Geschichten:Erlenstammer Kriegsvorbereitungen - Erlenstammer Entscheidungen: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 28. Februar 2014, 16:26 Uhr
Am Abend wurden Greifdane und Alissa von einem kreidebleichen Secretarius in den großen Saal gerufen. Als sie eintraten, flüsterte er beiden beim Vorbeilaufen zu: "Ihre Hochgeboren tobt."
Die Baronin, zornesrot im Gesicht, lief auf und ab, und sobald sie ihrer Nichten gewahr wurde, brüllte sie los: "Was fällt Euch ungezogenen Gören eigentlich ein, Euch wie kleine Mädchen zu prügeln?! Ist das die Art, wie sich Damen von Stand benehmen?! Aber das Schlimmste ist, dass Ihr Euch VOR den Untertanen und sogar VOR den neuen Rekruten geprügelt habt!! Die Moral dieser Untertanen ist VERSAUT, wie meine Nichten!! Ihr werdet alle Rekruten entlassen und neue suchen - das auch, um Euch zu disziplinieren!! Und jetzt will ich wissen, was genau passierte."
Greifdane ergriff zuerst das Wort und hob zaghaft und mit gespielter Unschuld an: "Alissa hat mich einfach ohne Grund angefallen. Was sollte ich denn tun? Mich verprügeln lassen? Und dann ..."
"Schweig!" bellte die Baronin und wandte sich dann zu Alissa: "Stimmt das?"
Alissa wurde vom Gebrüll der Baronin ziemlich flau im Magen. Das Herz rutschte ihr in die Hose, und sie hatte in diesem Moment wirklich Angst vor ihrer Tante.
"Nun, Greifdane und ich sind in Treilin aufeinander getroffen, und sie hat wie immer versucht, mich aufzuziehen. Ich habe mich nur gewehrt. Den ersten Schlag hat allerdings sie ausgeteilt. Aber Schuld ... haben wir beide."
Alissa blickte wieder betreten zu Boden.
Die Baronin war eine kurze Zeit still, aber sie atmete laut, ja schnaubte richtiggehend. Dann lief sie zur Wand, wo ein Ziersäbel hing, zog ihn und schlug damit auf den Tisch, so dass es eine tiefe Kerbe gab und der Säbel zerbrach. "Was für nutzlose Frauenzimmer seid Ihr?! Keine will also zuerst zugeschlagen haben?! Feige Bande! Was soll ich nun mit Euch tun? Huh?"
Greifdane fasste Mut und nahm sich nun mit kräftiger Stimme das Wort: "Wieso willst Du, Tante, mit mir was tun? Wir beide wissen doch, was Alissa für eine Pfeife ist! Ich wollte nur Deinen Auftrag getreulich ausführen - Rekruten ausheben eben. Und dann kommt Madame Zuckerpipi und will alles zunichte machen. Ist doch nicht meine Schuld, wenn Mutter sie zuwenig übers Knie gelegt hat!"
Die Baronin, immer noch zornesrot, setzte ein niederhöllischen Grinsen auf: "Nun Alissa, was sagst Du? Soll ich Dich übers Knie legen?" Dann fauchte sie wieder in ungeahnter Lautstärke: "Mir scheint aber, dass ich Euch beide übers Knie legen und Euch stereo Eure Frechheiten aus dem Leib prügeln sollte." Dann wandte sie sich zu Alissa und schaute sie fordernd an.
Alissa bebte innerlich vor Wut wegen der Worte Greifdanes. "Auch ich habe, wie mir befohlen, euren Auftrag ausgeführt. Ich denke, dass weitere Ausführungen diverse Pläne einschränken würden." Zitternd vor Angst und Wut stand sie vor ihrer Tante und blickte ihr tief in die Augen: "Wenn es Eurem Ärger denn Luft macht, dann nehme ich eine Prügelstrafe an, wehrte Tante. Wie Ihr jedoch mit Greifdane verfahren solltet, bleibt Euch überlassen. Ich kann nur für mich sprechen und nicht für meine Schwester."
Alissa war so zornig auf ihre Schwester. Dieses feige Biest versuchte doch tatsächlich, die Baronin auf ihre Seite zu ziehen. Sie verkniff sich jeden Kommentar über die Falschheit ihrer Schwester, da sie ahnte, dass das die Baronin nur noch mehr anstacheln würde.
