Geschichten:Dreihügeler Familienzusammenführung - Heimkehr: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 10. September 2014, 20:05 Uhr

Heimkehr

Kressenburg, Ende Praios 1036 BF

Rahjamunde hatte ihren Lebtag nicht so viele Bäume gesehen wie in den Tagen, die sie benötigt hatten, um den Reichsforst zu durchqueren. Zumal es ihnen der Wald nicht leicht gemacht hatte. Immer wieder hatten Wulfhart, Leuthardt und Edelbrecht den Weg von umgestürzten Bäumen und wucherndem Getrüpp befreien müssen, damit der Karren mit Rahjamundes Habe die Stellen passieren konnte. Die wenigen Händler, denen sie unterwegs begegnet waren, hatten ihre Waren in Kiepen verstaut und beim Anblick des Gespanns nur mitleidig die Köpfe geschüttelt. Es war wirklich an der Zeit, dass dieser Pfad nachhaltig freigemacht wurde, sonst würde man ihn in einigen Götterläufen wohl gar nicht mehr durchgängig benutzen können.

So aber war Rahjamunde genug Zeit geblieben, um ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen, die durch Wulfharts überraschenden Antrag in völlige Unordnung geraten waren. Bisher hatte sie sich nie ernsthaft Gedanken um einen möglichen Traviabund gemacht, zumal ihre Mutter solange sie gemeinsam in Wandtleth gelebt hatten, keinerlei Ambitionen gehabt hatte sie zu verkuppeln. Im Gegenteil hatte sie Rahjamunde und ihrer Schwester immer volle Freiheit bei der Wahl ihrer Partner versichert, ganz so wie sie es selbst gehalten hatte. Nur die Anfragen in den Briefen ihrer Adoptiv-Großmutter Yadviga waren mit den Jahren häufiger geworden, von eindeutigen Angeboten, sich im Greifenfurter Adel nach einem passenden Gemahl umzutun, bis hin zu konkreten Vorschlägen mit der Aufforderung sich dort vorzustellen. Zu Rahjamundes Erleichterung hatte ihre Mutter derlei Vorstöße immer diplomatisch abgewehrt und ihrer Tochter stattdessen die Lehre bei einem zwergischen Handwerksmeister verschafft.

Nun aber stand die junge Frau unvermittelt vor einer Wahl, die ohne Frage ihr weiteres Leben entscheidend beeinflussen würde. Bisher hatte sie sich nie anders gesehen und gefühlt denn als einfache Bürgerliche. Den Adelszusatz ihres Namens hatte sie wann es ging vermieden, denn er kam ihr anmaßend vor. Im Hause ihres zwergischen Lehrmeisters war er sowieso ohne Bedeutung gewesen. Sie wäre ohne Frage glücklich damit gewesen, den Rest ihres Lebens an einer Werkbank zu verbringen und aus blankem Metall kunstvolle Kleinode zu schaffen. Selbst die Belehnung ihrer Mutter als Junkerin von Dreihügeln vor zwei Götterläufen hatte daran wenig geändert. Zwar hatte Rahjamunde gewusst, dass sie als Erstgeborene nun Anspruch auf ein größeres Erbe hatte, doch war ihr dies während ihrer Ausbildung so unendlich weit weg erschienen. Wenn überhaupt, so war es die Welt ihrer wilden Schwester, die sich schon immer durchzusetzen gewusst hatte. Plötzlich aber war dies alles auf sie eingestürzt. Sie war eine Edeldame, zukünftige Junkerin von Dreihügeln, und was immer sie auch vom Leben gewollt hatte, sie würde zukünftig mehr Verantwortung tragen, als ein Werkstück rechtzeitig fertigzustellen oder ein paar Lehrlinge herumzuscheuchen. Eine Hundertschaft Bauern und Fischer war im Moment ihrer Mutter untertan und Rahjamunde würde eines Tages über sie gebieten. Der Gedanke jagte ihr Schrecken ein, doch war dies eine Aufgabe vor der sie sich kaum würde drücken können.

