Geschichten:Der uralte Bund - Rübenernte: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 24. September 2023, 10:32 Uhr
Vogtstuben und Kerker der Pfalz Randersburg, Ende Hesinde 1043 BF:
Die Seneschallin saß an ihrem Schreibtisch hinter einem Berg voll Pergamenten – an ihrer Seite Silvano von Hagenau-Ehrenfeldt - als Hauptmann Rallerau zusammen mit Fredegard von Hauberach und Josmine von Grevinghoff das Amtszimmer betraten.
„Seneschallin, Praios mit Euch! Es kam zu einem Zwischenfall im Rondratempel. Das Subjekt hat Herrn von Hardenstatt angegriffen und – mit Verlaub – übel zugerichtet. Er befindet sich nun in Obhut unseres Medicus. Die Hofmarschallin ist bei ihm. Das Subjekt steht im Verdacht, die Bänke des Rondratempels mit blasphemischen Schriftzügen zu verschandeln. Bei ihm wurde ein Dolch gefunden. Bisher konnte seine Identität noch nicht festgestellt werden. Er scheint aber aus Greifenfurt zu stammen.“
Die Seneschallin erhob sich von ihrem Stuhl. „Was bei allen Göttern hat das zu bedeuten?“
„Das bedeutet, dass sich der Verdacht, dass die bereits erwähnten ,Schnitterʼ – den Orkgötzen dienende Menschen – hier am Werk sind, erhärtet, wenn nicht gar bestätigt hat.“, antwortete Fredegard beinahe lakonisch. „Es bliebe nun zuvörderst zu klären, ob er alleine gehandelt hat und, viel wichtiger, an den jüngsten Morden beteiligt war. Um Zeit zu sparen und weitere Unruhen unter den Gästen zu vermeiden – der Vorfall im Tempel dürfte sich eher früher als später herumsprechen – schlage ich vor, dieses Subjekt möglichst bald einer peinlichen Befragung zu unterziehen.“
„Schnitter“, murmelte die Seneschallin vor sich hin und hob dann wieder zu ihrer bekannt donnernden Stimmlage an. „Die Aufklärung dieser Gefahrenlage hat oberste Priorität! Fredegard, du leitest das Verhör! Holt den Hardenstatt auf dem Weg in den Kerker beim Medicus ab, so schlimm kann es schon nicht sein, notdürftig zusammengeflickt reicht. Wir benötigen nun alle Kräfte! Silvano, berichte den Herrschaften von Euren Erkenntnissen!“
„Sehr wohl“, der Angesprochene nickte pflichtbewusst. „Die besagten geheimen Nachrichten existieren, sie beinhalten wenig konkrete Aufrufe zum Aufruhr. Da eines dieser Schriftstücke bei der Dame Bergensteen gefunden wurde.“, Silvano schluckte, als habe er einen Klos im Hals, „ist zu eruieren, inwieweit es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handelt. Eine Schriftprobe des Gefangenen sollte uns weiterhelfen.“
„Ich kümmere mich sofort darum, meine Teure. Ich benötigte noch einen Schreiber als Protokollanten und die werte Dame von Grevinghoff als Zeugin, wenn es Dir nichts ausmacht. Der Herr von Hardenstatt wird dann nach seiner Hinzuziehung als zweiter Zeuge fungieren. Es solle hinterher schließlich niemand sagen können, die, ähem, Befragung dieses Kerls wäre nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Ferner rege ich an, dass Hauptmann Rallerau seine Wachen sich in Pfalz und Dorf nach diesem Subjekt umhören lässt. Eine so auffällige Gestalt kann sich dort und in der näheren Umgebung wohl kaum unbemerkt bewegt und muss zudem irgendwo genächtigt haben. Mit wem hat er sich wann getroffen? Wo war er untergekommen und was für Geheimnisse mögen in seinem Unterschlupf zu finden sein? Diesen Fragen sollte umgehend – unabhängig von der Befragung – nachgegangen werden! Und nun entschuldigt mich bitte; ich habe noch ein wichtiges und potentiell höchst interessantes Gespräch zu führen.“ Mit einem sardonischen Lächeln und einem Wink in Richtung der Grevinghoff begab sich die Reichsedle in das derzeitige ,Gemachʼ des vermeintlichen Greifenfurters, um mit diesem ein wenig zu ,plaudernʼ.
