Geschichten:Als das Gasthaus in Flammen stand: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 28. Februar 2014, 16:24 Uhr

Markt Branningsgrund, 19. Tsa 1036 BF

Wer jemals in Branningsgrund im Retogau gewesen ist, weiß, was das Beste an diesem Ort ist: dass man nämlich bei strammem Ritt in einem Tag in Gareth oder in Wandleth sein kann, wenn man die Vorteile der Reichsstraße ordentlich nutzte. Immerhin auf Reisende war der Markt gut vorbereitet und unterhielt mehrere Gasthöfe, von denen der ›Goldensteiner Hof‹ der vornehmste war. Deshalb pflegten Personen von Stand sich hier einzuquartieren, wenn sie unterwegs waren, so auch an diesem rauen Wintertag, an dem vom Frühling der Tsa wenig zu spüren war: Ein ekliger nasskalter Wind peitschte von Osten her den Regen, mitunter den Graupel über dass Land, das vollgesogen und nass war und unter dem grauen Himmel so einladend aussah wie ein geöffnetes Grab in schlammiger Erde. Der Himmel dräute mit Wolkenungetümen, die sich vor dem Firmament so türmten, dass selbst an diesem späten Nachmittag die Nacht wie die Ewigkeit dunkelte.

Im Hof des ›Goldsteiner Hofs‹ spannten die Knechte die vornehme Kutsche der Junkerin von Scheuerlintz aus, die schon solange zur Stammkundschaft des Gasthofs gehörte, dass das Privileg ihrer Bewirtung bereits ins Testament des alten Goldsteiner Wirtes gefunden hatte. Die Kutsche war bequem und von bester Qualität; geschlossen und mit einem bornischen Öfchen ausgestattet, der die Bänke im Innern beheizte. Junkerin Belona mochte es gern warm und gemütlich – und die Knechte verstanden das, denn die alte Dame wirkte auf sie wie jemand, der selbst Wärme und Gemütlichkeit ausstrahlte. Sie hatten sich nicht nur über das üppige Handgeld gefreut, als sie die alte Dame und ihr Gepäck ins Gasthaus geleitet hatten, sondern sich um sie bemüht wie um die eigene Großmutter, die sie gerne gehabt hätten. Und die größte Belohnung war, dass die Junkerin sie auch wie ihre Enkel behandelte.

»Sie wusste noch meinen Namen, Jerolf,so eine feine Dame!«

»Bild dir darauf nicht zu viel ein«, stänkerte Jerolf, »immerhin heißt du Alrik.«

Eine weitere Kutsche wurde in den Hof gesteuert, auch deren Wappen am Wagenschlag kein unbekanntes: der Junker von Wiehingen. »Was will der bei dem Wetter?«, fragte Alrik. »Egal, mach du das. Ich habe keine Lust auf den aufgeblasenen Popanz.«

Kaum war die Kutsche angehalten, als Junker Elsbert den Verschlag aufschlug und den Fußtritt nach außen stieß. »Wipert!«, herrschte er nach seinem Kutscher, der eilfertig den Schirm vom Bock nahm, aufspannte und seinem Herrn hinhielt. Dieser quälte seinen aufgedunsenen Leib aus dem Verschlag, verbarg seine Glatze vor dem Regen unter einem dicken Umhang und stapfte durch den Hof, wobei seine feinen Schnallenschuhe so tief im Morast versanken, dass von trockenen Füßen gewiss nicht mehr gesprochen werden konnte.

Im Gasthaus warf Elsbert von Wiehingen den Mantel ab und auf den Boden und herrschte lauthals: »Wirtschaft! Essen und Grog für mich, ein Zimmer und einen warmen Ofen!« Obwohl der dicke Junker noch immer im Treppenhaus stand, konnte man seine befehlende Stimme auch vor dem großen Kamin im Schankzimmer hören.

»Was ist das für ein schrecklich lauter Mensch?«, fragte Junkerin Belona von Scheuerlintz durch den Dampf vor ihrem Gesichte, der aus einer Tasse Grog aufstieg, die sie mit beiden Händen umschlossen hielt – zwei schlanken, schmalen, rosigen Händen, an denen silberne Ringe glänzten. Gold sei nur für Feiertage, pflegte sie zu sagen.

»Ich weiß es nicht, hohe Dame«, erwiderte der schlanke Mann, der neben der alten Dame auf der gepolsterten Bank am Kamin kauerte, ebenfalls einen dampfenden Becher zwischen den Händen, die ebenfalls zu fein waren, als dass sie jemals hart gearbeitet hätten. »Scheint einer von Stand zu sein«, fügte der Mann an, dessen Tonfall etwas Tulamidisches hatte. Sein Antlitz desgleichen, nur die Kleidung war die eines garetischen Handwerkers oder Kleinbürgers.

