Geschichten:Tsas Tränen - Neues aus Appelhof II: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. Februar 2014, 16:39 Uhr
Der nächste Tag ähnelte seinem Vorgänger. Immer wieder mussten die Adligen sich wahre Tunnel durch das Dickicht hauen, unpassierbare Stellen überwinden und nicht nur einmal vor Abgründen oder Felswänden kapitulieren und eine andere Stelle suchen. Wie der junge Waldläufer, der grimmiger Miene immer wieder die Richtung angab, die Orientierung behalten konnte, war Peridan und Felan schleierhaft. Mehr als einmal machten leise Flüche die Runde.
Gegen frühen Abend hob Brinward beunruhigt die Hand und hieß seine Begleiter anzuhalten. »Wir nähern uns dem Waldrand. Jetzt ist es nicht mehr weit bis Appelhof.«
»Na endlich«, brummte Felan vor sich hin und auch Bodebert und Peridan nickten zustimmend. Auch wenn sie nicht wussten, was sie dort genau zu erwarten hätten, waren sie doch froh, den Marsch durch den elenden Wald hinter sich zu haben.
Tatsächlich war die Vegetation dünner geworden und seltener stießen sie auf Blautannen. Wenige hundert Meter weiter schließlich traten sie ins Freie. Vor ihnen lag eine ausgedehnte Ebene, die im Halbrund vom Feidewald umschlossen war. Abgeerntete Felder und mehrere Obstwiesen wiesen auf reges menschliches Leben hin, und im dämmernden Licht waren deutlich die Umrisse der Häuser von Appelhof zu erkennen. Doch zur Zeit war keine Meneschenseele zu sehen.
»Jetzt heißt es Obacht«, meinte Bodebert in leiser Stimme zu seinen Begleitern.
»Was ist denn das dort vorne?« Peridan zeigte auf eine kleine Hütte in ihrer Nähe. Sie schien verlassen zu sein, jedenfalls war keine Menschenseele zu sehen. »Lasst uns mal einen Blick darauf werfen. Vielleicht eignet sich der Unterstand als Nachtlager.«
Sie erreichten den groben Bretterverschlag nach kurzer Zeit. Er hatte keine Tür oder Fenster, und als die vier Hartsteener einen Blick hineinwarfen, sahen sie ein recht tiefes Erdloch.
»Achtung!«, zischte Brinward plötzlich seinen Begleitern zu. »Da hinten bewegt sich etwas!«
Undeutlich hoben sich mehrere Schemen vor der Stadt ab. Offenbar eine größere Gruppe von berittenen Kriegern oder Söldnern, die auf die Stadt zu hielten.
»Was bei allen Zwölfen…« murmelte Bodebert vor sich hin. Er verstummte, als er über der Stadt einen etwa fünf Schritt langen Schatten bemerkte. Der Laut, der aus dieser Richtung zu hören war, ließ ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Felan stieß einen erschrockenen und mit Abscheu erfüllten Laut aus. »Ein Karakil!«, keuchte er.
Peridan wusste, dass er diesen Begriff kannte, doch wusste er nicht sofort, in welchem Zusammenhang. Karakil... Dann dämmerte es ihm augenblicklich, und zwar äußerst unangenehm. Ein scharfes Schnappen nach Luft drang deutlich an die Ohren seiner Begleiter. »Bei allen guten Göttern...!« entfuhr es ihm. Er war beileibe kein Feigling, aber für Sekundenbruchteile befahl ihm ein dringender Reflex, einfach in den Wald zurückzulaufen. Die anderen starrten genauso ungläubig und erschrocken gen Appelhof. Der Schatten bewegte sich, wieder war dieser markzersägende Ton zu hören. In diesem Moment spürte Peridan die fleischige Hand des Grützers wie eine Schraubklemme auf seiner Schulter, und vor ihm wollte der Allinger sich sicherlich keine Blöße geben, auch wenn ihn von der Fußsohle bis zur äußersten Haarspitze Panik ergriffen hatte.