Kaum hatte Alissa geendet, keifte auch schon Greifdane - selber nun mit zitternder Stimme: "Seht Ihr Tantchen, Sie ist bereit, Ihre Strafe auf sich zu nehmen. Damit hat sie doch zugegeben, dass sie schuld ist."
Einen Moment herrschte angespannte Ruhe. Dann setzte Greifdane nach: "Meint Ihr nicht auch Tantchen?" Wieder Schweigen. Die Augen der Baronin, die sich langsam zu beruhigen begann, wechselten immer von der einen Nichte zur anderen, forschend nach jeder Zuckung im Gesicht. Dann atmete sie tief durch. Die Röte in ihrem Gesicht wurde schwächer. Darauf sagte sie immer noch aufgeregt, aber doch in normaler Lautstärke: "Ich bin zu einem Schluss gekommen, werde mich aber noch mit meinem Secretarius beraten. Ihr wartet auf Euren Zimmern bis ich Euch rufen lasse. Und wagt es ja nicht, Eure Zimmer vorher zu verlassen. Dann rief sie nach dem Hauptmann, der die beiden Damen in ihre Gemächer geleiten sollte.
Während sie warteten, ergriff Greifdane noch einmal das Wort: "Tante, was soll das? Die Dinge liegen doch so klar da! Wie kannst Du Dich noch mit diesem Bürohengst beraten? Wir beide Wissen, dass Alissa ihre Qualitäten am ehesten in einem Therbuniten-Kloster oder einem Peraine-Tempel in einem Flüchtlingslager entfalten könnte."
Darauf gab Thalionmel nur zurück: "Quod dixi, dixi." Greifdane verstand es nicht, wohl aber Alissa.
Kurze Zeit später trafen sich alle auf Geheiß der Baronin wieder, welche sogleich anhob: "Ihr habt beide verschiedene Qualitäten, auf die ich nur ungern verzichte. Und Ihr seid beide noch Kindsköpfe, die sich nicht zu benehmen wissen. Beide müsst Ihr für Eueren Fehltritt büssen. Jede aber auf andere Weise. Du Greifdane bist nicht nur ein Kindskopf, Du bist auch eine Lügnerin, und nichts untergräbt die Moral und das Vertrauen mehr als Unehrlichkeit. Du musst daher noch viel lernen. Ich habe für Dich eine Benimm-Schule in Al'Anfa gefunden." Bei diesen Worten umspielte ein gar bösartiges Lächeln die Lippen der Baronin.
"Unerhört", rief Greifdane und wollte aufstehen, doch auf Geheiß der Baronin wurde sie vom Hauptmann wieder in den Sitz gedrückt. "Sei still!", entgegnete die Baronin.
"Aber das kannst Du mit einer Adligen nicht tun!", rief Greifdane.
Die Baronin schaute sich demonstrativ um. "Hier sind nur zwei Personen von Stand, ich und Alissa." Dann wandte sie sich zum Hauptmann. "Siehst Du, Ole, hier noch eine andere adlige Person?"
"Nein" entgegnete Ole, der zuvor offenbar instruiert worden war, und nun weitersprach: "Eure andere Nichte ist leider immer noch verschollen. Meine Soldaten griffen aber diese verwirrte Magd auf, die sich für Greifdane ausgab und ihr zugegebenermassen etwas ähnlich sieht."
Völlig starr vor Entsetzen klappte Greifdane der Kiefer herunter, und sie blieb sprachlos.
Dann wandte sich die Baronin zu Alissa: "Nun zu Deiner Strafe: Du wirst sämtliche neuen Truppen ausheben und zusammen mit Ole kommandieren und ausbilden."
Dann nickte die Baronin, und drei Soldaten packten Greifdane und schleppten sie hinaus. Dabei zischte Greifdane Alissa zu. "Du bist tot, Schwesterherz."
Die Baronin hörte dies aber nicht und beschloss die Versammlung mit den Worten: "Das hier hat nie stattgefunden - lasst uns nun aufbrechen und meine arme verschollene Nichte Greifdane suchen."
Alissa war sprachlos. Hatte sie gerade wirklich miterlebt, dass ihre Tante Greifdane des Standes enthoben und nach Al'Anfa geschickt hatte? Und hatte sie gerade wirklich eine Morddrohung aus dem Mund ihrer Schwester vernommen?
