Nichts da.«
 
»Im Namen der Götter«, hob sie nun an und beugte beide Knie, ihr Haupt hielt sie dabei gesenkt, »Im Namen der Sturmherrin, ich flehe dich an. Lass mir meine Kinder. Es ist ein einziger weiterer Götterlauf, um den ich dich bitte. Nur einen noch. Danach sind sie dein. Ich schwöre es.« Bei den letzten Worten blickte sie auf. Ihre Blicke trafen sich. »Vor dem Gerechten.«
 
Er lachte nur: »Vorbei sind die Zeiten, da der Blick eines scheuen Rehs mich milde stimmte.«
 
»Sie sind noch zu jung«, beharrte sie, »Gib ihnen noch einen weiteren Götterlauf, Ardo.«
 
»Wozu?«, spie er nur hervor, »Was solltest ausgerechnet du, ihnen geben können?«
 
»Die Liebe einer Mutter«, kam ihre Antwort prompt, »Und wenn eine die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern versteht, dann gewiss die Leuin höchst selbst.«
 
»Liebe gewinnt keinen einzigen Kampf, sie macht einen nur...«, er hielt einen Moment inne und blickte sie mit seinen harten Augen an, »... weich.«
 
Erste Regentropfen begannen zu fallen.
 
»Die Kinder brauchen endlich ihren Vater!«
 
Nun lachte sie: »Ihren Vater? Ihren VATER?« Ihre Stimme überschlug sich. Leise begann Donner über sie hinwegzugrollen. »Vor Götterläufen hätten sie dich gebraucht. Vor Götterlaufen! Meine Brüder sind mehr Vater als du...«
 
Da stieß er seinem Pferd die Haken in die Flanken. Es preschte nach vorne. Und er trat ihr mit seinem Stiefel mit voller Wucht ins Gesicht. Sie kippte zur Seite. Blieb reglos liegen. Nur ihre Augen bewegten sich noch. Folgten ihm. Er wendete das Pferd, brachte es zum Stehen. Heftiger Regen setzte ein. Ergoss sich. Linderte die Hitze. Wusch das warme Blut von ihrem Gesicht. Mächtiger Donner fegte über sie hinweg. Das Banner, die goldene Hand auf Rot, begann in der aufgekommenen Brise hart zu flackern.
 
»Lasst sie liegen«, befahl er. Und alle gehorchten. Die [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|bei]][[Garetien:Moribert von Schwarztannen|den]] Knaben begriffen, dass er der gestrenge Herr sein musste, von dem ihnen ihre [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Mutter]] immer erzählt, ja sie eindringlich gewarnt hatte. Er war der Ritter zu Esenfeld. Er war ihr [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Vater]].
 
=== Vater ===
ZSF02: Die beiden Knaben lernen ihren Vater kennen.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
[[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ardo von Schwarztannen]] stieg vom Pferd ab. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Knechte kamen herbeigeeilt, kümmerten sich um die Pferde, während Regen und Wind über sie hinwegpeitschten. Donner grollte markerschütternd. Wütende Blitze zuckte vom Himmel herab. Erhellten den inzwischen stockfinster gewordenen Innenhof Esenfelds. Die Männer, der Ritter zu Esenfeld allen voran, drängten in den Wehrhof hinein. Die beiden Knaben, die noch immer stocksteif unweit der Tür standen, fassten sich unbewusst an den Händen, der kleinere der beiden drängte sich an seinen größeren Bruder. Beide hatten sie das pechschwarze Haar ihres Vaters und die weichen, tiefbraunen Augen ihrer Mutter. Hinter ihnen standen zwei junge Männer. Sie ähnelten der noch immer am Boden und im Regen liegenden Frau: dunkelblondes Haar und rehbraune Augen. Ihre Gesichter, totenblass und ausdruckslos, ihre Tränen hatte der Regen verborgen. Beinahe unbemerkt, zogen sie sich zurück. Ließen ihre Hände von den Schultern der Knaben gleiten und verschwanden im Haus.
 
Mit festen Schritten ging der Hausherr auf die Knaben zu. Fixierte sie mit seinen harten, blauen Augen. »Was steht ihr noch hier rum?«, blaffte er sie an, »Sorgt dafür, dass meine Männer etwas Vernünftiges zu Essen und Trinken bekommen, so lange Efferd uns zürnt.«
 
Ungläubig blickten die beiden noch immer dicht aneinander gedrängten Knaben, der eine mehr als einen Kopf kleiner als der andere, zu dem Fremden auf. »Rondra«, wisperte der jüngere der beiden. Die linke Augenbraue des Ritters zuckte steil nach oben, seine Hand schnellte nach hinten und dann auf die Wange des Knaben. Der schrie entsetzt auf, drückte sich in die Arme seines großen Bruders. Tränen schossen ihm in die Augen.
 
»Erheb' noch ein einziges Mal das Wort gegen deinen Vater und du liegst da draußen neben deiner ... [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Mutter]]«, drohte er mit erhobener Hand. Es war jene Hand, mit der er den Knaben gerade eben geschlagen hatte.
 
»Ja, hoher Herr«, erwiderte der ältere der beiden, während er noch immer seinen heftig, schluchzenden Bruder in seinen Armen hielt, »Geht doch schon einmal hinein. Wir werden Euch sogleich bewirten.«
 
Wieder lag der harte und kalte Blick des Mannes auf den beiden Knaben. Und ohne seine Söhne eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Ritter zu Esenfeld an ihnen vorbei. Seine Männer folgten.
 
»Ich werde dich beschützen, [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Moribert]]«, wisperte der größere Knabe, dem noch immer weinenden kleineren zu als die Männer außer Hörweite waren, »Bleib einfach immer hinter mir, dann kann er dir nichts tun.« Er fuhr seinem Bruder über das kurze, schwarze Haar. Die beiden trennten sich. Moribert tropfte noch immer Blut aus der Nase. Der Regen wusch es fort. »[[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Gishelm]]«, wimmerte der jedoch nur erstickt, »Ist das wirklich unser Vater?« Sein Blick glitt zu der noch immer reglos im Regen liegenden Frau. Ihrer Mutter. Ihre Augen waren noch immer geöffnet. Hatten die beiden Knaben fixiert. Gishelm atmete schwer und senkte den Blick.
 
=== Brüder ===
ZSF03: Der Vater hasst die Mutter der Knaben.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
Der [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Herr zu Esenfeld]] blieb über Nacht, denn der Zorn Efferds – viel eher Rondras, wenn man dem leisen Wispern der Bediensteten hinter vorgehaltener Hand glaubte – verzog sich nicht so schnell. Lange grollte es bedrohlich. Der Himmel in ein giftiges dunkles Grün getaucht. Und Blitz und Blitz zuckte herab. Einer setzte sogar die große, mächtige Eiche im Innenhof Esenfels in Brand. Erst da erlaubte der Herr, die Hausherrin endlich fortzuschaffen und das auch nur, weil sie im Weg lag, nicht etwa aus ... Mitleid.
 
Und erst als die Herrschaft schlief, war einer der Brüder der Frau aufgebrochen, um einen [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihten der Herrin Peraine]] aus [[Garetien:Dorf Salzungen|Salzungen]] zu holen. Indes saß der andere an ihrem Bett, hielt die reglose und kalte Hand seiner Schwester in der eigenen und musterte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht den Tränen nahe. [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Moribert]] krabbelte dem Mann auf seinen Schoß und schmiegte sich dicht an ihn. Den noch freien Arm legte er um den Knaben und hauchte ihm anschließend einen Kuss aufs Haar. Gishelm indes trat neben seinen Onkel an das Bett seiner Mutter.
 
»Ist das wirklich unser Vater?«, hob [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Gishelm]] hoffnungsvoll an, »Sag, dass er es nicht ist, Salvin. Sag es! Bitte!«
 
Der Mann schluckte schwer und schüttelte traurig seinen Kopf: »Er ist euer Vater.« Er nickte langsam. Gänsehaut jagte Gishelms Rücken hinab. »Ardo von Schwarztannen ist euer Vater. Und du, Gishelm, bist sein Erbe.«
 
»Ich will nicht, dass er mein Vater ist!«, entfuhr es dem Knaben da, »Ich will nicht sein Sohn sein. Auch nicht sein ... Erbe.«
 
Verständnisvoll nickte Salvin.
 
»Kannst du nicht unser Vater sein?«
 
»Nein«, nun nickte er, »Das geht nicht. Ihr seid seine Kinder. Es gibt keine Zweifel. Ihr seid sein Fleisch und Blut.«
 
Einige Tränen liefen dem Knaben über das Gesicht und trotzig erwiderte er: »Ich will das aber nicht. Ich will nicht, dass dieser Mann mein Vater ist. Ich will das nicht.«
 
»Ich weiß, Gishelm, und ich verstehe dich. Sehr gut sogar.« Seit der Geburt der Knaben war Salvin, wie auch sein Zwillingsbruder Salentin, immerzu um sie gewesen. Hatten sie abends in den Schlaf gewiegt, ihnen Lieder vorgesungen, Geschichten erzählt, waren bei ihren ersten Schritten, ja bei ihren ersten Worten dabei gewesen. Sie hatten gemeinsam mit ihnen Esenfeld entdeckt. Waren in Bäume geklettert und hatten im Mühlbach geplantscht und im Wald getobt. Und wenn die Beine der Kinder zu schwer waren von den vielen Abenteuern, dann hatten sie sie nach Hause getragen. Sie waren immerzu für die Knaben da gewesen. Immer. Jederzeit.
 