»Und nun?« fragte er unsicher in die Runde.
Felan ballte die Faust. »Bei Rondra, ich wünschte ich besäße magischen Stahl, um dieses Untier sofort zu erschlagen...« Sein erster Schrecken war in abgrundtiefen Wut über diese Schändung der Grafschaft Hartsteen durch die Anwesenheit eines Dämons und seines Beschwörers umgeschlagen. »Ich schwöre bei der heiligen Thalionmel, dass ich die armen Bürger dieser Stadt von diesem Monster befreien und den Rest der Verräter am Götterwerk in dieser Stadt in die Niederhöllen schicken werde.«
Er hatte diesen Schwur leise und kaltblütig vorgetragen, doch ließen sein Gesichtsausdruck und seine vor gerechtem Zorn gerötete Haut keinen Zweifel an seiner Innigkeit. Es schien als wäre er an liebsten schon jetzt vorgestürmt um mit dem Schwert in der Faust die Stadt ganz alleine aus den Händen der Dämonenpaktierer zu reißen, während die Söldner in der Ferne gerade durch die Tore der Stadt eingelassen wurde. Es brauchte nicht die Hand Windischgrütz, ihn davon abzuhalten, aber als dieser sie ihm auf die Schulter legte konnte er dadurch den gleichen Aufruhr spüren.
»Und ich werde Euch dabei helfen, diesen Schwur zu erfüllen, Schallenberg«, sprach Bodebert seine Unterstützung aus. »Doch noch können wir nichts gegen sie unternehmen, ohne dabei selbst zu Opfern zu werden. Ich schlage vor wir warten bis zur Anbruch der Dunkelheit und werden unser Vorhaben dadurch beginnen im Schutze Phexens, also während der Nacht, uns näher an die Mauer zu begeben und Schwachstellen zu suchen, die wir später nutzen können, wenn wir Gerechtigkeit über dieser Stadt geschehen lassen.«
Die vier Hartsteener warteten im Schatten der Hütte auf die Nacht. Die Anspannung ließ sie Hunger und Kälte nicht spüren. Im silbernen Schein des nach oben geöffneten Madakelches erschien die Gegend ruhig und friedlich. Fast zu ruhig.
Gegen Mitternacht wandte sich Bodebert noch einmal an die beiden verbündeten Rtitter: »Ich schlage vor«, raunte er ihnen zu, »dass wir in Zweiergruppen losziehen. Das erscheint mir sicherer, als wenn wir es zu viert versuchen, etwas in Erfahrung zu bringen. Peridan und Brinward, ihr umrundet von links die Stadt. Wir kommen euch dann von rechts entgegen. Haltet die Augen offen und versucht herauszufinden, wie viele Söldner sich ungefähr innerhalb Appelhofs aufhalten. Die Mauer beunruhigt mich. Vor dem Angriff der schwarzen Lande hatte Appelhof nur eine Holzpalisade, um sich gegen die Räuber aus dem Feidewald zu schützen. Wenn wir Glück haben, dann ist der Mauerbau noch nicht abgeschlossen und damit eine Bresche in der Verteidigung vorhanden. Achtet auf Türme oder ähnliche Wehranlagen. Und vor allem, kein Risiko! Ich möchte nicht, dass einer von uns als Dämonenfutter endet!«
Peridan nickte Bodebert kurz zu und schlich mit Brinward in Richtung Appelhof. Nach wenigen Metern waren sie aus Felans und Bodeberts Blickfeld verschwunden. Lautlos verständigten sich die beiden darüber, dass es wohl sicherer wäre, im Schatten bis zur Mauer zu schleichen. »Wenn es sich ergibt, dann könnten wir versuchen das Tor zu erkunden. Aber ich befürchte, dass es wohl gut bewacht sein wird.«
Peridan hatte sein mulmiges Gefühl zwar im Griff, was aber nicht bedeutete, dass es verschwunden war. »Wir dürfen noch nicht zu nahe heran«, murmelte er Brinward zu. »Madas Licht ist zu hell.«
Wortlos schlichen sie in ausreichender Entfernung nebeneinander dahin. Immer wieder spähten beide zur Mauer hinüber, die massiv und dunkel die Nacht durchschnitt.