Nachdem auch Salix und der Schreiber eingetroffen waren, nahm sich die Altbaronin einen Stuhl, setzte sich dem gefesselten Gefangenen direkt gegenüber und beobachte ihn still eine Weile. Dann ergriff sie mit einem freundlichen Lächeln und beinahe sanftmütiger Stimme das Wort.
„Mein Name ist Fredegard von Hauberach, Reichsedle von Salthel und Altbaronin zu Vellberg. Ich bin im Auftrag der Seneschallin der Pfalz, der edlen Dame Josline von Eslamsgrund, hier, um mich ein wenig mit Dir unter anderem wegen Deiner Taten im Tempel des Götterfürsten zu unterhalten. Dir werden schwerste Verbrechen zur Last gelegt, von denen der Angriff auf den Herrn von Hardenstatt“, Fredegard blickte kurz zum Genannten herüber, „wohl nur das Geringste sein dürfte. Wie, hm, unangenehm diese Befragung verläuft, liegt ganz allein bei Dir.“ Insgeheim rechnete die Adlige allerdings nicht damit, bei dem Kerl mit Drohungen oder körperlicher Gewalt etwas zu erreichen. Im Gegenteil, der Mann schien es geradezu darauf anzulegen, für seinen Irrglauben den Märtyrer zu spielen. Nein, hier mussten andere Methoden her: Subtilere, elegantere und vor allem wirkungsvollere, die schon einmal zum Erfolg geführt hatten.
„Fangen wir mit etwas einfachem an. Wie lautet Dein Name und woher kommst Du?“
Der Hüne von einem Mann grinste nur breit und schien seine Gegenüber damit zu verhöhnen. Es war, als ob ein Kampf in seinem inneren stattfinden würde, mit ungewissen Ausgang. Blanker Hass sprach aus seinen Augen. „Mein Name ist Thimorn Runkel zum Rübenhain aus der Mark.“ Der Hüne spie die Worte nur so aus.
Salix zog eine Augenbraue nach oben. Ein gar seltsamer Name! Allerdings musste er zugeben, dass er sich mit den Familien der Mark nicht auskannte. Deshalb blickte er nach der Vorstellung des Hünen zur hohen Dame von Grevinghoff. Vielleicht kannte Sie eine solche Familie?
Die Reichsedle nickte bei der Nennung des Namens nur kurz. Dieser mutete zwar recht seltsam an, andererseits wusste sie aus ihrer Zeit im Norden des Reiches, dass die Leute dort die merkwürdigsten Namen trugen, die ob ihrer Absonderlichkeit weiter südlich allenfalls Erstaunen wenn nicht gar Heiterkeit hervorriefen.
„Gut. Deine Angaben werden wir natürlich noch überprüfen.“ Nun warf auch die Adlige einen Blick in Richtung der Grevinghoff. „Doch weiter im Text. Wo bist Du in den Landen der Pfalz untergekommen und wer ist hier Deine Kontaktperson, respektive -personen? Die Götter werden Deine Ehrlichkeit zu schätzen wissen, Lügen hingegen eher weniger.“
„Die Familie Runkel zum Rübenhain stammt aus der märker Pfalzgrafschaft Königsgau“, beeilte sich Jolande von Grevinghoff zu erzählen, nachdem beide Perricumer Herrschaften sie fragend angeschaut hatten.
Der Hüne legte seinen Kopf schief, unbändige Wut stieg in ihm auf, als er Fredegard fixierte. Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. Er kniff seine Augen zusammen, streckte seine Zunge raus. Blitzschnell trafen sich seine beiden mächtigen Kiefer und bissen ihm ein gutes Stück seiner Zunge ab. Er spie diese aus in Richtung Fredegard. Schließlich wandte er seinen Blick ab und starrte unaufhörlich die Grevinghoff an, während er scheinbar versuchte, etwas zu sagen, doch quollen nur unverständliche Laute und Blut aus seinem Mund.
Reflexartig drehte sich Fredegard zur Seite, sodass nur ein paar Blutstropfen ihr Kleid besudelten. Für einen kurzen Moment war selbst die sonst so große Selbstbeherrschung der ehemaligen Baronin dahin und sie schaute den Mann vor ihr mit sichtlicher Verblüffung an– mit so einer Reaktion dieses Waldschrates war schließlich nicht zu rechnen gewesen!