Alissa stand vollkommen neben sich, fast wie in Trance. Es war fast genauso, wie damals, als sie erfuhr, dass ihr Vater verschwunden und ihre Mutter gestorben war. Und jetzt würde sie ihre Schwester nicht mehr sehen. Auch wenn Greifdane ein Biest war, liebte Alissa ihre Schwester doch! Nun war aber niemand ihrer Familie noch da. Nur ihre Tante, die zu Recht sauer auf sie war.
Alissa war vollkommen überfordert. Ihre Gedanken kreisten um die Geschehnisse der letzten Minuten. Und mit ihren Gedanken begann sich plötzlich der Raum zu drehen. Alissa fing schwerer an zu atmen, bekam kaum Luft. Sie versuchte einen Tisch zu finden, auf dem sie sich abstützen könnte, der war jedoch viel zu weit entfernt. Sie schleppte sich ein paar Schritte durch den Raum und sah noch die Gestalt ihrer Tante, bevor sie ohnmächtig zusammenbrach.
Alissa wachte in ihrem Bett wieder auf. Zuerst ganz benommen, begann sie sich nach und nach wieder an alles zu erinnern. Dann öffnete sie ihre Augen und erblickte ihre Tante, die Baronin, die ihr gegenüber in einem Sessel sass. Kaum hatte Alissa die Augen geöffnet, begann sie leise zu reden: "Alissa, Du warst einige Stunden weggetreten. Aber jetzt bist Du wohl endgültig in der Realität angekommen."
Sie stand auf und setzte sich zu Alissa auf den Bettrand. Dann fuhr sie fort:" Es geht nicht, dass Dich die Realität jedes Mal so umhaut. Du musst lernen, damit umzugehen, sonst wirst Du selber davon überrollt. Auch wenn ich Dir jetzt hartherzig vorkommen muss, so musst Du einsehen, dass ich es mit Dir nur gut meine. Ich habe eine für uns beide tödliche Gefahr gebannt, und wenn ich Dich in Zukunft nicht schonen werde, dann nur deshalb, damit Du lernst zu erkennen und dann zu tun, was nötig ist. Deine erste Lektion wird gleich morgen früh sein. Sei gefasst darauf, dass sie für Dich hart sein wird, aber dass ich von Dir erwarte, dass Du sie bestehst, indem Du einfach nur meinen Anweisungen folgen wirst. Ich werde Dich bei Zeiten instruieren. Jetzt kannst Du Dich ausruhen."
Alissa war bedrückt. Sie konnte immer noch nicht ganz fassen, was passiert war. Sie blickte ihre Tante mit traurigen Augen an. "Ihr habt ja recht, liebe Tante.", sagte Alissa und schluckte. "Es ist nur.... Greifdane ist doch trotzdem meine Schwester... und..." Wieder schluckte sie und versuchte, die Tränen, die in ihr aufstiegen, zu unterdrücken. "Wisst Ihr, auch wenn Ihr nach dem Tod meiner Mutter wie eine selbige zu mir ward, ist doch schwer zu begreifen, dass ich weder meine Eltern, noch meine Schwester wieder sehen werde. Die Ereignisse haben sich überschlagen, und das war in der kurzen Zeit zuviel für mich. Ich weiß, dass die Realität hart ist und dass ich viel an mir arbeiten muss, um mich von solchen Ereignissen nicht mehr einholen zu lassen. Aber Ihr kennt mich und meinen Willen. Ihr wisst, dass ich das schaffen kann."
Alissa schluckte wieder, sie schaffte es allerdings nicht, ihre Tränen vollkommen zurückzuhalten. So suchte sich eine einzelne Träne ihren Weg über Alissas Wange. "Was ich nur nicht verstehen kann, ist, wie jemand so von Hass erfüllt sein kann, wie Greifdane. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihr es gehört habt, aber sie zischte mir beim Verlassen des Zimmers eine Morddrohung zu. Ich kann einfach nicht fassen, wie sie so etwas tun kann."