»Phex scheint nicht mit uns zu sein«, brummte Brinward, als nach einigem Warten immer noch der kühle Mondschein die Stadt in scheinbar friedliches Licht tauchte. Mit quälender Langsamkeit kroch eine Wolkenfront heran, die sich schließlich Stück für Stück vor den klaren Himmel schob und Mond und Sterne in ein weiches Kissen hüllte.
»Na also«, freute sich Peridan mit Groll in der Stimme, »jetzt gilt es also.«
Brinward legte sich ruhig der Länge lang auf den Boden, der sicher immer noch recht feucht und unwirtlich sein musste. Peridan tat es ihm widerwillig nach, als er einsah, dass dies die beste Tarnung sein mochte. Gemeinsam robbten sie durch die Stille der Nacht, die nicht einmal von Tierstimmen durchdrungen zu sein schien. Beiden war es nicht wohl bei dem Gedanken an all das, was sich innerhalb der Mauern tun und aufhalten mochte. Die geflügelte Schlange hatten sie ja bereits gesehen, und das verhieß nichts Gutes.
Auf halbem Weg zur Mauer begann ein leiser Regen zu fallen. Brinward schien sich wenig daran zu stören und bahnte sich seinen Weg weiter voran. Er schien Peridan so lautlos wie eine Eidechse über den Boden zu gleiten. Unablässig trommelten kleine Tropfen auf die Erde und ließen das Erdreich wieder glitschiger werden. Dann hatten sie es geschafft und waren auf einen guten Steinwurf an die Mauer heran. Sie war aus festen Steinen gefügt, schien auf den ersten Blick im Dämmerlicht des verdeckten Madamals völlig normal.
Doch als die beiden sie näher inspizieren wollten, krabbelte zunächst ein einzelner Käfer an Peridans Bein hoch, der nach einem kurzen Moment gefolgt wurde von einer wimmelnden Schar verschiedener anderer Insekten die überall an den beiden Männern emporkrochen. Brinward, der sich inzwischen im Schatten der Mauer erhoben hatte, schüttelte grimmig die Tiere ab, während Peridan einen Laut des Entsetzens nicht unterdrücken konnte.
»Ugdalf, bist das du?« hörten die beiden es von oben rufen. Erschrocken hielt Peridan die Luft an und drückte sich starr an die feuchten Steine. Er spürte ein Kribbeln in seinem rechten Stiefel und an seinem Rücken, und inständig betete er zum Herren Phex, dass er dieses Mal mit ihm sein würde. Ein schimmernder Lichtschein erschien nun über ihren Köpfen und das Stimmengemurmel wurde lauter.
»Komm, da unten ist niemand, wird wohl irgendein Tier gewesen sein.«
»Puh, das war knapp«, flüsterte Brinward erleichtert. Sie schlichen weiter die Mauer entlang. Sie mussten die Stadt bereits etwa zu einem Drittel umkreist haben, als Peridan feststellte, dass wenige Schritt vor ihnen die Mauer aufhörte und mehrere Baugerüste standen. Deutlich sah er eine Gruppe von Wächtern, die zu viert unter einem provisorischen Stand an einem Lagerfeuer in die Nacht hinaus blicken. Sie hatten sich auf einige Schritt bereits genähert und konnten dem Gespräch mühelos lauschen. Hauptsächlich unterhielten sich die Söldner über alltägliche Begebenheiten, das miese Wetter und rissen derbe Witze über die Stadtbewohner Appelhofs. Ihrer Mundart nach schienen sie aus Tobrien zu stammen. Peridan grübelte gerade darüber, wie sie es an den Wachen vorbei schaffen sollten, als ein weiterer kleiner Trupp von offenbar angetrunkenen Söldnern aus der Stadt auftauchte.
