Geschichten:Familienfrieden - Üben, üben, üben: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 11. September 2014, 18:59 Uhr
Üben, üben, üben
Efferd 1034 BF, Landwehrlager in Broien bei Eslamsroden
„Das nennst du sauber, Firnwulf? Da hängt ja noch Gras und Dreck von der Geländeübung gestern zwischen den Gliedern! Hier, nimm das Kettenhemd und mach dich wieder an die Arbeit. Und diesmal mach sie anständig! Wenn mir das Hemd wegen deiner Nachlässigkeit wegrostet, streiche ich dir so lange die Rationen zusammen, bis das neue bezahlt ist. Lass dir von Mechthild das Öl zum Einreiben geben! Und wenn du schon dabei bist schicke Leutnant Keilholtz zu mir.“
Kopfschüttelnd sah Ardo seinem neuen Pagen hinterher bevor er sich schließlich an seinen kleinen Besprechungstisch setzte um eine Landkarte zu studieren. Die Übung am Vortag war wieder einmal ein Desaster gewesen. Es war wie immer, wenn die Bauern etwas zum ersten Mal tun sollten. Nicht, dass sie sich den Befehlen widersetzt hätten. Sie verstanden einfach nicht wie sie diese umsetzen sollten. Das einfache Wenden, das Bilden einer Speerwand oder das gleichzeitige Schießen auf Kommando hatten sie glücklicherweise nach ein paar Wochen auf dem Exerzierplatz verstanden. Aber verlangte man dieselben Übungen im Gelände zwischen Hügeln und Bächen, dann war die Ordnung schnell dahin. Der junge BAron hatte sich deutlich schnellere Fortschritte erhofft.
Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Bald war Erntezeit, dann würden seine Leute zurück auf ihre Höfe gehen und ihm erst Wochen später wieder zur Verfügung stehen. Wahrscheinlich hatten die meisten ihre Lektionen bis dahin längst wieder vergessen. Wenigstens auf seine Kressenburger Bogenschützen konnte er sich verlassen. Die Anordnung seiner Vorgänger, dass Bauern und Bürger an jedem Markttag mit dem Bogen zu üben hatten, trug ihre Früchte. Trotzdem entband das den Baron nicht von seiner Sorge um den Gesamtzustand der Landwehr. Ein plötzlicher Schatten am Eingang des Zeltes machte Ardo auf seine eintretende Adjudantin aufmerksam.
„Herr Hauptmann! Ihr habt mich rufen lassen.“
„Frau Leutnant. Kommt rein Praiadne und setzt Euch. Ich denke es ist Euch gestern nicht entgangen, dass wir ein ernstes Problem mit der Truppe haben. Darüber müssen wir reden und schnellstens eine Lösung finden.“
Er konnte sehen, wie es hinter der Stirn der jungen Offizierin arbeitete. Ja, sie hatte den noch immer desolaten Zustand der Landwehr ebenfalls erkannt. Jeder der nicht schon taub war, hatte gestern bei dem kleinen Manöver ihren Unmut nicht überhören können. Auch Ardo war sehr laut geworden, doch war das etwas anderes, denn seine Kasernenstimme waren die Leute schon gewohnt. Die kleine gutaussehende Edle so dermaßen fluchen und schimpfen zu hören hatte ihn auf der einen Seite belustigt, aber gleichzeitig auch seinen Respekt vor ihr wachsen lassen. Er hatte inzwischen erkannt, dass sie stets genau wusste wovon sie sprach und dass sie darauf brannte, das an der märkischen Krieger-Akademie erworbene Wissen umzusetzen. Nun wusste er zudem, dass sie die Fähigkeit hatte sich bei Unteroffizieren und Mannschaften durchzusetzen. Nicht nur wegen ihres Ranges und ihrer adligen Herkunft, sondern durch natürliche Autorität.
