Geschichten:Perricum fleht um ein friedliches und segenreiches Jahr: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. März 2011, 18:29 Uhr
Den göttlichen Spendern zum Dank
PERRICUM. Während die Nebelfetzen des späten Tsamondes noch in den Darpatauen von Baronie hingen, hörte man mit gleichmäßigem Ruderschlag die Barke näherkommen, die die Geweihten zur Stadt brachte. Sanfter Sprühregen benetzte das morgendliche Land, in das bereits der Frühling Einkehr gehalten hatte. Die ersten zarten Halme sprossen auf den Feldern, lindgrün trieben die Weiden aus.
Am Ufer schwammen die Flöße und Boote der Prozessionsteilnehmer, mit bunten Bändern und farbigen Tüchern geschmückt. Schon seit den ersten Tagen des Tsa hatten die Bauern, wie es Brauch war, Ringe, Fische, Blumen und Früchte aus Schilf geflochten. Tausende von Menschen waren herbeigeströmt, um dem Götterdienst beizuwohnen und das Wohlwollen der Götter herabzuflehen. Hohe und Gemeine waren in ihre schönsten Gewänder gehüllt, denn ein jeder wollte den alveranischen Mächten seine Ehrerbietung zeigen. Einträchtig in ihren Bitten standen jene Volksgruppen beieinander, die sich vor einem Jahr noch tödlich bekämpft hatten. Während die Geweihten der Tsa, der Peraine und des Efferd den Fluss segneten und die Gottheiten um ein Frucht bringendes Darpathochwasser baten, übergaben die Gläubigen dem Fluss einen Teil der letztjährigen Ernte oder opferten ihm Gegenstände von persönlichem Wert: Handwerker brachten dem sanft Fließenden die Früchte ihrer Arbeit dar, Kaufleute überließen ihm kostbare Kräuter, raulsche Ritter und nebachotische Krieger schritten zum Ufer und übergaben den Fluten eben jene Waffen, mit denen sie noch vor wenigen Monden gegeneinander gestritten hatten.
Die Sehnsucht nach Eintracht scheint groß dieser Tage in Perricum. So nahmen in diesem Jahr mehr Menschen an der Prozession teil als die Male zuvor. Fast alle weltlichen und geistlichen Köpfe der Grafschaft waren auf dem Ritualfelsen zugegen – ob tulamidisch stämmige Nebachoten oder raulsche Perricumer, ob Rondra- oder Tsa-Priester –, wie um den Gemeinen ein Zeichen zu setzen. Entsprechend ausgelassen ging es auf der anschließenden Feier zu: An zahllosen Ständen und Läden wurde Wein ausgeschenkt, Gaukler und Schausteller gaben ihre Kunst zum Besten, Musikanten wurden ebenso bejubelt wie spöttisch ausgepfiffen und die Angbarer Puppenbühne musste bei ihrem Gastspiel geschlagene neunzehn Zugaben aufführen. Ebenso leidenschaftlich wie einträchtig warben vor den Toren Kämpfer der beiden Volksgruppen um die neuesten Zuchterfolge der perricumschen Gestüte. Als die Feier sich schließlich ihrem Ende zu neigte, taumelten vielerorts die vom Wein und Rauschkraut Benommenen durch die Gassen oder hielten sich schwankend im Sattel, und so manche raulsche wie nebachotische Kämpfer schienen gar nicht aufhören zu wollen, Verbrüderung zu feiern. Da öffneten sich die Tore einer Schänke, um die vom schweren Wein angeheiterten Günstlinge des Grafen ins Freie zu entlassen. Ihnen folgte Rondrigan Paligan, der junge Graf Perricums, der offenbar als einer der wenigen noch Herr seiner geistigen Fähigkeiten war und sichtlich verlegen dreinblickte.
Lautstark bahnten sich die Gräflichen ihren Weg durch die abziehenden Festgästen, bis sie vor einer nicht weichen wollenden Gruppe zum Stehen kamen.
“Wer wagt es, Seiner Hochwohlgeboren, dem Grafen, den Weg zu versperren?”, maulte einer der Günstlinge Rondrigans, noch bevor dieser einschreiten konnte.
“Ruhigk, die jungän Menschän”, meldete sich die sanfte Stimme des lächelnden Al'Haresh, dem sich darauf eine Gasse zwischen seinen Beschützern öffnete. Mit zittriger Hand auf seinen Stock gestützt, hinkte der erblindete Greis auf die Raulschen zu. Als wäre dies ein erwartetes Stichwort gewesen, krümmten und schüttelten sich die Schranzen Perricums vor mühsam unterdrücktem Lachen, bis sie ihr gräflicher Gönner mit Zornesröte im Gesicht zur Ordnung rief. Etwas verständnislos mit dem Kopf schüttelnd, aber immer noch väterlich lächelnd hatte sich der Al’Haresh bereits wieder abgewandt und war im Begriff, sich auf sein Pferd heben zu lassen, als er von Rondrigan aufgehalten wurde: “Ich möchte mich bei Euch für das Auftreten meiner Freunde entschuldigen. Nehmt bitte meine Entschuldigung an, als Graf von Perricum.”
“Ihr seid nicht der Graf, junger Rondrigan von Paligan”, entgegnete der Alte, den knöchrigen Finger wie ein mahnender Lehrer in die Luft gereckt. “Aber ich bin mir sehr sicher, dass Ihr dereinst Graf sein werdet. Und wenn Ihr nicht fehlt, vielleicht darüber hinaus noch viel mehr.” Als sein Ross schon die ersten Schritte getan hatte, wandte er sich noch einmal zu dem Jüngeren um und fügte hinzu: “Seit die Mauern fielen3, schläft etwas in den Tiefen dieses Landes. Es wartet darauf, erweckt zu werden. Und wehe uns allen, wenn es erwacht und niemanden findet, der es zu führen vermag.”