Die Baronin strich ihrer Nichte liebevoll über die Haare. "Gräm Dich nicht. Greifdane war nie etwas anderes als ein Raubtier. Du hast es einfach nie gesehen, nie sehen wollen. Nur dass sie Deine Schwester ist, heißt nicht, dass sie nicht einen miesen Charakter haben kann. Dann gäbe es nämlich keine miesen Menschen, denn jeder Mörder ist der Sohn oder Bruder oder Vater von jemandem, der anständig ist. Versuch es so zu sehen, dass die Greifdane, die Du heute kennen gelernt hast, Deine liebe Schwester getötet und sich ihrer bemächtigt hat."
Die Baronin schaute Alissa diesmal selten verständnisvoll in die Augen, fuhr aber mit fester Stimme fort: "Aber Du musst auch begreifen, dass die Realität nicht nur hart und unfair ist. Sie hat auch ihre eigenen Pläne und wartet nicht, bis Du bereit für sie bist. Deshalb musst Du Dich so bald als möglich bereit machen. Ich habe für Dich eine schwere Aufgabe ausgesucht, die ich aber von Dir verlangen muss. Du wirst morgen über 3 zwergische Münzfälscher und Greifdane zu Gericht sitzen. Du wirst alle vier in die Verbannung schicken, und bei Greifdane wird der Grund dafür sein, dass sie eine Magd ist, die Greifdane ähnlich sieht und diese Eigenschaft schändlicherweise ausgenutzt hat, um sich für Deine verschollene Schwester auszugeben. Du wirst dann auch sagen, dass das eigentlich ein todeswürdiges Verbrechen gegen Praios' Gesetze ist, Du aber Milde walten lassen wollest und sie daher nur in die Verbannung auf Lebenszeit schickst. Du wirst bei dieser Aufgabe bis auf den Secretarius allein sein, und ich vertraue fest darauf, dass Du dieser Aufgabe gewachsen sein wirst. Ach ja, der Transport nach Al'Anfa ist schon vorbereitet. Die Söldner, die die Gefangenen begleiten werden, befinden sich schon innerhalb dieser Mauern."
Alissa blickte betreten auf die Bettdecke. "Das ist wirklich eine schwere Aufgabe für mich." Sie wischte sich eine aufkommende Träne aus den Augen. "Ihr stellt mich auf eine harte Probe, liebe Tante. Ich hoffe für mich, dass ich den nötigen Abstand gewinne, um dieses Urteil fällen zu können. Und wenn Euer Secretarius mir zur Seite steht, werde ich das schon schaffen. Ich habe Euch bisher nie enttäuscht, liebste Tante, und werde es auch in Zukunft nicht tun."
Am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang saß Alissa in ihrer Richterrobe, die ihr zu groß war, im Gerichtssaal. Neben ihr saß der Secretarius, der nicht die leiseste Spur von Anspannung zeigte. Alissas Herz schlug bis zum Hals. Ganz ruhig schob ihr der Secretarius die Anklageschriften hinüber und die Texte, die er ihr im Auftrag der Baronin vorbereiten ließ, und die sie praktisch nur vorlesen musste, sobald die Angeklagten den Raum betreten hätten. Das Prozedere war denkbar einfach ... in der Theorie - und für den Secretarius offenbar auch in der Praxis, so aber nicht für Alissa.
Dann ging die Tür auf. Zunächst war das näher kommen von Kettengerassel zu hören. Dann schlurften die in Eisen gelegten Zwerge herein. Haarige, schmutzige und doch noch kräftige Figuren. Nach ihnen folgte dann Greifdane, doch im ersten Moment erkannte sie Alissa nicht. Eine in schmutzige Lumpen gehüllte, mit Hand- und Fußketten gefesselte Frau mit kahl geschorenem Schädel und zahlreichen blauen Flecken am Körper, mit einem hasserfüllten Blick in den Augen - jeder Muskel im immer noch starken Körper angespannt. Dann traten noch fünf Soldaten in den Saal. Das Rasseln der Ketten verstummte. Bis auf Greifdanes lautes Atmen war es still. Der Secretarius warf einen bangen Blick auf Alissa, denn es war nun an ihr, mit dem makabren Ritual zu beginnen.
Mit zitternden Händen und einem riesigen Kloß im Hals begann Alissa von den vor ihr liegenden Texten abzulesen. Sie begann mit den Zwergen: Das Gericht hat Kenntnis davon erhalten, dass ihr drei in das hiesige Münzfälschergeschäft verwickelt seid. Was habt ihr zu eurer Verteidigung vorzubringen?" Nach diesem ersten Satz beruhigte sich Alissas Gemüt wieder ein wenig und sie schluckte den Kloß im Hals herunter. Das Zittern in ihren Händen wollte allerdings nicht verschwinden.