Nachdem sie sich mit diesen Tatsachen abgefunden hatte, fiel es der jungen Frau viel leichter über alles weitere nachzudenken. Waren ihr Wulfharts Avancen zuerst unerhört und skandalös unstandesgemäß vorgekommen, konnte sie seine Komplimente nun mit ungetrübter Freude genießen. Denn obschon ihr diese Form der Aufmerksamkeit zu Anfang fremd und unangenehm gewesen war, hatte sie sich mit den Tagen doch eingestehen müssen, dass sie eine Saite in ihr zum klingen brachten, der sie bisher keine Beachtung geschenkt hatte. Sein Werben war unaufdringlich gewesen und tatsächlich hatte er sich hernach strikt an ihre Bitte gehalten und den Traviabund nicht wieder zur Sprache gebracht. Trotzdem war der Ritter weiterhin ausgesucht höflich und zuvorkommend gewesen. Er hatte ihr ihren Willen und Freiraum gelassen, zwei Dinge auf die Rahjamunde trotz ihrer Jugend und Unerfahrenheit nicht verzichten mochte, und war ihrer handwerklichen Tätigkeit gegenüber von Anfang an aufgeschlossen gewesen. Zudem gefiel er Rahjamunde ausnehmend gut, ein Umstand, den sie erst bemerkt hatte, nachdem sie sich zugestanden hatte, in solch eine Richtung überhaupt nur zu denken. Natürlich war er mit seinen fast fünfzig Götterläufen mehr als doppelt so alt wie sie selbst und graue Strähnen durchzogen längst das schwarze Haar und den Bart. Dennoch war er von großer kräftiger Statur und zeigte keinerlei Anzeichen von Altersgebrechen. Selbst die vielen kleinen Narben an Händen und Armen und dem restlichen Körper, die er durch ein Leben voller Kämpfe davongetragen hatte, schmälerten nicht die Anziehungskraft, die er auf Rahjamunde ausübte. Der Ritter war ohne Frage erfahren, in allen Lebenslagen, und hatte der jungen Frau ein halbes Leben und fünf Kinder aus erster Ehe voraus. Er war mit sich selbst im Reinen und strahlte Sicherheit aus, Ruhe und Abgeklärtheit in allen Situationen. Nicht zuletzt wusste er auch, wie man ein Lehen zu führen hatte, damit es dem Herrn Praios zum Wohlgefallen gedieh. Für Rahjamunde wirkte er wie ein Fels in der Brandung und sie spürte, dass sie bei Wulfhart stets Halt und Hilfe finden würde, bei allen Prüfungen, die das Leben noch für sie bereit hielt. Als die kleine Reisegruppe schließlich am letzten Tag des Praiosmondes die Stadt Kressenburg erreichte, hatte sie ihre Entscheidung getroffen.

Am Stadttor hießen sie zwei Büttel willkommen. Rahjamunde spähte nach allen Seiten und hielt Ausschau nach den Plätzen, die Wulfhart ihr zuvor beschrieben hatte. Mit glänzenden Augen und freudigem Lächeln besah sie sich jeden Winkel ihrer neuen Heimat, und als sie an der Zwergengasse vorbeifuhren, aus der das Hämmern der Schmiede und der Rauch der Essen sie begrüßte, da wurde der jungen Frau wahrlich warm ums Herz. Fast schien ihr, die Fahrt den Burgberg hinauf würde ewig dauern, und als der Wagen schließlich durch das Burgtor fuhr und im Burghof zum Halt kam, da überkam sie eine unerklärliche Nervosität. Wie bei jedem Halt auf ihrer mehrwöchigen Reise war es Ritter Wulfhart, der ihr die Hand anbot, um ihr vom Kutschbock zu helfen. Zum ersten Mal jedoch ergriff sie sie nun ohne Unbehagen oder gemischte Gefühle. Als sie mit beiden Beinen fest auf dem gepflasterten Hof stand, ihre Knie merkwürdig weich dabei, hielt sie seine Hand mutig fest, als er sich wie immer umwandte, um nach den Pferden zu sehen. Mit fragendem Blick drehte er sich zu ihr um.

"Ritter Wulfhart, jene Worte die Ihr dort des Nachts am Feuer im Reichsforst an mich gerichtet habt? Gelten sie noch immer, hier und jetzt im Schein von Praios' Antlitz?" Vor lauter Aufregung fühlte sich ihr Hals wie zugeschnürt an und sie hatte Mühe die Worte herauszubringen.

"Jedes einzelne von ihnen." Wulfharts Gesicht war ernst und er wappnete sich innerlich gegen die Absage, welche die junge Maid ihm zweifelsohne nach der ihm quälend lang vorgekommenen Bedenkzeit erteilen würde. "Was ich sagte, entsprang meinem Herzen und hat auf ewig Gültigkeit."

Rasch stellte sich Rahjamunde auf die Zehenspitzen und hauchte dem verdutzten Ritter einen Kuss auf die bärtige Wange. "So will ich denn die Eure sein."

Vor Freude darüber, dass sie die Worte deutlich und unfallfrei über ihre bebenden Lippen bekommen hatte, warf Rahjamunde ihm die Arme um die Schultern und drückte sich für einen kurzen Moment an ihn. Fast sofort wurde ihr aber wieder gewahr, wo sie sich befand. Sicherlich war ihr Verhalten ungebührlich, gerade vor den Knechten und Mägden, die den Ritter kannten, und sie wollte Wulfhart auf keinen Fall in Verlegenheit bringen. Also zog sie sich aufs heftigste errötend wieder zurück, nuschelte eine leise Entschuldigung und löste ihre vor Aufregung feuchten Hände aus seinem Griff. Zu ihrer Erleichterung hatte wohl nur Wulfharts Page auf dem Kutschbock diese kleine Szene mitbekommen, denn er schaute besonders auffällig zu seinen Stiefelspitzen und rieb einen Dreckfleck weg, wo keiner war. Sie beeilte sich trotzdem, ans hintere Ende des Wagens zu kommen und zu schauen, ob ihr Gepäck die Reise gut überstanden hatte.