Geschichten:Hexenwald und Rattenkeller - Wolfsforst: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 25. Januar 2014, 08:06 Uhr
Pfalz Breitenhain, Kaiserlich Sertis, 1. Rondra 1034 BF
Sichtlich nervös geht der Kastellan vom Wirsel vor der geschlossenen Tür zum kleinen Speisesaal der Pfalz Breitenhain auf und ab. In seiner rechten Hand hält er ein Stück Pergament, mit der linken wischt sich der junge Ritter in regelmäßigen Abständen mit einem weißen Spitzentaschentuch über die Stirn. Der Beginn des Rondramondes 1034 Bosparans Fall ist sehr heiss in Waldstein.
In dem Moment, als Wirsel entscheidet, das Pfalzgrafenehepaar bei seinem Mittagsmahle zu stören, spricht ihn eine tiefe Frauenstimme von der Seite an.
»So wie Ihr ausseht, Wirsel, habt Ihr entweder vor meinen Halbbruder zu meucheln oder Ihm Neuigkeiten zu überbringen, die ihm nicht gefallen werden. So oder so werde ich Euch davon abhalten müssen.«
Großgewachsen und von kräftigem Körperbau, mehr ein Kerl als eine Frau, schreitet ihm Sinarya von Sertis entgegen. Ihr wölfisches Grinsen, auf der Gesichtshälfte wenigstens, die nicht von einer langen Narbe entstellt ist (eine bleibende Erinnerung an die Dreikaiserschlacht vor Gareth), verunsichert den eher verweichlicht wirkenden Kaisermärker jedes Mal aufs Neue. Er ist die Anwesenheit der Söldnerführerin der Waldsteiner Wölfe (manche nennen sie den Schlägertrupp von Uslenried und Sertis) in den privaten Gemächern seines Herren nicht gewohnt. Seit dem Attentat auf den Pfalzgrafen vor zwei Jahren ist man auf der Pfalz vorsichtiger geworden.
»Edle Dame, seit der Hinrichtung der Hexe Grevenstamm passieren immer mehr seltsame Zwischenfälle. Das werdet Ihr doch ebenfalls bemerkt haben.«
»Was ich bemerkt habe, ist das Folgende. Wann immer man meinem Halbbruder glaubhaft macht, dass irgendjemand schwarze Magie gegen ihn zu wirken plane, dann gibt es eine Hinrichtung. Die Grevenstamm war nicht die Erste und sie wird nicht die letzte bleiben. Es muss ja nur jemand den Namen der Metze Simiona in den Mund nehmen, dann wird Hilbert bleich wie ein Untoter. Ich prophezeie es Euch, Wirsel, auch wenn ich mich da kaum weit aus dem Fenster lehnen muss, aber es werden in den nächsten Monaten und Jahren noch mehrere Personen ihr Ende auf einem Scheiterhaufen in Sertis finden. Und wenn das Volk sich daran erst einmal gewöhnt hat, dass es hier leichter ist als in Greifenfurt von einem verrückten Pfalzgraf verbrannt zu werden, dann werden die Prozesse hier eher zu als abnehmen.«
Mit einem besorgten Gesicht stimmt Wirsel nickend zu. Weitestgehend ist genau dies seine eigene Befürchtung und Einschätzung der Lage, auch wenn er der Halbschwester seines Brotgebers, die er immer für eine geistlose Söldnerhauptfrau gehalten hat, einen solchen klaren Durchblick bisher nicht zugetraut hätte.
»Glaubt Ihr denn, dass die Grevenstamm unschuldig war? Ihr ward ja bei der Urteilsverkündung dabei, als sie laut aufgeschrien hat und zeterte, jetzt würde erst alles anfangen, man solle sich vorsehen. Und dann, keine drei Tage später, greifen diese Grauwölfe einen der Köhler in Drachenau an. Eine Woche danach findet man in Waldschlag den Schäfer Arngrim richtiggehend zerfetzt auf den Wiesen am Reichsforst, von der Schafherde keine Spur. Gestern schreibt der alte Ugdalf vom Eynweiher, dass er sich in seinem Gutshof verbarrikadieren musste, weil die Wölfe ihm fast sein gesamtes Vieh gerissen hätten. Und heute zerren die Hornbeiler eine junge Frau vor meine Arbeitsstube, zeigen auf ein seltsames Hautmal an den Armen, dasie wie Wolfskopf aussehen soll, und behaupten, die Frau hätte sich dem Namenlosen verschrieben und wolle aus Rache am Mord an ihrer Hexenschwester die Pfalzgrafschaft von den Wölfen aus dem Reichsforst heimsuchen lassen. Mir sind das zu viele Zufälle auf einmal, aber wenn ich das Seiner Hochwohlgeboren berichte, dann wird er mich zwingen ihn sofort zu der Frau zu bringen. Der holt dann die Folterwerkzeuge persönlich aus dem Keller und zeigt sie der Dirne, die dann weiß-die-Zwölfe-was gestehen wird.«
Die Söldnerführerin hat während der gesamten Zeit ihr Lächeln nicht abgelegt. Ihre Zähne blitzen zwischen ihren schmalen Lippen hervor und ihre Augen sind zu kleinen Schlitzen verengt. Den Wirsel verwirrt der Gesichtsausdruck und er hält mit seiner Rede inne.
»Wirsel, ich wünsche Euch allen Beistand der Zwölfe. Wenn Ihr Seiner Hochwohlgeboren dies so berichtet, dann wird es für die Steinwölfe ein heißer Sommer werden. Tahlmare zu Leustein aus Linara hat ebenfalls von vermehrten Wolfsüberfällen aus dem Reichsforst berichtet. Wer glaubt Ihr denn, wird sich um dieses Problem kümmern muss, wenn nicht meine Leute?«
Der Wirsel ist darüber nicht sonderlich beruhigt und wischt sich ein weiteres Mal über die schweißnasse Stirn. »Und was soll ich wegen der jungen Frau machen? Selbst ein Narr sieht, dass sie unschuldig ist und unter Folter alles gestehen wird, was man ihr vorwirft.«
»Wenn das Mädchen schuldig ist und die Wolfsangriffe aufhören, bin ich die Letzte, die ihren Tod betrauern wird. Wenn nicht, dann liegt alles weitere in den Händen der Zwölfe.«
Die Tür zum kleinen Speisesaal wird von innen geöffnet. Ein Page verlässt mit hochrotem Kopf und niedergeschlagenen Augen den Raum, läuft gegen den überraschten Wirsel und entfernt sich mit einem erstickten weinerlichen Murmeln. Durch den Türspalt kann man Hilbert von Hartsteen sehen, wie er mit hochgerötetem Kopf und zittriger Hand einen Weinkelch leert, die Augen voller Verachtung auf seine Gattin Isa von Mersingen werfend, deren Teller nicht angerührt ist. Sinarya von Sertis lässt den unglücklich schauenden Wirsel vor der Tür stehen und wispert ihm leise zu: »Es würde mich nicht wundern, wenn es Sertis genau eine einzige Hexe geben würde und die an der Seite seines Pfalzgrafen sitzt.« Eine Antwort darauf kann Wirsel nicht mehr formulieren, da ihn der Pfalzgraf an der Tür bemerkt hat und ihn mit lauter Stimme auffordert das Zimmer zu betreten.