»Das glaube ich kaum, junger Mann«, tadelte Junkerin Belona, »denn dann würde der Herr nicht so brüllen.«

»Ah, ein Feuerchen, das ist fein!«, dröhnte es hinter ihnen, denn Junker Elsbert betrat die Stube. Über die Schulter rief er: »Decke und Grog zum Kamin, ich pflanz mich hierhin!« Sprach's und trat an die beiden Sitzenden heran. »Macht mal Platz, ihr beiden, vor allem du, da, Bürschchen.« Gemeint war der junge Mann, der auch sogleich aufstand, um dem mächtigen Leib des Junkers Platz machen. Der setzte sich schwerfällig und geräuschvoll.

»Und Ihr Großmutter? Wollt Ihr nicht ein wenig rutschen?«

»Ich muss schon sehr bitten«, gab die alte Dame indigniert, aber im beherrschten Tonfall höherer Töchter von sich, »ich kenne meine Enkel alle miteinander, und ein solch ungezogener ist nicht darunter.«

Junker Elsbert brauchte einen kurzen Moment, dann wandte er den ganzen Oberkörper dem viel kleineren Großmütterchen zu – offenbar hatte er einen steifen Hals: »Bitte? Wisst Ihr wer ich bin? Ich bin der Junker von Wiehingen und ein alter Bekannter des Schwertkönigs!«

»Ich weiß nicht, wer Ihr seid, Wohlgeboren, und es ist mir auch egal. Ich weiß auch nicht, wer der Schwertkönig ist, aber eine Bekanntschaft mit ihm rechtfertigt gewiss kein solch rüpelhaftes Benehmen einer älteren Dame gegenüber.« Dabei hatte Junkerin Belona nicht einmal aufgesehen, sondern stur durch die vom Teedampf beschlagenen Gläser ihrer silbernen Brille ins Kaminfeuer geschaut. Der von der Bank vertriebene Mann schmunzelte über die resolute alte Dame und darüber, dass der Schwertkönig ausgerechnet für die Rüpelhaftigkeit eigentlich ein gutes Beispiel gewesen wäre – nach allem, was er gelesen hatte.

»Na, jetzt muss ich mich aber wundern, meine Dame. Ihr sprecht doch recht flott mit einem Edelmann!«

»Edel?« Belona zuckte die zarten Schultern.

Des feisten Junkers pralle Backen wackelten, sein Brustkorb wölbte sich, als er tief Luft holte, doch was er hätte sagen können, sollte niemand je erfahren, denn die robuste Wirtsfrau erschien soeben im Gastraum und kündete: »Euer Zimmer ist nun fertig, Wohlgeboren Belona. Euer Grog ist auch sogleich fertig, Wohlgeboren Eslbert.«

»Na, das ist doch fein«, sagte Junkerin Belona beschwingt und erhob sich vorsichtig von der Bank. »Wünsche einen angenehmen Aufenthalt, Herr Wiehingen. Auch dir, Marwan«, sprach sie erst zum erstaunten Junker auf der Bank und danach zum stehenden Bürgerlichen. Dann trippelte sie hinter der Wirtin nach draußen, wobei ihr weißer Haarschopf silbern glitzerte.

Wenig später stellte die Wirtin den gewünschten Grog vor den dicken Junker, der die Hände nach dem Feuer ausgestreckt hielt.

»Wer war die Alte?«

»Das ist Wohlgeboren Belona von Scheuerlintz, die Junkerin von Scheuerlintz aus der Halsmark. Sie steigt stets hier ab, wenn sie zu Graf Ingramm reist«, erklärte die Wirtin.

»Ei, stimmt, jetzt wo Ihr es sagt: Habe die Alte doch schon bei ein paar Anlässen gesehen. Zum Grafen? Da will ich ja auch hin!«

»Sie kommt von dort. Sie ist auf der Heimreise.«

»Achso. Na ja. ich will nämlich nach Wandleth – wegen des Donnersturmrennens! Ich bin ja ein alter Gefährte von Raidri Conchobair!«, gab Junker Elsbert zu wissen, doch die Wirtin lächelte nur verbindlich.

»Warum reist Ihr dann nach Wandleth?«, schaltete sich der Bürgerliche, Marwan, ein.

»Na, weil das letzte Donnersturmrennen doch auch da durch ging! Und ich habe die Kutsche voll mit den berühmten Wiehinger Wimpeln vom vorletzten Rennen. Da waren wir Station! Ja-ha! Wir Wiehinger! Und jetzt will ich mit den Wandlethern darüber sprechen, ob die nicht auch solche Wimpelchen haben wollen. Meine Idee!« Die feisten Backen Junker Elsberts glühten förmlich, als er sich in Wallung redete. Man musste den Mann nicht länger als drei Augenblicke kennen, um ihn völlig zu durchschauen.

