Geschichten:Schimpf und Schande - Teil 24: Unterschied zwischen den Versionen
VerschiebeBot (D | B) K (Textersetzung - „{{Briefspieler|Benutzer:Uslenried|Uslenried}}“ durch „{{Briefspieler|Benutzer:Uslenried|'''CD'''}}“) |
VerschiebeBot (D | B) K (Textersetzung - „{{Briefspielindex2“ durch „{{Briefspielindex“) |
||
Zeile 69: | Zeile 69: | ||
{{ | {{Briefspielindex | ||
|Titel=Seneschall und Vogt | |Titel=Seneschall und Vogt | ||
|Reihe=Schimpf und Schande | |Reihe=Schimpf und Schande |
Aktuelle Version vom 30. August 2014, 14:44 Uhr
Reichsstadt Hirschfurt, 24. Tsa 1033 BF
Coswin von Streitzig saß sinnierend in seinem Lehnstuhl in der gräflichen Kanzleistube im Hirschfurter Grafenpalas. Vor seinem Schreibtisch stand, die Kladde unter dem Arm, Meister Jendor Allensbacher, der seinem Dienstherrn gerade Bericht erstattet hattet, was die üblichen Dinge des Tages betraf und nun eigentlich nur darauf wartete, dass er des Raumes entlassen ward, um sich seinen weiteren Aufgaben zu widmen. Sein Dienstherr machte jedoch keine entsprechenden Anstalten, und so blickte Allensbacher bald hierhin, bald dorthin, aus den Augenwinkeln jedoch immer darauf achtend, ob der Grafschaftsrat sich regen würde.
Jener hingegen legte schließlich die Hände, welche zuvor gefaltet und als Stütze für das Kinn gedient hatten, auf die Platte des Schreibtisches. »Sagt, Meister Jendor, findet Ihr nicht auch, dass der Titel Grafschaftsrat wenig klangvoll ist?«
Allensbacher neigte irritiert das Haupt. »Wie meint Ihr?«
»Ich sagte, der Titel Grafschaftsrat, mit welchem mein Amt derzeit benannt wird, sei wenig klangvoll«, wiederholte Coswin seine Äußerung. »Es klingt trocken, verstaubt und trifft nicht annähernd das, was hier meine Aufgaben sind. Ich berate nicht, ich verwalte. Und so trocken und verstaubt wie der alte Storchenhain bin ich schließlich auch nicht und werde es, so die Götter wollen, hoffentlich auch nie sein.«
Der erste Schreiber nickte. »Eure Aufgaben treffen eher das, was ein Vogt oder Seneschall landläufig zu bewerkstelligen hat.«
Nun war es Coswin, der das Gesagte mit einem Nicken quittierte. »Ich sehe, Ihr versteht, worauf ich hinauswill. Meines Wissens war es ohnehin erst seit Storchenhain – Boron sei seiner Seele gnädig – so, dass man als Rat fungierte; passte ja irgendwie auch zu dem alten Knochen.«
»Andere Eurer Vorgänger ließen sich auch als Kanzler bezeichnen«, ergänzte Allensbacher pflichtbewusst, »aber hier geht es ja nicht nur um die Führung der gräflichen Kanzlei, habe ich recht? Insofern erscheint mir Seneschall korrekt, wie Ihr es offenbar auch selbst präferiert. Dies war zum Beispiel auch während und direkt nach der Priesterkaiserzeit so.«
»Das waren auch meine Gedanken. Ein Kanzler ist kaum etwas anderes als ein Rat, und ein Vogt setzt die Nichtexistenz eines Lehensnehmers voraus. Also werde ich fürderhin als Seneschall der Grafschaft firmieren. Seid so gut und behaltet dies im Hinterkopf; teilt es auch den übrigen Bediensteten mit.«
Allensbacher nickte zustimmend. »Wie Ihr wünscht.«
Coswin wollte ihn schon entlassen, als er noch einmal innehielt. »Da fällt mir noch etwas ein, wo wir gerade das Thema Vogt ansprachen. Wie steht es um Leihenbutt? Hat schon irgendjemand in Gareth den Hintern gehoben und sich Gedanken um die Verwaltung der vakanten Baronie gemacht? Immerhin ist es nun schon einige Wochen her, das Hirschfurten dort seine Habe hat packen müssen.« Coswin unterdrückte ein Grinsen.