»He, kommt mit rüber in den Appelbaum. Horngrams Leute geben einen aus für alle!« riefen sie den offensichtlich stark interessierten Söldnern zu, die nun ihrerseits zu diskutieren begannen, ob man sich nicht eine kurze Weile sich der Gesellschaft zu gesellen solle. Nach kurzem Disput schienen alle Bedenken ausgeräumt und kurze Zeit später war die Baustelle unbewacht.
»Das waren so an die zehn Wachen«, grübelte Peridan leise vor sich hin, »aber noch lange nicht alles, was dieses elend verdorbene Wespennest zu bieten hat.«
Brinward antwortete nicht, doch er schlich umsichtig und stets auf die Umgebung achtend näher an die Baustelle heran. Peridan wusste nicht, ob die Idee gut war oder nicht, folgte aber trotzdem. Tatsächlich befand sich die Mauer hier noch im Bau, und diese Schwachstelle würde sich sicherlich noch als nützlich erweisen.
»Wir sollten das den anderen berichten«, murmelte Peridan Brinward zu, der daraufhin nickte. Das bedeutete, dass sie einige Meter zu überwinden hatten, wo sie nicht mehr die Deckung der Mauer nutzen konnten. Der Allinger verließ sich auf das Gespür des Herrn Brinward. Der lugte gespannt um die Ecke, befand nach kurzem Warten, dass ihnen keine unmittelbare Gefahr drohte, und überbrückte dann die Lücke in der Mauer so schnell wie möglich in geduckter Haltung. Peridan folgte ihm mit beschleunigtem Atem, doch dieses Mal kam ihnen nichts in die Quere, und sie arbeiteten sich weiter voran.
Nach einigen Momenten hatten beide das Gefühl verloren, wie weit sie die Stadt nun schon umrundet hatten, als plötzlich weit vor ihnen Lärm zu vernehmen war. Rufe, Waffenklirren, schwere Reiter. Die Adligen drückten sich in den Schatten der Mauer, die sich hier wieder wuchtig in die Nacht erhob. Von Felan und Bodebert war nichts zu sehen, und Peridans Stirn kräuselte sich nachdenklich. Nicht, dass den beiden... War es das, was die Unruhe zu bedeuten hatte? Doch dann hörten sie einen herrischen Ruf, der das Öffnen der Tore verlangte…
Derweil warteten Felan und Bodebert bis die beiden anderen außer Sicht geraten waren. Felan konnte es nicht unterlassen daran zu denken wie der Windischgrützer auf ihrer Reise durch den Wald gebrochen war wie ein wilder Eber und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen wie dieser auf allen Vieren sich der Mauer nähern würde. Dennoch grinste er bewundernd, als Bodebert nach einem kurzen Blick in Richtung Stadtmauer per Handzeichen die Richtung vorgab und von einem leisen Schnaufen abgesehen, das auch von einem Igel nicht leiser hätte sein können, die sich bietende Deckung ausnutzend sich der Stadt näherte. Felan folgte ihm noch geräuschloser. Angenehm war es allerdings nicht sich durch nasses Gras zu schlängeln, aber da sie nicht sehen konnten ob auf der Mauer jemand in ihre Richtung sehen konnte war es allemal das Beste was sie tun konnten.
