Geschichten:Kressenburger Stadtgeflüster - Angroschs Wunsch: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 28. Februar 2014, 16:53 Uhr
Angroschs Wunsch
Kressenburg; Firun 1034 BF
In der Schänke „Weinerlichen Wildsau“ trafen sich sonst immer viele Kressenburger, Menschen wie Zwerge, um den Abend nach getaner Arbeit bei einem Humpen Zwergenbier ausklingen zu lassen. Doch an diesem Abend hatte die Wirtin Orlescha alle menschlichen Gäste abgewiesen und vom kleinen Volk waren sowieso nur jene gekommen, die eingeladen waren. Nun saßen die Ältesten der Zwerge Kressenburgs versammelt um einen Tisch am Herdfeuer. Neben Orlescha saß ihr inzwischen weißbärtiger Gatte Durac, das Oberhaupt der Kressenburger Zwerge, danach ihrer beider Söhne. Der hitzige Angarimm, hiesiger Geweihter des Angrosch, und der bedächtige Angarosch, Duracs designierter Nachfolger und sein Stellvertreter in den Minen von Sturmhöhe. Hinzu kamen die drei angesehensten Schmiedemeister der Sippe, eine Zwergin unter ihnen, allesamt mit grauen Haaren. Zum ersten Mal zu solch einer Besprechung geladen war der stämmige Ugrimm, der sonst auf der Burg des Barons seinen Dienst tat und seinen stets wohl gepflegten braunen Bart zu diesem Anlass ganz besonders kunstvoll geflochten hatte. Nadeschda, die junge Tochter des Hauses, die noch auf ihre Feuerprobe wartete, vertrat ihre Mutter hinter dem Tresen und sorgte unauffällig für steten Nachschub für die vom Reden trockenen Kehlen.
„Wie kommst du aber darauf, dass der Baron deine Bitte auch nur in Erwägung ziehen könnte, Angarimm.“ Durac hatte seine Frage vorsichtig formuliert, um seinen Sohn nicht zu einem seiner berüchtigten Zornesausbrüche zu reizen. Dem alten Zwerg stand heute der Sinn nach ruhiger Rede und nicht nach unnützer Diskussion. „Warum sollte er Sturmhöhe als Binge anerkennen?“
„Weil die Mine doch im Grunde sowieso uns gehört!“ Der Geweihte war mit einer in seinen Augen zündenden Idee zu dem Treffen gekommen, war aber von den bedächtigen Meinungen und Ratschlägen der Ältesten enttäuscht worden. Doch noch hatte er nicht aufgegeben, sie überzeugen zu wollen. „Ohne uns würde es die Mine gar nicht geben! Ohne uns könnte das Erz dort nicht gewonnen werden! Ohne uns würde der Baron davon leben müssen, seine kümmerlichen Bäume zu fällen! Und ohnehin kommt alles Erz von Angrosch und gehört somit von Rechts wegen uns, seinen Kindern“, fügte er fast verbockt hinzu und verschränkte die Arme vor der Brust.
Durac lächelte milde. Fern der Koscher Bergheimat geboren und aufgewachsen, hatte sein Ältester immer schon sehr konservative Auffassungen vertreten, die er nicht zuletzt von seinem Lehrmeister, dem vor über zwei Jahrzehnten verstorbenen alten Angrosch-Geweihten, übernommen hatte. Doch Angarimms Meinung war nicht ungefährlich, vor allem da er großen Einfluss auf die jungen Zwerge Kressenburgs besaß. Das Zwergenoberhaupt hatte gehofft, dass sein Sohn, der nun im besten Alter war, mit den Jahren besonnener werden würde, aber noch immer loderte Angroschs Flamme so heiß in Angarimm, dass sie immer wieder ausbrach. Anders dagegen war der Zwillingsbruder Angarosch geraten, der schon in der Jugend stets der Bedächtigere von den beiden gewesen war. Durac sah, dass dem Zweitgeborenen eine Antwort auf der Zunge lag und trat ihm mit einem Nicken das Recht zu sprechen ab.
„Mein lieber Bruder,“ fing Angarosch auch sofort an zu reden, „ich fürchte, du siehst die Angelegenheit in einer sehr erzzwergischen Perspektive.“
„Was willst du damit sagen?“ Angarimm sprang wütend von seinem Stuhl und stand auf, was ihn zwar nicht wirklich größer erscheinen ließ, aber doch deutlich machte, dass er kurz davor war zu explodieren.
