Geschichten:Natzungen im Frühjahr - 2. Praiosstunde: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 22. März 2011, 18:29 Uhr

Baronie Natzungen, 13. Tsa 1030 BF

Tanira hob den Kopf, als ihr einer der Bediensteten meldete, dass die Kräuterfrau Alerika da wäre. Sie lächelte erfreut und legte unwillkürlich die Hand auf ihren Bauch. Dann wies sie an, die Frau in ihr Gemach zu führen, sie würde auch in Kürze dort erscheinen. Kurz notierte sie noch etwas unter einen Brief, den sie gerade gelesen hatte und legte ihn auf den Stapel, um den sich einer ihrer Schreiberlinge dann kümmern würde.

„Karstrand?“ rief Hadrumir nach seinem Korporal. „Jawohl!“ „Wir sollten uns um einen Geweihten und eine Trage kümmern!“ „Werde ich veranlassen!“ Hadrumir indes begann damit die Gemächer zu durchsuchen. Inständig hoffte er, dass er einen Hinweis finden würde.

Tanira betrat das Gemach, das sie gemeinsam mit Hadrumir bewohnte und begrüßte die alte Frau, die so viel Wissen über Kräuter hatte und schon so manchem Natzunger Kind auf das Rund Deres verholfen hatte. Unwirsch fuhr sie auf, als sich die Alte niederknien wollte. „Lasst dies – in eurem Alter solltet ihr dies nicht tun. Seht mich wie eine einfache Frau.“ Die Alte lächelte – sie mochte diese Baronin, die sich immer noch eher wie eine Offizierin des Heers benahm und so wenig wie eine Adlige des Raul’schen Reiches. „Wie ihr wünscht, euer Hochgeboren. Wie geht es euch?“ Tanira trat auf die Alte zu und lächelte – die Schwangerschaft ließ ihre Züge weicher wirken. „Ich bins mir zufrieden, die Übelkeit am Morgen hat dank eures Tees nachgelassen und belastet mich nicht mehr.“ Die Weise nickte zufrieden und machte sich daran, sich die Hände zu säubern, um dann die junge Baronin gründlich zu untersuchen.

Es war dunkel um ihn, doch nach einiger Zeit hatten sich seine Augen daran gewöhnt. Er saß mit den Händen auf den Rücken gefesselt auf einem Stuhl. Vorsichtig begann er damit, den Knoten zu untersuchen. Er konnte sich zwar keinen Reim darauf machen, wer ihn hier festhielt, aber er war sich in einem Punkt sicher: Ein Raul Zornbald würde sich von einem einfachen Knoten nicht aufhalten lassen!

Mühselig durchwälzte Hadrumir die Unterlagen der Ratsherrin. Vielleicht hatte sie sich ja Feinde gemacht? Doch Verwaltung war noch nie seine Stärke gewesen. Interessiert betrachtete er einen Schlüssel, welchen er gerade gefunden hatte. Er war goldverziert und schien nicht hier im Haus seine Bestimmung zu haben. Der Schlüssel zur Kämmerei der Stadt konnte es auch nicht sein, da Hadrumir diesen kannte.

Alerika nickte zufrieden. „Alles ist in bester Ordnung, ihr werdet eurem Mann einen gesunden Erben schenken. Es wird wohl zur Mitte des Rahjamondes geschehen. Doch ihr wirkt etwas blass. Ihr solltet versuchen euch etwas weniger in den Schreibstuben aufzuhalten und mehr von Praios hellem Licht und guter Luft um euch haben.“ Tanira lachte auf. „Wie gerne würde ich öfter ausreiten, gute Alerika. Doch es gibt so viel zu tun. Aber ich verspreche euch, ich werde mich bemühen öfter aus der Schreibstube zu kommen.“ Sie reichte der Frau einen kleinen Beutel mit einigen Münzen im Austausch gegen mehrere Beutel mit dem wohltuenden Tee und verabschiedete sich von ihr. „Verzeiht, aber ich muss wieder weiter. Eine Ratssitzung steht an und benötigt meiner Aufmerksamkeit.“ „Die Zwölfe mit euch, Euer Hochgeboren.“ Tanira verließ den Raum und wandte sich wieder ihrer Schreibstube zu, um die Unterlagen für die Ratssitzung weiter zu vervollständigen.

