Geschichten:Abschied vom Erben XV: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 24. September 2022, 18:35 Uhr
An der Hochzeitsnische
Roban und Orlan trauern, jeder auf seine Weise
Zur abendlichen Hesindestunde des 4. Phex 1043 BF
Dramatis personae: Roban, Orlan
Roban gab den Platz am Epitaph frei und trat hinüber in die Hochzeitsnische, wie er es eigentlich schon beim Betreten der Kapelle hatte tun wollen. Schon vor seiner Abreise aus Lechdansfelden hatte ein bestimmter Gedanke ihn immer wieder beschäftigt, und so hatte er beschlossen, dass dieser Tag ein Tag der Abschiede, aber auch des Neuanfangs sein sollte. Er trat vor die Votivtafel, die er und Macha gestiftet hatten. Liebevoll betrachtete er das kleine Gemälde und stellte dabei fest, dass die Jahre auch daran nicht spurlos vorüber gegangen waren. So wie auch sein Gesicht erste Falten zierten, zeigten sich in der Farbe leichte Risse, und am Auge der Gans war sogar etwas Farbe abgeplatzt. Dadurch wirkte es, als schliefe das Tier. Der einstmals vorwurfsvoll-enttäuschte Blick, den Travias heiliges Tier ihm nach seiner Trennung von Macha scheinbar immer zugeworfen hatte, war damit verschwunden. Sollte dies die Zustimmung sein, die er sich für seinen Plan erhofft hatte? Zur Sicherheit trat Roban mit geschlossenen Augen in eine stumm-betende Zwiesprache.
Unschlüssig verharrte Orlan einen Moment, als er seinen älteren Bruder betend dort vorfand. Da er nun einmal hier war, hatte er sich irgendwie verpflichtet gefühlt, ebenfalls ein kurzes Gebet an der Hochzeitsnische zu sprechen, doch nun fiel sein Blick auf das kupferne Kohlebecken mit den eingravierten Traviasymbolen, das er und Berdina damals gespendet hatten. Das rote Glosen der Kohle darin nahm seinen ganzen Blick ein - und wie zum Hohn züngelte in diesem Moment eine einzelne kleine Flamme empor. Orlan spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte und das Atmen immer anstrengender wurde. Ruckartig drehte er sich um, um zu flüchten - nur hinaus an die frische Luft.
Roban bemerkte die Bewegung neben sich, doch beendete er in Ruhe die kurze Aussprache, die er mit Machas Andenken führte, bevor er die Augen öffnete und sah, dass Orlan die Hochzeitsnische und die Kapelle fluchtartig verließ. Besorgt folgte er seinem Bruder, der es gerade einmal bis zum Türrahmen der Kapelle geschafft hatte und sich an diesem krampfhaft festhielt. Orlans Atem ging rasch, und ihm stand Schweiß auf der Stirn. Als er Roban bemerkte, drehte er sich zu ihm um - und sein Bruder konnte sehen, dass seine Augen glasig wirkten. Auch der Alkoholgeruch konnte ihm kaum entgehen.
"Roban”, stellt der Jüngere fest und versuchte, sich wieder in den Griff zu bekommen, Haltung anzunehmen.
Überrascht über den Zustand seines Bruders, griff er diesem unter den Ellenbogen und bugsierte ihn mit Nachdruck aus der Kapelle. “Orlan, lass uns ein bisschen an die frische Luft gehen. Ein kurzer Spaziergang vor dem Essen im Klostergarten ist jetzt genau das richtige.” Der Satz klang beiläufig und befehlend zugleich.