Geschichten:Schwägerinnen unter sich II: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 21. Mai 2010, 06:26 Uhr
Das Lachen war nicht zu überhören gewesen. Doch die anschließende plötzlich einkehrende Ruhe war merkwürdig. Neugierig ging sie aus ihrem Zimmer hinaus. Lyn hatte sich auf den offenen Gang zum Innenhof gestellt und blickte hinab. Ganz in der Nähe des Brunnens standen die Jungs, die eben noch so lauthals gegrölt hatten. Ihnen gegenüber befand sich ein junges Mädchen. Dünnes Blond gewelltes Haar und ein hochroter Kopf waren die auffälligsten Merkmale des Kindes. Sie hatte die Augen geschlossen und ihre Unterlippe bebte. An ihrer Kleidung konnte man erkennen, dass sie sich wohl auch gerade erst vom Boden aufgerappelt hatte. Ihr gegenüber stand wohl der Verursacher des ganzen. Doch in seinem Gesicht spiegelte sich nicht der Hohn wie es in den Antlitzen der anderen zu lesen war. Stattdessen starrte er sie gerade an, als sei sie ein Geschöpf der Niederhöllen und rannte einfach nur weg. Seine Kumpane hielten sich daraufhin den Bauch vor lachen, trollten sich dann aber auch. Spottlieder singend begaben sie sich auf die Suche nach dem Flüchtenden.
Lyn sah den davon eilenden Jungs hinterher, dann ging sie zu dem am Brunnen stehenden Mädchen. Langsam, aber mit einem Lächeln auf den Lippen näherte sie sich. „Die Götter mit Dir“ sagte sie mit sanfter Stimme als sie das Kind erreichte.
Als ob sie bei etwas ertappt worden sei, blinzelte das Kind schnell ein paar Tränen weg, bevor sie der Frau antwortete. „..Götter zum Gruße.“ Ihre Stimme war noch etwas brüchig und tränenschwer. Doch sie räusperte sich schnell wischte mit dem Hemdärmel über die Nase und blickte sie dann fast herausfordernd an. Mit verschränkten Armen hinter dem Rücken blickte sie ihr geradewegs in die Augen. „Was kann ich für euch tun?“ Diese Haltung, so konnte Lyn erkennen, war eine deutliche Kopie ihrer Mutter.
„Du bist sicher Quenia, oder?“ fragte Lyn das Mädchen. „Ich bin Lyn a’ Nia…“ sie stockte und versuchte es erneut mit der nebachotischen Aussprache ihres neuen Namens „Lyn a’Nia’mar han….“ Sie schüttelte lächelnd den Kopf „Ich gebe es auf.“ gestand sie schmunzelnd ehe sie sich mit „Lyn ni Niamad-Brendiltal.“ vorstellte.
Die Erkenntnis, dass die Frau ihren Namen bereits kannte, verursachte ein Stirnrunzeln. Doch die ungeschickten Versuche sich vorzustellen, vertrieben die aufkeimenden Zweifel, und Quenia knickste kurz und artig vor ihr. „Seid gegrüßt Wohlgeboren. Ja ich bin Quenja von Niederriet...! Wieso?“
Quenja konnte eine Spur von Erleichterung auf dem Gesicht der jungen Baroness sehen. „Nun, ich bin neu hier und es ist mir alles noch sehr fremd“ gestand die rothaarige Frau. „Und da freut es mich sehr, jemanden hier zu sehen, der anscheinend auch nicht hier geboren und aufgewachsen ist.“ Ein scheues Lächeln hielt auf dem verweinten Kindergesicht Einzug. "Ja, wir sind auch noch nicht so lange hier..." Sie schaute sich um, als ob sie nach jemandem suchte. Lyn lächelte das Mädchen an. "Und, wie gefällt es Dir hier? Ich finde es ungewohnt heiß." fügte sie in verschwörerischem Ton hinzu um nicht den Anschein einer Befragung aufkommen zu lassen. "Ja, die Hitze kann einem schon zu schaffen machen..." Plötzlich kam ein Hund mit eingezogener Rute um die Ecke. "Aldron!" Quenia ging auf ihn zu, und umarmte ihn. "Wo warst du nur wieder?“ Lyn folgte Quenia zu dem Hund und betrachtete ihn neugierig. „Ist das Deiner?“
Der schwarze Mischling schien noch nicht ausgewachsen zu sein. Sein seidiges Fell glänzte fast ein wenig bläulich in der Sonne. Die Schnauze war lang und schmal. Seine Zunge ließ er aus dem Maul hängen und genoss die Liebkosungen, die ihm trotz der Schelte zuteil wurden. Aufgeregt bewegte sich der buschige Schwanz hin und her, und kündete von seiner Freude. „Ja, wir haben ihn mit hierher gebracht.“ Die Frau sah nun auch in dem sonst so tadellosen Fell einige im Prozess der Heilung befindliche Stellen, die auf mehrere Verletzungen schließen ließen.
