Geschichten:Sertiser Nachtgedanken: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 28. Februar 2014, 15:54 Uhr
Pfalz Breitenhain, Anfang Rahja 1035 BF
Der Kerzenschein flackerte und warf zuckende nächtliche Schatten an die mit schweren Teppichen verzierte Wand. Hilbert von Hartsteen lag in den Decken seines zerwühlten Himmelbettes, das er ziemlich genau am Tag seines Traviabundes mit „dem bleichen Mersinger Todeswurm“, wie der Pfalzgraf seine Gattin liebevoll nannte, aus dem geplanten gemeinsamen Schlafgemach in den von seiner Gattin am weitesten entfernt gelegenen Teil der Pfalz, nämlich unter die Spitze des Odilbertturmes, hatte bringen lassen, und blätterte in der letzten Ausgabe von Brunis Buntem Bilderbogen, um sich die schönen Bildchen der Postille anzuschauen. Durch das weit geöffnete Turmfenster wehte laue Sommerluft in das Zimmer, getränkt vom Duft der Rosen, welche in ihrer vollsten Blüte standen.
Seufzend hievte sich Hilbert aus dem Bett hinein ein einen löchrigen Seidenmorgenmantel, den er einmal für einen Spottpreis einem fahrenden Händler abgekauft hatte. Damals war der Mantel noch in bester Ordnung gewesen, und eigentlich trug Hilbert das Wäschestück nur im Gedenken an jene Person, für die er es im 1034er Spätsommer heimlich erworben hatte und deren anregenden Duft er noch immer darin wahrzunehmen glaubte. Mit beiden Ellbogen stützte er sich auf das steinerne Fensterbrett und ließ seinen Blick über den vom vollen Madamal silbrig schimmernden Reichsforst gleiten.
Durch diesen Urwald also wollten die Adligen Greifenfurts und Waldsteins eine Straße bauen, dachte der Pfalzgraf kopfschüttelnd bei sich. Eher, so fügte er in Gedanken hinzu, wird der alte Kaiser-Hal-Kanal beendet werden, als dass man durch dieses mit Feen, Wölfen und sonstigem namenlosen Gezücht verfluchten Stück Land Handel treiben könnte. Hilbert erschauderte, während er sich an all die Ereignisse erinnerte, die ihm in seinem Leben schon in diesem Forst geschehen waren.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenzucken und instinktiv nahm er eine Haltung ein, die irgendwo zwischen Verteidigung und Fluchtbereitschaft lag.
»Ich habe gesehen, dass Ihr noch wach seid«, hörte er dumpf die eindringliche Stimme seines tulamidischen Medicus durch die geschlossene Tür. »Wenn Ihr es wünscht, bereite ich Euch einen Kräutertee für Eure Schlafprobleme.«
»Nein, nein, bloss keine Umstände...«, stammelte Hilbert, meinend: ›Bloss nicht wieder diesen grässlichen und abscheulichen Sud.‹ Gemächlich schlenderte er zur mehrfach geschlossenen Zimmertür, um den nächtlichen Besuch einzulassen. Mit dem üblichen Schweigen betrat Tumanjan die Kammer und verbeugte sich vor seinem Herrn.