Nun wieder deutlich gefasster wirkend, merkte die Perricumerin mit Blick auf die übrigen Anwesenden an: „Hm, offenbar möchte der Herr nicht mit mir sprechen. Vorschläge? Ach, Frau von Grevinghoff: Was weiß man hier bei Hofe über diese Runkel? Ansonsten bleibt nur zu hoffen, dass des Hauptmanns Nachforschungen ergiebiger und, hm, weniger unappetitlich verlaufen.“
Entsetzt wich Salix einige Schritte zurück. Er hatte mit vielem gerechnet, aber dass sich dieser Verrückte die Zunge abbiss, war definitiv eine Überraschung. Jemand musste verhindern, dass der Hüne am eigenen Blut erstickte, doch er wäre sicherlich nicht dieser Jemand!
"Wache! Wir brauchen einen Heiler und zwei Männer!", rief er durch die Zellentür.
Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür der Zelle und zwei Wachen stürmten hinein. Wenig zimperlich zerrten sie den Hünen auf die Knie, sodass das Blut aus seinem Mund hinaus lief und er nicht daran erstickte. Bei dem hin- und hergezerre zerriss das Hemd des Greifenfurters und legte zwei blass rötliche Mond-Körperbilder auf seiner Brust frei. Der Hüne unterdessen schien, ungeachtet des Schmerzes, den er empfinden musste und gefesselt wie er war, in Richtung der Grevinghoff gelangen zu wollen – was ihm angesichts der Umstände nicht gelang.
„Sieh an, sieh an. Kupferfarbene Mondscheiben als Hautschmuck. Wie überaus interessant! Zumindest die Sache mit den Schnittern dürfte nun geklärt sein.“, kommentierte die Reichsedle die jüngste Entwicklung mit einem sardonischen Lächeln. An die Grevinghoff gewandt fügte Fredegard weiterhin lächelnd noch hinzu: „Sperrt den Mann nach der Versorgung seiner, hm, Wunde in eine Einzelzelle und kettet ihn am besten dort auch an; wer weiß, auf wen er sonst noch alles losginge, wenn man ihn nur ließe.“
Salix hatte verständnislos dem Hünen dabei zugesehen, wie er sich Richtung Grevinghoff gewandt hatte und dabei immer wieder etwas Unverständliches brabbelte. Scheinbar mitleidsvoll blickte er dann zu der Greifenfurterin. Dann wandte er sich an die Reichsedle, „Das heißt, wir gehen nun davon aus, dass die ganzen schrecklichen Morde durch diesen Mann begangen wurden? Und seine Motivation war die eines häretischen Fanatikers? Habe ich das so richtig verstanden?“.
Fredegard schwieg nach Salix´ Fragen für eine Weile, bevor sie mit nachdenklicher Miene antwortete: „Zumindest einen Teil der Bluttaten dürfte dieser Kerl zu verantworten und seinen widerlichen Orkgötzen, ähm ,gewidmetʼ haben. Aber wo ist er untergekommen? Hat er hier irgendwo Komplizen oder zumindest Mitwisser? Diese Fragen gilt es noch zu klären. Und dann sind da noch die Amseln und die Sache mit den Fuchsstatuetten. Nein, ein paar Mosaiksteine fehlen uns noch, fürchte ich. Aber das sollten wir besser im kleinen Kreise mit der Seneschallin erörtern. Hier dürften wir ja nun fertig sein, oder? Jetzt brauche ich erst mal etwas frische Luft, wenn Ihr gestattet.“
Der Adlige aus Perricum nickte verständnisvoll und wandte sich sodann an Jolande von Grevinghoff. „Ihr seht mir recht mitgenommen aus; geht am besten mit an die frische Luft. Ich werde die Arbeit der Wache selbst überschauen.“, Mit einem warmen Lächeln nickte er der hohen Dame zuversichtlich zu. An alle gewandt fügte er hinzu, „Danach treffen wir uns alle in dem Turmzimmer wieder.“ Dann wandte er sich an die Wache. „Nun, bringen wir diesen Mann zu einem Heiler und dann suchen wir eine neue Behausung für ihn!“.
Jolande von Grevinghoff blickte mit ausdruckslosen Gesicht zu Salix. „Ich bin eine Ritterin der Mark, ich benötige keine Verschnaufpause, so wie es offenbar in Perricum gepflegt wird. Selbstverständlich werde ich hier verbleiben und die Wachen bei der Unterbringung dieses Mannes unterstützen!“
„Ich sehe, die Unterbringung unseres ,Gastesʼ ist hier in den besten Händen. Ich selbst empfehle mich nun für eine Weile. Wir sehen uns dann nachher bei ihrer Hochgeboren.“ Mit einem Schmunzeln wandte Fredegard sich zum Gehen; die Zwei waren doch gar zu possierlich!
