Geschichten:Hehres Gebot - Teil 3: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 17. August 2011, 09:33 Uhr
Grafschaft Eslamsgrund, Burg Reinherz, Winter 1030 BF
Die Schneeflocken tanzten im Wind. Der Praios-Geweihte Lucidus eilte durch die Korridore von Burg Reinherz in die Halle, wo sich alle Anwesenden notgedrungen an den großen Kaminen versammelten. Nachdem der in kostbare Pelze gehüllte Graf Siegeshart von Ehrenstein ihm aufmunternd zugenickt hatte, wärmte Lucidus sich seine klammen Finger am Feuer und spürte ein brennendes Prickeln, als das Gefühl zurückkehrte. Er hatte lange in der Schreibstube ausgeharrt, aber mitten im Winter war auch eine luxuriöse Anlage, wie die gräfliche Residenz kaum zu heizen. Er schauderte bei dem Gedanken an die trutzigen Festungsanlagen, durch deren Fugen und Ritzen die Kälte schnell und erbarmungslos vordrang. Wer hatte schon Gold für die Heerscharen von Bauleuten übrig, die man zwingend für die regelmäßige Instandhaltung benötigte?
Caldrine von Greifenberg huschte an ihm vorüber und der Saum ihres Kleides streifte ihn. Auch wenn sie sich unscheinbar gab, so machte Lucidus einen sinnlichen Zug um ihren Mund herum aus. Aus dem Burgfräulein war eine Edeldame geworden, die mit einem Baron den Traviabund schließen konnte, wenn sie Glück hatte. Die Zahl aufrichtiger Verehrer hielt sich allerdings in Grenzen. Das mochte daran liegen, das nur ihr Vater von Stand war. Immerhin ein Greifenberg und Heerführer Isoras. Wohl möglich war das Minnewesen auch nach der Erschütterung der letzten Jahre im Niedergang begriffen. Junge Männer wurden entweder grobe Krieger oder liederliche Taugenichtse. Kultiviertheit war durch Dekadenz und Inzucht des Horasreiches befleckt worden und so in Verruf geraten.
Die Ankunft eines unerwarteten Gastes aus dem Schneegestöber riss Lucidus aus seinen Gedanken. Der stolze, alte Mann, der mit schneebedecktem weinroten Mantel an der Spitze seiner Gefolgschaft Einzug hielt, war Freiherr Arbas Jondrean von Berglund, Geheimer Inquisitionsrat der Heiligen Inquisition. Der Mann wischte den lästigen Tumult mit herrischen Gesten beiseite und verschwand nach dem Minimum einer formellen Begrüßung in eilends geräumten Gemächern.
Später am Abend, Lucidus war grade auf dem Weg in die Bibliothek, wurde er von einer Sonnenlegionärin abgefangen und direkt zum Freiherren gebracht. Lucidus war fassungslos, aber der Geheimrat hielt sich nicht mit Förmlichkeiten auf. Als Lucidus verwirrt "Exzellenz?" stammelte, streckte ihm der alte Mann den Siegelring zum Kuss entgegen. Auf dem roten Grund eines Rubins war darauf das Praios-Auge in Gold eingelassen. Das Zentrum des Auges leuchtete aus eigener Kraft. Filigrane imperiale Zeichen waren in die Fassung graviert. Scheu brachte Lucidus im Knien die zeremonielle Andeutung eines untertänigen Kusses dar.
Auf Bosparano leitete der alte Mann seine Ausführungen ein:
"Es bleibt keine Zeit für Getue. Wir alle sind gefordert unermüdlich zu verhindern, dass das Diesseits, wie wir es kennen, zerbricht. Suche Deinen Herren auf. Er hat klare Anweisungen erhalten. Es kann nicht geduldet werden, dass er sich der Schwäche ergibt."
Danach folgte eine Reihe kryptischer Anweisungen, von denen Lucidus nicht wusste, ob seine Übersetzung ungenügend war, ob es sich um bewusst verstümmelte Worte oder ein enigmatisches Orakel handelte. Nachdem ihm der Alte signalisiert hatte, das er sich zurückziehen sollte, weil er nicht mehr benötigt wurde, verließ Lucidus verstört den Salon und schrieb in der Kammer einige Zeilen in der Verschlüsselung des Hüterordens nieder, die ihm durch den Prälaten Niteo von Illgeney im Grund gelehrt worden war.
Im ersten Licht des anbrechenden Tages reiste der Geheimrat weiter, vermutlich um seinerseits unermüdlich für die Ordnung des Götterfürsten einzutreten und auch Lucidus machte sich bereit für die Reise durch die Kälte. Bevor alles bereit war, besprach er sich mit seinem Lehrmeister und suchte in der Bibliothek die Bücher zusammen, mit deren Studium er befasst war. Dabei fiel sein Blick auf einen altertümlichen, voluminösen Folianten, der ihm bisher nie aufgefallen war und der zudem in einer unpassenden Reihe einsortiert war. Aus reinem Ordnungssinn und gewissermaßen als letzte Amtshandlung seiner Tätigkeiten in der gräflichen Bibliothek auf absehbare Zeit, zog er den Folianten aus dem Regal. Das Leder war hell und von eigentümlicher Struktur. Der schwere Band selbst war uneben und roch unangenehm. Fast beiläufig schlug Lucidus die Seiten auf und starrte mit schreckensgeweiteten Augen auf die mit Blut geschriebenen Zeilen. Sein Hirn weigerte sich hinzunehmen das er, inmitten der friedlichen Idylle der behüteten gräflichen Bibliothek, die "Dreizehn Lobpreisungen des Namenlosen" in der Hand hielt.