Kurz vor der Mauer hätte sich Felan beinahe an der Stiefelsohle Bodeberts die Nase angeschlagen, als dieser abrupt vor ihm anhielt. Durch einen Blick an dessen massigen Körper vorbei konnte Felan erkennen, dass Bodebert beinahe in ein Loch gekrochen wäre, dass sich vor ihm auftat und von Ferne nicht auszumachen gewesen war: man hatte offensichtlich begonnen einen breiten Graben rings um die neue Mauer zu ziehen um diese zusätzlich zu schützen. Er war durch eine leichte Hebung des Bodens in Richtung der Stadt geschickt verborgen und Angreifer hätten an der Mauer eine unangenehme Überraschung erlebt, egal ob dieser mit Wasser oder angespitzten Pfählen gefüllt gewesen wäre. Leitern, die an diese Mauer gelegt werden würden, müssten noch länger sein und man würde den Graben füllen oder mit schweren Planken überbrücken müssen, um etwaige Truppen schnell an die Mauer heranführen zu können.
Der Schallenberger unterdrückte einen Fluch, auch wenn man erkennen konnte, dass der Graben noch nicht sehr weit fortgeschritten war, erst wenige Schritt die Mauer entlang führte und die Arbeit bisher auch eher schlampig ausgeführt schien. Dennoch war er schon jetzt ein Hindernis, das Bodebert und Felan zwang, weiter von der Mauer weg die Stadt zu umrunden als Ihnen lieb war, da ihnen damit der Mauerschatten gerade nur eben am Rand Schutz gegen Sicht aus der Stadt bot.
Einmal verharrten sie in völliger Reglosigkeit als sie aus der Stadt laute und grobe Stimmen vernahmen, die offenbar den wachenden Söldnern gehören mussten, bevor sie langsamer als zuvor weiter krochen. Es dauerte nicht lange, bis sie zum Nordtor der Stadt kamen. Gesäumt von zwei wuchtigen Türmen war hier die Mauer bereits vollständig fertig und auch der Graben vor der Stadt wirkte befestigt und bereit. Im Schein des Madamales konnten die beiden Adligen ausmachen, dass im Torhaus mindestens ein knappes Dutzend Söldner Wache hielt.
»Wenn die ungestört weitermachen, dann ist Appelhof im nächsten Sommer eine nahezu uneinnehmbare Festung«, flüsterte Bodebert zu Felan. »Von dieser Seite aus erscheint mir ein Angriff auf die Stadt wie ein Alveranskommando. Und wir wissen nicht, welche Hilfe sie aus den Niederhöllen beziehen.«
Fast wie auf Befehl erklang ein markerschütterndes Gebrüll aus dem Norden. Eine riesige, grünlich leuchtende Fratze erschien etwa fünfzig Schritt nördlich von ihnen. Starr vor Schreck hielten sie die Luft an und drückten sich noch tiefer in den matschigen Boden.
Der Lärm hatte Wirkung auf das Tor. Das Klirren von gezogenen Waffen und lautes Rufen auf der Mauer. Fackeln wurden entzündet. Felan erkannte nahezu fünfzig mit Bögen bewaffnete Kämpfer, die auf ihren Befehl warteten. Aber auch von Norden her ertönte ein Lärm. Donnerndes Hufgetrampel kündigte eine große Gruppe von schwer gerüsteten Reitern an, die offensichtlich aus Richtung Wildermark nach Appelhof kamen. Im Madalicht konnte Felan bereits den Anführer ausmachen und erschauerte leicht. Ein riesiges Ungetüm von ogerhaftem Körperwuchs führte auf einem riesigen Tralloper etwa zwei Dutzend Reiter in voller Platte und hielt im vollen Galopp auf das hochgezogene Tor zu.
