Geschichten:Leonore Wulfdania von Unterallertissen: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. März 2011, 18:28 Uhr
Seine Arbeit war dreckig. Daran konnte kein Zweifel sein. Alles was er tat, tat er letztlich für Geld, für den schnöden Mammon. Und das war gut. Denn er brauchte eine Menge von dem Zeug. Ein Leben, bei dem man fortwährend auf der Flucht war, erforderte eine gehörige Portion an Gold, wollte man nicht über kurz oder lange am Galgen baumeln.
Natürlich hatte dieses Leben auch angenehme Seiten. Genüsslich kratzte sich Cantmar zwischen den Schenkeln. Das Weibsbild, dem er es vorgestern besorgt hatte, hatte sich anscheinend nicht gewaschen und nun juckte es mal wieder scheußlich im Schritt. Wenn er das nächste Mal in Eslamsroden vorbeikäme, würde er sich wohl wieder einmal zu diesem verflixten Quacksalber begeben und dieses stinkende Pulver erstehen müssen.
Wie auch immer. Er konnte gar nicht fassen, was für ein Glück sie gehabt hatten. Dieser fette Schrat von einem Auftraggeber war wirklich vorzüglich informiert gewesen und so war die Sache schnell und reibungslos über die Bühne gegangen. Die Frau hatte, wie angegeben, am frühen Morgen das große Anwesen verlassen und wie beschrieben waren die meisten Mägde und Burschen entweder kurz nach dem Sonnenaufgang aufs Feld hinausgezogen oder hatten sich mit dem großen Wagen auf den Weg zum Markt gemacht. Immer noch war er völlig verblüfft, wie sorglos diese Landbewohner in den Tag lebten. Wahrlich, sollte es ihm und seinen Leuten irgendwann einmal in der Wilden Mark zu heiß werden, würden sie sich hier problemlos einnisten können. Das war, als würde man einen Wolf in einen Schafspferch sperren. – Er schmunzelte ob des Vergleiches –
Schnell hatten sie das Hauptgebäude umstellt und leise und sauber den wenigen alten Bediensteten, die noch vor Ort waren, die Kehle durchgeschnitten. Der Auftraggeber hatte darauf bestanden, dass alles so unauffällig wie möglich zu geschehen habe. Roderik hatte noch vorgeschlagen, die Leichen im Mist zu verscharren, aber das hätte nun wirklich zu weit geführt. Wie er gesagt hatte: Ein leerer Hof ist auffällig, egal ob die Leichen auf dem Boden bluten oder keiner da ist. Man hatte die Leute lediglich nachher in die Stube gepackt, damit vorbei reitende Reisende nicht unnötig aufmerksam werden sollten.
Den Mann hatten sie gefunden, wie er sich gerade über seine Aufzeichnungen beugte. Das hatte das Aufbrechen des Schreibtisches unnötig gemacht. Die Barschaft hatten sie zusammen mit dem bewusstlosen Hausherrn und den Kindern auf den Heuwagen geschmissen und mit Heu abgedeckt und waren dann ab und davon gefahren, direkt ins Versteck.
Die Kinder. Nun, eigentlich pflegte er kleine Kröten sofort abzustechen. Sie waren einfach zu laut und zu dreckig. Außerdem neigten Situationen, an denen Kinder beteiligt waren, so oder so aus dem Ruder zu laufen.
Und nicht zuletzt musste man auf Salvato aufpassen, dass er nicht im unpassenden Moment die Hosen runter ließ und eines der Bälger beschädigte. Darin war sich ihr Auftraggeber sehr sicher gewesen. Wenn den Kindern was passieren sollte, würde die ganze Bande binnen Tagesfrist am Galgen hängen. Keine Ahnung, was der Pfeffersack wollte. Wahrscheinlich war er ähnlich gestrickt wie Salvator. Na, ihm sollte es egal sein.
Er hatte sich den Brief mit den Anweisungen so lange durchgelesen, dass ihm schon die Augen weh taten. Nicht, dass ihm das Gespräch mit dem Auftraggeber nicht alle nötigen Informationen gegeben hätte, aber er wusste, dass sein Hals auf dem Spiel stand, sollte etwas schief gehen.