»Noch nichts, aber die Mühlen dorten mahlen langsam.«
»So ist es. Sie mahlen langsam, um nicht zu sagen: Zu langsam, wenn denn überhaupt. Dennoch wäre es verwerflich, jene Lande ohne Aufsicht und ordnende Hand zu lassen. Dort ging es genug drunter und drüber; ich möchte keine weiteren Missstände dort zu verantworten haben. Fertigt also bitte eine Urkunde an, mit welcher Rondred von Derrelsbach zum Landvogt von Leihenbutt bestallt wird, bis aus Gareth die Frage der Lehnsnachfolge geklärt ist.«
Meister Jendor zog einen Kohlestift aus der Tasche und notierte sich nun doch in seiner Kladde, was zu tun war.
»Und wenn ihr das erledigt habt, legt ihr mir die Urkunde vor und holt mir Ritter Rondred und Hauptmann Treuenbrück herbei.« Mit einem Winken bedeutete Coswin dem Schreiber, dass er nun endlich entlassen war.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages versammelten sich die Bestellten in der Amtsstube des Seneschalls, und die verwunderteste Miene machte dabei zweifelsohne Ritter Rondred von Derrelsbach. Der Mittvierziger mit dem langen, rotbraunen Haar war ohnehin der komplette Gegensatz seines älteren Bruders Alfing, der über das in Serrinmoor gelegene Junkterum herrschte und allgemein als Lebemann verschrien war. Rondred hingegen galt als Inbild des klassischen Ritters, wenngleich ihm zuweilen etwas Raufboldartiges anhaftete. Seine Knappenzeit am Waldsteiner Grafenhofe hatte zumindest Spuren und Verbindungen hinterlassen; zwar war er nach dem Ritterschlag auf das heimatliche Gut zurückgekehrt, pflegte aber nach wie vor guten Kontakt zu den übrigen Rittern des Grafenhofes. Insbesondere mit dem etwa gleichaltrigen Vallbart von Falkenwind verbanden ihn gemeinsame Knappenjahre, und eben diesem Umstand sollte es Rondred nun verdanken, unerwartet höhere Ehren zu erhalten. Immerhin war der Falkenwinder seit gut anderthalb Jahren zum Landvogt von Gräflich Silz bestallt worden, und mit jenen Landen hatte die nunmehr vakante Baronie Leihenbutt eine gemeinsame Grenze; eine helfende Hand ebenso wie Auge und Ohr des Grafenhofes.
»Willkommen, meine Herren«, begrüßte der fürderhin als Seneschall firmierende Coswin die Hinzugetretenen.
Torias von Treuenbrück, der Hauptmann der gräflichen Garde, nickte mitlitärisch knapp, derweil man Ritter Rondred deutlich ansah, nicht so recht zu wissen, aus welchem Grunde seine Anwesenheit gewünscht war. »Die Zwölfe zum Gruße«, entgegnete der Derrelsbacher daher, schluckte die ihm auf der Zunge liegende Frage dann jedoch hinunter.
