Geschichten:Gefährliche Wahrheiten - Teil 1: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 4. Juni 2019, 08:05 Uhr

Bei Burg Leihenbutt, später Rondra 33 Hal


„Ein wenig höher! Du musst die Lanze höher halten, Brinwulf! Nein, nein, nicht so hoch!“

Mit einem dumpfen Aufprall schlug die Spitze der Stange gegen den Ast, an dem der große Messingreif hing, und brach ab. Der Reiter ließ die Holzstange fallen und brachte sein Pferd zum Stehen. Nimmgalf lief auf seinen Vetter zu, der gerade sein Helmvisier hochklappte.

„Hast du gesehen, Vetter? Ich hätte den Ring beinahe erwischt. So langsam mache ich Fortschritte, was?“

„Fortschritte ja, aber du brauchst noch viel Übung, Brinwulf, bevor ich Dich beim Grafenturnier antreten lassen kann. Du musst immer dran denken: Reiter, Ross und Lanze bilden eine Einheit. Alles muss wie ein einziges Wesen funktionieren. Behalte mit deinen Beinen die Kontrolle über dein Pferd und ziele mit der Lanzenspitze auf den Gegner. Du darfst das Ziel niemals aus den Augen lassen. Nur dann wirst du Erfolg haben.“

„Du lässt mich ja immer nur mit diesen billigen Holzimitationen von Lanzen üben. Gib mir doch mal eine richtige Turnierlanze, dann werde ich dir schon zeigen, dass ich mein Ziel auch treffen kann.“

Nimmgalf schüttelte energisch den Kopf. „Tut mir leid, aber Du bist einfach noch nicht gut genug, Vetter. Ich kann nicht meine teuren Lanzen für deine Fehlversuche opfern. Mein eigener Verschleiß ist ohnehin schon recht hoch. Also übe noch fleißig, dann sehen wir weiter.“

Auf einen Wink des Barons brachte sein Knappe Ugdan eine neue Stange, die er gerade zurecht geschnitzt hatte, und überreichte sie Brinwulf, der so dann wieder zu seinem Ausgangspunkt für einen neuen Lanzengang ritt.

Vom ihrem Zimmer im Palais der Burg Leihenbutt aus beobachtete Simiona das Treiben draußen auf dem Acker. Mit ihren scharfen Augen konnte sie Dinge erkennen, die den Blicken der meisten Menschen verborgen blieben.

„Der gute Nimmgalf“, dachte sie bei sich. „Er gibt sisch solsche Mü`e, um seinem Cousin das Tjosten beizubringen, nur weil er die vage `offnung `at, dass dieser Versager von Brinwulf in Schetzeneck gewinnen könnte.“

Sie seufzte.

“Aber isch denke, er wird me`r brauchen als Glück und Können, um dort siegreisch zu sein.“

Ein Lächeln huschte über ihre Mundwinkel, als sie sich ausmalte, welchen Einfluss eine Edeldame auf den Ausgang eines solchen Turniers haben könnte. Nun, es wäre nicht das erste Mal, dass sie das Zünglein an der Waage spielte.

In dem Moment klopfte es an der Türe ihres Gemachs. „Ja bitte?“

Die Türe öffnete sich einen Spalt, und Merkold der Hausdiener schob vorsichtig seinen Kopf hinein. „Verzeiht die Störung, Herrin, aber ihr hattet nach einem Buch über die Pferderassen Garetiens gefragt. Ich bringe Euch nun ein solches, wenn es Euch recht ist.“

„Aber ja, natürlisch. Komme er nur `erein.“

Mit ein paar raschen Handgriffen räumte sie den Tisch frei, auf dem noch ein wenig Geschirr vom Nachmittagsimbiss stand.

„Lege er es `ier ab, und bringe er dies zum Säubern.“

Sie gab ihm das Geschirr.

„Er möge sisch nun entfernen.“

Der Mann tat wie ihm geheißen und Simiona setzte sich an den Tisch. Sie begann in dem Buch zu blättern. Bei einem bestimmten Kapitel hielt sie dann inne.

„Von der Kunst, seine Rösser kenntlisch zu machen – die Brandzeischen Garetiens… oui, dies könnte se`r interessant sein!“ sagte sie zu sich und holte sich dann ein paar Pergamentbögen, Tinte und Gänsekiele aus ihrer Nachttischschublade.