»Hasst er uns?«, riss Gishelm seinen Onkel aus seinen Gedanken. Unruhig verlagerte der Knabe das Gewicht von einem auf das andere Bein. Einen Moment blickte der Mann auf den Knaben in seinen Armen. Der ruhige und regelmäßige Atem verriet, dass er eingeschlafen war. »Hasst er uns?«, wiederholte der ältere der Knaben.
 
»Nein«, versicherte der Mann sanftmütig, »Nein, er hasst euch nicht. Nicht seine Söhne. Seine Erben. Nein, gewiss nicht. Ich denke sogar...« Er hielt einen Moment inne. Wirkte angespannt. »... dass er euch liebt. Auf seine ... hm ... eigene Art.« Salvin zog seine Augenbrauen nach oben. »Sicherlich.« Der Mann seufzte schwer. »Er liebt euch.« Nun fuhr er dem kleineren der Knaben zärtlich übers Haar. »Wer könnte euch beide denn auch nicht lieben?«
 
Doch Gishelm beruhigte das nicht: »Hasst er ... hasst er Mutter?«
 
Salvin konnte nicht anders, er konnte nur nicken. Und dann, nach einem erschreckend langen Augenblick, in dem er schwieg und seine Schwester ernst betrachtete, hauchte er so leise, dass man es gerade so verstehen konnte: »Es war nicht immer so, Gishelm. Er war nicht immer so ... grausam. Sie waren einander sehr zugetan. Ungleich, doch irgendwie glücklich. Doch dann ist [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Algerte]] etwas Schreckliches passiert. Etwas Entsetzliches.«
 
Gänsehaut erfasste den gesamten Körper des Knaben. So hatte er seinen Onkel noch nie sprechen hören. So voller Schmerz. Voller Grauen. Und weil Salvin nicht mehr sagte, wusste der Knabe, dass es etwas wirklich Schreckliches gewesen sein muss. Etwas, dass ihm die Kehle zuschnürte.
 
=== Geweihte ===
ZSF04: Eine Geweihte der Peraine kommt (unerwartet) nach Esenfeld.
 
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF
 
Im Morgengrauen kam Salentin mit einer [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihten der Herrin Peraine]] aus Salzungen wieder. Das Missfiel dem Hausherren zwar zu tiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies und so bat er sie herein: »Peraine mit Euch, Euer Hochwürden.« Demütig beugte er sein Haupt, trat zurück und ließ die Geweihte herein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.«
 
Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.«
 
[[Garetien:Ardo von Schwarztannen|Ardo von Schwarztannen]] blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.
 
»Seid doch so gut«, ergriff nun die Geweihte wieder das Wort, »und bringt mich zu eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«
 
Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten aber sogar seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«
 
»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden, wieder einmal.«
 
»Hm«, macht die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer, ließ ihre Hand sinken und schaute betrübt drein. »Entsetzlich.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie eure beiden Söhne an der Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem da...« Sie verstummte.


= Tempeltreu =
Der Hausherr schwieg.
== Dieb ==
[[Garetien:Stadt Schwarztannen|Stadt Schwarztannen]], 1044 BF


„Hast du ihm da gerade etwa ein Bein gestellt?, keuchte die [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondra-Novizin]] mit harscher Stimme während sie den am Boden liegenden Dieb fixierte.
»Vermutlich werdet Ihr nicht lang bleiben können, Hochgeboren?«, fuhr sie fort und ein merkwürdiger Glanz trat in ihre Augen.


„Was kann ich denn dafür, wenn der mir in die Beine rennt?“, erwiderte der [[Garetien:Felian von Windfels|Knabe]] und zuckte unschuldig mit den Schultern, „Ist doch wohl nicht meine Schuld.
»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr nickend, »Ich bin nur gekommen um meine Söhne zu holen.«


„Klar“, spottete das Mädchen, schüttelte ihren Kopf und erklärte empört: „Wie immer: Nie will es jemand gewesen sein...
Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihrem Blick stand. Kalte und unergründlich waren seine blauen Augen.


„Da! Da!“, kam plötzlich ein [[Garetien:Danos von Doriant|Praios-Novize]] angelaufen, „Das ist er! Das ist der Dieb!“ Vollkommen außer Atem hielt der Knabe unweit der anderen an. Er stützte seine Arme auf die Oberschenkel und rang um Atem.
»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf [[Garetien:Burg Scharfenstein|Burg Scharfenstein]] mit seinem neuen [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Pagen]].«


„Ihr Praios-Novizen wart auch schon mal in körperlich besserer Verfassung“, merkte die Rondra-Novizin nahezu beiläufig an.
»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«


„Bin erst... erst seit kurzem... Novize“, kam es vom keuchenden Praios-Novizen, „Erst seit... kurzem.
»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.« Er reckte sein Kinn trotzig nach oben.


„DAS...“, die Rondrianerin rollte mit den Augen, „... erklärt natürlich alles!“
»Auch [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Moribert]]? Er scheint mir noch recht jung.«


Über die Wangen des anderen Knaben legte sich ein spitzbübisches Grinsen. Er wandte seinen Blick dem noch immer am Boden liegenden Dieb zu, der noch immer erstaunlich überrascht dreinblickte. Irgendwie hatte er das Gefühl, diesen Mann schon einmal gesehen zu haben, doch konnte er sich einfach nicht daran erinnern wo das gewesen war. Er hob an: „Was… was hat er denn gestohlen?“
»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigen Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden. Ich muss nun gehen.« Damit verabschiedete er sich. »Bereitet die Abreise vor«, hallte seine Stimme durch Esenfeld während seine Schritte sich entfernten. Die Geweihte blieb an der Tür zum Zimmer der Hausherrin stehen.


„Apfel“, entgegnete der schwer atmende Praios-Novize, „Einen... Apfel.“
=== Gefehlte ===
ZF05: Die Geweihte der Herrin Peraine sieht einen Ausweg.


„Oh“, machte der andere Knabe da mit sichtlich gespieltem Entsetzten in der Stimme, „Na, da gibt es dann wohl nur eine Strafe: Auf den Scheiterhaufen mit ihm!“
[[Garetien:Wehrhof Esenfeld|Wehrhof Esenfeld]], Rahja 904 BF


Die Rondra-Novizin lachte amüsiert.
»Was ist genau vorgefallen?«, wollte die [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Geweihte]] von den beiden Brüdern der Hausherrin wissen als sie am Bett der verletzten stand und auf den blutigen Verband um deren Kopf blickte.


== Missverständnis ==
Die jungen Männer schauten betreten drein und blickten zu Boden. Kein Wort verließ ihre zitternden Lippen. Die beide wussten, dass ein jedes Wort ihnen das Leben nur noch schwerer machte. Dabei war es schon schwer genug. Der Hausherr ließ sie auf Schritt und Tritt überwachen und sie für jede noch so kleine Verfehlung hart bestrafen. Und jede ihrer Verfehlungen war auch eine Verfehlung ihrer Schwester, seiner Frau.


„Scheiterhaufen?“, ein Geweihter des Herrn Praios trat zu der kleinen Gruppe, „Was... was muss ich da hören? Wer soll auf den Scheiterhaufen?“
Die Geweihte seufzte.  


„Er nicht!“, meinte der [[Garetien:Danos von Doriant|Praios-Novize]] da und deutete auf den Dieb, „Wir machen nämlich nicht immer... immer einen Scheiterhaufen. Nur… nur manchmal eben.“ Energisch nickte der etwas pummelige Knabe da.
»War [[Garetien:Ardo von Schwarztannen|er]] es?«, wollte die Geweihte nach Abreise mit strengem Blick wissen, »Hat er sie so zugerichtet? Mal wieder?«


„Ganz recht, Danos, ganz recht“, bestätigte der Geweihte nickend.
Die beiden Brüder schauten auf die Füße der Geweihten. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen.


„Auch wenn Schwester Lechmin..., wollte er fortfahren, doch ein strenger Blick seines Lehrmeisters ließ ihn verstummen.
»Bei Peraine!«, seufzte sie. »Schon gut«, sie winkte ab, »Ich habe schon verstanden. Es ist ja nicht so, als wäre ich das erste Mal hier.« Nachdenklich begann sie sich ihre Schläfe zu massieren. »Warum nur, Algerte? Warum nur?« Sie prüfte ihre Atmung. Ihre Reflexe. Zog die Augenlider nach oben. Da begann sie mit gekonnten Fingergriffen den Verband um den Kopf der Hausherrin zu lösen, die Wunde in Augenschein zu nehmen, sie zu säubern, zu nähen und neu zu verbinden. Die Brüder der Hausherrin gingen ihr dabei zur Hand. »War sie die ganze Zeit über bewusstlos?«


„[[Garetien:Rondriga von Schack|Rondriga]]“, erklang eine harte Stimme und einen [[Garetien:Elerea ni Rian|Rondra-Geweihte]] trat dazu, „Was ist hier los?“ Noch bevor diese jedoch antworten konnte, fiel ihr Blick auf den Geweihten. „Praios zum Gruße, Hochwürden.“
Die Brüder nickten stumm.


