Geschichten:Drilltage: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 7. Mai 2014, 04:43 Uhr

Es war im Efferdmond, doch die Praiosscheibe brannte vom Himmel wie im Rahja, als sich der Ritter langsam die Kronstrasse entlang dem Dörfchen Perainsgarten näherte. Ross und Reiter waren staub- und schweissbedeckt, denn nur ein laues Lüftchen wehte vom fernen Raschtulswall. Genug um das erste gefallene Laub umherzuwirbeln, aber zu wenig um kühle Linderung zu bringen. Endlich erreichte er die ersten Häuschen und Katen, doch nirgends war ein Mensch zu sehen was auch an einem Praiostag sehr ungewöhnlich war. Stattdessen hörte er plötzlich Waffengeklirr, Lärm und Geschrei. Vorsichtig geworden ritt er mit der Hand am Schwertgriff weiter in Richtung Dorfmitte wo er schon von weitem das Schild eines Gasthofs sah. Dessen Ecke versperrte dem Ritter die Sicht auf den Dorfplatz, aber offenbar wurde das Dorf nicht angegriffen denn einige Dutzend Schritte weiter sah er jetzt eine Handvoll Kinder und ältere Leute unbeschwert im Schatten eines Baums sitzen, die Aufmerksamkeit auf den Platz gerichtet.

Womöglich ein Immanspiel, dachte sich der Ritter, nahm entspannt die Hand vom Schwertgriff und zügelte schliesslich sein Pferd an der Ecke des Gasthauses wo er endlich Einblick auf den Ort des Geschehens erhielt: Der fünfzig Schritt breite Dorfanger war grob in drei Teile unterteilt, wovon jedes von einer anderen Gruppe Männer und Frauen in Beschlag genommen worden war. Auf der linken Seite hackten fünfzehn kräftige Burschen und Mädels in mehreren Reihen aufgestellt unter der Leitung von drei Kriegsknechten mit Hellebarden tiefe Kerben in fünf senkrecht aufgestellte Baumstämme. In der Mitte standen fünf weitere Schlangen vor Baumstämmen, auf die von rund zwanzig Bewaffneten reihenweise eingeschlagen oder –gestochen wurden. Solche Waffen jedoch, wie von jenen Landwehrleuten geschwungen wurden, hatte der Ritter noch nie gesehen. Offenbar eine zwei handbreit längere, zweihändig bediente Mischung zwischen Brabakbengel und Streitkolben. Primitiv, aber offenbar äusserst wirksam wie mehrere bereitliegende Reservestämme zeigten. Landwehr und Ausbildner waren durchgehend in Gambeson und Helm gekleidet, offenbar um erstere an das Gewicht der Ausrüstung zu gewöhnen. Der riesige Junker – welcher scheinbar ziellos über den Platz schlenderte und das Tun überwachte und zaghaften oder besonders unachtsamen Untertanen die Wichtigkeit der Lektionen nochmals mit einem Haselstock einbläute – trug sogar eine vollständige Plattenrüstung.

Ein Dutzend Schritte neben den Keulenschwingern war schliesslich ein weiteres Dutzend Landwehrsoldaten damit beschäftigt mit Armbrüsten auf Strohscheiben zu schiessen, welche in unterschiedlicher Distanz zu den Schützen aufgestellt waren. Ein untersetzter Angroscho einige Schritte neben ihnen fuchtelte mit einem schrittlangen Stock herum und kommentierte mit heiserer Stimme deren Bemühungen: " Tiefer halten Alrike! Bisschen flotter spannen, Erlan – Haffax' Söldner werden auch nicht warten bis du soweit bist. Nicht schlecht Orlan, nächstes Mal triffst du vielleicht sogar schon die Scheibe!" Er bückte sich, nahm einen Kiesel auf und warf ihn fünf Schritt weiter zielgenau in die Seite einer dicklichen Frau, der der Schweiss unter dem Tellerhelm in Strömen übers Gesicht lief. Prompt verriss sie den Schuss und der Bolzen flog ungezielt in den blauen Efferdhimmel. "Bei Ingerimms Bart, Herline du Angsthase. 1003 schoss deine Grossmutter mit dieser Armbrust einem anstürmenden Oger auf 30 Schritt in die Klöten, ich erinnere mich noch als wäre es gestern gewesen!" Er wies auf eine Gruppe älterer Leute, welche am Rande der Wiese auf grob gezimmerten Bänken sass und die warme Sonne genoss. "Dort drüben sitzt sie übrigens, also reiss dich gefälligst zusammen!"