„Wenn Ihr erlaubt Hauptmann Ardo, ich habe mir dazu schon ein paar Gedanken gemacht.“
Lächelnd wies er ihr den Hocker ihm gegenüber und wartete bis sie saß. „Nur zu. Ich will alles hören. Dazu habe ich Euch schließlich rufen lassen.“
„Gut.“
Praiadne sortierte noch einmal ihre Gedanken, bevor sie daran ging sie ihrem Vorgesetzten zu unterbreiten. Sie hatte an der Akademie gelernt, dass auch gute und kluge Ideen überzeugend dargebracht werden mussten, wenn sie Gehör finden wollte. Zwar hatte Ardo ihr bisher immer aufmerksam zugehört. Auch bei den Gesprächen zu den Abendessen, die sie beiden als einzige Adlige im Lager nur mit seiner Knappin und seinem Pagen zusammen einnahmen, führten sie häufig offene Diskussionen. Nicht nur über die Armee, auch über Kressenburg und Eslamsroden, die Lehen Ardos und ihres Bruders Greifwin. Nur das Thema der Familie hatte sie bisher erst einmal kurz angeschnitten als sie ihre Schwester, Ardos Verlobte, zur Sprache brachte. Doch Praiadne hatte schnell gemerkt, dass dies ein Punkt zu sein schien, den ihr zukünftiger Schwager nicht näher bereden wollte. Abgesehen davon war Ardo immer bereit gewesen sich alles unvoreingenommen anzuhören. Nun jedoch ging es um seinen Zuständigkeitsbereich, die Führung der Truppe und Praiadne war sich nicht sicher wie er auf Kritik daran reagieren würde. Sie atmete tief durch und sah ihren Hauptmann dann fest in die Augen während sie sprach.
„Meiner Meinung nach ist die Befehlsstruktur zu grobmaschig.“
„Inwiefern?“
„Den Leuten fehlt in der Masse die Orientierung. Sie wissen oft nicht wo vorn und hinten ist und bevor wir ihnen das nicht wenigstens halbwegs beigebracht haben sind alle anderen Übungen sinnlos. Wir haben aber nicht die Zeit die Bauern so lange zu drillen bis sie es endlich kapiert haben. Sie sind nunmal keine Soldaten sondern nur Landwehr. Also müssen wir ihnen das Verstehen erleichtern.“
„Wie würdet Ihr das anstellen?“
„Gebt den Veteranen mehr Verantwortung. Es sind einige Ältere dabei die schon Schlachten gesehen und gegen Schwarzpelze gefochten haben. Die wissen wie es geht und wie sie ihre Pike zu halten haben. Gleichzeitig haben wir aber auch hauptsächlich junge Kerle und Mädel, die zum ersten Mal eine richtige Waffe in der Hand haben und einen Reigen um den Ingerimmsbaum für eine geschlossene Reihe halten. In dieser Masse gehen die wenigen Erfahrenen unter. Wenn wir ihnen aber ein wenig Autorität zugestehen, könnten sie die jüngeren anleiten. Geben wir jedem Veteran ein paar Frischlinge an die Hand für die er verantwortlich ist.“
„Dann bekommen wir einen Haufen Korporäle. Was soll das bringen? Ganz zu schweigen, dass ich den Bauern hier keinen Unteroffizierssold zahlen kann und werde.“
„Das müsst Ihr ja auch gar nicht. Geht einfach hin und erhebt ein paar Ältere symbolisch zu Wortführeren. Auf den Dörfern funktioniert das auch. Im Zweifel hören sie ja doch immer auf ihre Ältesten. Die Jüngeren sollen sich bei den Übungen und im Manöver an ihren Anführer halten und die sind gegen uns wiederum dafür verantwortlich, dass ihre Leute die Pike richtig herum halten.“
„Gibt das nicht ein heilloses Durcheinander? Bauern die sich gegenseitig Befehle geben? Sie hören doch uns schon nicht richtig zu, weil sie mehr damit beschäftigt sind die Lanze auszurichten und sich nicht selbst zu verletzten.“