„Rondra mit Euch, Euer Gnaden Rian“, grüßte der Angesprochene zurück. Dann richteten sich alle Blick auf die Rondra-Novizin.
»Das ist vielleicht kein gutes Zeichen«, erklärte sie. Die Männer blickten zu ihr. Die Geweihte wusch sich die Hände. Trocknete sie an einem Tuch. »Wir werden abwarten müssen. Ich werde bleiben. Den Beistand der Herrin Peraine erbitten. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich .... « Sie schluckte. »Ich habe Angst, dass...«


„Er hat gestohlen, Euer Gnaden“, erklärte sie ihrer Lehrmeisterin nickend, „Sagt der da!“ Sie deutete auf den Praios-Novizen.
»Was sollen wir denn tun, Peralina?«, wandte sich Salvin sichtlich verzweifelt an die Geweihte.


Tadelnd blickten alle auf den noch immer am Boden liegenden Dieb herab. Da trat nahezu unbemerkt eine weitere Gestalt hinzu. „Ach hier bist du, Felian“, die Gestalt trat neben den noch verbliebenen Knaben, legte väterlich seinem Schützling die Hand auf die Schulter, blickte in die Runde und grüßte: „Die Zwölfe mit euch.
»Ihr?«, sie schüttelte den Kopf, »Ihr tut alles, was in eurer Macht steht. Dies jedoch...« Sie deutet mit einer Geste um sich herum. »... steht nicht in Eurer Macht.« Energisch nickte sie. »Es ist an der Zeit, dass sie endlich Schutz bei den Zwölfen sucht.« Mit ernster Miene betrachtete sie die Brüder. »Unter ihrem Schutz wird er es nicht wagen, Hand an sie zu legen, ganz gleich wie viel Schuld sie zuvor auf sich geladen hat. Sie werden Schützen ihre Hand über sie halten. In jedem Kloster, in jedem ihrer Tempel wäre sie sicher.«


Dann war es eine Zeit lang still.
»Eingesperrt wäre sie«, meldete sich Salentin zu Wort, »Könnte diesen Ort nie wieder verlassen, ohne seinen Zorn zu spüren zu bekommen. Und das schlimmer als jemals zuvor. Nie wieder ihre [[Garetien:Gishelm Rondrawin von Schwarztannen|Söh]]... [[Garetien:Moribert von Schwarztannen|Kinder]] sehen.«


„Er hat gestohlen, Herr von Windfels“, erklärte Rondriga dem neu dazu getretenen, „Einen Apfel.“ Den hielt der Dieb in der Tat noch in der Hand.
»Leben muss bewahrt werden. Um jeden Preis. So lehrt es meine Herrin. Und genau das gilt auch für [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Algerte]].« Sie hielt einen Moment inne. »Ihr Tod nutzt nur einem.«


„So?“, machte [[Garetien:Jadwig von Windfels|Jadwig von Windfels]]. Einen Moment glaubte [[Garetien:Felian von Windfels|Felian]] in den Augen seines Lehrmeisters einen merkwürdigen Glanz zu sehen, doch dann war er wieder verschwunden. Es war wohl nur Einbildung gewesen, schloss der Knabe dann.
Die Brüder nickten betrübt.


„Das muss ein schreckliches Missverständnis sein“, erklärte nun der Windfelser und zuckte ebenso unschuldig mit den Schultern wie es zuvor sein Schützling getan hatte, „Es geschah gewiss nicht mit Absicht. Ich hatte ihn nämlich ausgeschickt mir einen Apfel zu holen.“ Damit nahm er dem Dieb den rotbackigen Apfel aus der Hand. „Manchmal gelüstete es mich einfach danach.“ Er betrachtete den makellos wirkenden Apfel. „Da ich jedoch mit dem Händler verabredet habe, immer erst am Ende jeden Mondes für meine erhaltenen Waren zu bezahlen, der jedoch nicht wusste, dass ich den jungen Mann geschickt hatte, ich meinen Boten jedoch darüber informiert hatte, den Händler jedoch nicht, handelt es sich bedauerlicherweise um ein Missverständnis, dass durch meine Unbedarftheit und Gedankenlosigkeit zustande gekommen ist. Meinen Boten trifft jedoch keine Schuld. Dennoch halte ich es für Angebracht mich bei dem Händler nicht nur zu entschuldigen, sondern ihm auch eine entsprechende Kompensation für das ihm erlittene Unbill zukommen zu lassen. Ich denke ein Silbertaler wird da genügen, was meint Ihr, Diener der Zwölfe, zu diesem Vorschlag?“ Er blickte aufmerksam in die Runde.
»Aber welcher Tempel würde ihr Schutz gewähren?«, warf nun Salvin ein, »Ganz Schwarztannen weiß, was damals geschehen ist. Die Menschen haben sich die Mäuler über unsere Schwester zerrissen. Noch heute...« Seine zitternde Stimme brach. »Sie tun es noch heute.«


Die Stadtwachen, die auf dem Markt patrouilliert hatten waren zwar inzwischen auch dazugestoßen, hielten sich angesichts der anwesenden Geweihten zurück.
Peralina zuckte mit den Schultern: »Bis heute kann ich nicht sagen, wem ich wirklich Glauben schenken kann.« Sie seufzte schwermütig. »So gerne ich ihr Glaube will, das Urteil war eindeutig.« Nun nickte sie. »Es gibt nur eine Kirche, die hier in der Baronie einen Tempel ihr eigen nennt und wenig auf die Ereignisse auf Dere gibt. Eine einzige.«


== Gnade vor Recht ==
== Weißer Rabe ==
[[Garetien:Stadt Schwarztannen|Stadt Schwarztannen]], 1044 BF


„Nun“, meinte Hochwürden da nachdenklich und musterte den [[Garetien:Jadwig von Windfels|Windfelser]] aufmerksam, „Von meiner Seite kann dieses Mal noch Gnade vor Recht ergehen. Ich möchte noch einmal betonen: Dieses Mal. Denn Diebstahl ist es nichtsdestotrotz. Jedoch...“ Und wandte sich zu seinem [[Garetien:Danos von Doriant|Novizen]]. „… und das ist was Schwester Lechmin leider nur allzu gern vergisst, steht unser Herr nicht nur für Recht, Gesetzt und Ordnung, sondern auch für Demut.“ Der pummelige Knabe blickte seinen Lehrmeister erst mit großen Augen an, dann nickte er zögernd. „Dennoch halte ich es für angebracht, dass...“ Nun wandte er seinen Blick wieder dem am Boden Liegenden zu. „... Euer Bote einige Stunden in der Praiostagsschule verbringt.“
=== Dunkelheit ===


„Selbstredend, Hochwürden“, versicherte Jadwig nickend, „Ich werde dafür sorge tragen, dass mein Bote...“ Er bedachte den Dieb mit einem vielsagenden Blick. ... dem auch nachkommt. Gewiss wird er das, nicht wahr?“
Als [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|sie]] erwachte, war es still um sie herum. Still und dunkel. Die Luft war von Weihrauch erfüllt. Sie versuchte, sich zu orientieren. Zu begreifen, wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Es war zu dunkel. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren so unendlich schwer. So versuchte sie ihren Kopf zu heben, doch auch das schaffte sie nicht. Schmerzerfüllt sank sie zurück in das weiche Kissen und atmete angestrengt ein und aus. Ihr Kopf schmerzte. Sie biss die Zähne zusammen. Und erst da bemerkte sie: Sie war nicht allein.


„Ja, ja. Ja, natürlich!“, versicherte der Dieb energisch, „Gewiss. Gewiss!“
Sie lag in einem Bett, das begriff sie jetzt. Und an ihrem Bett, da saß jemand. Auf der Bettkante saß jemand. Eine Gestalt. Dunkel zeichneten sich ihre Umrisse gegen die sie umgebende Finsternis ab. Ein Schatten. Mehr nicht. Ohne Gesicht. Bestehend aus Dunkelheit. Aus Finsternis. Doch sie hatte keine Angst. Keine Furcht.


„Und was ist mit Euch, Euer Gnaden Rían?“, wollte der Kaufmann nun von der [[Garetien:Elerea ni Rian|Rondra-Geweihten]] wissen. Die schaute den Windfelser erst an, blickte dann zu ihrer Novizin und wieder zurück zu dem Kaufmann und erklärte schlussendlich: „Eine Spende an einen der Tempel kann gewiss auch nicht schaden. Dann bin auch ich bereit dieses Mal noch Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Dieses Mal wohlgemerkt, denn jeder hat eine zweite Chance verdient, eine dritte wird es jedoch nicht geben.
Der Schatten beugte sich über sie. Eine Hand oder vielleicht doch eher ein Flügel streifte über ihre Stirn. Ganz weich und anschmiegsam. Da wurden ihre Lieder so schwer, dass sie einfach zufielen. Der Schmerz wich zurück. Und ihr Bewusstsein auch.


