Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Die junge Frau schluckte: „Was heißt das?“
 
Die junge Frau schluckte: „Was heißt das?“
  
“Es steht für den Zustand zwischen Leben und Tod.“
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Palinai atmete schwer: „Das... das klingt... schrecklich!“
 
Palinai atmete schwer: „Das... das klingt... schrecklich!“
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„Das könnt Ihr... Ihr doch nicht tun“, wisperte sie mit trockener Kehle und stetig leiser werdender Stimme, „Es... es... zer... teilen!“
 
„Das könnt Ihr... Ihr doch nicht tun“, wisperte sie mit trockener Kehle und stetig leiser werdender Stimme, „Es... es... zer... teilen!“
 
  
 
== Todesmutig ==
 
== Todesmutig ==

Version vom 9. März 2019, 13:18 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Drei Krähen und ein Räblein

Das, was war

Fürstentum Kosch, Baronie Birnbrosch, 24. Rahja 1041 [fertig]

Das, was ist

25. Rahja 1041

Da durchbrach der Schrei einer Krähe die Finsternis. Und mit ihr kam das Licht. Der Schatten erzitterte, bäumte sich auf. Die Krähe verharrte einen Augenblick über ihm. Dann stürzte sie sich auf ihn herab. Zerschmetterte ihn. Zerbarst ihn. Tausende funkelnde Splitter prasselten wie Hagelkörner auf Ailsa herab. Einen winzigen Augenblick noch schwebte die Gespensterkrähe über allem. Erhaben, mutig, stark. Dann stand da plötzlich ihre Schwester.

„Nurinai!“, entfuhr es ihr da, „Nurinai! Du?“

Sie half ihr auf die Beine.

„Lauf Ailsa!“, erwiderte diese nur, nahm sie bei der Hand und lief los, „Lauf!“

Sie liefen. Liefen durch die Finsternis. Nurinai vor ihr, sie dahinter. Die Geweihte lief um eine Ecke, Ailsa hinterher und...

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Sie fand sich in der Ruine wieder. Noch immer hörte sie den Knaben weinen, noch immer lief sie, bis sie in der großen Halle ankam. Dort stand eine Wiege. Es war die Wiege des Erben der Baronie Greifenpass. Sie erkannte die Schnitzereien des Boltansrodener Rabens, der Leuin und des Greifen auf ihr.

„Hast Du schlecht geträumt?“, fragte die Baronin mit weicher Stimme und nahm ihren Sohn aus der Wiege heraus. Der Knabe verstummte in ihren Armen augenblicklich. Sanft wiegte die Mutter ihr Kind in den Schlaf, summte ihm ein Schlaflied vor, bevor sie ihn zurück in sein Bettchen legte. Dann wandte sie sich Ailsa zu: „Oh Ailsa, meine Ailsa. Du bist mir so lieb und teuer wie eine Schwester, bist meine Freundin, meine Vertraute und daher sorge ich mich um Dich, um Deine Zukunft, um Dein Wohlergehen.“

„Du brauchst Dich nicht zu sorgen“, versuchte Ailsa sie zu beruhigen.

„Doch!“, erwiderte sie da nur und senkte geradezu resignierend ihren Kopf, „Doch, das muss ich, Ailsa, das muss ich, denn dieser Mann... dieser Mann, Ailsa, er kann Dein Aufstieg oder aber Dein Verderben sein. Er kann Dich alles kosten, Ailsa, einfach alles. Er kann Dich in das größte Unglück stürzen, das Du Dir vorstellen kannst, Dir alles nehmen, was Du hast, was Du bist und je sein wirst, vielleicht verlierst Du sogar Deinen Kopf.“

Sie hielt einen Moment inne.

„Doch er kann Dir auch zu Ehre und Macht verhelfen. Er kann Dir eine Welt eröffnen...“

[...]

Das, was sein wird

26. Rahja 1041 [folgt noch]

Das, was bleibt

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, 26. Rondra 1042

„Du hast sie auch wieder erkannt, nicht wahr?“, hörte sie Nurinais Stimme hinter sich.

Ailsa wandte sich nicht um, sondern blickte zum Horizont hinauf. In einer leuchtenden Sichel stand das Madamal da. „In meinem Traum...“, hob sie unerträglich langsam an, „...da war es voll und es lag... Schnee. Schnee auf den Mauern. Auf diesen Mauern.“

Nurinai nickte: „Ich hab es gleich erkannt, aber ich wollte nicht glauben...“

„Wie kann das sein?“, wisperte Ailsa da schaudernd, „Wie kann es sein, dass ich davon träume? Von dieser Ruine träume? Ich hab sie noch nie gesehen. Noch nie...“

„Er hat Dir einen Blick in die Zukunft gewährt, weiße Lilie. Du solltest Dich glücklich schätzen. Es sind wenige, denen ER diese Gunst zuteil werden lässt...“, Neid schwang in ihrer Stimme mit.