„Ein aufgewecktes Kerlchen“ sie betrachtete sichtlich erfreut das Mädchen und den Hund. „Und wie ich sehe, sehr ungestüm.“ Sie deutete auf die heilenden Verletzungen. „Darf ich mir das einmal ansehen? Vielleicht kann ich ihm helfen?“
Zuerst folgte eine beschützerische Geste des Mädchens. Sie hatte Aldron an sich gedrückt, und ihn von der Fremden weg gezogen, doch die Sorge um das Tier ließ sie diese Zweifel wohl beiseite schieben. „Ich denke schaden kann es nicht. Ich habe aber alles so gemacht, wie mirs die Burschen und Knechte gesagt haben...es verheilt doch gut, oder?“
Lyn deutete auf eine Bank die im Halbschatten nicht allzu weit entfernt stand. „Lass uns doch dort hinüber gehen und ich schau es mir einmal an.“ Aufmunternd schaute sie das Mädchen an „Aber was ich so aus der Entfernung sehen kann, scheint es als hättest Du Deine Sache gut gemacht.“
Schon deutlich beruhigter rannte Quenia mit Aldron zu der Bank. Der Hund war derart ungestüm, dass sie dabei mehrmals fast hingefallen wäre, denn er rannte ihr ständig zwischen die Beine, und konnte gar nicht genug davon bekommen sich mit ihr zu balgen. Doch bei der Bank angekommen, hielt Quenia ein, machte eine ernste Miene, hob den dünnen, rechten Zeigefinger, und sagte mit ernster Miene: „Sitz Aldron.“ Wie sie so mit hochgezogenen Brauen dastand, und um Ernsthaftigkeit bemüht ihren Hund dazu brachte sich ordentlich hinzusetzen, wurde erneut die Ähnlichkeit zu ihrer Mutter offensichtlich. Begeistert drehte sie sich um. „Er hört schon gut, nicht wahr?“
„Oh ja, in der Tat“ sie tätschelte ihn leicht „Ein wirklich braver Hund“ Lyn setzte sich und begutachtete die Verletzungen des Tieres. „Sag, wie ist das passiert? Und wie hast Du es verarztet?
„Ich...Es...“ Das Mädchen blickte errötend nach unten. „Er ist mal wieder ausgerissen gewesen. Ich habe ihn überall gesucht. Das Jaulen und Bellen hat mich dann zu ihm geführt. Zu dritt sind die auf den los gegangen. Aber er ist nicht weg gerannt. Mein Aldron ist nämlich nicht feige!“ Mit Stolz geschwellter Brust strich sie ihm gleichmäßig über das seidige Fell. Zärtlich schleckte er die Hand des Mädchens und auch gleich dessen Wange mit ab. „Als es dann vorbei war, habe ich erst mal alles sauber gemacht, und mir von den Knechten was geben lassen, was sie bei den Pferde drauf tun, wenn die sich beim auskeilen verletzt haben. Das hat auch gewirkt.“
„Zu dritt? Das ist aber nicht sehr rondrianisch“ entfuhr es Lyn empört. „Ein tapferer Hund bist Du“ sprach sie beruhigend auf ihn ein, dann wandte sie sich an Quenia. „Du hast ihn gut versorgt, keine Angst, das wird wieder. Aber sag mir, wer war das? Wer tut so etwas feiges und unrondrianisches?“
Ungläubig schaute das Mädchen sie an, dann machte sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht breit, das schlussendlich in ein glucksendes Kichern mündete. „Aber nein, da müsst ihr mich falsch verstanden haben.“ Belustigt schüttelte sie erneut den Kopf. „Es waren die Hunde vom Bar...ähm...Marban.“ Ernst blickte sie sie an. Als keine Erkenntnis in Lyns Zügen dämmerte, fügte sie erklärend dazu: „Diese großen Hund, die so...angriffslustig sind.“ Scheinbar hatte das Kind nach der freundlichsten Umschreibung gesucht, die ihr zum Charakter der Tiere einfiel. Doch ihr unglückliches fast angewidertes Gesichtchen drückte mehr als das aus.