„Selbstredend, Euer Gnaden“, erklärte der Windfelser der Geweihten auch dieses Mal, „Selbstredend.
»Dem Raben gebührt, was des Raben ist«, raunte eine leise Stimme.


„Und das soll es jetzt gewesen sein?“, meldete sich da [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondriga]] empört zu Wort.
=== Vergessen ===


„Ja“, erwiderte Elerea ni Rían lediglich knapp und unterbrach den sich anbahnenden Redeschwall ihrer Novizin indem sie sagte: „Das war es. Wir werden jetzt gehen, Rondriga.“ Widerwillig ließ die Novizin den am Boden Liegenden los und knurrte dabei: „Nächstes Mal da bist du dran! Da kannst du dir aber sicher sein.Sie ging zu ihrer Lehrmeisterin die sich dann von den Anwesenden verabschiedete: „Wir werden wieder in den Tempel gehen. Die Götter mögen allezeit mit Euch sein. Gehabt Euch wohl.“ Damit gingen sie.
Immer wieder erwachte sie. Und immer wieder sank sie in die Bewusstlosigkeit zurück. Aber mehr und mehr nahm sie die Welt um sich herum wahr. Geweihte des Schweigsamen kamen, wuschen ihren kraftlosen Körper, wechselten die Verbände an ihrem Kopf, flößten ihr Brühe ein. Sie sprachen kaum, beantworteten ihre Fragen nur spärlich, beteten aber für sie und mit ihr, meist schweigend. Und so seltsam sie das auch zu beginn fand, so erfüllten sie die Gebete mehr und mehr.


„So will auch ich mich meiner Schwester anschließen“, erklärte der Praios-Geweihte, „Auch wir werden nun da diese Angelegenheit geklärt ist gehen. Praios mit Euch.“ Und zu seinem Novizen sagte er: „Komm, Danos.“ Er nahm ihn bei der Hand, wie ein kleines Kind, was der Novize ja auch noch war.
Irgendwann jedoch kam eine Geweihte der Herrin Peraine. Eine älter Frau mit grauem Haar. Ein leichter Geruch von Knoblauch hing in der Luft. Vermischte sich mit dem Weihrauch. Die Geweihte setzte sich an ihr Bett, nahm die Hand der Verwundeten in ihre und blickte sie dann lange an.


== Lüge ==
»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch am Leben bist«, eine einzelne Träne rollte der Geweihten die Wange hinab. Sie wischte sie nicht fort. Sie tropfte auf ihre Robe und hinterließ einen kleinen nassen Fleck.
[[Garetien:Stadt Schwarztannen|Stadt Schwarztannen]], 1044 BF


„Das war doch einfach nur erstunken und erlogen!“, schimpfte die [[Garetien:Rondriga von Schack|Rondra-Novizin]] auf dem Rückweg.
»Wo bin ich?«, hob die Verwundete an.


„Ich weiß“, erwiderte die [[Garetien:Elerea ni Rian|Geweihte]] da nur mit unveränderte Miene.
»Im Schoß des Ewigen«, erklärte die Geweihte und blickte gütig auf die Frau hinab. In ihren alten Augen lag Wärme und Zuversicht. »In einem seiner Tempel.«


„Und warum habt Ihr ihm das durchgehen lassen?“, wollte sie verärgert wissen.
Langsam nickte sie: »Was ist passiert?«


„Weil der Händler diese Geschichte bestätigt hätte“, meinte die Geweihte da nur, „Es ist nämlich nicht das erste Mal, dass er sie erzählt. Lediglich die Boten wechseln.
»Du warst dem Tod sehr nahe«, erklärte die Geweihte, »Sehr nahe. Aber Golgari, so sagten uns seine Diener, hatte noch nicht entschieden. Und so kämpften wir um dein Leben. Und sie halfen uns.«


„Was?“, entfuhr es der Schack da entsetzt, „Und da schaut ihr einfach so tatenlos zu?“
»Wir?«


„Wir brauchen ihn noch“, erwiderte die Rían da kryptisch wie es ihre Art war.
»Die Zwillinge und...«


„Was soll das schon wieder heißen?“
»Salvin und Salentin«, fiel sie ihr ins Wort.


„Du wirst sehen“, meinte ihre Lehrmeisterin lediglich, „Und bis dahin musst du dich eben in Geduld üben. Auch das ist eine Tugend die uns als Diener der Sturmherrin gut zu Gesicht steht.
Die Geweihte kniff ihre Augen zusammen: »So ist es.«


{{Trenner Garetien}}
»Sie sind die Zwillinge der Gutsverwalterin. Ich weiß.« Sie nickte. »Wie geht es meiner Mutter?« Sie versuchte sich aufzusetzen. Die Geweihte half ihr. Schob ihr ein Kissen in den Rücken. Und setzte sich dann wieder. »Hm«, machte sie im Anschluss, »Kennst du ... deinen Namen?«


„Machen wir das immer so?“, wollte der etwas pummelige [[Garetien:Danos von Doriant|Praios-Novize]] wissen.
»[[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Algerte]]«, die Angesprochene und zog ihre Stirn fragend kraus, »Mein Name ist Algerte Phexlieb von Waldfang. Und mein Vater gab mir den Namen Phexlieb, weil ich im Phex geboren bin. Am Tag des Glücks. Am Tag des Phex. Mutter hielt es erst für einen Scherz, aber es war keiner.«


„Nein“, meinte der Geweihte da lediglich, „Doch manchmal, ja manchmal – und wie ich bereits sagte vergisst das Schwester Lechmin gerne, was leider nicht nur auf sie zutrifft – muss auch unsereins Gnade vor Recht ergehen lassen, schließlich steht unser guter Herr Praios auch für Demut.
Erneut nickte die Geweihte nachdenklich.


Langsam nickt der Knabe.
»Warum bin ich nicht in seinem Tempel?«, wollte sie verwundert wissen, »Ich sollte ihm dienen.«


„Gelogen war es natürlich trotzdem“, fügte der Geweihte hinzu. Nun schaute Danos zu ihm auf. „Wir alle lügen. Meist sind es nur kleine Lügen. So sind wir Menschen nun mal. Die Lüge steht uns näher als es uns allen Lieb ist…“
»Hm«, machte die Geweihte erneut, »Erinnerst du dich an mich?«


„Auch... auch... Ihr?“, wollte Danos da nun mit großen Augen wissen.
Sie zog die Stirn kraus. Musterte die Geweihte kritisch: »Kennen wir uns?«


„Nun“, räusperte sich der Geweihte da, „Wenn es mal wieder...“ Er dämpfte seine Stimme etwas. „... Grütze gibt, dann... dann sage ich zwar immer das es mir schmecken würde, aber eigentlich...“
»Ich bin [[Garetien:Peralina Tempeltreu|Peralina Tempeltreu]]«, stellte sie sich vor, aber Algerte schüttelte nur Kopf. Peralina nickte noch nachdenklicher. »Kannst du mir sagen, wer der Kaiser des Mittelreiches ist?«


„Es ist widerlich!“, stimmte er da nickend zu.
»[[Valpo|Valpo von Almada]].«


„Ja, diese matschige Pampe ist einfach nur...“, erneut seufzte er schwer, „Aber wir sagen das nicht, denn... denn das gibt nur unnötig Ärger mit der Köchin und ich muss es wissen, ich habe das schon einmal versucht. Geändert haben meine Worte nichts. Abgesehen davon, tut diese Lüge keinem weh – nicht uns und auch nicht der Köchin.“
=== Schutz ===


„Und der Herr Praios findet das... hm... in Ordnung?“
»Wer ist der Kaiser?«, wollte [[Garetien:Algerte Phexlieb von Schwarztannen|Algerte]] von der Geweihten wissen, nachdem diese sich um ihre Wunde gekümmert und auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte um zu beten.