„Doch welche Zukunft hat er mir gezeigt?“, nun wandte sie sich zu ihrer Schwester um, „Meine eigene?“

Die Geweihte hielt dem Blick ihrer Schwester stand. „Ja und nein. Die Ruine war eindeutig diese hier, aber das Kind dort in der Wiege...“, sie deutete irgendwo in die Dunkelheit hinein, „...war ohne Zweifel Aldiran.“

Ailsa schwieg.

„Und das Du von ihm träumst, ist wohl nur normal. Er ist ein Kind, noch dazu das Kind Deiner Freundin und Vertrauten und...“

„Sprich es nicht aus!“, schnitt ihr die Ritterin das Wort ab, „Ich will es nicht hören. Ich kann es nicht hören. Ich ertrage es einfach nicht. Wenn wir nicht darüber sprechen, dann können wir immer noch so tun, als wäre es nicht wahr, denn ich will nicht, dass es wahr ist...“

„Das kann aber keine Lösung sein...“

„Nur weil etwas nicht sein kann, darf es nicht sein, ja?“, würgte sie zornig hervor, „Außerdem war es nicht alles...“

„Was soll das heißen? Es war nicht alles?“

„Mein Traum ging weiter...“, fuhr Ailsa da mit zitternder Stimme fort und wandte sich wieder um, weil sie nicht wollte, dass ihre Schwester ihre Tränen sah, „Ich war wieder hier. Wieder stand dort die Wiege.“ Auch die deutete ins Halbdunkle hinüber. „Wieder lag ein Kind darin. Doch dieses mal... dieses mal, da... da war es nicht... nicht Aldiran, sondern... sondern ein Mädchen.“ Sie begann leise zu weinen. „Meine Tochter.“

„Aber... aber... aber das ist doch gut!“, erwiderte Nurinai feinfühlig, „Das ist doch...“

„Nichts ist gut!“, brüllte die Ritterin da plötzlich, dämpfte ihre Stimme jedoch gleich wieder, „Das... das... das ist doch nur wieder... wieder so... ein Trick, damit man wieder hofft und hofft und hofft. Und dabei auf etwas hofft, was nie geschehen wird. Nie! Nie...“

„Weil etwas nicht sein darf, was nicht sein kann?“

„Nein, weil etwas nicht sein kann, was nicht sein kann...“

Doch das Wichtigste verschwieg Ailsa ihrer Schwester: Er war auch da gewesen.

Totenstarr

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, Mitte Efferd 1042.

Lonán klopfte an die Tür: „Meine Herrin die Reichsritterin zu Praiosborn, Ailsa ni Rian, begehrt einlass. Öffnet für eure Lehnsherrin die Tür.“

Und obgleich sie sehr wohl durch das Fenster gedämpftes Licht dringen sahen und auch leise Stimmen aus dem Inneren hören konnten, hielt es niemand für notwendig ihnen zu antworten oder ihnen sogar die Tür zu öffnen.

Er klopfte erneut an die Tür: „Die Reichsritterin zu Praiosborn fordert euch auf, ihr die Tür zu öffnen.“

Noch immer keine Reaktion.

Ein drittes Mal hob der freie Albernier an, an die Tür zu klopfe, da riss Ailsa der Geduldsfaden. Sie hatte sich in den letzten Praiosläufen viel von ihren Untertanen gefallen lassen, aber das hier ging nun endgültig zu weit und sie brüllte so laut, dass man es gewiss auch noch in Gareth hören konnte: „Entweder macht ihr jetzt diese verdammte Tür da freiwillig auf oder ICH werde sie aufmachen!“

Doch noch immer gab es keinerlei Reaktion. Ailsa drehte vollkommen durch. Trat brüllend gegen die Tür und bellte ihren Waffenknecht an: „Aufmachen! Aber sofort!“

Das tat er dann auch. Warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die Tür, riss die Verriegelung aus ihrer Verankerung und stolperte in den dahinter liegenden Raum hinein. Ihm folgte Nurinai, dann Ailsa mit ihrer Pagin und zum Schluss Scanlail.