„Gemach, mein Bruder, ich bitte dich.“ Beschwichtigend hob Angarosch die Hände. Im nächsten Moment tauchte Nadeschda am Tisch auf und hatte im Nu je einen frischen Humpen Schwarzbier vor dem erregten Geweihten und allen anderen auf den Tisch gestellt. Mit einem schelmischen Zwinkern in Richtung Angaroschs verschwand sie wieder hinter den Tresen und tat unbeteiligt. Angarosch verbarg ein anerkennendes Lächeln in seinem Bart und griff nach dem Bier. „Auf Angrosch!“
„Auf Angrosch,“ stimmten alle mit ein und auch der aufgebracht Angarimm kam nicht umhin, einen Zug zu nehmen. Als alle ihr Bier wieder abgestellt hatten und ihn ansahen, war diesem die Situation bereits unangenehm und er setzte sich schnell wieder. „So sprich denn, Bruder Angarosch. Was gibt es an meiner Idee auszusetzen?“
„Niemand will bestreiten, dass tatsächlich alles Erz von Angrosch geschaffen wurde und wir, seine Kinder, es am Besten verstehen damit zu arbeiten. Doch es gibt Verträge, von unserem Hochkönig Greifax Rechtsetzer erst vor wenigen Generationen mit den Menschen ausgehandelt, und an jene haben wir uns zu halten, bis ein neuer Hochkönig anderes beschließt. Alles andere setzt uns ins Unrecht. Außerdem,“ fuhr er schnell fort, um einer Erwiderung seines Bruders zuvor zu kommen, „können wir uns einen solchen Schritt schlicht nicht leisten. Wir können den Baron weder dazu zwingen, uns die Rechte einer Binge einzuräumen, noch können wir es uns erlauben, den Baron zu verärgern, indem wir dies wider dem Recht einfordern. So weise es von Baron Ulfried damals gewesen ist, unsere Sippe mit dem Abbau des hiesigen Erzes zu beauftragen, so leicht kann uns der jetzige Baron auch wieder die Tür weisen.“
„Aber das würde er doch niemals tun!“, entrüstete sich der Geweihte sofort. „Ardo ist zwar noch ein Kind, aber er ist nicht so dumm, diesen Schritt zu gehen. Zumal er mit Phexian einen Berater hat, der einen durchaus annehmbaren Bart vorweisen kann.“
„Natürlich wird Baron Ardo das nicht tun. Warum sollte er auch? Bisher haben wir ihm keinen Grund dazu gegeben und Kressenburg verdient gut am Handel mit unseren Erzeugnissen. Sogar so gut, dass er die Transporte der Waren nach Greifenfurt und Eslamsroden von seinen Rittern beschützen lässt.“ Jetzt aber erhob Angarosch mahnend den linken Zeigefinger. „Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass das Erz, das wir schürfen und verhütten, von Rechts wegen dem Baron gehört. Auch ist er es, der den Vertrag über die Kupferlieferungen aus Schnayttach in den Händen hält und es auf seinen Karren heranschafft. Er ist es, der uns die Erze und die Kohle für unsere Essen preiswert zur Verfügung stellt. Er ist es, der unsere Werke zu guten garantierten Preisen abnimmt und dann das ganze Risiko des Weiterverkaufs trägt. Ihm obliegt es, durchzusetzen, dass wir in seinen Landen den gleichen Schutz und die Rechte wie die Menschen genießen. All das hat unser Vater mit den verschiedenen Baronen seit dem Weisen Ulfried ausgehandelt.“
Angarimm fuhr sich nachdenklich durch den Bart und dachte über die Worte seines jüngeren Zwillingsbruders nach. Je länger er nachdachte, desto mehr wuchs sein Verständnis und desto mehr schwand sein Zorn. „Ich verstehe, was du meinst, mein Bruder Angarosch. All das, was unsere Sippe in den letzten zweihundertfünfzig Jahren gewonnen hat, könnte von einem Tag auf den nächsten ein eingestürzter Stollen sein.“