Nach einigen Augenblicken des Staunens riss sich der Ritter vom gebotenen Anblick los. Steif vom stundenlangen Ritt stieg er vom Pferd und führte den treuen Gefährten zu einem ausgehöhlten Baumstamm, der als Wassertrog diente. Nachdem er einen Moment lang vergebens nach einem Pferdeburschen Ausschau gehalten hatte, betrat er die Schänke und blieb im Eingang einige Augenblicke stehen um seine Augen an das Halbdunkel zu gewöhnen. Ausser dem steinalten Wirt hinter der Theke war die Schankstube leer. Nur im breiten offenen Durchgang zum Dorfplatz stand ein Tisch mit zwei Stühlen. Auf dem einen Stuhl sass ein hart aussehender Mann in mittlerem Alter, der wie ein Söldner gekleidet war; auf dem anderen Stuhl ruhte sein offenbar verletztes Bein, eine Krücke stand an den Tisch gelehnt. Er drehte sich kurz nach dem Eintretenden um, nickte ihm zu, trank einen Schluck aus seinem Humpen und widmete sich wieder dem Geschehen auf dem Platz. Freundlich lächelnd trat der Ritter zum Wirt: „Rondra zum Grusse, Herr Wirt. Ein grosses Bier für mich, Versorgung für mein Pferd draussen und ein Bett für die Nacht wenn es beliebt. In dieser Reihenfolge bitte, falls möglich.“ Der Alte zog eine Braue noch, grinste und nuschelte etwas in dünnen Bart. Einen kurzen Moment später hielt der Ritter einen grossen Humpen in der Hand, trank einen tiefen Schluck, nickte dem Wirt anerkennend zu und trat dann zum Tisch des Söldners, während der Wirt sich um das Pferd kümmern ging.

"Das geht schon länger so?", frage er ohne Einleitung. Der Söldner nickte. "Seit der Junker im Ingerimm vom Hoftag zurückkam. Angeblich wurde er von der Vögtin von Haselhain aus unbekanntem Grund vor versammeltem Hoftag zur Schnecke gemacht. Seither drillt er nicht nur die Landwehr jeden Praiostag, sondern versammelt jede dritte Woche überdies den gesamten Landsturm und lässt dann sogar Unfreie mit Knüppeln und langen Stöcken üben." Er hob die Schultern. "Ich weiss, ich weiss. Das Gesetz gebietet keine Waffen für unfreie Schutzbefohlene. Aber Untote machen nun mal keine Unterschiede zwischen Freien und Unfreien, also tut der Junker was getan werden muss… Der Herr Praios wird ihm dies hoffentlich verzeihen" Der Söldner deutete auf sein Bein. „Und ihr seht ja, auch seine eigenen Leute schont er nicht.“ "Trotzdem", meinte der Ritter nun und stellte plötzlich empört seinen Becher beiseite, als er sah wie der Junker wegen eines Patzers unbarmherzig mit seiner Haselrute eine völlig erschöpfte keulenbewehrte Bäuerin züchtigte. "Jetzt geht er doch zu weit. Das sind keine Soldaten, das sind Bauern und Handwerker." Er wollte sich erheben, um dies seinen Standesgenossen klarzumachen, als sich eine kräftige Hand auf seinen Unterarm legte Verärgert wischte er sie beiseite und drehte sich wütend zu seinem Tischgesellen herum, stockte jedoch und im Angesicht dessen ernster Miene: "Männer und Frauen für den Krieg auszubilden ist kein Kinderspiel, wie ihr vielleicht bereits selber erfahren habt, Herr. Man muss vom ersten Augenblick an hart mit ihnen umspringen, jeder ihrer Fehler muss gnadenlos bestraft werden. Sei in der Ausbildung so hart mit ihnen wie du nur kannst, denn andernfalls sind sie deinetwegen im Nachteil, falls sie dem Feind dann tatsächlich gegenüberstehen sollten."

Der Söldner sah sein Gegenüber nochmals eindringlich an, um sicherzugehen ob dieser ihn verstanden hatte. Dann lächelte er und deutete ins Dunkel der Wirtstube hinein: "Anderseits ist Felian von Perainsgarten kein Unmensch. Was denkt ihr, wozu der Wirt einen riesigen Kessel mit Gerstenbrei über dem Feuer und dieses grosse Bierfass dort in der Ecke stehen hat?"