Raul hörte ein Geräusch an der Tür und stellte sich bewusstlos. Die Tür wurde geöffnet und Raul konnte hören, wie jemand den Raum betrat. Er spannte die Muskeln an und machte sich zum Angriff bereit. Als sich die Person über ihn beugte, stieß er mit der vollen Wucht seines Kopfes zu, welcher darauf hin noch mehr dröhnte als zuvor. Da er nun die Augen geöffnet hatte, konnte er sehen, dass die Person eine Frau war. Sie war zurückgetaumelt und Raul sprang vor. Die Frau reagierte geistesgegenwärtig und zog einen Dolch. Sie stach zu, doch Raul ließ den Stoß an seinem Arm abgleiten. Innerlich frohlockte er, dass Hadrumir ihm diesen Kniff gezeigt hatte. Er drehte sich in den Angriff hinein und packte den Arm der Frau. Rücklings stieß er die Frau an die Wand. Sie versuchte sich unter ihm wegzudrehen, doch ließ Raul dies nicht zu. Mehrfach donnerte er das Handgelenk seiner Kontrahentin gegen die Wand, bis diese schließlich den Dolch fallen ließ. Mit einem gezielten Stoß seines Ellbogens in die Rippen brach er den Widerstand. Nun drehte er sich vollends um und verpasste der Angreiferin eine gezielte Gerade. Diese versuchte Raul mit einem Aufwärtshaken außer Gefecht zu setzen. Geschickt wich Raul jedoch aus und holte sein Gegenüber mit einem Fußfeger von den Beinen. Er warf sich sofort auf die Frau, welche versuchte ihn von sich zu stoßen. Doch Raul ließ nicht locker und schaffte es, seine Hände um ihren Hals zu legen und zuzudrücken.

„Ist mein Mann oder Hauptmann Zornbold schon wieder hier eingetroffen?“ „Nein, euer Hochgeboren.“ Nachdenklich nickte Tanira der Wache im Gang zu und betrat ihr Arbeitszimmer. Sie ging ans Fenster und blickte über die Stadt. Was ging dort draußen nur vor? Was störte das geschäftige Treiben? Seufzend ließ sie sich wieder an ihrem Schreibtisch nieder und überlegte. Was sollte sie dem Rat berichten? Bisher wusste sie nur von Hadrumir, dass eine der Schwingen getötet worden sei. Außerdem hatte man ihr mitgeteilt, dass Hadrumir unterwegs sei, da es weitere Morde gegeben hätte, doch genaueres hatte man ihr nicht mitteilen können. Sie hoffte inständig, dass Hadrumir noch vor dem Beginn der Ratssitzung zurückkommen und ihr berichten würde.

Röchelnd hauchte die Frau ihr Leben aus. Raul erhob sich ermattet und nahm den Dolch an sich. Er wusste, dass eine unmittelbare Bedrohung bevorstand und die Tatsache, dass man ihn ausschalten wollte, konnte nur bedeuten, dass diese Bedrohung für die Baronin bestand.

Er konnte hier nichts mehr tun und beschloss, das Ganze erst einmal mit Tanira zu besprechen. „Okenheld!“ „Jawohl!“ „Ich werde mich zur Burg begeben. Wenn Ihr etwas findet, was von Belang ist, lasst es mich wissen!“ „Natürlich, Euer Hochgeboren.“ Hadrumir verließ das Haus durch das Hauptportal und machte sich auf den Weg zurück, als ihm einfiel, dass Tanira wahrscheinlich schon auf dem Weg zur Ratssitzung war.