Er hatte auf jeden Fall die Anweisungen präzise befolgt, damit die Frau nach ihrer Heimkehr auch den auf dem Kopfkissen des Kinderbettes bereit liegenden Brief finden konnte, in dem außer einem Büschel Haare des Sohnes noch ein Knopf vom Gewand des Mannes lagen. Die Blutspuren an den Haaren und auf dem Kopfkissen des Kinderbettes sprachen dabei wohl eine sehr deutliche Sprache.
„Kommt zur Praiosstunde des kommenden Tages in die „Tränke“ in Lehnbergen. Schweigt über alles, sonst werdet ihr eure Familie nur vor Golgari wieder sehen. Wenn ihr nicht erscheint, werdet ihr von uns ein kleines Päckchen mit Fleisch erhalten.“ – die Entfernung Lehnbergens zum Hof würde dafür sorgen, dass die Frau kaum Gelegenheit haben würde, irgendetwas zu unternehmen.
Und nun wartete er hier in dieser stickigen Gaststube auf das Erscheinen der Dame. Man würde sehen….
Als die Frau nach Hause kam und die Leichen sowie die Haare und den Ring fand, war sie wie versteinert vor Schock. Nachdem sie verzweifelt am Bett zusammengebrochen war, bahnte sich langsam der Kampfgeist einen Weg in ihre Gefühle. Rationell, wie sie es gelernt hatte, begann sie systematisch den Hof nach Hinweisen abzusuchen. Den Mägden und Burschen gab sie kurze und knappe Anweisungen, was zu tun sei. Innerlich war sie am verzweifeln, doch durch ihre Ausbildung zeigte sie nach außen hin Stärke. Als sie keine weiteren Hinweise entdecken konnte, zog sie sich in ihre Kammer zurück. Dort, in der großen Truhe, fand sie, wonach sie suchte. Einen Langdolch sowie ihr altes, schon leicht schartiges Schwert sowie eine Lederrüstung. Sorgfältig wickelte sie dies in eine Wolldecke. Dann sattelte sie ihr Pferd, schnallte ihr Reisegepäck und das Bündel am Sattel fest und verließ, ohne ein Wort über ihr Ziel zu verlieren, den Hof.
Rechtzeitig erreichte sie Lehnbergen. Ihr Pferd und ihr Gepäck ließ sie in einem Mietstall zurück. Nur den Dolch befestigte sie an ihrem Gürtel. Forschen Schrittes ging sie zur angegeben Gaststube, öffnete die Tür und trat hinein. Mit eiskalten Augen ließ sie ihren Blick durch die Schankstube schweifen.
Das abrupte Öffnen der Tür, der kalte Luftzug, der die Kerzen kurz aufflackern ließ, er brauchte nicht den Blick zu heben, um zu wissen, wer dort stand. Sie war also angekommen. Sein Zeitgefühl verriet ihm, dass sie sich ungebührlich lange Zeit gelassen hatte. Aber seine Leute waren postiert. Wenn irgendwo in einer Seitengasse Bewaffnete lauerten, würde die Frau ein blaues Wunder erleben.
Immer noch mit gesenktem Blick hob er die Finger ein kleines Stück und ließ den Ring von einer Seite zur anderen über die Fingerknöchel tanzten. Es war schwer gewesen, den Gemahl dazu zu überreden, ihm den Ring zu überlassen, und er war stolz, dass er noch nicht auf die Kinder hatte zurückgreifen müssen, um den Willen des Mannes zu brechen. Diese Option wollte er sich für später aufbewahren. Bis dahin würden wohl noch einige Forderungen zu erheben sein.
Gold blitzte in regelmäßigen Abständen auf, während das glatte Rund hypnotisch von einer Seite zur anderen über die Knöchel glitt, von dem flackernden Schein der Kerze beleuchtet.
Den Ring sehend blieb Leonore fast das Herz stehen. Langsam und mit starrem Blick ging sie auf den Tisch des Mannes zu. Dort angekommen ließ sie sich auf den Stuhl ihm gegenüber nieder. Stumm blickte sie ihn anklagend an und wartete darauf, was er zu sagen hatte.
