Geschichten:Hartsteener Kassen - Kein Platz mehr: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 31. August 2011, 06:57 Uhr
Durch seinen Büttel hatte der Ritter die Hörigen zur Praiosstunde vor sein Haus rufen lassen. Tuschelnd standen diese nun in Grüppchen zusammen auf dem Gutshof und verharrten in ungeduldiger Erwartung. Was wollte der Ritter persönlich wohl öffentlich verkünden? Und so machten allerlei Mutmaßungen die Runde. War seine Frau wieder schwanger? Doch das konnte nicht sein, der Herr und die Herrin schliefen schon lange nicht mehr im selben Bett, seit diese ihn vor einem Jahr mit der Küchenmagd inflagranti erwischt hatte. Drohte ein Angriff? Aber dann hätte er schon eher Anweisungen gegeben, das Gut in einen wehrhaften Zustand zu versetzen. Es musste etwas anderes sein, denn immerhin war er gestern erst von einer tagelangen Reise zurückgekehrt.
Immer wieder trafen bange Blicke die feste Eichenholzpforte am oberen Ende der Treppe zum Herrenhaus. Schließlich öffnete sich die Tür und ihr Herr trat hinaus, das Schwert umgegürtet, angetan in seinen Praiostagskleidern, denen man ansah, dass sie nicht weniger oft geflickt worden waren als die grauen Kittel der Bauern. Er trat näher, dunkle Ringe unter den Augen und mit zerfurchter Stirn. Die Bauern in der vordersten Reihe konnten den Alkohol in seinem Atem riechen. Er hob die Arme und das Getuschel verstummte. Die meisten senkten aus Gewohnheit den Kopf.
Nach einem Moment der Stille begann der Ritter mit belegter Stimme zu verkünden: „Meine lieben Kinder! Die Zeiten sind hart. Nicht nur, dass wir so viel, was uns teuer war, an die Räuberbanden und Mordbuben verloren haben, die unsere Heimat immer wieder heimsuchen, nein! Die Krone selbst fordert nun unser letztes Hemd und droht mir, eurem guten Herrn, der euch in all der Zeit so gut er vermochte versorgt und geschützt hat, in einer Zeit, in der die Krone dazu nicht in der Lage war, mit dem Verlust von Gut und Ehre. Denn für jeden Bewohner, der unter meinem Schutze lebt, verlangt die Krone einen güldenen Dukaten als Steuer!“
Ein Raunen ging durch die Menge und ungläubige Blicke trafen den Grundherrn, doch verstummten sie schnell, als er weiter sprach: „Die Soldaten des Verwesers von Hartsteen sind bereits unterwegs, diese Summen an allen Orten in der Grafschaft einzutreiben und bald werden sie mit ihrer Forderung auch hier erscheinen.“ Er ließ den Blick über die Anwesenden schweifen.
"Doch warum habe ich euch rufen lassen? So zahlreich, wie ihr hier vor mir steht, bin ich stolz auf jeden einzelnen von euch. Und so sehr ich mir wünschte, ich könnte für jeden von euch die verlangte Summe zahlen, so kann ich es doch nicht“, er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, wie als wollte er einen unsichtbaren Schmerz wegwischen. „Darum habe ich so entschieden: Diejenigen von euch, die ich gleich aufrufen werde, bleiben hier und tun weiterhin, was sie schuldig sind zu tun vor den Zwölfen und ihrer Obrigkeit. Die anderen sind entlassen. Ich gebe euch frei. Euch ist gestattet zu gehen, wohin es euch beliebt. Nur hier bei mir könnt ihr nicht mehr bleiben. Zieht fort! Sucht euch einen anderen Ort, um euer täglich Brot zu verdienen! Die Zwölfe mögen Euch dabei geleiten.“
Wie versteinert und vollkommen still standen die Bauern und starrten mit offenen Mäulern ihren Herrn an, der nun mit der Namensverkündung begann: „Urwin, Travidan, Porcella, Wichman, Tsanett...“
Als er geendet hatte, rührte sich niemand.
„Was ist?“ Raunzte der Ritter die Hörigen an, die ihn weiter erwartungsvoll anblickten. „Ihr, die ich nicht aufgerufen habe: Packt eure Sachen und verschwindet. Auf meinem Land ist kein Platz mehr für euch!“
„Aber Herr“, wagte der vorderste Bauer, die Kappe in der Hand drehend, die Stimme zu erheben, „Wir sollen hier bleiben, während Ihr die Alten und Schwachen, auch meine Familie, in die Fremde schickt, in Hunger, Elend und Tod? Sie haben doch nichts.“
„Hör auf zu jammern, Wichman!“ knurrte ihn der Ritter an. „Mögen die Zwölfe ihren armen Seelen gewogen sein. Aber ich kann nur kräftige Leute gebrauchen, die anpacken und keine unnützen Esser, die mich Gold kosten, das ich schon längst nicht mehr habe. Du bleibst hier und deine Brut macht, dass sie fort kommt, oder ich erschlage sie eigenhändig. Und das ist mein letztes Wort!“