Geschichten:Ein schwerer Schlag: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 17. August 2024, 16:43 Uhr

„Du solltest es ihm sagen, Geldana!“

„Wieso ich, Vater? Du hast doch die besseren Verbindungen in den Süden und dort angeblich überall Deine Gewährsleute! Wie konnte Dir so eine Sache dann entgehen?“

„Du vergisst Dich, Kind! Abgesehen davon bist Du doch wohl weitaus besser in der markgräflichen Administration vernetzt als ich und außerdem-“

„Oh, ein Vater-Tochter-Zwist? Soll ich später wiederkommen?“, fragte im Vorbeigehen Welferich von Rabicum seine Anverwandten und blieb dann stehen.

Rukus und Geldana rollten beinahe synchron genervt mit den Augen. Der Kerl hatte ihnen gerade noch gefehlt!

„Dich hält wohl auch nichts in Deinem prächtigen Lehen im Tobrischen, was?“, erwiderte Rukus säuerlich.

„Och, ich besuche doch immer wieder gerne meine perricumer Verwandtschaft, lieber Onkel; das weißt Du doch! Außerdem hatte unser aller Oberhaupt doch ausdrücklich ‚gewünscht‘, dass wir uns dieser Tage hier auf Thannfest zu unserem alljährlichen Familientreffen einfinden“, erwiderte Welferich mit breitem Grinsen. „Und bin ich halt etwas früher dran, da ich zuvor noch einige alte Freunde in der Reichsstadt besuchen wollte.
Dabei ist mir übrigens ein interessantes Gerücht zu Ohren gekommen. Irgendwo im Süden der Provinz soll ein altes Artefakt, ein Füllhorn, glaube ich, aufgetaucht sein. Die Aimar-Gor samt Gespons sollen da auch irgendwie ihre schmierigen Finger drin haben und es irgendwie zu ihrem politischen Vorteil nutzen wollen. Sollte davon nicht der Alt-, äh, unser Familienoberhaupt wissen?“
Geldanas Miene hellte sich schlagartig auf. Das war es! Sollte doch ihr Vetter den Überbringer der schlechten Nachricht spielen und den Zorn des Patriarchen auf sich ziehen!
„Oh, das ist eine gute Idee, Welferich. Großvater dürfte diese Neuigkeit sicher interessieren. Und da Du darüber mehr weißt als wir, solltest Du sie ihm nachher gleich beim Abendessen erzählen.“

„Kann ich gerne machen. Wo steckt er überhaupt?“

„Ihn plagt seit gut anderthalb Wochen eine hartnäckige Erkältung; deswegen war er die letzten Tage auch nicht in der Stadt. Es geht ihm aber wieder besser und er freut sich sicher über Dein Erscheinen und Deine Kunde.“, antwortete Rukus innerlich grinsend, hatte er doch denselben Gedanken wie seine Tochter gehabt.

„Wie ihr wollt. Dann bis nachher.“

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Zum Abendessen hatte sich die Familie im kleinen Saal eingefunden und ließ sich, wie so oft, lediglich von wenigen, besonders vertrauenswürdigen Lakaien aufwarten, um zu vermeiden, dass das hier Besprochene früher als nötig nach außen drang.
Der Seneschall schien sich gut von seiner Erkrankung erholt zu haben; er hatte wieder mehr Farbe im Gesicht und wirkte auch so fokussiert wie vorher.

„Gut, dass alle nun da sind.“, begann Zordan mit Blick auf seinen aus Tobrien angereisten Enkel. Bevor ihr euch auf meine Kosten die Mägen vollschlagt, erst die Arbeit. Ich werde übrigens übermorgen in die Kanzlei zurückkehren; eine zu lange Abwesenheit wird von unseren Gegnern sonst als ernste Schwäche interpretiert und sie nur zu irgendwelchen Dummheiten inspirieren.“

„Aber hatte der Medicus denn nicht dazu geraten, Dich noch eine weitere Woche zu schonen?“, wagte Geldana einzuwerfen.

„Ach was! Diese Quacksalber übertreiben doch fast immer, um nur noch mehr gutes Silber aus ihren Patienten herausquetschen zu können. Außerdem wartet so schon genug Arbeit auf mich.“ Dass ihn seit kurzem starke Kopfschmerzen plagten und ihm das Schlucken schwerfiel, behielt der Patriarch für sich, denn auch gegenüber der eigenen Familie – aus der für ihn nur Geldana wirklich etwas taugte – wollte er keine Schwäche zeigen.
„Was gibt es sonst zu berichten?“, fragte er mit Blick auf seine Enkelin und seinen Sohn.