„Ich denke, er hätte es auch so gemacht. Mit der Köchin sollte man es sich lieber nicht verscherzen, sonst kocht sie nur noch...“ Er schüttelte sich. „... Grütze und wer will das schon.“
Die Geweihte hob langsam ihren Kopf, schob mit einer eleganten Bewegung die Kapuze ihrer schwarzen Robe zurück und offenbarte ihr rotes Haar. Sie hob ihren Blick. Jung wirkte ihr Gesicht. Doch ihre blau-grünen Augen offenbarte, dass sie nicht mehr so jung sein konnte. Andächtig faltete sie ihre Hände und legte diese in ihren Schoß. »Es gibt viele«, erwiderte die Geweihte ruhig, »und doch keinen einzigen.«


„Niemand will das“, stimmte der Knabe nickend zu.
»Hm«, machte Algerte, »Wie du das sagst.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann ist das Reich ohne Herren. Aber du sagt das so, als würde es dich nicht ... im geringsten kümmern.«


{{Trenner Garetien}}
»Es kümmert den Ewigen nicht«, erklärte sie langsam nickend, »Und damit kümmert es auch mich nicht. Dem Ewigen schert vieles nicht. Ihm ist gleich, was für Titel wir uns geben, welche Länder wir beanspruchen oder auch nur was wir besitzen. Vor ihm sind wir alle gleich. Ein jeder von uns.« Sie hielt einen Moment inne. »Eines Tages werden wir ihm alle gegenüber treten. Uns alle ereilt dasselbe Schicksal.«


„Dir ist klar“, hob [[Garetien:Jadwig von Windfels|Jadwig von Windfels]] an, als alle anderen gegangen waren, „dass du nun dem Herrn Phex einen Gefallen schuldest, obwohl man es nicht gerade als phexgefällig bezeichnen kann, wenn man sich beim Stehlen auch noch erwischen lässt.“
Algerte blickte sie lange an: »Aber das bedeutet ... das heißt ja ... es ist Zeit vergangen, an die ich mich nicht erinnere?«


Verschüchtert und mit geröteten Wangen nickte der Knabe: „Und wie... wie... wie finde ich den Herrn Phex?“
»Eine Gnade des Herrn des Vergessen«, kam die Antwort der Geweihten prompt, »um die dich viele beneiden.«


„Er wird dich finden“, erklärte der Händler, „Und seine Schulden zu gegebener Zeit bei dir einfordern. Dass du davon abgesehen auch mir einen Gefallen schuldest, ist dir hoffentlich auch klar. Ich erwarte dich in meinem Stadthaus.“
»Was willst du mir damit sagen?«


Eingeschüchtert nickte der Knabe.
»Gewiss hatte der Ewige einen guten Grund dir das Geschenk des Vergessen zu schenken, denn das ist es, ein Geschenk. Sein Geschenk. Er gewährt es nicht vielen. Und er gewährt es nicht ohne Grund«, langsam nickte sie, »Er hat noch etwas mit dir vor. Du bedeutest ihm etwas.«


„Jetzt aber troll dich!“
»Wird er es mir ... sagen?«, wollte sie wissen, »Wird er mir mitteilen, was er mit mir vorhat? Was ich für ihn tun soll?«


Dann gingen auch der Kaufmann und sein Lehrling.
Sie zuckte mit den Schultern: »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer vermag das schon zu sagen? Dem Raben gebührt, was des Raben ist.« Und für die Geweihte war damit alles gesagt.


„Ihr... Ihr habt ihn doch gar nicht geschickt, nicht wahr Oheim?“, wollte [[Garetien:Felian von Windfels|Felian]] auf dem Weg in das Stadthaus seiner Familie wissen.
»Und die Welt dort draußen?«


Über das Gesicht Jadwigs legte sich ein vielsagendes Lächeln. Er biss genüsslich in den rotbackigen, makellosen Apfel.
»Verlasse den Tempel des Ewigen nicht, Algerte«, riet die Geweihte und blickte plötzlich sehr ernst drein, »Der Ewige schützt dich. Er gibt auf dich acht. Aber er kann das nur in seinem Schoß tun. Du musst wissen, die Welt dort draußen ist gefährlich. Auch wir gehen nur hinaus, wenn uns sein Ruf ereilt.« Damit erhob sie sich und wollte bereits das Zimmer verlassen als Algerte noch einmal das Wort ergriff: »Wie ist dein Name?«


„Jetzt schon, Felian“, erwiderte der Windfels, „Jetzt schon.
»[[Gareiten:Etilinae Tempeltreu|Etilinae]]«, sie wandte sich zu der anderen um, »Er machte ihn mir zum Geschenk. Wirst auch du sein Geschenk annehmen?«


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[[Garetien:Esmeria_Darando_della_Tenna|Esmeria Darando della Tenna]]
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= Fische im Netz =
= Fische im Netz =
== Bedenkzeit ==
== Bedenkzeit ==
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[[Garetien:Leudane von Leuenberg|Sie]] bat sich Bedenkzeit aus. [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]] verstand. Er schien wirklich ein netter Mensch zu sein und darüber hinaus über ein gutes Herz zu verfügen und dennoch, dennoch nahm sie es ihm übel, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. Dabei verstand sie ihn. Wenn sie all die Sehnsucht nach meiner Heimat beiseite schob, dann verstand sie ihn. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Nicht einfach so. Und sie konnte ihm nicht einfach Gefolgschaft schwören. Nicht einfach so.
[[Garetien:Leudane von Leuenberg|Sie]] bat sich Bedenkzeit aus. [[Garetien:Drego von Altjachtern|Baron Drego]] verstand. Er schien wirklich ein netter Mensch zu sein und darüber hinaus über ein gutes Herz zu verfügen und dennoch, dennoch nahm sie es ihm übel, dass er sie nicht einfach so gehen lassen wollte. Dabei verstand sie ihn. Wenn sie all die Sehnsucht nach meiner Heimat beiseite schob, dann verstand sie ihn. Er konnte sie nicht einfach gehen lassen. Nicht einfach so. Und sie konnte ihm nicht einfach Gefolgschaft schwören. Nicht einfach so.
 
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= [[Albtraumgestalt — Briefspielreihe‎|Albtraumgestalt]] =
= [[Albtraumgestalt — Briefspielreihe‎|Albtraumgestalt]] =
== Einhornfrau ==
== Einhornfrau ==
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*Die Krähe und ihr falsches Täubchen
*Die Krähe und ihr falsches Täubchen
*Hühnerbeinchen für Drego
*Hühnerbeinchen für Drego
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Aktuelle Version vom 25. Oktober 2025, 19:56 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Custōsa

Gedanken

Zurückzublicken und die eigenen Taten zu beurteilen, ist den Menschen wohl zu tiefst zu eigen. Damit einher geht natürlich, was man mit dem heutigen Wissen als hätte ändern können. Hätte man dieses eine damals bereits gewusst, hätte man alles zum Besseren wenden können, die Welt wäre eine ganz andere, eine bessere. Ja, dieser Blick zurück. Wie verlockend er doch ist. Wie verheißend! Und wie töricht zu gleich. Wie die Menschen nur glauben können, eine einzige Entscheidung von ihnen hätte den Lauf der Dinge ändern können? Sind sie doch nicht mehr als ein winziger Wassertropfen im sommerlichen Morgendunst. Kaum sichtbar, wenig mehr als ein hauchdünner Schleier, durch den man in die Welt blickt, der kaum etwas verhüllt und der ebenso schnell und abrupt verschwindet, wie er gekommen ist. Das Ende unausweichlich und unabdingbar. Und obwohl sie sich ihrer eigenen Bestimmung bewusst sind, nämlich der, dass sie alle sterben werden, verhalten sie sich nicht so. Sie geben nicht acht. Sie riskieren. Angetrieben vom Gefühl, dass sie mehr verdient haben. Mehr als andere. Weitaus mehr. Von Hass und Ehrgeiz, Neid und Eifersucht zerfressen, vergessen sie ihre eigene Sterblichkeit und riskieren, das einzige, das sie wirklich ihr eigen nennen können: Ihr Leben. Interessant, nicht wahr?

Aus dem Vorwort der »Wege der Wächterinnen«

Esenfeld

Fremder

ZSF01: Ein Fremder kommt nach Esenfeld

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Es ist Zeit«, hob der Fremde an und bedachte die Frau ihm gegenüber aus seinen kalten, blauen Augen voller Abscheu. Der Mann saß hoch zu Ross. Es war ein harter Mann von kräftiger Statur, dabei ungewöhnlich groß und mit noch immer dichtem schwarzen Haar. Über einem Kettenhemd trug er einen Wappenrock in Schwarz und gelb, den Farben der Baronie Schwarztannen. Ein Schwert in einer kunstvollen Scheide hing an seiner linken Seite. Seine Begleiter waren ebenfalls gerüstet und bewaffnet. Grimmig schauten sie drein. Der Bannerträger, der das Wappen der Familie Schwarztannen führte, blickte zum wolkenverhangenen Horizont hinauf. Ein einzelner Regentropfen verirrte sich auf seine Wange. Ein Sturm zog auf. Noch jedoch war es unerträglich heiß und schwül.