Anerkennend nickte der alte Durac und tauschte mit seiner Frau ein zufriedenes Lächeln. „Du siehst, mein Junge, manchmal muss man hinterfragen, ob das, was man sich wünscht, wirklich das ist, was man will, auch wenn es der Wunsch Angroschs ist. Trotzdem stimme ich dir zu, dass uns Angroschim, nach allem, was wir für die Kressenburger Barone getan haben, noch mehr Wertschätzung zustünde. Allerdings müssen wir vorsichtig sein, denn Ulfrieds Geschlecht ist nicht länger Herr über diese Lande. Phexian schätzt uns und auch der junge Ardo weiß, was er an uns hat. Dennoch müssen wir uns das uneingeschränkte Wohlwollen, das wir unter Ulfrieds Kindeskindern genossen haben, bei ihnen erst noch verdienen.“
„Warum in Angroschs Namen sollten wir uns bei den Menschen anbiedern, selbst wenn sie in dieser Gegend über uns herrschen?“ Angarimm verzog vor Abscheu die Lippen. „Wir sind niemandes Diener als des Herren Angroschs!“
„Das weiß ich, mein Junge. Doch halte ich es für klüger und einfacher, sie dazu zu bringen, aus freien Stücken etwas für uns zu tun, als sie darum zu bitten oder etwas einzufordern. Wenn unsere Belange ihnen am Herzen liegen, werden sie von sich aus anfangen, in unserem Sinne zu handeln.“
„Das soll funktionieren?“ Angarimm war mehr als skeptisch. “Und was hast du eigentlich im Sinn?“
„Von unserem Bruder Ugrimm hier weiß ich, dass der junge Baron gerade in großen finanziellen Nöten steckt. Phexian wälzt jeden Tag stundenlang die Rechnungsbücher und scheint doch keine Lösung zu finden. Also denke ich, dass es an der Zeit ist, ihnen ein paar Stützbalken für ihren Stollen zu reichen.“
„Du willst ihnen unser Gold geben?“
Durac nickte bedächtig. „Natürlich nicht alles und auch nur geliehen. Aber wir werden ihnen dazu einen guten Zins anbieten. Ein Angebot, das sie nicht ablehnen können, wenn sie sich nicht bei den Geldverleihern in Greifenfurt verschulden wollen. Uns ist letztlich selbst damit geholfen, wenn die Baronie liquide bleibt, denn wenn der Baron seinen Verpflichtungen nicht nachkommen und die Handelsverträge zum Beispiel mit Schnayttach nicht mehr erfüllen kann, dann leiden auch wir darunter. So investieren wir kurzzeitig etwas Geld und sichern damit langfristig unser Auskommen.“
„Aber was ist, wenn Baron Ardo uns das Geld nicht zurückzahlen kann?“
„Die Schuld bleibt bestehen, so oder so. Bekommen wir das Gold nicht zurück, so verbleiben er und seine Kinder in unserer Schuld, immer in der Gefahr, dass wir darauf bestehen könnten, es einzufordern. Abgesehen davon wäre der kleine Verlust zu verschmerzen, wenn wir dafür auch in Zukunft ungestört unsere Gewinne aus dem Handel mit den Baronen ziehen können. Was auch immer passieren wird, wir haben Zeit und können es aussitzen.“
"Ich sehe, du scheinst an alles gedacht zu haben, Vater. Was du und Angarosch sagen, kann tatsächlich funktionieren. Wann willst du ihnen den Vorschlag unterbreiten? Baron Ardo ist ja zur Zeit in Eslamsroden."
"Ugrimm, du hast die Lage in der Burg am besten im Blick. Wann denkst du, wäre ein guter Zeitpunkt, ihnen unser Angebot mitzuteilen?"
Der Angesprochene strich sich etwas nervös über die Zöpfe im Bart. Ihm war nicht ganz wohl dabei, solch delikate Informationen seiner Dienstherren weiterzugeben. Aber schließlich siegten seine Loyalität zur Sippe und das Wissen, dass Kressenburg das Gold der Zwerge dringend brauchte, über seine Zweifel. "Zögert nicht mehr lange, wenn ihr euch nun dazu entschlossen habt, es zu tun, denn verzweifelter kann die Lage kaum noch werden. Es fehlt nicht mehr viel, dass Phexian zum scheinbar letzte Nagel greift und er sich an den Svellter wendet. Die nächste schlechte Nachricht kann der Tropfen sein, der den Stollen zum Überlaufen bringt."
"Dann ist es entschieden. Angarimm, Angarosch, wir drei statten morgen früh dem jungen Phexian einen Besuch ab."
Unter dem allgemeinen zustimmenden Gemurmel brachte Nadeschda für alle neues Bier, mit dem sogleich auf den Ratsschluss angestoßen und die Entscheidung besiegelt wurde.