„Es steht alles zum Besten, Vater. Meine Tochter und ich haben ein waches Auge auf die Vorgänge am Hof und unsere Konkurrenten, die sich derzeit allerdings ruhig verhalten.“

Geldana nahm die doch etwas anmaßende Aussage ihres Vaters äußerlich gelassen hin und ergänzte lediglich: „Ja, es war bisher sehr ruhig: Ein paar belanglose Audienzwünsche, einige unwichtige Eingaben – nichts Besonderes.“

„Gut. Sonst noch etwas? Ich möchte meinen Braten nicht kalt essen!“

„Nichts Großes, eher eine Kuriosität, Großvater.“, begann Welferich. „Die Aimar-Gor und ihre ‚Freundinnen‘ sollen jüngst im Süden irgend so ein altes Artefakt, ein Horn, glaube ich, gefunden haben und wollen es jetzt, warum auch immer, nach Perricum bringen. Keine Ahnung, wen sie damit zu beeindrucken können glauben. Aber wer weiß schon, was in diesen verdrehten Aranierhirnen vor sich geht. Doch genug davon, lasst´ uns essen!“

Welferich hatte seine Ausführungen kaum beendet, da erhob sich der Alte leicht schwankend von seinem Platz. „‘Kuriosität‘?!“ Das nennst Du eine ‘Kuriosität‘?“, schrie er in Richtung seines Enkels, dabei puterrot anlaufend. „Hast Du eine Ahnung, was hier auf dem Spiel steht? Und warum erfahre ich von Dir quasi nebenbei beim Essen davon und nicht-“. Zordan erstarrte mitten in seinem Zornesausbruch und blickte verwirrt abwechselnd zu seinen erstarrten Anverwandten. „Wasch parasiert hieren? Meiner istet ninich-.“ Dann sackte er zusammen und fiel schwer in seinen Stuhl.

Welferich hatte sich von den Anwesenden als erster wieder gefasst, verdonnerte die beiden schreckerstarrten Bediensteten im Saal zum Schweigen und schickte sie los, den Medicus zu holen.
Derweil machten es die ansonsten recht hilflos wirkenden Rukus und Geldana dem Familienoberhaupt in seinem Stuhl so bequem wie möglich, während Zordan mittlerweile der Bewusstlosigkeit nahe war.

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Eine Woche später hatte Geldana ihren Vater und Welferich ins Arbeitszimmer des Seneschalls rufen lassen. „Ich fasse mich kurz. Der zweite hinzugezogene Heiler hat die Untersuchung des ersten bestätigt: Unseren Oheim hat der Schlag getroffen und so, wie es aussieht, wird er auf lange Zeit – wahrscheinlich sogar nie mehr – richtig sprechen können. Des Weiteren sind sein rechter Arm und das rechte Bein gelähmt und werden es wohl auch dauerhaft bleiben. Für eine echte Genesung besteht also wenig Hoffnung und liegt nun allein in der Hand der Götter. Ich werde morgen nach Perricum zurückkehren und den Markgrafen darüber unterrichten; nichts wäre für uns fataler, als wenn er durch Dritte vom Schicksal meines Großvaters erführe. Und seien wir realistisch: Eher früher als später wird darüber getratscht und die Kunde auch so zur Reichsstadt dringen, egal, wie sehr wir die Dienerschaft hier zum Schweigen verpflichten. Dennoch werde ich versuchen, uns etwas Zeit zu schinden.“
Die beiden Männer nickten nur stumm. Waren sie sich sonst auch alles andere als grün und nicht immer einer Meinung mit dem Patriarchen – dieses Schicksal hatte ihm keiner gewünscht. Es schmerzte selbst sie, den zuvor so energiegeladenen Mann in einem dermaßen maladen Zustand sehen zu müssen.

Es war Welferich, der das Schweigen letztlich beendete. „Dir ist aber klar, Geldana, dass die Absetzung Zordans als Seneschall durch Rodrigan dann, wenn nicht doch noch ein Wunder geschieht, nur eine Frage von Tagen, allenfalls Wochen sein wird.“

Die Angesprochene nickte und wollte zu einer Erwiderung ansetzen, doch kam Rukus ihr zuvor.

„Wohl wahr,“ antwortete er ungewohnt leise und bedächtig, „aber dann wird Geldana eben etwas früher als geplant seine Nachfolge antreten. Wer soll es denn sonst machen?“

„Dein Wort in der Götter Ohren.“, erwiderte Welferich mit einem Anflug von Skepsis in der Stimme. „Vergiss´ nicht, dass sich unser Oheim im Laufe der Jahre viele Feinde gemacht hat, die nun wie Hyänen über ihn, sein Vermächtnis und uns herfallen werden.“

Während sich zwischen den beiden Männern nun eine Diskussion darüber entspann, wer für die Familie und ihre Ambitionen eine Gefahr darstellen und wie man dieser am besten begegnen könnte, verließ Geldana den Raum und suchte ihren Großvater auf. Sie schickte die Dienerin weg, nahm dann die linke Hand des Alten in die ihre und flüsterte ihm ins Ohr:
„Ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen, um in Deine großen Fußstapfen zu treten und Dich stolz zu machen, Großvater, das verspreche ich.“
Ein sanfter Händedruck verriet ihr, dass ihre Worte verstanden worden waren.