In der Stube des Hauses hielten sich ungefähr ein Dutzend Personen auf. Es war ein großer Raum mit einer offenen Feuerstelle in der Mitte und einem großen Rauchfang darüber, dazu Bänke und Tische zu beiden Seiten.

Die Geweihte warf einen vielsagenden Blick in die Runde, ehe sie fragte: „Wo ist sie?“

Da trat Nella zu ihr, nahm sie bei der Hand und führt sie eine schmale Treppe hinauf, während sie mit tonloser Stimme sagte: „Sie ist da oben. In der Kammer.”

Böse Blicke verfolgten das Mädchen auf ihrem Weg nach oben.

„Was guckt ihr alle so?“, brüllte Ailsa die Anwesenden zusammen, „Ist dieses Mädchen denn das einzige vernunftbegabte Wesen hier?“

„Uns hat keiner gefragt“, spie da ein älterer Mann hervor, „Unter dem Kloster...“

„Und ihr werdet auch jetzt nicht gefragt!“, maßregelte sie ihn, „Also haltet besser alle den Mund, bevor ihr euch um Kopf und Kragen redet!“

„Ihr seid hier nicht erwünscht, Ihr solltet gehen - besser heute als morgen“, setzte der Mann unnachgiebig nach und wurde noch im selben Augenblick von Ailsas Faust zu Boden gestreckt. Perplex blieb er liegen.

„Hat noch jemand eine Meinung, die er oder auch sie gerne kundtun möchte?“, polterte die Ritterin in die Runde.

Totentanz

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, Mitte Efferd 1042

Die Kammer wurde lediglich von einer Laterne erhellt. Auf einem großen Bett lag eine Frau und das erste, was Nurinai von ihr sah, war ihr gewölber Leib. Sie eilte an das Kopfende des Bettes, doch Nella war schneller. Das Mädchen strich ihrer Mutter das feuchte Haar liebevoll aus der mit kaltem Schweiß bedeckten Stirn und raunte ihr leise zu: „Ich habe ihro Gnaden Nurinai mitgebracht. Sie wird sich um dich kümmern. Sie kann das, das weiß ich. Wenn eine dir helfen kann, dann sie.“

„Nella?“, seufzte die Frau mit flackernden Lidern leise, „Meine Nella... mein Kind...“

Die Geweihte rang sich ein Lächeln ab, drückte die Hand der Schwangeren fest und erklärte mit ruhiger und warmer Stimme: „Ich bin Nurinai. Ich werde dir helfen. Sei ohne Furcht.“

„Nella“, wisperte die Frau jedoch nur, „Nella... meine Nella...“

Das Mädchen hauchte ihrer Mutter einen Kuss auf die Stirn und blickte erwartungsvoll zu Nurinai.

„Geh zu Scanlail“, bezog diese nun Nella ein, „Hilf ihr dabei mein Gepäck hier herein zu bringen. Ich brauche alles. Anschließend brauche ich heißes Wasser und saubere Tücher.“

Pflichtbewusst nickte Nella und eilte davon. Nurinai wollte gerade den Bauch der Schwangeren betasten, da bemerkte sie, dass sie nicht alleine im Raum war.

„Ich... ich bin Palinai“, stellte sich die junge Frau schüchtern vor. Ihr Haar wirkte zerzaust und sie sah erschöpft aus, hatte dicke Ringe unter den Augen und war erschreckend blass.

„Bist du die Hebamme?”, wollte Nurinai wissen und betastete gekonnten den Bauch mit dem Ungeborenen, wobei sie versuchte die Lage des Kindes auszumachen, zu einem rechten Schluss kam sie nicht: Irgendwie war da alles... durcheinander, nichts passte so recht zusammen. Irgendetwas war hier ganz und gar nicht in Ordnung, aber das hätte sie auch von Weitem sagen können...

„Nein“, erwiderte Palinai leise und beobachtete aufmerksam das Tun der Geweihten, „Die Hebamme kommt nicht in unser Dorf.“

„Was soll das denn heißen?“, entfuhr es Nurinai, „Ihr werdet doch eine Hebamme im Dorf haben oder eine andere kundige Person, die ein Kind auf die Welt holen kann. Eine Geweihte vielleicht sogar. Hast du Kinder?“

Sie schüttelte ihren Kopf.

„Was machst du dann hier?“

„Ich kann sie doch nicht alleine lasse“, verteidigte sie sich erschöpft, „Wenn man geboren wird ist man nicht allein und wenn man stirbt sollte man folglich auch nicht alleine sein. Es waren auch noch andere...“

„Und wo sind die geblieben?“

„Sie sagten, es sei hoffnungslos”, sie zuckte mit den Schultern.