»So nehmt doch Platz.« Coswin machte eine einladende Handbewegung in Richtung der bereitstehenden Lehnstühle. Als die Angesprochenen sich niedergelassen hatten – nur Meister Allensbacher zog es weiterhin vor, im Beisein der adligen Herrschaften stehen zu bleiben – ergriff Cosin erneut das Wort. »Ich werdet Euch bereits gefragt haben, was Euch die Ehre Eures heutigen Besuches verschafft«, setzte er vielsagend an. »Es gibt da gewisse Umstände, welche es zu behandeln gilt; jene sind hingegen eine Aufgabe, um die ich mich nur schwerlich selber kümmern kann. Aus diesem Grunde habe ich Euch, Hoher Herr Rondred, dazu ausersehen, mir in dieser Angelegeneheit zur Hand zu gehen.«
Der Blick in des Derrelsbachers Augen sprach Bände. »Und in welcher Form, wenn die Frage gestattet sei?« antwortete der Genannnte und zog fragend die linke Augenbraue hoch.
»Ich habe Euch dazu ausersehen, fürderhin ein Lehen zu verwalten« fuhr Coswin fort und genoß die offensichtliche Verwirrung des Ritters ebenso wie den Umstand, dass sich dessen Gesicht leicht ins Rötliche verfärbte. Auch Hauptmann Treuenbrück wirkte überrascht, fing sich aber schnell wieder.
Es dauert schließlich einen Moment, bis sich die Nachricht in Ritter Rondreds Innerem soweit gesetzt hatte, dass er zu antworten imstande war. »Und was verschafft mir die Ehre?« fragte er dann endlich.
»Der Umstand, dass Ihr erstens ohne eigenes Lehen seid, zweitens ob der Bedeutung Eurer Familie auch nur schwerlich anderswo eines erhalten werdet, vielmehr aber aufgrund der Tatsache, dass Ihr dem Grafenhofe ob Eurer hiesigen Knappenschaft eng verbunden seid. Letzteres gepaart mit Eurer Waldsteiner Herkunft und Kenntnis dieser Grafschaft erscheint mir darob ideal, die angedachten Lande im Sinne der Gräfin und der Königin zu verwalten.«
Beim Wort ‚Königin’ schaltete Rondred von Derrelsbach offensichtlich weitaus schneller, denn die zuvor noch anhaltende Röte wich urplötzlich einem fahlen Weiß. »Und welche …Lande …«, fragte er heiser.
Coswin lächelte. »Leihenbutt.« Das Wort kam so beiläufig über die Lippen des Seneschalls, als hätte er dem Ritter einen Becher Wein angeboten. »A… aber … Leihenbutt ist eine BARONIE!« stammelte Rondred von Derrelsbach.
»Sicher ist sie das«, entgegnete Coswin. »Und wie die Umstände es so wollen, ist jene Baronie kürzlich der königlichen Hand anheim gefallen und nunmehr ohne Verwaltung. Aber ebenso wie man sich in Gareth keinen Deut um die Vernachlässigung der Lehenspflichten des früheren Barons gekümmert hat« – den Namen Nimmgalf von Hirschfurten nannte der Seneschall dabei ganz bewusst nicht – »kümmert man sich nun nicht um eine Regelung der dortigen Verhältnisse, um es dorten nicht noch weiter schleifen zu lassen. Bedenkt man also, das nächster Vasall der Krone nun Ihre Hochwohlgeboren die Gräfin ist«, wie so oft gelang es Coswin, der Nennung seiner eigentlichen Vorgesetzen einen sarkastischen Unterton zu verleihen, »in deren Lehnslanden jene Baronie liegt, muss daraus schlußgefolgert werden, dass die Verantwortung für jene Lande darob letztendlich in den gräflichen Händen liegt, solange die Krone nichts gegenteiliges verlauten lässt. Man könnte also sagen, es obliegt von Amts wegen der gräflichen Hand, dorten in Leihenbutt zu vogten.