Geschichten:Verräter und Getreue - Entführung: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 22. August 2012, 11:26 Uhr
Zwischen Gabelsteen und Weizengrund, 13. Rondra 1033 BF
Schweigend saßen Haldora und Oderik nebeneinander in der Kutsche, die rumpelnd in Richtung Weizengrund rollte. Auch wenn sie der Hochzeit mit dem Schwingenfelser zugestimmt hatte, bedeutete das für sie weder, dass sie ihrem Mann gefallen noch ihn unterhalten musste. Tagelang hatte sie nach der Hochzeitsnacht in dem ihr auf Burg Weizengrund zugewiesenen Zimmer zugebracht. Einzig ihre Zofe leistete Haldora Gesellschaft, wenn dieser danach war. Nur abends, wenn die drückende Sommerhitze etwas nachgelassen hatte, war sie mitunter in den Kräutergarten gegangen und spazierte zwischen den Beeten und Rosenbüschen umher. Als Oderik mit dem Vorhaben, gemeinsam den Markt in Horeth zu besuchen, an sie herantrat, hatte sie nur geantwortet: „Wenn mein Gemahl es wünscht.“ Am nächsten Tag hatten sie Weizengrund in Richtung Horeth verlassen.
Oderik hatte seine Frau in den Wochen nach der Hochzeit gewähren lassen und ohnehin zunächst genug andere Dinge zu tun gehabt, um seinen Vetter bei dessen Kampf um Natzungen zu unterstützen. Doch dann war ihm vor vier Tagen der Gedanke gekommen, Haldora doch einmal mit hinaus zu nehmen, in der Hoffnung, seine Frau vielleicht ein wenig aus der Reserve zu locken, und sie darüber hinaus in der Familie weiter bekannt zu machen und umgekehrt der Windischgrützerin die Gelegenheit zu geben, die Schwingenfelser näher kennen zu lernen. Der Besuch in Horeth und Gabelsteen bei „Tante“ Rovena war in dieser Hinsicht allerdings nicht sehr erfolgreich gewesen, auch wenn sich der junge Schwingenfelser alle Mühe gegeben hatte, sich als zuvorkommender Ehemann zu gerieren.
Die Pferde wieherten und stoppten abrupt. Haldora und Oderik wurden hart nach vorne geworfen, dann ertönte draußen eine kräftige tiefe Stimme: „Halt, wenn Euch euer Leben lieb ist!“
Oderik rappelte sich auf, um hinauszusehen. doch im nächsten Augenblick wurde der Verschlag aufgerissen. Zwei bärtige gerüstete Männer standen neben der Kutsche, der eine hatte eine Armbrust angelegt und der andere hielt dem Schwingenfelser drohend das Schwert entgegen: „Raus mit Euch aus der Kutsche, Schwingenfels! Und keine Dummheiten. Armbrustbolzen zwischen den Rippen sind nicht dafür bekannt, die Atmung zu unterstützen.“
Oderik wog seine Chancen ab und kam zu der deprimierenden Erkenntnis, dass er im Moment keine Aussicht auf Sieg oder Entkommen hatte. Also folgte er der Anweisung des Sprechers und stieg aus dem Gefährt. Sofort wurde er hart gepackt, seine Arme auf den Rücken gedreht und gefesselt. Er überflog die Situation. Mindestens sieben bewaffnete Gestalten hatten die Kutsche umringt. Der Kutscher war vom Bock gestoßen worden und hockte mit einer Dolchspitze an der Kehle auf dem Boden. Von ihrer berittenen Eskorte war nichts zu sehen.
„Was fällt Euch ein? Wer seid ihr?“
„Wenn ich auch nicht weiß, was Euch das nützen soll: Thalacker Bardo von Gneppeldotz.“
„Das ist Wegelagerei. Dafür lässt man Euch hängen, Gneppeldotz!“
„Unfug!“ Fuhr ihm der andere ins Wort. „Die Fehde wurde ordnungsgemäß erklärt. Hat Euch euer feiner Vetter Hadrumir etwa nicht darüber benachrichtigt?“
„Was!? Nein, wann...?“
„Vor drei Tagen.“
„Aber...“ Oderik wollte protestieren, doch der Gneppeldotzer unterbrach ihn erneut: „Beherrschung ist eine Tugend, Schwingenfels. Und wenn Ihr Euer Mundwerk weiter aufreißt, sehe ich mich gezwungen, euch etwas zwischen Eure Kauleisten zu schieben, damit Ihr ruhig bleibt. Ist das klar?“
Der andere schloss den Mund und nickte. Nun wandte sich Thalacker wieder zur Kutsche um und sprach mit einer Stimme, die wohl sanfter klingen sollte: „Hohe Dame. Ich darf Euch bitten, die Kutsche ebenfalls zu verlassen?“
Haldora kannte den vierschrötigen Ritter aus Hutt, aber der Gneppeldotzer und seine ganze Sippe waren ihr nie sonderlich sympathisch gewesen. Daher ergriff sie nur zögernd die gereichte Hand, als sie die Kutsche verließ und gewahrte verwundert, dass der Mann ihr aufmunternd zulächelte.
„Ihr seht mich überrascht, Herr Thalacker. Was soll das bedeuten?“
„Nun, nun. Wir werden dafür sorgen, dass Euch nichts weiter geschieht. Erst bringen wir Euch in Sicherheit und dann werde ich Euch eine Erklärung liefern. Doch zuvor gilt es, einen kleinen Ritt zu unternehmen.“
Einer der umstehenden Wegelagerer stieß einen kurzen Ruf aus und kurz darauf lösten sich vom nahen Waldrand zwei weitere Gestalten, die etliche Pferde mit sich führten.
„Wenn ihr uns nun begleiten wollt...“
Der Gneppeldotzer half Haldora in den Sattel, während Oderik unsanft auf einen der Gäule gehievt wurde. Währenddessen hieben die übrigen Wegelagerer das Kutschgeschirr entzwei, jagten die verängstigten Kutschpferde davon und kippten die Karosse mit vereinten Kräften in den Graben am Rande des Weges. Dann saßen auch sie auf.
„Wohin soll es denn gehen?“ wagte der Schwingenfelser zu fragen.
„Das werdet Ihr noch früh genug erfahren.“