Nurinai schnaubte verächtlich, legte ihren Kopf gegen den Bauch und versuchte einen Herzschlag auszumachen, aber sie hört nichts.

„Sie haben alles versucht, Euer Gnaden. Ich war dabei, ich hab es gesehen. Sie haben alles versucht, aber nichts hat geholfen. Und das Kind... das Kind ist tot. Es lebt nicht mehr. Sie haben es genauso gemacht wie Ihr, aber sie hörten keinen Herzschlag mehr.“

Auch Nurinai hörte keinen Herzschlag.

„Wie lange geht das schon so? Wie lange liegt sie in den Wehen.“

„Zwei Tage.“

„Zwei Tage?“, wiederholte die Geweihte vollkommen fassungslos, „Und warum hat niemand nach mir geschickt? Warum wolltet ihr sie lieber sterben lassen?“

„Verzeiht Euer Gnaden, aber ihr seid eine Boron-Geweihte...“

„Und daher tauge ich wohl nur dazu, Tote zu verscharren? Glaubst du das?“

„Ich... ich... ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll, Euer Gnaden. Könnt Ihr denn ein Kind auf die Welt holen?“

„Es ist nicht mein erstes mal“, stellte sie klar, „Ich weiß, dass es vielen noch Überwindung abverlangt, einer Boron-Geweihte das eigene Leben anzuvertrauen, doch der Tod, Palinai, verpflichtet einen auch für das Leben, denn mein Herr schätzt es ganz und gar nicht, wenn Golgari einen allzu früh holen kommen muss...“

In diesem Moment betraten Scanlail, Lorine und Nella den Raum. Ein jede von ihnen trug ein kleines Kästchen bei sich, welche sie nacheinander auf einer Truhe platzierten.

„Ich werde einige Zeit brauchen“, hob die Geweihte an, „Ich muss... mir erst einen Überblick verschaffen. Ich werde wahrscheinlich Marbhán brauchen.“

Scanlail nickte verständnisvoll und schob die neugierig guckende Lorine mit sich aus dem Zimmer heraus. Nella unterdessen setzte sich auf das Bett, bettete den Kopf ihrer Mutter in ihren Schoß. Ein merkwürdiges Bild, dass man andersherum gewiss erwartet hatte, doch so?

„Normalerweise hätte ich ihr angeboten, bei mir die Lebendbeichte abzulegen, aber angesichts der Umstände...“, erklärte die Geweihte ihrer Gegenüber, sprach dabei aber mehr zu sich selbst. Erneut versuchte sie die Lage des Ungeborenen zu beurteilen, doch erneut kam sie zu keinem Schluss. Erneut stellte sie nur fest, was sie ohnehin schon wusste: Das etwas nicht stimmte.

Dann hob sie ihren Blick und schaute Palinai direkt an: „Wir müssen das Kind auf die Welt holen! Nur so werden wir ihr Leben retten können.“

„Ich will euch so gut unterstützen, wie ich kann, Euer Gnaden“, versicherte die junge Frau und nickte zögernd, „Aber ich verstehe davon nichts...“

„Manchmal ist es besser, nicht alles zu verstehen“, erwiderte Nurinai da nur, „Wir werden ihr jetzt etwas gegen ihre Wehen geben, gegen ihre Schmerzen und etwas, dass ihr das Bewusstsein trüben wird.“

Aus ihren Kischen zog sie dazu verschieden Fläschchen und Döschen heraus, deren Inhalt sie miteinander mischte. Palinai überließ sie es, der Schwangeren das ganze zu verabreichen. Dann versuchte Nurinai die Seele des Kindes den Göttern anzuempfehlen. Mehr als ein Versuch blieb es jedoch nicht, denn sie spürte nichts von der göttlichen Kraft in sich, nicht einmal ein winziges bisschen und das in Anbetracht der Tatsache, dass das bisher bei allen Ungeborenen stets funktioniert hatte. Es war ihr, ja es war ihr, als hätte dieses Kind - so abwegig es auch klag - gar keine richtige menschliche Seele… Nur wenn es keine richtige menschliche Seele hatte, dann war es auch kein richtiger Mensch und wenn es kein richtiger Mensch war, was sollte es denn dann sein? Ein Tier etwa? Oder weigerte sich die Götter sogar sich dieser Seele anzunehmen?