Einer der Zwerge brummte etwas vor sich hin, was jedoch niemand im Saal verstand. "Nun, da ihr nichts vorbringen könnt, lautet das Urteil Verbannung." Alissa nickte den Soldaten im Saal zu und diese machten sich daran, die Zwerge nacheinander aus dem Saal zu führen. Nachdem die Zwerge verschwunden waren, blickte Alissa in die hasserfüllten Augen ihrer Schwester. Für Alissa war es immer noch nicht fassbar, wie jemand einen solch großen Hass entwickeln kann. Es sei denn, dieser Hass war schon immer da gewesen. Da traf es Alissa fast wie ein Schlag! Auf einmal machte alles Sinn! Das Verschwinden ihres Vaters. Hatte Greifdane noch damals gesagt, dass es ihm recht geschehe und er bestimmt tot sei? Und dann der Tod ihrer Mutter. Hatte Greifdane zu diesem Zeitpunkt nicht auch so merkwürdige Bemerkungen gemacht? Und wie war das noch bei der geistigen Verwirrtheit ihrer Tante? War Greifdane nicht mitunter eine der Wenigen, die Zugang zu der Baronin hatte?
In Alissa stieg eine fast unbändige Wut auf. Sie blickte Greifdane ins Gesicht und verlas die Anklage: "Du, Magd, hast die Baronie Erlenstamm schändlich betrogen! Du hast dich für die verschollene Nichte Greifdane der Baronin ausgegeben. Durch deine Ähnlichkeit zu ihrer Nichte konntest du die Baronin, das Gefolge und auch mich, die Schwester Greifdanes, täuschen. Doch irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht. Was kannst du zu deiner Verteidigung vorbringen, Magd?!"
Alissas Stimme überschlug sich beinahe vor Zorn auf ihre Schwester. Greifdane hatte ihr alles genommen, was ihr lieb war. Vielleicht war sie ja sogar an der Entführung des kleinen Rohajan Praiodan beteiligt.
Greifdane räusperte sich und versuchte aufzustehen, doch die neben ihr postierten Soldaten hatten klare Anweisungen und drückten sie zurück auf den Boden. Greifdane legte ihren ganzen Hass in ihre Stimme: "Du wagst es, mich als Magd zu beschimpfen? Mich, deine ältere Schwester? Ich sollte eigentlich an deiner Stelle sitzen und dich wegen Verrates verurteilen!"
Alissa stand auf und stütze sich auf ihrem Schreibtisch ab. Ihre Hände zitterten noch immer, allerdings nicht mehr vor Aufregung, sondern vor Wut über die Aussage ihrer Schwester. "Mir scheint, dein Geist ist verwirrt, Magd. So werde ich es anders formulieren. Ist dir eigentlich klar, welche Strafe dir ob deiner Maskerade droht?"
"Meine Maskerade?", spie Greifdane aus. "Du bist doch der Tante in den Arsch gekrochen! Warum sitzt du denn jetzt hier und richtest über mich? Doch nur, weil du dem Tantchen nach dem Mund redest!"
Alissa antwortete zornig: "Die Baronin ist für dich immer noch mit 'ihre Hochgeboren' zu bezeichnen und auch das Gericht ist von dir nicht mit "Du" anzusprechen. Aber ich merke schon, du hast nichts zu deiner Verteidigung vorzubringen. Und zu allem Überfluss bist du wohl geistig sehr verwirrt. Aufgrund dieser Verwirrung werde ich das Urteil, welches für dich eigentlich den Tod bedeutet hätte, abmildern. Du wirst aus Erlenstamm verbannt. Du wirst für alle Zeiten die Baronie niemals wieder betreten. Solltest du es doch versuchen, droht dir der Tod durch den Strang!"
Alissa atmete schneller, doch trotzdem war sie etwas erleichtert. Sie hielt sich nicht ganz genau an die ihr vorliegenden Texte, hatte sie doch den Abschnitt mit dem Strang selbst hinzugefügt. "Soldaten, führt diese Hochstaplerin ab!"