„Nun, ich denke, dass es Zeit wird, zur Tat zu schreiten!“ Leomar von Gerstungen erhob sich langsam. „Eure Kutsche wartet auf Euch!“ sprach er zu seinem Gast. „Ich bedauere zutiefst, dass ich nicht mit Euch kommen kann, doch werde ich dafür Sorge tragen, dass Ihr Euren Teil unseres Werkes erfüllen könnt. Die Zwölfe mit Euch!“ „Die Zwölfe auch mit Euch!“

Die junge Frau blickte auf die Stundenkerze, die sich gerade der Markierung der Rondra näherte und raffte ein paar Papiere zusammen, um sich auf den Weg zum Ratshaus zu machen. Weder ihr Mann war bisher bei ihr gewesen noch der Hauptmann der Schwingen. Tanira würde also auch erst gemeinsam mit den Ratsleuten erfahren, was in der Stadt vorgefallen war. Sie verließ ihr Arbeitszimmer und ging allein zum Ratsgebäude am Markt der Stadt. Kurz runzelte sie nachdenklich die Stirn, als ihr auffiel, dass jede Wache, an der sie vorbei kam Schwert und Schwäne auf dem Wappenrock trug. Keine einzige Schwinge, die neuerdings Schwert und Adlerschwingen auf Blau trugen, war auf Posten hier im Haus. Doch dann zuckte sie die Schultern und schalt sich in Gedanken selbst. Was sollte dies, ließ sie sich schon von Hadrumirs Unruhe und Misstrauen anstecken? Was für einen Unterschied sollte es machen, ob sie von den Leuten ihres Mannes oder von der Stadtwache beschützt wurde. Waren nicht beide Gruppen die Ihren?

Elgor Karstrand hatte sein Gespräch mit den Geweihten gerade beendet, als ein Trupp der Schwingen an ihm vorbei zog. Rasch befahl er: „Mitkommen!“ Mit den Männern und Frauen machte er sich auf den Weg zum Haus Schlunder. Zusätzliche Hände wären wahrscheinlich von Vorteil. „He, Elgor! Wartet!“ ertönte es aus einer Seitengasse.

Hadrumir hatte das Ratsgebäude fast erreicht, als er um eine Ecke bog und unvermittelt mit jemandem zusammen stieß. „Tölpel, kann er nicht aufpassen!“ warf er seinem Gegenüber entgegen. „Verzeiht, bitte, Euer Hochgeboren! Seid Ihr auch auf dem Weg zur Ratssitzung?“ „Stadtvogt? Ich dachte, Ihr wäret auf Reisen?“ Leomar von Gerstungen lächelte freundlich. „Das war ich in der Tat! Ich bin vor ungefähr zwei Stunden angekommen und hörte von der Sitzung.“ Hadrumir schaute ihn betreten an. „Es sind schreckliche Dinge passiert.“ Der Gerstunger schaute ebenso betreten zurück. „Leider war es mir nicht möglich, in der Kürze der Zeit alles mitzubekommen, was geschehen ist. Wäre es nicht möglich, dass Ihr mir kurz in meinem Arbeitszimmer mitteilt, was Ihr wisst?“ Hadrumir schüttelte den Kopf. „Die Sitzung beginnt doch jeden Moment!“ Der Gerstunger nickte. „Natürlich, Ihr habt wie immer Recht. Ich hatte nur gehofft, dass ich dadurch als Stadtvogt vielleicht nicht ganz so töricht wirken würde, wenn ich vorab schon ein wenig wüsste.“ Hadrumir überlegte einen Moment. In der Tat erschien es nicht gut, wenn der Stadtvogt nicht über die Vorkommnisse Bescheid wusste. „Also gut, gehen wir! Man wird wohl auf uns warten können!“

Lange war die Frau über den Markt gelaufen um einen guten Hahn für kleines Geld zu finden, doch gerade heute war kein Bauer in der Stadt, der ihr ein gutes Angebot gemacht hätte. Ugo bewegte unwillig den Kopf unter dem Flügel, als der Gong die Rondrastunde schlug.

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