»Einen weiteren Götterlauf«, erwiderte sie ihm und blickt ihn mit ihren weichen, braunen Augen wie ein verhuschtes Reh an. Ihr dunkelblondes Haare fiel sanft um ihr Gesicht. »Nur noch einen. Es wird der letzte sein. Ich bitte dich, Ardo, nur noch dieses eine Mal.«

»Nein«, erwiderte der Ritter barsch und ließ seine Rechte durch die Luft schnellen, »Nichts da.«

»Im Namen der Götter«, hob sie nun an und beugte beide Knie, ihr Haupt hielt sie dabei gesenkt, »Im Namen der Sturmherrin, ich flehe dich an. Lass mir meine Kinder. Es ist ein einziger weiterer Götterlauf, um den ich dich bitte. Nur einen noch. Danach sind sie dein. Ich schwöre es.« Bei den letzten Worten blickte sie auf. Ihre Blicke trafen sich. »Vor dem Gerechten.«

Er lachte nur: »Vorbei sind die Zeiten, da der Blick eines scheuen Rehs mich milde stimmte.«

»Sie sind noch zu jung«, beharrte sie, »Gib ihnen noch einen weiteren Götterlauf, Ardo.«

»Wozu?«, spie er nur hervor, »Was solltest ausgerechnet du, ihnen geben können?«

»Die Liebe einer Mutter«, kam ihre Antwort prompt, »Und wenn eine die Liebe einer Mutter zu ihren Kindern versteht, dann gewiss die Leuin höchst selbst.«

»Liebe gewinnt keinen einzigen Kampf, sie macht einen nur...«, er hielt einen Moment inne und blickte sie mit seinen harten Augen an, »... weich.«

Erste Regentropfen begannen zu fallen.

»Die Kinder brauchen endlich ihren Vater!«

Nun lachte sie: »Ihren Vater? Ihren VATER?« Ihre Stimme überschlug sich. Leise begann Donner über sie hinwegzugrollen. »Vor Götterläufen hätten sie dich gebraucht. Vor Götterlaufen! Meine Brüder sind mehr Vater als du...«

Da stieß er seinem Pferd die Haken in die Flanken. Es preschte nach vorne. Und er trat ihr mit seinem Stiefel mit voller Wucht ins Gesicht. Sie kippte zur Seite. Blieb reglos liegen. Nur ihre Augen bewegten sich noch. Folgten ihm. Er wendete das Pferd, brachte es zum Stehen. Heftiger Regen setzte ein. Ergoss sich. Linderte die Hitze. Wusch das warme Blut von ihrem Gesicht. Mächtiger Donner fegte über sie hinweg. Das Banner, die goldene Hand auf Rot, begann in der aufgekommenen Brise hart zu flackern.

»Lasst sie liegen«, befahl er. Und alle gehorchten. Die beiden Knaben begriffen, dass er der gestrenge Herr sein musste, von dem ihnen ihre Mutter immer erzählt, ja sie eindringlich gewarnt hatte. Er war der Ritter zu Esenfeld. Er war ihr Vater.

Vater

ZSF02: Die beiden Knaben lernen ihren Vater kennen.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Ardo von Schwarztannen stieg vom Pferd ab. Seine Gefolgsleute taten es ihm gleich. Knechte kamen herbeigeeilt, kümmerten sich um die Pferde, während Regen und Wind über sie hinwegpeitschten. Donner grollte markerschütternd. Wütende Blitze zuckte vom Himmel herab. Erhellten den inzwischen stockfinster gewordenen Innenhof Esenfelds. Die Männer, der Ritter zu Esenfeld allen voran, drängten in den Wehrhof hinein. Die beiden Knaben, die noch immer stocksteif unweit der Tür standen, fassten sich unbewusst an den Händen, der kleinere der beiden drängte sich an seinen größeren Bruder. Beide hatten sie das pechschwarze Haar ihres Vaters und die weichen, tiefbraunen Augen ihrer Mutter. Hinter ihnen standen zwei junge Männer. Sie ähnelten der noch immer am Boden und im Regen liegenden Frau: dunkelblondes Haar und rehbraune Augen. Ihre Gesichter, totenblass und ausdruckslos, ihre Tränen hatte der Regen verborgen. Beinahe unbemerkt, zogen sie sich zurück. Ließen ihre Hände von den Schultern der Knaben gleiten und verschwanden im Haus.

Mit festen Schritten ging der Hausherr auf die Knaben zu. Fixierte sie mit seinen harten, blauen Augen. »Was steht ihr noch hier rum?«, blaffte er sie an, »Sorgt dafür, dass meine Männer etwas Vernünftiges zu Essen und Trinken bekommen, so lange Efferd uns zürnt.« 

Ungläubig blickten die beiden noch immer dicht aneinander gedrängten Knaben, der eine mehr als einen Kopf kleiner als der andere, zu dem Fremden auf. »Rondra«, wisperte der jüngere der beiden. Die linke Augenbraue des Ritters zuckte steil nach oben, seine Hand schnellte nach hinten und dann auf die Wange des Knaben. Der schrie entsetzt auf, drückte sich in die Arme seines großen Bruders. Tränen schossen ihm in die Augen.

»Erheb' noch ein einziges Mal das Wort gegen deinen Vater und du liegst da draußen neben deiner ... Mutter«, drohte er mit erhobener Hand. Es war jene Hand, mit der er den Knaben gerade eben geschlagen hatte.

»Ja, hoher Herr«, erwiderte der ältere der beiden, während er noch immer seinen heftig, schluchzenden Bruder in seinen Armen hielt, »Geht doch schon einmal hinein. Wir werden Euch sogleich bewirten.«

Wieder lag der harte und kalte Blick des Mannes auf den beiden Knaben. Und ohne seine Söhne eines weiteren Blickes zu würdigen, ging der Ritter zu Esenfeld an ihnen vorbei. Seine Männer folgten.

»Ich werde dich beschützen, Moribert«, wisperte der größere Knabe, dem noch immer weinenden kleineren zu als die Männer außer Hörweite waren, »Bleib einfach immer hinter mir, dann kann er dir nichts tun.« Er fuhr seinem Bruder über das kurze, schwarze Haar. Die beiden trennten sich. Moribert tropfte noch immer Blut aus der Nase. Der Regen wusch es fort. »Gishelm«, wimmerte der jedoch nur erstickt, »Ist das wirklich unser Vater?« Sein Blick glitt zu der noch immer reglos im Regen liegenden Frau. Ihrer Mutter. Ihre Augen waren noch immer geöffnet. Hatten die beiden Knaben fixiert. Gishelm atmete schwer und senkte den Blick.

Brüder

ZSF03: Der Vater hasst die Mutter der Knaben.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Der Herr zu Esenfeld blieb über Nacht, denn der Zorn Efferds – viel eher Rondras, wenn man dem leisen Wispern der Bediensteten hinter vorgehaltener Hand glaubte – verzog sich nicht so schnell. Lange grollte es bedrohlich. Der Himmel in ein giftiges dunkles Grün getaucht. Und Blitz und Blitz zuckte herab. Einer setzte sogar die große, mächtige Eiche im Innenhof Esenfels in Brand. Erst da erlaubte der Herr, die Hausherrin endlich fortzuschaffen und das auch nur, weil sie im Weg lag, nicht etwa aus ... Mitleid.

Und erst als die Herrschaft schlief, war einer der Brüder der Frau aufgebrochen, um einen Geweihten der Herrin Peraine aus Salzungen zu holen. Indes saß der andere an ihrem Bett, hielt die reglose und kalte Hand seiner Schwester in der eigenen und musterte ihr ausdrucksloses, blasses Gesicht den Tränen nahe. Moribert krabbelte dem Mann auf seinen Schoß und schmiegte sich dicht an ihn. Den noch freien Arm legte er um den Knaben und hauchte ihm anschließend einen Kuss aufs Haar. Gishelm indes trat neben seinen Onkel an das Bett seiner Mutter.

»Ist das wirklich unser Vater?«, hob Gishelm hoffnungsvoll an, »Sag, dass er es nicht ist, Salvin. Sag es! Bitte!«

Der Mann schluckte schwer und schüttelte traurig seinen Kopf: »Er ist euer Vater.« Er nickte langsam. Gänsehaut jagte Gishelms Rücken hinab. »Ardo von Schwarztannen ist euer Vater. Und du, Gishelm, bist sein Erbe.«

»Ich will nicht, dass er mein Vater ist!«, entfuhr es dem Knaben da, »Ich will nicht sein Sohn sein. Auch nicht sein ... Erbe.«

Verständnisvoll nickte Salvin.

»Kannst du nicht unser Vater sein?«

»Nein«, nun nickte er, »Das geht nicht. Ihr seid seine Kinder. Es gibt keine Zweifel. Ihr seid sein Fleisch und Blut.«

Einige Tränen liefen dem Knaben über das Gesicht und trotzig erwiderte er: »Ich will das aber nicht. Ich will nicht, dass dieser Mann mein Vater ist. Ich will das nicht.«

»Ich weiß, Gishelm, und ich verstehe dich. Sehr gut sogar.« Seit der Geburt der Knaben war Salvin, wie auch sein Zwillingsbruder Salentin, immerzu um sie gewesen. Hatten sie abends in den Schlaf gewiegt, ihnen Lieder vorgesungen, Geschichten erzählt, waren bei ihren ersten Schritten, ja bei ihren ersten Worten dabei gewesen. Sie hatten gemeinsam mit ihnen Esenfeld entdeckt. Waren in Bäume geklettert und hatten im Mühlbach geplantscht und im Wald getobt. Und wenn die Beine der Kinder zu schwer waren von den vielen Abenteuern, dann hatten sie sie nach Hause getragen. Sie waren immerzu für die Knaben da gewesen. Immer. Jederzeit.