Lyn schaute überrascht drein und musste dann schmunzeln. „Nun ja, das war auf jeden Fall auch nicht sehr rondragefällig von den Hunden“ Sie überlegte kurz „Ja, die Hunde des Marban habe ich schon aus der Ferne gesehen, bin ihnen aber noch nicht begegnet.“ Ein Gedanke durchfuhr sie und sie fragte Quenja mit leicht beunruhigtem Tonfall „Weißt Du, ob sie auch schon Kinder angegriffen haben? Oder halten sie sich eher an andere Hunde?“ schnell fügte sie hinzu „Nicht dass dies viel besser wäre…“
„Naja...schon auch. Kommt eben darauf an, wo man ist, und was man macht. Aber eigentlich sind die ja meistens weg gesperrt. Oder eben mit den Hundeführern unterwegs. Nur Aldron weiß schon, wie er zu denen kommt, wenn er will. Nur wollen sie ihn eben nicht.“
Das Gespräch hate ihr inzwischen genug von Quenjas kleiner Seele gezeigt, um zumindest zu erahnen, dass dies sicher nur ein Teil der Geschichte war, die sie ihr hätte erzählen können.
Lyn sah das Mädchen verständnisvoll an. „Hm… die anderen Hunde kennen sich wahrscheinlich schon lange und wollen keinen fremden Hund in ihrer Mitte?“ Sie strich dem Hund über sein Fell „Es ist sicher schwer für ihn, so weit fern der Heimat und unter Fremden Freunde zu finden…“
Quenias Augen verrieten zwischenzeitlich, dass das Kind keineswegs mehr eingeschüchtert war, es machte mehr den Anschein, als ob sie mit Bedacht ihre Worte wählte, ganz so, als ob man hier nicht über Kleinigkeiten redete, sondern sie Gefahr liefe Dinge Preis zu geben, die sie lieber für sich behalten wollte. Ihr Gemüt hatte sich nach dem Vorfall mit den Jungen wieder soweit beruhigt, dass sie die rothaarige Frau nun wieder interessiert musterte.
„Ach, das sind eben so viele, und er will nicht klein bei geben. Ich kann ihn doch auch nicht einsperren...!“ Mit einer Handbewegung schien sie dieses Thema beenden zu wollen. Stattdessen beäugte sie erneut verstohlen ihr Gegenüber, wobei sich Lyn dem Eindruck nicht erwehren konnte, dass das Mädchen vor allem Gefallen an ihrem Haar gefunden zu haben schien. „Sagt, seid ihr nur eine Kriegerin...?“
Leicht belustigt schaute Lyn zu dem Mädchen und wieder holte ihre Worte „Nur eine Kriegerin…?“ Sie legte den Kopf ein wenig schräg und meinte dann „Nun ich denke ich bin hoffentlich mehr als nur eine Kriegerin. Ich bin auch eine Mutter, die Tochter meiner Eltern und nun die Frau des Baronetts von Brendiltal. Hm… ich denke das macht mich zum zweiten Mal in meinem Leben zu einer Baroness.“ Sie lächelte Quenja ein wenig verschmitzt an. Außerdem bin ich Albernierin…“ sie stockte kurz als sie über diesen Teilsatz nachdachte fuhr dann aber fort. „Ja, Albernierin, auch wenn ich nun wohl auch Pericumerin bin. Hm… ganz schön kompliziert, was?“ Dann schaute sie Quenja in die Augen „Aber egal, wie man mich sieht, ich bin immer die gleiche Person, nämlich ich selbst.“ Kaum hatte sie geendet viel ihr auf, dass die Antwort vielleicht ein wenig zu komplex ausgefallen war und zu philosophisch für ein Kind sein könnte. Sanft fragte sie „War es das was Du wissen wolltest? Wenn nicht, frag ruhig weiter. Ich habe Zeit und mag Deine Gesellschaft.“
Quenia sah in der Tat einigermaßen verwirrt aus. Bei eingehender Musterung sogar irgendwie enttäuscht. „Aha....“ Lustlos schien sie die Forderung ihres Hundes nach weiterer Zuwendung zu ignorieren oder nicht wahrzunehmen. Der setzte sich enttäuscht vor sie, legte den Kopf schief und ließ hechelnd die Zunge heraus hängen. Scheinbar nahm er an irgendein Kommando verpasst zu haben, und so den Unwillen seines Frauchens auf sich gezogen zu haben. Verwirrt ließ er sich ob der weiter herrschenden Ignoranz ihrerseits jetzt sogar auf alle Viere nieder und schaute erwartungsvoll zu ihr hinauf. „Hier scheint es vor allem Krieger zu geben.“ Meinte das Mädchen plötzlich unvermittelt in die entstandene Pause. „Meinst Du?“ fragte Lyn das Mädchen. „Ich habe bisher hier auch einige Frauen gesehen, die definitiv keine Kriegerinnen sind.“ Amüsiert dachte sie an die Schwestern Ra’ouls, die sich doch eher den schönen Künsten verschrieben hatten. Sie sah das Mädchen an und verstand nun ihre Frage ein wenig besser. „Und die anderen, Hm… ja, es gibt sicher einige von ihnen, die nur Krieger sind. Aber ich zum Beispiel bin auch eine sehr geschickte Jägerin. Und ich habe recht viel Erfahrung darin, Baumhäuser zu bauen. Hast Du schon einmal ein Baumhaus gesehen?“
Mißtrauisch schaute sie das Mädchen an. „Nein? Sowas machen doch auch Elfen, oder?“ Erstaunt schaute sie mit neu erwachtem Interesse Lyn an.