„Ihr hebt doch während der Übungen selbst immer wieder Einzelne für die anderen als Vorbilder und Beispiel für die Masse heraus. Mein Vorschlag wäre nur eine Fortsetzung dieses Prinzips. Sagt den Bauern auf wen neben sich sie im Zweifel schauen sollen. Korporal Hamfast oder wir stehen ja nicht mit in der Formation, an uns können sie sich nicht orientieren. Wenn sie aber im Getümmel den alten Tannrik ansehen würden, wie er die Pike aufstellt, dann wüssten sie sofort wie sie es richtig zu machen haben.“
„Nun gut, ich lasse mir das durch den Kopf gehen. Tannrik ist wirklich ein gutes Beispiel, der hat schon auf den Silkwiesen gekämpft und weiß wirklich was er machen muss. Lasst uns schauen ob wir noch ein paar von dem Schlag finden. Vielleicht lässt sich das ja umsetzen. Sonst noch Vorschläge?“
„Ja, Herr Hauptmann. Wir sollten die Leute ermuntern von selbst mehr zu leisten. Sie sind ja nicht freiwillig hier, sondern verpflichtet diesen Dienst zu tun. Viele haben zu Hause Hof und Familie und sehnen sich jeden Tag zurück um nach dem Rechten zu sehen. Sie sind mit den Gedanken nicht bei der Sache und das werden wir ihnen auch nicht mit Zwang einbleuen können. Aber wir könnten ihnen einen kleinen Anreiz geben. Wir haben Bauern aus fünf Baronien hier. Die meisten Übungen finden ja auch in diesen kleinen Einheiten statt und nur ganz selten lassen wir alle gemeinsam marschieren. Lasst uns einen kleinen Wettbewerb veranstalten. Jede Woche küren wir die beste Einheit und loben als Preis ein Extrafass Bier aus. Das ist nicht zu teuer, stärkt die Moral und gibt den Frauen und Männern einen Anreiz sich ganz besonders anzustrengen.“
„Ich halte ja eigentlich nicht viel davon Bauern zum Trinken zu ermutigen. Die müssen nachher wieder aufs Feld und ihre Arbeit tun, auch wenn keine Extraration auf sie wartet. Aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass die Aussicht auf ein oder zwei Humpen mehr die Lernbereitschaft erhöht. Meine Soldaten in Greifenfurt hätten für ein paar Freibier auch so einiges getan.“
Verschmitzt grinste Praiadne ihren Vorgesetzten an. „Eben. Da sind die Kadetten der Kriegerakadmie auch nicht viel anders. Für ein paar Bier zu Lechdans Ehr’ schindet man sich gerne mal eine Stunde länger.“
„Sehr schön, dann wollen wir das mal versuchen. Das zusätzliche Bier lasse ich mit der nächsten Versorgungslieferung aus Eslamsroden kommen. Habt Ihr noch etwas?“
„Nein, abgesehen von diesem Maßnahmen bleibt uns nur die übliche Methode um den Leuten das Kriegshandwerk näher zu bringen. Üben, üben, üben.“
„Dann würde ich sagen“, begann Ardo während er einem Bierschlauch und zwei Becher hervorholte und eingoss, „habt Ihr Euch für Eure Ideen ebenfalls ein Freibier verdient.“
Ohne zu zögern griff Praiadne nach ihrem Becher und stieß mit dem Baron an. „Und womit habt Ihr Euch diesen Umtrunk außer der Reihe verdient, Herr Hauptmann?“, fragte sie mit einem frechen Glitzern in den Augen.
Mit gespielter Würde strich Ardo sein Wams glatt und prostete Ihr noch einmal grinsend zu. „Ich bin der Kommandant.“
Vor dem Zelt hoben Mechthild und Firnwulf verwundert die Köpfe von ihrer Arbeit an Ardos Kettenhemd als sie das einvernehmliche Lachen aus dem Zelt hörten, blickten sich an und schüttelten zugleich ratlos die Köpfe.