Vor dem Graben hielten die Reiter in und mit einer Stimme, die die Mauersteine beben ließ, rief der Anführer hinauf: »Bei Belhalhar und Asfaloth! Öffnet die Tore für Galtor, den Koloss!«
Der Gesichtsausdruck Felans, den dieser jetzt zeigte, hätte Graf Luidor von Hartsteen in den Tagen von Felans Knappschaft vermutlich zu einem Vortrag darüber veranlasst, dass ein Adliger und Diplomat niemals durch Äußerlichkeiten Schlüsse über seine Gefühle zulassen dürfe. Doch daran verschwendete der Schallenberger in diesem Augenblick keinen Gedanken. Und jeder der seine Jähzornigkeit kannte und ihm an anderen Ort begegnet wäre hätte sich nun vermutlich aus dem Staub gemacht oder wäre zumindest erschreckt zusammengezuckt. Es drückte sich darin derart viel Abscheu und Zorn aus, dass man meinen könne der Ritter müsse bald zerplatzen, da er nicht laut seine Wut herausbrüllen durfte, als er die verfluchten Namen der Dämonen vernahm. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Leise knurrte er zu Bodebert, während der Unhold und seine Begleiterschar in die Stadt einzog: »Lass uns weiter...« Ohne abzuwarten ob der Windischgrützer ihm folgen würde kroch er weiter, um die Stadt weiter zu umrunden und den Aufruhr um den Koloss ausnutzend, der die Aufmerksamkeit der Wachen auf sich gezogen hatte.
Brinward und Peridan sahen inzwischen, dass sie sich offensichtlich einem gut befestigten Tor mit zwei Türmen zur Linken und zur Rechten näherten. Sie wagten nicht mehr, sich auch nur einen Schritt weiter zu bewegen, während sich einiges am und vor dem Tor tat. Eine größere Gruppe von Reitern, die von einem – ja, was eigentlich? Monster? – angeführt wurde, hatte vor dem Tor Halt gemacht und Einlass verlangt. Peridan konnte nur ungenau erkennen, wer oder was da in die Stadt wollte, aber das reichte vollends. Er hielt sich die Hand vor den Mund, um ja keinen Laut zu machen. Er fürchtete die eine oder andere böse Überraschung. Was war hier nur los? Und welche Wesenheiten in Appelhof selbst noch verborgen waren, wollte er gar nicht erst wissen. Dämonen, Paktierer, finsteres Pack, das nicht nach hierher gehörte... Aber genau zu dem Zwecke, das alles herauszufinden, hatten sie den Weg auf sich genommen...
So schnell wie sie vor der Stadt aufgetaucht waren, so schnell verschwanden die johlenden Reiter hinter ihrem hünenhaften Anführer in dem aufgesperrten Tor. Der leichte Regen hatte sich wieder verstärkt und wie in dunklen Vorhängen verschleierte er die Sicht auf das flackernd beleuchtete Tor, auf dessen Wehrgang vereinzelnd Söldner auftauchten.
Nach wenigen Metern trafen die beiden Gruppen wieder aufeinander. Der Zorn war Felans Miene deutlich abzulesen, seine Antworten waren zischend und gereizt. Kurz verständigte man sich darauf, vor Anbruch des Morgens wieder möglichst unauffällig in den Feidewald zurückzukehren. Die Aussicht auf das wilde grüne Gestrüpp und den aufgeschwemmten Boden begeisterte die drei Adligen nur mäßig.
»Was schätzt Ihr, wie viele Söldlinge es in Appelhof hat?« fragte Bodebert leise in die Runde.
Felan zuckte mit den Schultern: »Schwer zu sagen. Es können fünfzig sein, aber auch hundert, wenn nicht mehr.«
»Außerdem scheinen sie mir gut gerüstet und auf Angriffe vorbereitet«, fügte Peridan leise hinzu. »Das kann eine ganz harte Nuss werden.«
Bodebert nickte. »Wir wissen nicht, was für niederhöllische Tricks sie noch auf Lager haben.«
Ein leises Schwirren ließ Bodebert einhalten. Deutlich hatte er einen Schatten etwa zwei Meter entfernt ausgemacht, nicht viel größer als eine Fledermaus. Er hob die Hand, um die anderen zur Ruhe zu gemahnen. Gebannt starrten die vier in den Regen.