„Die Elfen?“ verwundert schaute Lyn zu Quenja. „Das kann sein. So genau kenne ich mich mit Elfen nicht aus. Ich kenn nur eine Halbelfe, die eine gute Freundin einer Freundin von mir ist. Und diese hat uns bei dem Bauen der Baumhäuser geholfen.“ Ihr Blick wirkt leicht getrübt, als sie davon berichtet. Aber sie versucht sich nichts anmerken zu lassen und fragt schnell weiter „Kennst Du denn Elfen?“
„Nein, leider nicht. Bei meiner Tante gab es keine. Und hier...hier auch nicht. Nicht mal einen Tempel in der Nähe.“ Sie schaute unlustig auf den Boden. „Ihr habt auch Kinder?“
„Ja, ich habe einen Sohn. Er zählt jetzt fast 5 Götterläufe.“ Sie schaut Quenja fragend an „Und was meinst Du damit, dass es keine Tempel hier in der Nähe gibt?“
Unsicher sah sie die Kleine an. „Hm...von wem soll ich hier etwas lernen? Ich bin keine Kriegerin.“ Diese Aussage kam mit einer Mischung aus Trotz und Stolz. Doch die folgenden Worte waren deutlich unsicherer und leiser. „Aber irgendwas muss ich doch sein. Ich bin...anders als meine Frau Mama und all die Anderen hier!“ Verloren sah sich das Mädchen hier um. Dünn, blass und tatsächlich fremd stand sie in dem an sich heimeligen Hof da.
Lyn sah das Mädchen sanft an. „Du musst auch keine Kriegerin sein. Und ich hoffe, hier für eine Weile auch nicht kämpfen zu müssen.“ Sie spürte wie die Erinnerungen an all die Kämpfe der letzten Götterläufe in ihr aufkeimten und schüttelte energisch den Kopf, um diese zu vertreiben. „Nein, ich habe fürs erste genug gekämpft.“ Mit einem Lächeln schaute sie zu Quenja „Was möchtest Du denn lernen? Vielleicht kann ich Dir ja was beibringen? Oder wir finden jemanden, der es kann.“ Ihr Gesicht verzog sich zu einem leichten Grinsen als zu hinzufügte „Aber mit höfischen Tänzen kann ich Dir nicht weiterhelfen. Auch wenn meine Stiefmutter alles versucht hat, um mir das beizubringen.“
Lachend winkte das Mädchen ab. „Tanzen kann ich an sich ganz gut. Meine Tante...!“ Sie rollte dabei ihre Augen gen Alveran. Dann schien sie angestrengt nachzudenken. „Ich weiß nicht so genau was ich lernen könnte. Es ist schwierig zu erklären...“ Die Gesichtsfarbe des Kindes war zunächst vom Blassen ins Knallrote gewechselt. Die blauen Augen stachen daraus besonders hervor. „Ich sollte wohl vor allem von hier weg...“ Brach es aus ihr heraus. „Sonst passiert noch was.“ Scheinbar war sie selbst überrascht, was da aus ihr herausgesprudelt war. Erschrocken hielt sie die Hand vor den Mund. Nur mehr mit Mühe konnte sie nun kaum mehr die Tränen zurück halten.
Die junge Baroness legte impulsiv den Arm um das Mädchen und drückte es tröstend an sich. „Sch…..“ murmelte sie beruhigend und strich dem Kind beruhigend durchs Haar. „Ganz ruhig. Warum denkst Du dass Du hier weg solltest. Ich fände es schade.“ Leise und beruhigend waren ihre Worte und sie hielt sie immer noch sanft im Arm.