»Hasst er uns?«, riss Gishelm seinen Onkel aus seinen Gedanken. Unruhig verlagerte der Knabe das Gewicht von einem auf das andere Bein. Einen Moment blickte der Mann auf den Knaben in seinen Armen. Der ruhige und regelmäßige Atem verriet, dass er eingeschlafen war. »Hasst er uns?«, wiederholte der ältere der Knaben.

»Nein«, versicherte der Mann sanftmütig, »Nein, er hasst euch nicht. Nicht seine Söhne. Seine Erben. Nein, gewiss nicht. Ich denke sogar...« Er hielt einen Moment inne. Wirkte angespannt. »... dass er euch liebt. Auf seine ... hm ... eigene Art.« Salvin zog seine Augenbrauen nach oben. »Sicherlich.« Der Mann seufzte schwer. »Er liebt euch.« Nun fuhr er dem kleineren der Knaben zärtlich übers Haar. »Wer könnte euch beide denn auch nicht lieben?«

Doch Gishelm beruhigte das nicht: »Hasst er ... hasst er Mutter?«

Salvin konnte nicht anders, er konnte nur nicken. Und dann, nach einem erschreckend langen Augenblick, in dem er schwieg und seine Schwester ernst betrachtete, hauchte er so leise, dass man es gerade so verstehen konnte: »Es war nicht immer so, Gishelm. Er war nicht immer so ... grausam. Sie waren einander sehr zugetan. Ungleich, doch irgendwie glücklich. Doch dann ist Algerte etwas Schreckliches passiert. Etwas Entsetzliches.«

Gänsehaut erfasste den gesamten Körper des Knaben. So hatte er seinen Onkel noch nie sprechen hören. So voller Schmerz. Voller Grauen. Und weil Salvin nicht mehr sagte, wusste der Knabe, dass es etwas wirklich Schreckliches gewesen sein muss. Etwas, dass ihm die Kehle zuschnürte.

Geweihte

ZSF04: Eine Geweihte der Peraine kommt (unerwartet) nach Esenfeld.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

Im Morgengrauen kam Salentin mit einer Geweihten der Herrin Peraine aus Salzungen wieder. Das Missfiel dem Hausherren zwar zu tiefst, aber er wusste sehr wohl, dass man einen Diener der Zwölfe nicht ohne weiteres abwies und so bat er sie herein: »Peraine mit Euch, Euer Hochwürden.« Demütig beugte er sein Haupt, trat zurück und ließ die Geweihte herein. »Habt Dank für Euer Kommen, auch wenn es nicht notwendig gewesen wäre, dass ihr persönlich erscheint.« 

Die ältere Geweihte nickte sanftmütig. Eine Strähne ihres kurzen, grauen Haares fiel ihr ins Gesicht. Sie strich es sich wieder zurück. »Sorgte Euch nicht, Hochgeboren. Wie ein jeder von uns, bin auch ich nur eine Dienerin und deswegen diene ich«, erwiderte sie und fügte unnötigerweise noch hinzu: »So wie auch Ihr nur ein Diener unter dem Angesicht der Götter seid.«

Ardo von Schwarztannen blickte die Geweihte schweigend und nahezu reglos an. In seinen Augen funkelte Zorn. Unangenehme Stille breitete sich aus.

»Seid doch so gut«, ergriff nun die Geweihte wieder das Wort, »und bringt mich zu eurer werten Gattin, damit ich sie mir ansehen kann.«

Der Hausherr nickte nur mürrisch, bot der Hochgeweihten aber sogar seinen Arm an und schritt mit ihr voran. Und während sie miteinander gingen, wollte sie von ihm: »Ist meine gute Freundin Algerte wieder einmal gestürzt, Hochgeboren?«

»Ein bedauerlicher Unfall«, erwiderte er ihr trocken und vermied es sie anzusehen, »Wieder einmal, Hochwürden, wieder einmal.«

»Hm«, macht die Geweihte da nur und legte die Finger ihrer freien Hand an ihr Kinn, »Meine gute Freundin ist seit damals einfach nicht mehr sie selbst.« Sie seufzte schwer, ließ ihre Hand sinken und schaute betrübt drein. »Entsetzlich.« Sie hielt einen Moment inne. »Phex sei Dank hat sie eure beiden Söhne an der Seite. Sie liebt sie sehr. Vor allem da...« Sie verstummte.

Der Hausherr schwieg.

»Vermutlich werdet Ihr nicht lang bleiben können, Hochgeboren?«, fuhr sie fort und ein merkwürdiger Glanz trat in ihre Augen.

»Ich bedauere, aber Ihr habt recht«, erwiderte er ihr nickend, »Ich bin nur gekommen um meine Söhne zu holen.«

Die Geweihte blieb abrupt stehen und schaute ihn lange, ohne ein einziges Wort zu sagen, an. Stoisch hielt er ihrem Blick stand. Kalte und unergründlich waren seine blauen Augen.

»Hochwürden«, ergriff er nun das Wort, »Ich muss mich jetzt nun wirklich empfehlen. Mein Bruder erwartet mich dringend auf Burg Scharfenstein mit seinem neuen Pagen

»Ich verstehe«, damit löste sie sich aus seinem Arm, »Werdet Ihr beide Knaben mit Euch nehmen?«

»Sicherlich. Es ist Zeit, dass sie das Leben am Hofe kennenlernen.« Er reckte sein Kinn trotzig nach oben.

»Auch Moribert? Er scheint mir noch recht jung.«

»Beide«, entgegnete er ihr nur mit unnachgiebigen Blick, »Tut, was Eure Herrin von Euch verlangt. Peraine mit Euch, Hochwürden. Ich muss nun gehen.« Damit verabschiedete er sich. »Bereitet die Abreise vor«, hallte seine Stimme durch Esenfeld während seine Schritte sich entfernten. Die Geweihte blieb an der Tür zum Zimmer der Hausherrin stehen.

Gefehlte

ZF05: Die Geweihte der Herrin Peraine sieht einen Ausweg.

Wehrhof Esenfeld, Rahja 904 BF

»Was ist genau vorgefallen?«, wollte die Geweihte von den beiden Brüdern der Hausherrin wissen als sie am Bett der verletzten stand und auf den blutigen Verband um deren Kopf blickte.

Die jungen Männer schauten betreten drein und blickten zu Boden. Kein Wort verließ ihre zitternden Lippen. Die beide wussten, dass ein jedes Wort ihnen das Leben nur noch schwerer machte. Dabei war es schon schwer genug. Der Hausherr ließ sie auf Schritt und Tritt überwachen und sie für jede noch so kleine Verfehlung hart bestrafen. Und jede ihrer Verfehlungen war auch eine Verfehlung ihrer Schwester, seiner Frau.

Die Geweihte seufzte.

»War er es?«, wollte die Geweihte nach Abreise mit strengem Blick wissen, »Hat er sie so zugerichtet? Mal wieder?«

Die beiden Brüder schauten auf die Füße der Geweihten. Kein einziges Wort kam über ihre Lippen.

»Bei Peraine!«, seufzte sie. »Schon gut«, sie winkte ab, »Ich habe schon verstanden. Es ist ja nicht so, als wäre ich das erste Mal hier.« Nachdenklich begann sie sich ihre Schläfe zu massieren. »Warum nur, Algerte? Warum nur?« Sie prüfte ihre Atmung. Ihre Reflexe. Zog die Augenlider nach oben. Da begann sie mit gekonnten Fingergriffen den Verband um den Kopf der Hausherrin zu lösen, die Wunde in Augenschein zu nehmen, sie zu säubern, zu nähen und neu zu verbinden. Die Brüder der Hausherrin gingen ihr dabei zur Hand. »War sie die ganze Zeit über bewusstlos?«

Die Brüder nickten stumm.

»Das ist vielleicht kein gutes Zeichen«, erklärte sie. Die Männer blickten zu ihr. Die Geweihte wusch sich die Hände. Trocknete sie an einem Tuch. »Wir werden abwarten müssen. Ich werde bleiben. Den Beistand der Herrin Peraine erbitten. Aber ich habe kein gutes Gefühl dabei. Ich .... « Sie schluckte. »Ich habe Angst, dass...«

»Was sollen wir denn tun, Peralina?«, wandte sich Salvin sichtlich verzweifelt an die Geweihte.

»Ihr?«, sie schüttelte den Kopf, »Ihr tut alles, was in eurer Macht steht. Dies jedoch...« Sie deutet mit einer Geste um sich herum. »... steht nicht in Eurer Macht.« Energisch nickte sie. »Es ist an der Zeit, dass sie endlich Schutz bei den Zwölfen sucht.« Mit ernster Miene betrachtete sie die Brüder. »Unter ihrem Schutz wird er es nicht wagen, Hand an sie zu legen, ganz gleich wie viel Schuld sie zuvor auf sich geladen hat. Sie werden Schützen ihre Hand über sie halten. In jedem Kloster, in jedem ihrer Tempel wäre sie sicher.«

»Eingesperrt wäre sie«, meldete sich Salentin zu Wort, »Könnte diesen Ort nie wieder verlassen, ohne seinen Zorn zu spüren zu bekommen. Und das schlimmer als jemals zuvor. Nie wieder ihre Söh... Kinder sehen.«

»Leben muss bewahrt werden. Um jeden Preis. So lehrt es meine Herrin. Und genau das gilt auch für Algerte.« Sie hielt einen Moment inne. »Ihr Tod nutzt nur einem.«

Die Brüder nickten betrübt.