Mit einem Mal flog etwas zwischen sie. Kleine schwarze ledrige Flügel trugen ein einzelnes lidloses rotunterlaufenes Auge und stierte die vier Eindringlinge an. Einen Schreckmoment blickten sie erstarrt auf die unnatürliche Kreatur zwischen ihnen, dann entfernte sich das kleine Ding in einer wahnsinnigen Geschwindigkeit in Richtung Stadt.
Bleich und mit aufgerissenen Augen rief Bodebert seinen Begleitern zu: »Bei den Zwölfen! Rennt los!«
Felan brauchten einen Augenblick, um sich der Gefahr gewahr zu werden und sah neben sich Bodebert vom Boden abdrücken und seine Körpermasse in erstaunlicher Geschwindigkeit von der Stadtmauer weg in Richtung Waldrand fortbewegen.
Doch plötzlich ertönende Warnrufe aus der Stadt heraus ließen ihn ein Lächeln unterdrücken und sich selbst schnell auf die Beine bringen, was sich schwieriger gestaltete als gedacht. Er rutschte mehrfach fast auf dem nassen Grund aus und schwankte wie eine Galeasse im Sturm als er sich erhob und Bodebert folgte.
Derweil waren die ersten Wachen auf der Stadtmauer auf sie aufmerksam geworden, zeigten auf sie und riefen Armbrustschützen herbei. Felan fluchte erneut. Geradezu lächerlich war es in dieser Situation, dass er daran denken musste, dass sein Vater ihm für seine ständigen Flüche heute mehr als nur ein paar Maulschellen verpasst hätte, während der erste Armbrustbolzen nur knapp rechts von ihm in den weichen Boden einschlug. Er hatte Bodebert eingeholt und hörte hinter sich die anderen zwei Gefährten. Als lauter Lärm verkündete dass das Tor erneut geöffnet worden war warf er einen Blick über die Schulter zurück zur Stadtmauer und konnte sehen, wie Reiter sich galoppierend hinter ihnen hermachten. Das trieb ihn an doppelt so schnell zu laufen. Verbissen und zornig, weil er vor diesen Dämonenpaktierern weglief, wünschte er sich wie so oft in den vergangenen Tagen er hätte die letzten Monate mehr seinen Körper und seine Ausdauer geübt.
Der Allinger, der beim Auftauchen der spionischen Kreatur entsetzt geschnaubt hatte, benötigte einen Moment des Schreckens, bis er die akute Gefahr erkannt und gleichzeitig seine Fassung wiedererlangt hatte. Auf Bodeberts Warnruf hin rannte er so schnell er konnte los, neben sich den Waldkundler. Vor ihnen beiden stieb ebenjener mit auerochsengleicher Eleganz davon. Wäre die Situation nicht so ernst und bedrohlich gewesen, hätte der Anblick Peridan zum Lachen bringen können. So allerdings galt seine volle Konzentration dem Versuch, sein Tempo schleunigst zu erhöhen, um zu Felan aufzuschließen, gleichzeitig aber auch nicht auf dem glitschigen Erdreich auszurutschen.
Das Hufgetrappel indes wurde lauter und lauter, und weitere Bolzen schwirrten durch die Luft, um sich – ihren Laufweg begleitend – unweit von ihnen in die Erde zu bohren.
Als der deutlich vernehmliche Ruf »Dort vorne sind die Strauchdiebe!« nicht weit hinter den Flüchtenden erscholl, glaubte der Allinger schon, den warmen Atem eines Pferdes im Nacken zu verspüren. Als er sich umwandte, erkannte er jedoch, dass es nur Brinward war, dessen Gesicht unheimlich schmerzverzerrt wirkte und der sein Tempo kaum noch halten konnte. »Kommt, weiter!« Brinward quälte sich für Peridans Empfinden schleppend langsam weiter.