Es dauerte eine ganze Weile, bis die Schluchzer weniger geworden waren, und Quenia anfing wieder zu sprechen. „Ich ...es...es war keine Absicht, ich habe keine Ahnung wie so etwas passieren konnte. Sonst...so...sonst hören fast alle Tiere auf mich. Aber...aber die im Zwinger, ha..haben sich einfach auf ihn gestürzt. Ich konnte doch nicht zuschauen!“ Um Zustimmung heischend sah sie Lyn an. Als die beruhigend nickte, führ sie fort. „Und dann ist es einfach passiert...!“ Jetzt starrte sie stumm auf den Boden, mit hängenden Schultern.
Immer noch trostspendend hält Lyn das Mädchen. Sie hat eine Ahnung wo das Problem liegen könnte. Leise meint sie „Und dann ist etwas passiert, von dem Du gar nicht wolltest, dass es passiert? Zumindest nicht auf diese Art?“
Das Mädchen in ihren Armen nickte stumm. Schließlich wischte sie sich mit dem Ärmel ihrer Bluse über die Augen und meinte „Und jetzt weiß ich nicht was ich machen soll. Das hätte nie passieren dürfen...“ Sie schaute auf die von sich gestreckten Hände, als ob sie etwas bösartiges wären, dass sie verabscheute.
„Ich würde vorschlagen, Du erzählst mir einfach, was passiert ist. Und dann schaue ich, wie ich Dir helfen kann. Was meinst Du?“ Sie sah das Mädchen aufrichtig an „Und keine Angst. Ich werde niemanden verraten, was Du mir jetzt erzählst.“
Es kam ihr so vor, als ob der Blondschopf noch ein wenig mehr Richtung Boden sank. Doch sie hatte ihr zugestimmt, mit einem zaghaften „Hmhm.“ Die Tochter der Rittfrau schluckte ein paar mal schwer, bevor sie mit brüchiger Stimme anfing zu erzählen. „Als ich das Bellen Aldrons gehört hatte, war mir klar, dass sie ihn in die Enge getrieben hatten. Es hatte sich wie in Todesangst angehört. So schnell ich konnte, bin ich zu den Zwingern gerannt, doch die Lage war aussichtslos. Zwei hatten sich in seinen Rücken verbissen und der Dritte, der Anführer der Meute, schon ein erfahrener und alter Rüde, stand über ihm, und war gerade dabei ihm an die Kehle zu gehen. Dann...“ Sie verstummte kurz, da sie sich räuspern musste. „Dann ist es passiert. Erst jaulte er auf, und ich wusste nicht recht was los war. Dann schaute er mich an, als ob ich aus den Niederhöllen wäre und ihn fressen wollte. Die anderen haben auch angefangen sich wie wild in eine Ecke zu drücken. Sogar Aldron...Der Anführer hat aber aus Angst versucht sich durch das Loch im Zwinger raus zu drücken. Dabei muss er sich die geborstene Holzlatte in den Rücken getrieben haben...ich...ich wollte ihm ja noch helfen, aber er hat wie irre nach mir geschnappt und geheult vor Schmerz, es war einfach furchtbar. Er starb vor meinen Augen, und ich konnte nichts ändern.“ Sie machte eine Pause. Fast emotionslos schauten ihre Augen jetzt in die Ihren. „Was ist da nur passiert? Noch nie habe ich einem Tier solche Angst eingejagt.“
Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder zu den Dingen die Quenja ihr erzählte. Erinnerungen an ihre Stiefmutter kamen in ihr hoch. Erinnerungen an Dinge die diese getan hatte, wenn sie wütend oder in Rage war. Nur mit dem Unterschied, dass diese genau wusste, was sie da tat. „Psch….“ Leise und beruhigend klang der Laut als sie Quenja wieder tröstend in die Arme schloss. „Keine Angst, ich helfe Dir, raus zu finden, was da passiert ist. Doch sag, war es das erste Mal, dass Du etwas Komisches getan hast. Oder jemand ohne Grund vor Dir Angst hatte?“
Die Miene des Kindes wurde nun zusehends ernster und sie grübelte scheinbar über die Frage nach. „Ich weiß nicht so recht. Andere haben über mich geredet...dass es nicht normal wäre, wie ich mit Tieren, selbst den wildesten, umgehen könnte. Ich dachte die wären einfach neidisch auf mich. Aber die habe ich nicht erschreckt, nein, die hatten einfach Vertrauen zu mir, die wussten, dass ich ihnen nichts tun würde. Mir kommt...kam das alles normal vor. Meine Mutter kann schließlich auch toll reiten und sie hatte auch immer Hunde.“ Sie schnäuzte sich laut und schaute sie dann fragend an.