Greifdane wehrte sich mit allen Kräften und die Soldaten taten sich schwer, sie aus dem Saal zu schaffen. "Lass mich nur abführen, Schwesterherz! Du wirst schon sehen! Irgendwann komme ich wieder und dann wirst du durch meine Hand und mein Schwert sterben. Ich werde unbändigen Spaß daran haben, mein Schwert langsam in dein Herz zu stoßen und dir die Gedärme scheibchenweise herauszuschneiden!" Die Soldaten zerrten weiterhin an Greifdanes Ketten, doch diese bewegte sich keinen Millimeter in Richtung Ausgang.
"Warte nur Alissa, ich werde dich finden und töten. Ich verfluche dich und unsere Tante! Möge der Namenlose mein Zeuge sein und dich die Dämonen bis an dein Lebensende verfolgen!" Einer der Soldaten reagierte sofort. Er versetzte Greifdane einen derart harten Schlag, dass diese nun endlich völlig benommen aus dem Saal geschafft werden konnte.
Alissa war kreidebleich geworden. Sie hörte sich sagen, dass die Verhandlung beendet sei, und verließ den Saal durch die Tür hinter ihrem Platz. Der Secretarius folgte ihr und schloss die Tür hinter sich.
Alissa war immer noch kreidebleich. Sie atmete schwer und ihr war speiübel. "Arth, das muss ihre Hochgeboren sofort erfahren. Bringt mich bitte umgehend zu ihr!" Sie schälte sich aus der Robe und machte sich zusammen mit dem Secretarius auf den Weg zu ihrer Tante, um ihr von der Gerichtsverhandlung zu berichten.
Die Baronin schaute vom Schreibtisch auf, als Alissa mit dem Secretarius den Raum betraten. Sie sah, in welchem Zustand Alissa offenkundig war, und fragte gleich besorgt nach ihrem Befinden sowie dem Verlauf der Verhandlung. Doch da Alissa noch Mühe hatte, sich zu fassen, ergriff der Secretarius das Wort und berichtete erstaunlich genau, was passiert und gesprochen worden war. Die Baronin hörte sehr aufmerksam zu. Und am Schluss fragte sie den Secretarius, wie er Alissas Leistung als Richterin beurteilte.
"Hochgeboren", entgegnete er etwas geniert und mit einem Seitenblick auf Alissa, "es steht mir doch nicht zu, Eure Nichte zu beurteilen. Es wäre vielmehr ihre Sache, mich zu beurteilen."
Doch die Baronin ließ nicht locker: "Ihr seid loyal wie immer, aber wenn ich Euch frage, erwarte ich auch eine Antwort, nicht wahr?"
"Also gut", erwiderte der Secretarius, "wie ihr wünscht." Zu Alissa sagte er kurz "Verzeiht, Hochgeboren" und fuhr dann fort: "Aus meiner bescheidenen Froschperspektive war Ihre Nichte sehr überzeugend. Sie traf die richtigen Worte zur richtigen Zeit. Und - was nicht zu unterschätzen ist - sie legte eine Leidenschaft, fast einen heiligen Zorn, an den Tag, der vielfach im Lauf der Routine verloren geht, aber der Verhandlung eine große Glaubwürdigkeit verlieh und allen Anwesenden zeigte, wie sehr sie die Missetat dieser Person verachtete. Es ist schade, dass der Prozess, auch wenn er kurz war, nicht öffentlich abgehalten wurde."
Die Baronin wandte sich zu Alissa: "Entschuldige, wenn ich schon wieder das Urteil meines Secretarius´ einhole. Du stehst für mich deshalb nicht im zweiten Glied. Und einmal mehr hast Du Dich als würdige Erlenstammerin erwiesen. Ich sehe Dir an, wie es Dich hergenommen hat, aber Du hast dennoch alles gegeben - und es auch noch sehr gut gemacht. Ich bin so stolz auf Dich Alissa."
Damit stand sie auf, nahm ihre Nichte in die Arme und drückte sie fest an sich. Und als sie sie losließ, sagte sie in ruhigem Ton:" Und mach Dir nichts aus Greifdanes letzten Worten. Du weist gar nicht, wie oft solche Sprüche von den widerstandsfähigeren Gefangenen kommen. Und noch nie ist etwas passiert."
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