Nurinai schüttelte sich und schüttelte die trüben Gedanken gleich mit ab. Scanlail brachte das Wasser und nahm Nella mit. Sie nahm das Mädchen einfach mit, es bedurfte keiner Worte. Sie nahm sie bei der Hand, führte sie nach draußen und schenkte ihrer Schwester ein mutmachendes Lächeln.

Sie wusch sich die Hände. Wusch die Instrumente. Alle bis auf eines. Das holte Nurinai zum ersten mal aus seinem strahlend weißen Leinentuch.

„Was ist das?“, fragte Palinai schaudernd.

Marbhán“, antwortet Nurinai und betrachtete das makellose Instrument in ihren Händen. Es war nicht sonderlich groß, bestand aus zwei parallel verlaufenden hohlen Metallstäben, an deren Ende sich ein abgerundeter Kopf mit zwei Austrittsöffnungen befand. Durch die hohlen Stäbe schob die Geweihte einen schmalen, auf einer Seite gezackten Draht, dessen Zacken an die einer Säge erinnerten. „Sie heißt Marbhán.“

Die junge Frau schluckte: „Was heißt das?“

„Es steht für den Zustand zwischen Leben und Tod.“

Palinai atmete schwer: „Das... das klingt... schrecklich!“

„Das ist es auch“, erwiderte die Geweihte und raubte ihrer Gegenüber jede Hoffnung auf ein gutes Ende, „Nun schlag das Buch auf und blättere die Seiten um, bis ich Halt sage.“

Das tat die junge Frau auch. Blätterte sich durch ein Buch voller Abbildungen, die sie lieber niemals in ihrem ganzen Leben gesehen hätte, voller Scheußlichkeiten, Verderben und Tod.

„Halt“, sagte die Geweihte, „Eine Seite zurück bitte.“

Palinais Nackenhaare stellte sich auf. Sie schluckte, blätterte aber eine Seite zurück. Dann wurde sie blass.

„Das könnt Ihr... Ihr doch nicht tun“, wisperte sie mit trockener Kehle und stetig leiser werdender Stimme, „Es... es... zer... teilen!“

Todesmutig

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Totgeboren

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, Mitte Efferd 1042, am Morgen

Totenruhe

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Totenwacht

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Eine Krähe ruft

An die Prätorin des Tempels unserer gütigen Etilia in Kammhütten, Greifenpass

Werte Líadáin,
 
 
 
 
als Du mir Marbhán geschenkt hast, da dachte ich, dass ich sie nie brauchen würde. Damals glaubte ich, dass sie nur eine Geste Deines Vertrauens in mich und eine Anerkennung meiner Fähigkeiten sei. Heute frage ich mich manchmal, ob Du nicht etwas geahnt hast.

Wie dem auch sei: Ich habe Marbhán einsetzen müsse. Es war eine schwere Geburt. Die Mutter lag seit Tagen in den Wehen, das Ungeborene jedoch steckte fest. Als ich eintraf, war es bereits nicht mehr am Leben. Es war schrecklich, Líadáin! So schrecklich! Genauso schrecklich wie damals. Doch die heilige Etilia stand mir bei und die göttliche Kraft unseres Herren hat mich die ganze Zeit erfüllt.

Das Schrecklichste war jedoch nicht, dass ich das Ungeborene auf diese Art und Weise habe holen müssen, sondern das es kein normal geartetes menschliches Wesen zu sein schien: Seine Gliedmaßen waren miteinander und ineinander verwachsen, dazu noch verkrüppelt, deren Anzahl lag ohnehin über denen gewöhnlicher menschlicher Wesen, Finger- und Fußnägel erinnerten eher an Krallen, die Augen an die einer Raubkatze, die Zähne waren bereits alle vollständig durchgebrochen, standen in zwei Reihen und waren messerscharf, der Rücken war eröffnet, sodass die Lunge zu sehen war, das Herz lag außerhalb der Brust. Allgemein erschien es mir mehr Tier als Mensch zu sein, nicht zuletzt, weil seine Haut mit einem dichten, dunklen Flaum überzogen war. So etwas, habe ich noch nie gesehen.

Es war auch nicht das einzige Kind, dass missgestaltet war. Ich war noch bei einer weiteren Geburt zugegen. Auch dieses Ungeborene war bei meiner Ankunft bereits tot. Da es aber noch Zeit gehabt hätte, dadurch noch nicht voll entwickelt war und deswegen noch recht klein, konnte es auf normalen Wege geboren werden. Die Unreifezeichen waren deutlich, die der Missbildung jedoch auch.