„Weißt Du“ begann Lyn ruhig „manche Menschen kommen einfach sehr gut mit Tieren klar. Und dann gibt es da noch diejenigen, die mit einer seltenen Gabe gesegnet sind und einfach einen noch größeren Einfluss auf Tiere haben können als andere.“ Sie sah das Mädchen nachdenklich an. „Und ich glaube, dass Du dazu gehörst.“
„Das kann ja schon sein, aber wie erklärt eine solche Begabung bitte, dass ich dem Rüden aus dem Rudel des Marbans solche Angst eingejagt habe, dass er...?“ Quenja schluckte und blinzelte erneut ein paar Tränen weg bevor sie weiter sprechen konnte. Es war deutlich, dass sie zwar froh war jemanden gefunden zu haben, dem sie das schreckliche Ereignis mitteilen konnte, aber die Erklärungen der hilfsbereiten Frau, schienen ihr nicht einleuchtend. „Sonst ist es eher so, dass die Tiere ruhig werden, wenn ich mich mit ihnen beschäftige...!“
„Aber, kann es vielleicht sein, dass Du wolltest, dass sie Angst bekommen und Aldron in Ruhe lassen? Natürlich nicht Todesangst, aber so ein bisschen?“ Der Tonfall der Baroness war mitfühlend und warm, keine Spur von Anschuldigung oder Tadel lag darin.
„...nnunjaaa...nicht so richtig, obwohl...?“ Der Blondschopf erinnerte sich scheinbar zurück, an die kurzen aber intensiven Momente, und meinte dann schließlich ziemlich zerknirscht. „Doch ja, irgendwie schon. Ich habe mir gewünscht er wäre weg, nicht in dem Zwinger bei Aldron. Dann hätte der wenigstens eine Chance gehabt.“ Die Verwirrung, die ihr allerdings ins Gesicht geschrieben stand war deutlich. „Aber, aber,...das ist doch Blödsinn.“ Erschrocken fasste sie sich an den Mund. „Verzeiht mir bitte, das ist mir so heraus gerutscht. Aber...ich habe mir schon oft Sachen gewünscht, und nie hat das SO funktioniert. Eigentlich hat sich fast noch nie ein Wunsch von mir erfüllt. Und SO will ich auch gar nicht, dass sich meine Wünsche erfüllen.“ Langsam begannen sich wieder die Augen mit Tränen zu füllen, und sie schaute weg, in den Hof, um Lyn nicht anschauen zu müssen. „Das glaube ich Dir.“ Sagte Lyn leise, gefolgt von einem „Und auch, dass Du dem Hund nichts Böses wolltest.“ Sachte nahm sie die Hand des Mädchens. „Wenn Du magst, helfe ich Dir herauszufinden warum das geschehen ist und einen Weg zu finden, dass dies nicht noch einmal passiert.“ Sie seufzte leise „Und was die Wünsche angeht. Manche können ganz leicht in Erfüllung gehen, wenn man anderen davon erzählt. Bei anderen, nun ja, da muss man selbst einiges für tun oder einfach lange warten.“ Sie lächelte Quenja aufmunternd zu. „Und wer weiß, vielleicht kann ich oder Deine Mutter Dir helfen, dass kleine Wünsche in Erfüllung gehen?“
„Darum geht es mir ja gar nicht...um meine Wünsche. Es ist nur so, ich glaube, dass wenn ich nicht aufpassen kann, was ich anrichte, sollte ich lieber weg von hier.“ Sie machte sich jetzt los von der Frau und ging einige Schritte weg und schließlich dann doch noch einmal hin zu ihr. „Was meintet ihr damit, dass ihr mir einen Weg helft zu finden, damit so etwas nicht noch einmal passiert? Ihr wisst doch auch keinen anderen Rat als dass ich mehr aufpassen soll dass ich...nicht mehr so unbeherrscht bin, oder?“
Lyn lachte leise mit einem leicht bitteren Zug um die Mundwinkel auf. „Nein, ich werde Dir ganz bestimmt nicht dazu raten, Dich zu beherrschen wenn ein Freund von Dir in Not ist. Komm setzt Dich noch einmal her zu mir, dann erzählt ich Dir, was ich meine“ Während sie auf die Reaktion des Mädchens wartete, kamen ihr die Erinnerungen an ihre eigene Unbeherrschtheit und sie musste schmunzeln, als sie sich an das Gesicht des Bibliothekars von Honningen erinnerte, als sie ihm androhte, die Tür einzuschlagen falls er keinen Schlüssel besorgen würde.
Erst zögerlich, doch nachdem sie sich dazu durchgerungen hatte Lyns Vorschlag Folge zu leisten, mit zielstrebigem Schritt kam Quenja von Niederriet wieder zu ihr heran, und setzte sich neben sie. „Aber was wollt ihr mir dann raten? Ich muss mich doch fernhalten von allen oder eben beherrschen. Sonst passiert wieder was. Das ist wirklich nicht leicht.“ Sie schaute Lyn verzweifelt an.