Es dauerte unerträglich lange, bis der Mann endlich den Kopf hob und sie ansah. Dabei verschwand der Ring in der geballten Faust, die langsam auf die hölzerne Tischplatte gesenkt wurde. „So seid Ihr also gekommen. Und wie ich annehme, möchtet Ihr gerne wissen, wie Ihr die Euren wiedersehen könnt.“
Sie sah ihm in die Augen und sagte langsam und deutlich. „Was wollt ihr von mir?“
Seine Anspannung legte sich ein wenig. Behutsam ließ er sich ein wenig zurücksinken, während er sie weiterhin ansah. „Ihr sollt für mich einen Mann umbringen. Nicht mehr und nicht weniger. Gelingt Euch dies, werden Eure Angehörigen die Freiheit wieder erlangen und Ihr werdet mich nie wieder sehen.“ Er beobachtete genau ihre Reaktionen. Dies war der entscheidende Augenblick. Wenn sie es auch nur erwog, auf seine Forderung einzugehen, dann hatte er gewonnen.
Leonores Gesicht versteinerte. ’Das Leben eines anderen, um ihren Mann und ihre Kinder wieder zu sehen? War es das wert? Womit hatte sie den Zorn der Götter auf sich gezogen, um diese Strafe zu verdienen? Vor allem, wer würde das Opfer sein?’ Ihre Gedanken rasten, doch versuchte sie, sich diese nicht vom Gesicht ablesen zu lassen. Sie verharrte kurz, dann sah sie den Mann an. In ihren Augen spiegelte sich eine seltsame Leere, doch lag etwas Hasserfülltes in ihrem Blick. „Wen?“ fragte sie mit einer eiskalten Stimme.
Das Grinsen des Mannes zog sich kaum merklich in die Breite. „Spielt dies eine Rolle?“, bemerkte er leise ins Leere.
Ihr Gesicht blieb ausdruckslos als sie antwortete: „Ich sollte vorher wissen, ob das, was ihr von mir verlangt, überhaupt möglich ist.“
Der Mann zuckte die Achseln und zog ein gerolltes Stück Papier aus seiner Hemdtasche. „Euer Opfer ist Arngrimm Golgodan von Kieselburg, der Pfalzgraf von Gerbaldsberg.“ Das Papier wechselte den Besitzer.
„Arngrimm von Kieselburg?“ erwiderte sie leise, leicht erstaunt und sah ihr Gegenüber fragend an. Dann entrollte sie das Papier und hielt es halb in ihrem Schoß, halb auf dem Tisch, den Inhalt durch ihren Körper verdeckend.
Auf dem Pergament fand sie eine Zeichnung des Mannes und den Namen. Sie schluckte, hatte nun das Opfer auch ein Gesicht, welches sie sich viel zu gut einprägte. Mit fester Stimme, um keine Emotionen zu verraten, fragte sie „Wo finde ich ihn?“
Als ihr Gegenüber von seinem ausgeklügeltem Plan erzählte, wurde Leonore abwechselnd heiß und kalt. ‚Woher wusste er, dass sie zu den Feierlichkeiten zur Verlobung von Graf Siegeshardt von Ehrenstein ä.H. zu Eslamsgrund mit Griffpurga von Auraleth eingeladen war?’ schoss es ihr durch den Kopf, als er näher erläuterte, was von ihr verlangt wurde. Der eiskalte Blick des Mannes hielt den Wirt und andere Gäste davon ab sich zu nähern, als er ihr leise den Plan erklärte. Alles wäre ganz einfach. Sie müsste nur, wenn das Licht ausging, den Dolch, der in der Blumenvase auf sie wartete, nehmen und im Schutze der Dunkelheit ihr Opfer umbringen. Ein perfider Plan…
Noch ehe sie weitere Fragen stellen konnte, stand der Söldner auf. Sein eiskalter Blick machte deutlich, was ihre Familie erwarten würde, sollte sie das Verlangte nicht tun. Ohne sich noch einmal umzudrehen ging er und ließ Leonore Wulfdania von Unterallertissen mit ihren Gedanken allein am Tisch sitzen.
(Volker W./Nicole K.-K.)