Doch der Waldrand näherte sich Stück für Stück, und es war nun nicht mehr weit. Peridan Leumar sah bei einem kurzen Blick zurück, wie die berittene Verfolgergruppe sich aus einer Wand von Regenfäden schälte – mehrere große Schatten, die nach den Flüchtlingen fast zu greifen schienen. Beherzt packte er einen Oberarm Brinwards und zog diesen erbarmungslos weiter.
Jetzt zahlte sich aus, dass er nicht geruht hatte, sondern rastlos wie ein eingesperrtes Tier tagein, tagaus auf Burg Allingsruh seine körperliches Training absolviert hatte. War der Hintergrund ein anderer gewesen, nämlich jederzeit für Turnierwettkämpfe bereit zu sein, was seine Gemahlin nicht gerade begrüßte, so hatte sich dieser ritterliche Zeitvertreib wirklich gelohnt. Das Stechen in den Lungen verschwand, als Peridan sich und auch Brinward zwang, nochmals zu beschleunigen.
Die ersten Bäume zogen links und rechts zuerst an Bodebert und Felan, dann auch an ihnen vorüber. Für die Flüchtenden hieß es nun, besonders aufzupassen. Der weich-nasse Waldboden bot oft wenig Halt, Ranken hinderten sie am schnellen Lauf, und Äste schlugen ihnen wie Peitschen um die Ohren. »Dort hinüber«, keuchte Brinward schmerzerfüllt, der im dämmrigen Halbdunkel nach besonders engstehenden Bäumen Ausschau hielt, um die Verfolger abzuhängen.
Doch für Bodebert und Felan war der Ruf zu leise gewesen, und sie liefen immer noch in eine andere Richtung. Peridan hörte inzwischen die ersten Pferde hinter ihnen durchs Unterholz brechen. »Dreimal vermaledeit... BEI PHEX!!!!«
Dieses Mal vernahmen die Gefährten den Ruf und schwenkten sofort dorthin um, wo der Arm des Waldkundlers hinwies. Der jedoch wurde plötzlich fahl im Gesicht und knickte neben Peridan einfach weg. Er sackte so schnell zu Boden, dass sein schlaffer Arm durch des Allingers Hand glitt wie ein Aal. Etwas Dunkles ragte aus Brinwards Wade.
Geistesgegenwärtig griff Peridan dem Verletzten unter die Arme und half ihm wieder auf die Beine. Schmerzverzerrt humpelte Brinward weiter, immer nur weiter und tiefer in den Feidewald hinein.
Es erschien ihnen wie eine Ewigkeit. Innerlich fluchend über diese Flucht und die Ohnmacht sich gegen diese Hundesöhne zur Wehr zu setzen trieb Felan den Waldkundigen zu noch größerer Eile an, der nichts außer einem grimmigen Ächzen bei jedem Schritt von sich gab. Immer wieder strauchelten sie über dicke Wurzeln, ohne jedoch das Gleichgewicht zu verlieren.
Sie waren tief in den Wald hineingerannt, Peridan wusste nicht, in welche Richtung. Tiefe Schwärze und eine eisige Stille umfing die Hartsteener. Immer wieder tauchten funkelnde Augenpaare im nahen Dickicht auf, um sogleich wieder in den Tiefen des Forsts zu verschwinden.
»Es bringt nichts, sich bei dieser Finsternis weiter durch den Wald zu schlagen«, wandte sich Brinward schmerzerfüllt an seine Kameraden. »Die Schwarzsöldner werden uns kaum hierhin folgen, mit den Pferden wäre es töricht.«
»Gut, dann lasst uns ein Lager für die Nacht suchen«, antwortete Bodebert, dem man den scharfen Sprint kaum anmerkte. »Morgen müssen wir uns wieder zu unseren Pferden durchschlagen, um so schnell wie möglich dem Grafen zu berichten.«
Felan nickte stumm. Es galt nun, dieses verderbte Nest mit aller Kraft vom Antlitz Deres zu brennen.