Geschichten:Wolfsvater: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 19. Dezember 2013, 23:31 Uhr
Zillinger Tal, Phex 1036 BF
»Großvater, Großvater! Dort: Das sind die Ferkinas, nicht?« Ailinde war ganz aufgeregt und hüpfte um den Alten herum, der seinem Esel soeben einen einfachen Sattel aufschnallte.
»Ja, das sind Ferkinas, Kind. Sie ziehen drüben am Hang aufwärts zu den Stätten ihrer Ahnen.« Iaruch von Zillingen packte weiter zusammen, was von ihrem Nachtlager verladen werden musste: alles. Denn ein Bewohner des Walls weiß, was er zurücklässt, wenn er gelagert hat: nichts und seinen Dank. Der Rastplatz lag in schwindelnder Höhe über dem Zillinger Tal. Unten waren die roten Dächer der Burg zu sehen, dahinter das sich öffnende Hügelland der Gerbenwalder Höhen. In die andere Richtung schob sich das Tal weiter hinan, flankiert von schroffen Gipfeln, die jene Welt der Giganten des Sturmfels bestimmten, in denen der alte Iaruch sich auskannte. Die Ferkinas waren kaum eine Meile entfernt - doch wären sie in Gareth genauso unerreichbar gewesen. Erst wenn man dem Kamm weiter aufwärts in Richtung der Sonne folgte, vereinigten sich die beiden Hänge am Scheitelpunkt des Tals.
»Was sind das für Städte, Großvater?«
»Stätten, Kind. Dort oben betten sie ihre Verstorbenen, Ailinde. Von dort haben ihre Seelen einen Blick auf die Weite des Firmaments und auf die Ewigkeit.«
»Das verstehe ich nicht, Großvater.« Ailinde hatte ihren Rucksack gepackt und streichelte den alten Grauwolf, der zum ständigen Begleiter des alten Iaruch geworden war.
»Das kannst Du auch noch nicht verstehen, Ailinde. Die Ewigkeit ist etwas, das erst mit dem Alter kommt. In Deinen jungen Jahren existiert sie noch gar nicht. Komm jetzt, wir wollten doch das Trollherz pflücken!« Iaruch nahm seinen Esel bei der Trense und begann, den Hang hinaus zu steigen. Das tat er seit vielen Jahren: die Hänge hinaussteigen und unerwartet wieder herabzukommen. Er hatte sein Leben ganz dem Rhythmus des Gebirges angepasst und schien die Verwandtschaft zu den Felsen mehr und mehr zu vertiefen. Seine Haut schien dick und hart, braun und grau wie der Stein. Seine Augen leuchteten und waren doch schwarz und tief wie Gebirgsseen.
»Ja, das Trollherz! Meinst du, wir finden auch ein blaues?« Das Mädchen war gut gelaunt - seit Tagen schon, denn der Marsch mit dem Großvater tat ihm gut, aber auch dem Alten. Viel zu selten hatte der alte Iaruch Gesellschaft in den Bergen. Außer den Steinen, den Ferkinas und all den Wesen und Geistern, die es sonst noch hier oben geben mochte.
»Vielleicht, Ailinde. Du weißt: Nur die Tränen eines Trollschamanen lassen die Blüten des Trollherzen sich blau färben. Sonst sind sie rot. Und trotzdem wunderschön. Du wirst es sehen. Droben am Kamm.«
»Wo die Stätten der Ferkinas sind?« »Ja, genau dort.«
»Aber werden sie nicht böse, wenn wir da rumlaufen, Großvater?«
»Nicht, wenn wir uns respektvoll verhalten, Kind. Denke: Das Leben hier oben ist stets in so großer Gefahr, dass alles Lebendige zusammenhalten muss. Die Ferkinas und wir, die Tiere und selbst die Pflanzen. Die Ferkinas wissen das. Und wir beide doch auch.«
»Ja, Großvater.« Ailindes Wangen glühten bereits von der Anstrengung, während ihr Großvater keine Anzeichen zeigte, während er seinen Esel führte und sich von dem ihn begleitenden Wolf immer wieder die Finger der herabhängenden Linken lecken ließ. »Und könne wir dann auch einen der Trollwege gehen?«, schoss es aus dem Mädchen.
»Kaum, Ailinde. Auch wenn wir mit und mit dem Trollherzen verbinden, heißt es noch lange nicht, dass wir auch einen Eingang zu den Trollpfaden finden. Und selbst wenn - wollen wir ihn wirklich gehen? Ich war drüben, in den Zacken, und habe die Schrecken dort gesehen. Kind, lass uns bei unseren Giganten bleiben, die sind uns genug. Und wenn ein alter Trollvater herbeikommt, dann grüßen wir ihn höflich und lassen ihn wieder gehen. Gut?«
»Gut, Großvater.«
Den Tag stiegen sie herauf, immer wieder pausierend und Wasser aus dem springenden Gebirgsbach trinkend, dessen Bett sie seit dem späten Vormittag folgten. Am anderen Hang blieben die Ferkinas fast stets auf derselben Höhe. Morgen Mittag würden sie auf sie treffen - oben.