»Aber welcher Tempel würde ihr Schutz gewähren?«, warf nun Salvin ein, »Ganz Schwarztannen weiß, was damals geschehen ist. Die Menschen haben sich die Mäuler über unsere Schwester zerrissen. Noch heute...« Seine zitternde Stimme brach. »Sie tun es noch heute.«

Peralina zuckte mit den Schultern: »Bis heute kann ich nicht sagen, wem ich wirklich Glauben schenken kann.« Sie seufzte schwermütig. »So gerne ich ihr Glaube will, das Urteil war eindeutig.« Nun nickte sie. »Es gibt nur eine Kirche, die hier in der Baronie einen Tempel ihr eigen nennt und wenig auf die Ereignisse auf Dere gibt. Eine einzige.«

Weißer Rabe

Dunkelheit

Als sie erwachte, war es still um sie herum. Still und dunkel. Die Luft war von Weihrauch erfüllt. Sie versuchte, sich zu orientieren. Zu begreifen, wo sie war. Aber sie wusste es nicht. Es war zu dunkel. Sie versuchte aufzustehen, aber ihre Glieder waren so unendlich schwer. So versuchte sie ihren Kopf zu heben, doch auch das schaffte sie nicht. Schmerzerfüllt sank sie zurück in das weiche Kissen und atmete angestrengt ein und aus. Ihr Kopf schmerzte. Sie biss die Zähne zusammen. Und erst da bemerkte sie: Sie war nicht allein.

Sie lag in einem Bett, das begriff sie jetzt. Und an ihrem Bett, da saß jemand. Auf der Bettkante saß jemand. Eine Gestalt. Dunkel zeichneten sich ihre Umrisse gegen die sie umgebende Finsternis ab. Ein Schatten. Mehr nicht. Ohne Gesicht. Bestehend aus Dunkelheit. Aus Finsternis. Doch sie hatte keine Angst. Keine Furcht.

Der Schatten beugte sich über sie. Eine Hand oder vielleicht doch eher ein Flügel streifte über ihre Stirn. Ganz weich und anschmiegsam. Da wurden ihre Lieder so schwer, dass sie einfach zufielen. Der Schmerz wich zurück. Und ihr Bewusstsein auch.

»Dem Raben gebührt, was des Raben ist«, raunte eine leise Stimme.

Vergessen

Immer wieder erwachte sie. Und immer wieder sank sie in die Bewusstlosigkeit zurück. Aber mehr und mehr nahm sie die Welt um sich herum wahr. Geweihte des Schweigsamen kamen, wuschen ihren kraftlosen Körper, wechselten die Verbände an ihrem Kopf, flößten ihr Brühe ein. Sie sprachen kaum, beantworteten ihre Fragen nur spärlich, beteten aber für sie und mit ihr, meist schweigend. Und so seltsam sie das auch zu beginn fand, so erfüllten sie die Gebete mehr und mehr.

Irgendwann jedoch kam eine Geweihte der Herrin Peraine. Eine älter Frau mit grauem Haar. Ein leichter Geruch von Knoblauch hing in der Luft. Vermischte sich mit dem Weihrauch. Die Geweihte setzte sich an ihr Bett, nahm die Hand der Verwundeten in ihre und blickte sie dann lange an.

»Du glaubst gar nicht, wie froh ich bin, dass du noch am Leben bist«, eine einzelne Träne rollte der Geweihten die Wange hinab. Sie wischte sie nicht fort. Sie tropfte auf ihre Robe und hinterließ einen kleinen nassen Fleck.

»Wo bin ich?«, hob die Verwundete an.

»Im Schoß des Ewigen«, erklärte die Geweihte und blickte gütig auf die Frau hinab. In ihren alten Augen lag Wärme und Zuversicht. »In einem seiner Tempel.«

Langsam nickte sie: »Was ist passiert?«

»Du warst dem Tod sehr nahe«, erklärte die Geweihte, »Sehr nahe. Aber Golgari, so sagten uns seine Diener, hatte noch nicht entschieden. Und so kämpften wir um dein Leben. Und sie halfen uns.«

»Wir?«

»Die Zwillinge und...«

»Salvin und Salentin«, fiel sie ihr ins Wort.

Die Geweihte kniff ihre Augen zusammen: »So ist es.«

»Sie sind die Zwillinge der Gutsverwalterin. Ich weiß.« Sie nickte. »Wie geht es meiner Mutter?« Sie versuchte sich aufzusetzen. Die Geweihte half ihr. Schob ihr ein Kissen in den Rücken. Und setzte sich dann wieder. »Hm«, machte sie im Anschluss, »Kennst du ... deinen Namen?«

»Algerte«, die Angesprochene und zog ihre Stirn fragend kraus, »Mein Name ist Algerte Phexlieb von Waldfang. Und mein Vater gab mir den Namen Phexlieb, weil ich im Phex geboren bin. Am Tag des Glücks. Am Tag des Phex. Mutter hielt es erst für einen Scherz, aber es war keiner.«

Erneut nickte die Geweihte nachdenklich.

»Warum bin ich nicht in seinem Tempel?«, wollte sie verwundert wissen, »Ich sollte ihm dienen.«

»Hm«, machte die Geweihte erneut, »Erinnerst du dich an mich?«

Sie zog die Stirn kraus. Musterte die Geweihte kritisch: »Kennen wir uns?«

»Ich bin Peralina Tempeltreu«, stellte sie sich vor, aber Algerte schüttelte nur Kopf. Peralina nickte noch nachdenklicher. »Kannst du mir sagen, wer der Kaiser des Mittelreiches ist?«

»Valpo von Almada

Schutz

»Wer ist der Kaiser?«, wollte Algerte von der Geweihten wissen, nachdem diese sich um ihre Wunde gekümmert und auf die Kante ihres Bettes gesetzt hatte um zu beten.

Die Geweihte hob langsam ihren Kopf, schob mit einer eleganten Bewegung die Kapuze ihrer schwarzen Robe zurück und offenbarte ihr rotes Haar. Sie hob ihren Blick. Jung wirkte ihr Gesicht. Doch ihre blau-grünen Augen offenbarte, dass sie nicht mehr so jung sein konnte. Andächtig faltete sie ihre Hände und legte diese in ihren Schoß. »Es gibt viele«, erwiderte die Geweihte ruhig, »und doch keinen einzigen.«

»Hm«, machte Algerte, »Wie du das sagst.« Sie schüttelte den Kopf. »Dann ist das Reich ohne Herren. Aber du sagt das so, als würde es dich nicht ... im geringsten kümmern.«

»Es kümmert den Ewigen nicht«, erklärte sie langsam nickend, »Und damit kümmert es auch mich nicht. Dem Ewigen schert vieles nicht. Ihm ist gleich, was für Titel wir uns geben, welche Länder wir beanspruchen oder auch nur was wir besitzen. Vor ihm sind wir alle gleich. Ein jeder von uns.« Sie hielt einen Moment inne. »Eines Tages werden wir ihm alle gegenüber treten. Uns alle ereilt dasselbe Schicksal.«

Algerte blickte sie lange an: »Aber das bedeutet ... das heißt ja ... es ist Zeit vergangen, an die ich mich nicht erinnere?«

»Eine Gnade des Herrn des Vergessen«, kam die Antwort der Geweihten prompt, »um die dich viele beneiden.«

»Was willst du mir damit sagen?«

»Gewiss hatte der Ewige einen guten Grund dir das Geschenk des Vergessen zu schenken, denn das ist es, ein Geschenk. Sein Geschenk. Er gewährt es nicht vielen. Und er gewährt es nicht ohne Grund«, langsam nickte sie, »Er hat noch etwas mit dir vor. Du bedeutest ihm etwas.«

»Wird er es mir ... sagen?«, wollte sie wissen, »Wird er mir mitteilen, was er mit mir vorhat? Was ich für ihn tun soll?«

Sie zuckte mit den Schultern: »Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wer vermag das schon zu sagen? Dem Raben gebührt, was des Raben ist.« Und für die Geweihte war damit alles gesagt.

»Und die Welt dort draußen?«

»Verlasse den Tempel des Ewigen nicht, Algerte«, riet die Geweihte und blickte plötzlich sehr ernst drein, »Der Ewige schützt dich. Er gibt auf dich acht. Aber er kann das nur in seinem Schoß tun. Du musst wissen, die Welt dort draußen ist gefährlich. Auch wir gehen nur hinaus, wenn uns sein Ruf ereilt.« Damit erhob sie sich und wollte bereits das Zimmer verlassen als Algerte noch einmal das Wort ergriff: »Wie ist dein Name?«

»Etilinae«, sie wandte sich zu der anderen um, »Er machte ihn mir zum Geschenk. Wirst auch du sein Geschenk annehmen?«