„Oh, wenn Du dich von allem fernhalten müsstest, dann wäre das aber ein sehr trostloses Leben. Das Kind nickte ihr beipflichtend zu. Nein, da müssen wir eine andere Lösung finden.“ Sie sah das Mädchen prüfend an. Sollte sie ihr tatsächlich von ihrem Verdacht erzählen? Oder würde es sie zu sehr verängstigen? „Deine Mutter hatte mir vorgeschlagen, demnächst einen Ausflug nach Rash’ia Hal zu machen, zu den Tempeln der gütigen Schwestern. Was hälst Du davon, wenn wir den demnächst machen und Du uns begleitest? Die Geweihten können Dir sicher helfen.“
Zunächst prägte deutlicher Zweifel die Miene Quenjas. Scheinbar war sie sich nicht sicher, was oder ob diese Tempel und ihre Diener ihr wirklich helfen konnten. Oder es lag an der Nennung ihrer Mutter, dass sie zögern ließ. Sie kickte einen kleinen Stein zu ihren Füßen weg, und Aldron konnte nicht an sich halten und rannte dem Steinchen hinterher. Geschickt nahm er es nach kurzer Verfolgung sachte mit den Zähnen auf, und trottete stolz mit wedelnder Rute zu seiner Herrin zurück. Hechelnd ließ er es zu ihren Füßen wieder fallen und blickte sie erwartungsvoll an. Nachdem Quenja noch immer auf den selben Flecken Boden starrte, schob der kluge Hund den Kiesel mit der langen Schnauze wieder in ihre Blickfeld. „Aldron...“ Mit anklagender Stimme schaute sie ihn an. Seufzend wiederholte sie ihr tun, nun aber deutlich treffsicherer und fester. „Nun gut. Ich denke, es wird nichts schaden, wenn ich dort mit einem der Geweihten einmal...spreche, aber ihr müsst mir etwas versprechen!“
Neugierig fragte Lyn „Was denn?“ Sie ahnte fast die Antwort, doch sah sie das Mädchen aus warmen Augen an.
„Was ich euch erzählt habe, das darf kein Anderer wissen. Ich...es...es soll keinen beunruhigen, außer mir. Ich will erst einmal selbst wissen, was mit mir nicht stimmt, bevor ich es anderen erzähle.“
Lyn legte ihren Arm um das Mädchen und ihr Herz war ihr schwer. Quenja war noch so jung und trug schon so eine schwere Last. „“Ich verspreche Dir, niemanden etwas davon zu erzählen. Aber ich denke nicht, dass Du diese Last alleine tragen solltest. Glaub mir, Deine Mutter weiß zumindest, dass Du dich hier nicht wohl zu fühlen scheinst.“ Sie machte eine kurze Pause und fügte dann leise hinzu. „Ich wünschte, ich hätte meiner Mutter von meinen Sorgen und Nöten erzählen können.“
Alarmiert rückte sie ein wenig von der Frau weg. „Aber was...wie...hat sie mit euch gesprochen? Ich habe ihr kein Wort von dem Vorfall erzählt, und ich bin mir sicher, dass die Hundeführer auch keine Ahnung hatten was passiert war.“
„Keine Angst“ die Stimme der Frau war beruhigend. „Sie weiß nichts davon und wird es auch von mir nicht erfahren. Aber sie spürt, dass Du Dir um etwas Sorgen machst.“ Sie lächelte Quenja an und fügte hinzu „Mütter spüren so etwas. Und sie macht sich Sorgen um Dich.“
All ihre Bemühungen ihre Sorge und Angst vor ihrer Mutter geheim zu halten sollten vergebens gewesen sein? Erst ungläubig, dann zusehends elender starrte sie vor sich hin. Sie hatte das doch nicht gewollt. Ihre Mutter war nach all den Jahren so froh gewesen hierher zu kommen, und mir ihr, A’urel und ihrem Geschwisterchen endlich ein gemeinsames Leben aufbauen zu können. Als sie gemerkt hatte, dass irgendetwas komisch wurde mit ihr, hatte sie begonnen sich zurück zu ziehen, in der festen Annahme, dass ihre Mutter das in all dem Trubel über das Neugeborene sicher nicht bemerken würde. A’urel konnte sie mit ihrer Abwesenheit täuschen, da war sie sich sicher gewesen. Doch jetzt sah sie in den Worten Lyns das bestätigt, was sie insgeheim befürchtet hatte. Sie hatte es doch gespürt! „Und was soll ich jetzt machen? Was werden sie mit mir machen, wenn sie erfahren, was ich angerichtet habe?“