»Ach, und damals habt Ihr auch Freundschaft mit Raidri Conchobair geschlossen?«, fragte Marwan scheinheilig nach.

»Ganz genau!«

»Aber war Conchobair nicht nur für wenige Stunden bei jeder Station?«

»Was weißt du schon, Bürschlein«, knurrte Junker Elsbert und wandt sich ab und wieder dem Feuer zu.

Später am Abend, nachdem der Junker leidlich getrunken hatte, begab er sich auf sein Zimmer; auch die anderen Reisenden hatten den Schlafsaal aufgesucht, im Schankraum kehrte die Magd die Späne zusammen, der Knecht trug die Krüge ab, in der Küche brodelte das Waschwasser.

Da pochte es an die Pforte!

»Wer ist denn da?«, fragte der Wirt durch die geschlossene Außenpforte – über den verschlossenen Hof konnte ja keiner kommen.

»Öffnet im Namen der Krone! Hier ist die Obrigkeit!«, tönte eine befehlsgewohnte Frauenstimme durch das Holz. Die Wirtin zögerte nicht lange und öffnete die Tür. Sofort quollen vier Büttel in das Gasthaus, angeführt von einer geschmeidigen Rothaarigen, die einen Siegelring an der Halskette vorzeigte: das Wappen des Königreichs.

»Ihr beherbergt ein Subjekt namens Marwan Nandrash Alfessir, Nandusgeweihter, der wegen Landfriedensbruchs, Aufruhr, daimokratischer Umtriebe und Propaganda gesucht wird. Richtig?«

»Ojemine, ich weiß doch nicht …«

»Doch, einen Marwan haben wir zu Gast, ist aber kein Geweihter. Oben im Saal!«, rief Knecht Alrik seiner Wirtin und der Agentin zu. So laut jedoch, dass man es bestimmt auch im Schlafsaal hören konnte. Absicht?

Was nun folgte, war ein derartig perfektes Durcheinander, dass alle Beteiligten sich später unterschiedlich daran erinnerten. Sicher ist nur: Die Büttel stürmten sofort durch das Gasthaus zum Schlafsaal hinauf, der Gesuchte hingegen über die Freitreppen in den Hof, wurde dort beinahe von der hinausgetretenen Agentin gefasst, stürmte zurück ins Haus, stieß Wirtin und Knechte um und entschwand in die Küche, wobei er alles hinter sich herunterfegte, was eine Verfolgung erschweren mochte. So flog auch ein Kessel in das Küchenfeuer, dessen Glut herausgeschleudert wurde und sowohl den Stapel Späne in Brand steckte als auch die Sammlung der Handlampen, die gerade mit Öl hatten gefüllt werden sollen. Binnen Augenblicken stand die Küche in Flammen.

Das Feuer leckte sofort die fettgeräucherten Balken der Küche hinauf, beißender Qualm füllte den Raum, drang ins Treppenhaus.

Die Wirtsleute versuchten sofort zu löschen, doch scheiterten, die Büttel rannten erst raus, gefolgt von vielen Gästen, dann zurück, dann wieder raus und suchten nach Eimern. Ein Schreien und Jaulen hob an, als die Flammen aus dem Küchenfenster schlugen. Doch bald schon gelang es, Helfer aus Branningsgrund zu versammeln und den Brand im Gasthaus zu bekämpfen. Das üble Wetter tat sein übriges, dass der Brand nicht um sich greifen konnte.

Die alte Junkerin Belona rettete man aus ihrem Zimmer, aus dem sie Knecht Alrik kurzerhand heraustrug, auch weite Teile des Gebäudes konnte man retten, ehe sie zu einem Raub der Flammen hätten werden können.

Am nächsten Morgen, als der Regen nachgelassen und die Wolkendecke ich heller gefärbt hatte, war der Schaden komplett abzusehen: Küche und rechte Seite des ›Goldensteiner Hofs‹ waren verbrannt, das Fachwerk nur noch rußgeschwärztes Skelett. Junker Eslbert war – wohl wegen seiner Leibesfülle und des heftigen Alkoholkonsums am Abend – nicht mehr aus seinem Zimmer gekommen und offenbar im Qualm erstickt. Die zarte Junkerin Belona erwachte zwar noch einmal aus ihrer Ohnmacht und konnte sich artig bei Knecht Alrik bedanken, doch wurde sie alsbald von heftigem Schütteln gepackt und entschlief im Laufe des Nachmittags inmitten des Deckenbergs, in dem man sie geborgen hatte.

Und dieser Marwan, der war einfach entkommen.



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Texte der Hauptreihe:
19. Tsa 1036 BF zur nächtlichen Ingerimmstunde
Als das Gasthaus in Flammen stand


Kapitel 1

Autor: BB