Salix nickte mit einem Lächeln der Altbaronin zu und wandte sich dann mit einer knappen Verbeugung zur Ritterin. „Entschuldigt vielmals hohe Dame! Es war nie meine Absicht, Euch irgendetwas zu unterstellen“.
Eine der Wachen folgte der Reichsedlen nach draußen, um einen Heiler zu holen. So blieben neben dem Hünen zwei Wachen sowie die hohe Dame von Grevinghoff und seine Wohlgeboren von Hardenstatt in der Zelle zurück.
Salix betrachtete noch einen kurzen Moment den knienden und brabbelnden Mann, wandte sich dann aber wieder an die märkische Ritterin. „Während wir hier auf den Heiler warten… Hohe Dame von Grevinghoff, würdet ihr mir erzählen, wie genau ihr in diese Sache verwoben seid? Ich habe das, glaube ich, nicht ganz mitbekommen, aber eines der Opfer war eure Schwertmutter?“.
„Von welcher Sache sprecht Ihr genau?“ Die angesprochene Greifenfurterin schaute ein wenig unwirsch zu Salix. „Vom grausamen Mord an meiner Schwertmutter? Das ist es, was mich umtreibt. Diese Ketzer haben sie ermordet.“
Der Adlige nickte verständnisvoll, „Euer Verlust muss schrecklich sein. Ich kann mir nicht vorstellen, welch´ Gram ihr verspüren müsst. Mein aufrichtiges Beileid“. Er blickte etwas aufmunternd zur Grevinghoff, um dann zum Hünen zu blicken. „Sagt, hohe Dame von Grevinghoff, was könnt ihr mir noch über die Familie Runkel zum Rübenhain erzählen? Sie kommt aus der Pfalzgrafschaft Königsgau. Ist sie weitverzweigt? Hat sie Bande nach Weiden?“
„Die Runkel? Nein, die gibt es nur im Königsgau. Märkische Ritterfamilien zählen nicht so viele Köpfe. Die Märkische Erde ist nicht so fruchtbar wie die in Eurer Heimat.“ In diesem Moment kamen die dritte Wache und der Heiler. Beide schritten eilig in die blutige Zelle des Hünen. Die Grevinghoff blickte den Männern mit ausdruckslosem Gesicht hinterher. „Perricum, ich glaube, wir sind hier fürs erste fertig.“
Salix schmunzelte kurz, bei dem Kommentar zur Fruchtbarkeit der jeweiligen Erde, nickte dann aber wieder ernst. „Ja sind wir wohl. Dann lassen wir den werten Herrn Heiler sein Werk verrichten“. Er schritt zur Tür und hielt diese für die märkische Ritterin offen, um anschließend selbst hindurchzugehen. Als sie einige Meter durch die dunklen Gänge der Pfalz gelaufen waren blieb der Adlige jedoch abrupt stehen. „Oh, ich habe ganz vergessen, den Heiler noch etwas wegen meinem linken Arms zu fragen!“, wie zur Bestätigung blickte er auf das bandagierte Körperteil. „Ihr entschuldigt mich, ja?“, mit einer knappen Verbeugung verabschiedete sich der Blondschopf und kehrte in die Zelle zurück, wo der Heiler gemeinsam mit den drei Wachen gerade zur Tat schreiten wollte.
„Das muss kurz warten“, erklärte Salix knapp und schob den Medikus zur Seite, um Platz für den Stuhl zu schaffen, den er vor den Hünen stellte. Mit einem neugierigen Gesichtsausdruck setzte er sich und blickte dem Mann ins Gesicht, „Ihr habt den Namen der Grevinghoff gemurmelt und wolltet zu ihr? Warum, was wolltet Ihr von ihr?“, neugierig suchte der Perricumer nach Regungen im Gesicht seines Gegenübers.
„Sie zum Schweigen bringen? Weil Ihr Angst vor Ihr habt? Nein… Jemand wie ihr hätte keine Angst vor jemanden wie dieser alten Ritterin“, Aufmerksam versuchte er die Reaktionen des Hünen zu deuten, doch dieser hatte nur eine blutige Fratze aufgesetzt. „Was dann…? Was wolltet Ihr von der Dame? Hilfe?“, der Hüne spuckte nur Blut aus und grinste weiter.
Salix verzog das Gesicht, irgendetwas verband die beiden Greifenfurter, doch was?
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Durch die Pfalz und hoch in der Luft | ▻ |