« Coswin legte eine kurze Pause ein und musterte seine Gäste interessiert. Während Treuenbrück bedächtig nickte, schien der Derrelsbacher nach wie vor unschlüssig, ja geradezu verwirrt. »Bekanntermaßen dürfte es der Gräfin kaum gelingen, selbstens in jener Baronie die Amtsgeschäfte zu führen,« – den ihm auf der Zunge liegenden Nachsatz »schließlich schafft sie das ja hier schon nicht« verkniff er sich wie schon so oft – »und ich selber habe hier andere weitaus wichtigere Aufgaben. Folglich wird zur Sicherung der praiosgefälligen Ordnung dorten ein Vogt von der Gräfin Gnaden für Recht und Ordnung sorgen, solange von Seiten der königlichen Kanzlei keine andere Kunde kommt.«
Rondred von Derrelsbach gewann langsam seine Gesichtsfarbe wieder, als er die Stituation nun endlich vollend begriff. Der Seneschall nahm dies zum Anlaß, in seiner Rede fortzufahren. »So versteht mich recht: Es handelt sich lediglich um eine Verwaltungstätigkeit auf Zeit, nicht um eine Belehnung im Rechtssinne der Adelsrolle. Wenn man zu Gareth eine Entscheidung getroffen haben wird, geht ihr dieses Amtes damit verlustig. Bis dahin jedoch habt ihr die einmalige Gelegenheit, Euch zu beweisen und für höhere Aufgaben zu empfehlen.« Coswin legte eine kurze Pause ein und fixierte den Ritter mit seinem Blick. »Habt Ihr das verstanden und fühlt Euch der zugedachten Aufgabe gewachsen?«
Der Derrelsbacher nickte und setzte schließlich ein »Jawohl« hinzu, welches kraftvoll hatte klingen sollen, jedoch recht viel Kraft vermissen ließ, wie Coswin fand. Dennoch winkte er Meister Allensbacher herbei, welcher ihm ein gerolltes Pergament überreichte. Coswin nahm das Schriftstück entgegen, erhob sich aus seinem Lehnstuhl und bedeutete dem zukünftigen Landvogt, es ihm gleichzutun; Treuenbrück war bereits zeitgleich mit dem Seneschall aufgestanden.
»Hier nun ist die Urkunde, die Euch zum gräflich bestallten Landvogt von Leihenbutt bestimmt, bis die Krone in der Frage einer Neubelehnung entschieden hat.« Und das kann meinetwegen gerne lange dauern, dachte er dazu, während er dem Ritter die Urkunde überreichte. Dieser nahm das Papier entgegen, als sei es das Wertvollste, was er jemals berührt hatte.
»Und nun zu Euch, Hauptmann Treuenbrück«, wandte sich Coswin an den Kommandanten der gräflichen Garde. »Ihr werdet den frisch bestallten Landvogt begleiten und ihm in den nächsten Wochen helfend zur Seite stehen. Räumt mit dem Gesindel auf, das ihr dort vorfindet; wenn es sein muß mit harter Hand. Die einem Baron obliegende Gerichtsbarkeit hat der frischgebackene Landvogt. Steht ihm nach Kräften mit Rat und Tat zur Seite. Seht zu, dass Ihr mir hin und wieder Bericht erstattet, wie es um den Landstrich steht. Wenn alles seine Ordnung hat, kehrt mit der Garde hierher zurück. Und danach, mein werter Derrelsbach, liegt es allein an Euch, dafür zu sorgen, dass die Dinge dort nicht wieder ins Arge geraten.«
Coswin reichte den beiden die Hand. »Meine Herren, ich wünsche viel Erfolg.« Treuenbrück salutierte, machte auf dem Absatz kehrt und wandte sich zum gehen; der Derrelsbacher folgte ihm, und auch Allensbacher schloß sich dem Troß an und schloß die Tür zur Amtsstube von außen. Der Seneschall verharrte noch einen Augenblick still dort, wo er gerade stand; dann ging er hinüber zur Anrichte und schenkte sich einen Becher Wein ein. Das nächste Steinchen in seinem Mosaik war gelegt; nun hieß es warten, wie lange es an seinem Platz bleiben und zum Entstehen des Gesamtbildes beitragen würde.