Lyn seufzte leise „Dich in den Arm nehmen und trösten. Was denn sonst?“ Sie sah Quenja zuversichtlich an. „Und dann mit Dir zusammen herausfinden, wie das passiert ist.“ Ihr kam ein Gedanke denn sie sofort laut aussprach. „Sag einmal, wenn Du dir etwas wirklich dolle wünscht oder Hilfe brauchst, an welchen Gott schickst Du Deine Gebete?“
„Meistens an die Herdmutter Travia, wieso?“
„Nun…“ begann Lyn leise „… die Gottheit,der man sich am meisten verbunden fühlt, verrät oft viel über den Charakter eines Menschen. Zumindest bei Erwachsenen.“ Sie macht eine kurze Pause und blickt Quenja an. „Wie Du Dir sicher denken kannst, fühle ich mich Rondra sehr verbunden. Auch wenn ich wirklich keine Lust auf weitere Kämpfe und Kriege habe, würde ich nie zögern mein Schwert einzusetzen, um andere zu beschützen. Und wenn jemand Schutz vor etwas sucht, was nicht mit dem Schwert bekämpft werden kann, versuch ich den Schutz anderweitig zu bieten.“ Sie lässt ihren Blick kurz in die Ferne schweifen, ehe sie Quenja wieder anschaut. „Ich habe Dir versprochen, mit niemanden über das zu sprechen, was Dir widerfahren ist. Doch denke ich, dass auch Deine Mutter Dir helfen kann, Deinen Weg zu finden.“ Der Gesichtsausdruck der jungen Frau macht deutlich, dass sie Quenja noch etwas sagen will, ihr aber jetzt die Gelegenheit geben möchte, etwas einzuwerfen, falls sie das will.
Die Miene Quenjas zeigte, dass sie wohl über die Worte der Frau nachdachte, doch sie schaute sie nach wie vor abwartend an. Scheinbar war sie ein helles Köpfchen, dass den Umgang mit Erwachsenen gewohnt war und deren Mienen nicht schlecht zu deuten wusste.
Sie lächelte als sie sah, dass sie anscheinend die ungeteilte Aufmerksamkeit des Mädchens hatte. „Das was Du getan hast…“ begann sie leise „… es erinnert mich an jemanden. Mei….“ Sie stockt kurz und beginnt von neuem „… Eine Freundin von mir tat ähnliches, allerdings konnte sie es kontrollieren und setzte es nur ein, um anderen zu helfen. Ich bin mir nicht sicher, ob Du dieselbe oder eine ähnliche Gabe hast wie sie. Doch kann ich dies nicht herausfinden. Deshalb würde ich gern mit Deiner Mutter darüber reden, denn vielleicht weiß sie Rat.“
„Ausgerechnet Sie?“ rutschte es Quenja heraus. „Ich weiß nicht so recht...“ Am liebsten hätte sie dieses Gespräch so weit weg von sich geschoben wie nur irgend möglich, aber andererseits fühlte sie sich so auch nicht wohl in ihrer Haut. Ständig alleine irgendwo herum zu sitzen war auch nicht schön. Ihre Mutter war traurig, weil sie ihr aus dem Weg ging, und A’urel, naja was der dachte konnte sie nur schwer einschätzen hatte sie doch mit ihm ausser über Pferde kaum ein Wort gewechselt.
„Vielleicht könntet ihr erst einmal alleine, ich meine ich muss doch nicht gleich dabei sein, oder?“ Hoffnungsvoll schaute blaue Augen zu ihr auf.
„Nein“ sagte sie ruhig zu dem Mädchen. “Du musst nicht dabei sein. Vielleicht ist es sogar besser, wenn ich erst mal mit ihr alleine rede?“ Aufmunternd sah sie Quenja an.
„Hmhm...! Dann, dann geh ich jetzt mal besser. Bevor die anderen wieder kommen, will ich lieber weg sein. Das nächste Mal kann ich dir ja zeigen, wo ich mich immer verstecke.“
Das das Mädchen ihr soviel Vertrauen schenken wollte, freute sie. Anscheinend hatte sie tatsächlich einen Erfolg erreicht. Sie konnte sich gut vorstellen, was für eine Last das für Quenja gewesen sein musste und war froh, ihr ein wenig davon abnehmen zu können. „Abgemacht“ entgegnete Lyn und lächelte Quenja verschwörerisch an.
Wie ein Pfeil stoben Quenja und ihr Hund aus dem Hof.