»Seitdem Ihr von Auenwacht zurückgekehrt seid, habt Ihr keine Nacht mehr durchgeschlafen«, sagte nach einer Weile der Tulamide. »Ich vermute, Euch bewegt noch immer etwas, was beim Großen Kabinett geschehen ist?«
Hilbert schüttelte den Kopf. »Nein, die Ergebnisse und Beschlüsse von Grambusch sind doch allesamt mehr als erfreulich. Insbesondere die Abdankung vom Schroeckh und die Neubelehnung der Staatscanzley mit Horulf von Luring ist ein echter Gewinn. Gerade Horulf als Reichsforster Landrichter weiss, wie dringend es ist, entschieden und mit härterer Hand gegen das permanente Hexenunwesen in Garetien vorzugehen. Ich weiss nicht, wie häufig ich in den letzten Monden in Gareth auf dieses Problem aufmerksam gemacht habe, ohne dass etwas geschehen ist.«
»Mir erscheint es, als ob das Königreich derzeit drängendere Sorgen hat, als sich um eine kleine Gruppe Satuaria-Anbeter zu kümmern. Schließlich stand die Zusammenkunft des Adels unter dem dunklen Stern, der Drohung des Erzverräters Haffax gegen das Mittelreich.«
»Genau das ist doch das Problem!«, begann sich der Pfalzgraf zu ereifern. »Alle schauen wie die ängstlichen Hasen nach Osten, während der Feind sich schon längst in unseren Reihen festgesetzt hat. Wenn wir nichts gegen diese verfluchten Gegner der praiosgefälligen Ordnung unternehmen, dann braucht Haffax überhaupt keinen Kriegszug mehr gegen uns zu unternehmen. Er kann uns dann einfach wie eine faule Frucht vom Baum pflücken. Ich wiederhole mich in diesem Punkt, bis man mir endlich Gehör schenkt: Wenn wir unser Königreich nicht von den Subjekten befreien, die unsere Wehrhaftigkeit im Kern schwächen und unsere Moral untergraben, dann hat der Feind bereits gewonnen. Und mit Feinden meine ich nicht nur dieses verfluchte Hexenvolk, sondern in gleicher Weise das hinterhältige Händlerpack, die mit ihrer Gier dem Adel die für den Kampf nötige Geldmittel rauben, und diese anmaßenden Nandusjünger, die beim gemeinen Volk für Unruhe sorgen und den Bauern gegen den Adligen aufhetzen. Jetzt wollen diese Nanduspfeifen doch ernsthaft in Waldstein neue Schreine und Tempelbauten vorantreiben, um noch mehr aufrechtes Landvolk unter ihre verderblichen städtischen Fittiche zu nehmen. War nicht Nandus auch irgendwie für den zwölfmal verfluchten Borbarad verantwortlich?«
Tumanjan räusperte sich. »Nun. Die Götterlehre sagt uns, dass Nandus der Sohn der Hesinde ist, und dass dessen Söhne die beiden Zwillinge Rohal und Borbarad sind. Und wenn auch das Streben Borbarads verwerflich und niederträchtig ist, so kann man dies doch kaum von seinem Bruder Rohal behaupten, unter dessen weiser Führung das Mittelreich nach dem Joch der Priesterkaiser zu neuen Höhen erblühte.«
Hilbert winkte genervt ab. »Ich bin nicht in der Praiostagsschule, ich muss mich nicht belehren lassen, was recht und gerecht ist. Ich hoffe nur, dass der designierte Marschall in diesem Punkt einsichtig ist. Auf dem Großen Kabinett hat Reiffenberg den Mund ja sehr voll genommen und sich so verhalten, als wäre er schon für die Truppen Garetiens verantwortlich. Ich hoffe, er hört nicht auf diesen Keres, der ihm einflüstern will, dass wir unbedingt irgendwelche Zauberzausel in unseren Reihen brauchen. Was wir brauchen, ist der Beistand des Herrn Praios und den Mut der Herrin Rondra. Beilunk zeigt es ganz richtig, wie sich aufrechte Gläubige gegen das verderbte Dämonenpack erwehren können, ohne auf den Fluch der Mada zurückgreifen zu müssen.«
Mit gehobener Augenbraue reichte der Medicus schweigend dem exaltierten Pfalzgrafen die Schale mit dem Kräutertee, den dieser ohne weiter darauf zu achten mit einem Zug austrank, um sich danach mit verzogener Miene zu schütteln.
»Wirklich ein Dämonenzeug«, gab er die Schale zurück. Wohlig spürte er, wie seine Gliedmaßen sich mit einer angenehmen Schwere füllten. Gähnend winkend entließ er seinen Leibdiener, der sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete.
Allein in seiner Kammer kroch Hilbert zurück unter seine Kissen und Decken, noch einmal einen tiefen Zug der angenehmen Sommernacht kostend und mit ihrem Namen auf den Lippen schlief er schließlich ein.
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