An einen Zufall glaube ich nicht, da auch der Praiosborn immer wieder missgebildete Fische hervorbringt, bin ich überzeugt, dass es etwas mit der Brache zu tun hat, mit der sich die Menschen hier auf eine seltsame Art und Weise arrangiert zu haben scheinen. Man hütet hier ein Geheimnis, dass man bisher nicht einmal mir anvertraut hat und was sollte das für eines sein, wenn nicht ein niederhöllisches?

Das Schlimmste jedoch, das Allerschlimmste ist, dass jemand das erste Ungeborene ausgegraben hat, nachdem ich es auf dem Boronanger begraben hatte. Líadáin, hast Du das schon einmal erlebt? Jemand ist des Nachts auf den Boronanger geschlichen, hat dort das eingesegnete Grab geöffnet und alle Einzelteile ausgegraben und mitgenommen. Ailsa hat mit der Inquisition gedroht, falls die Überreste nicht binnen Tagesfrist wieder da sind. Sie sind wieder aufgetaucht. Seitdem überantworte ich die Toten dem Feuer.

Die Ereignisse haben mich ratlos gemacht. Die Menschen reden einfach nicht und egal was ich versuche, ich kann ihr Schweigen nicht brechen. All die Geduld und das Verständnis, das ich ihnen versucht habe entgegenzubringen, haben mich bisher nicht weiter gebracht. Ich weiß einfach nicht, wie ich dem Ganzen hier noch begegnen soll. Was würdest Du tun?

Ich möchte Dich auch noch um einen weiteren Rat bitten, denn eine Frage quält mich ganz besonders: Wenn ein solches Kind jemals lebend zur Welt kommen sollte, was soll ich tun?
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Nurinai ni Rían

Eine Krähe antwortet

An die Dienerin des Raben Nurinai ni Rían in Praiosborn, Kaiserlich Brachenwacht, Garetien

Werte Nurinai,
 
 
 
 
unser Herr hatte einen Grund Dich und Deine Schwestern nach Praiosborn zu führen. Nun scheinst Du auf den Grund gestoßen zu sein und auch auf Deine Aufgabe, denn das es eine geben wird, das hat Bishdariel Dir in Deinen Träumen eröffnet. Und so wie er Dir einen Traum schickte, hat er auch mir einen geschickt und da wusste ich, dass es an der Zeit war Dir das geeignete Werkzeug an die Hand zu geben. Über das Wissen verfügst Du schon lange, dass Du auch kundig in der Anwendung bist, hast Du als meine Schülerin unter Beweis gestellt, nur das Instrument an sich, hat Dir gefehlt. Marbhán wird Dir treue Dienste leisten.

Die von Dir beschriebenen Ereignisse sind höchst besorgniserregend. Auf der einen Seite, weil ich vermute, dass Fälle von missgebildeten oder nicht lebensfähigen Kindern nicht neu sind, gleiches gilt für Fehl-, Früh- und Totgeburten. Auf der anderen Seite, weil es mir höchstes Unbehagen bereitet, dass es dort Personen gibt, die eingesegnete Gräber öffnen und die Begrabenen aus der geweihten Erde entnehmen. Das ist ein Frevel wider unseres Herrn!

Was Dein weiteres Vorgehen betrifft, so rate ich Dir: Halte Dich an die Frauen! Sie werden der Schlüssel sein. Denn die Frauen sind es, die missgebildete Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die tote Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die Fehlgeburten erleiden. Sie sind es, die besonders unter der Situation zu leiden haben und so werden sie es sein, die zuerst reden werden. Gedulde Dich noch ein wenig, Nurinai, doch sei unnachgiebig. Wenn sie Dir vertrauen, weil Du ihnen in ihren schwersten Stunden beigestanden hast, dann werden sie zuerst Rat bei Dir suchen und sich schlussendlich Dir offenbaren. So lange musst Du die Zeit nutzen: Höre zu, beobachte, damit Du ihnen, wenn sie sich Dir mitteilen, einen echten Ausweg bieten kannst. Hast Du sie überzeugt, werden die Frauen die Männer überzeugen.

Ich möchte Dir auch noch Deine letzte Frage beantworten: Der Rabe erhält, was des Rabens ist. Vergiss das nicht.
 
 
 
 
Hochachtungsvoll Líadáin ni Rían

Hüterin des Rabens im Tempel unserer gütigen Etilia


Blasius und Baduar

Iwo und Iwana

Krähen im Maul des Greifen