Geschichten:Altes Blut - Neue Fragen: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 14. September 2014, 16:43 Uhr

3. Praios 1037 – Burg Zerbelhelm, Zerbelhufen (Baronie Rallerspfort)

Schwül und schwer stand die Luft über den Feldern. Es schien, als würde alles, was atmete, nach Abkühlung lechzen, doch das Flehen wurde nicht erhört. Doch während sich das Wetter nicht zu ändern schien, wurde Dorian von Zerbelhufen das Gefühl nicht los, dass ein Sturm der gänzlich anderen Sorte das Land heimsuchen sollte. Gedankenverloren ließ Dorian den Blick über die goldgelbe Landschaft schweifen. Unweit von ihm stellten ein Bauer und sein Sohn gerade eine neue Vogelscheuche auf einem besonders dichten Feldabschnitt auf.

„Dinckelhof, wie wird deine Ernte?“ Schützend schirmte der Bauer sein Gesicht gegen die Sonne ab, als er freudig aufblickte.

„Ich meinte eben schon zu meinem Sohn, dass dies ein gutes Jahr wird, das dritte in Folge. ‚Helme‘, habe ich gesagt, ‚wenn’s stimmt, was mein Vater mir immer gepredigt hat, dann heißen drei gute Jahre in Folge einen Krieg.‘“

„Warum?“

„Na, weil’s dem Adel dann zu gut geht!“

Nachdenklich strich Dorian mit seiner Hand über den warmen Hals seines Pferdes; er spürte seinen schweren Atem. „Die Zeiten ändern sich!“, rief er, doch mehr an sich selbst gerichtet als an Dinckelhof. „Heutzutage braucht es mindestens sechs fette Jahre, damit es dem Adel zu gut geht.“ Der Bauer lachte. Als Dorian weiterzog, sah er im Augenwinkel, wie sich der Bauer den Schweiß aus den Augen wischte und mit seiner Arbeit fortfuhr. Dorian beschleunigte den Gang des Pferdes.

Die vergangenen Jahre waren tatsächlich gute gewesen; für ihn, seine Familie und letztlich auch sein Land. Den Rössern, die er heranzüchtete, könnte es besser nicht gehen und er fuhr kräftige Gewinne ein. Nein, es war nicht sein eigenes Land, welches ihm Sorge bereitete, sondern das seines Barons. Dorian wollte Raulbrin nicht fehlendes Geschick an der Waffe unterstellen, doch war die Baronie nach dem Tode Zornbrechts zu plötzlich an Raulbrin gefallen und sein politisches Vorgehen ließ zu wünschen übrig. Man konnte es nennen, wie man wollte: Naivität, „jugendlicher“ Aktivismus gepaart mit fehlendem Sinn fürs Wesentliche, insgesamt eine falsche Vorstellung von dem, was eine Baronie wie Rallerspfort nötig hatte. Es gab nichts zu schönigen. Für Dorian war Raulbrin zurzeit nicht der richtige Mann und überfordert mit der angespannten Lage.

Um sein Pferd zu schonen, trabte Dorian gemächlich den staubigen Feldweg entlang, der zum Stammsitz seiner Familie führte: Burg Zerbelhelm. Man konnte sie weder prachtvoll noch stolz nennen, doch erfüllte sie ihren Zweck. Seit Generationen bot sie den Zerbelhufens ein sicheres Heim und könnte in Zeiten der Not dreimal so viele Menschen schützen, wie in ihr lebten; doch das wichtigste war: er konnte sich ihren Unterhalt leisten. Risse im Stein, vermodertes Holz und bröckelnder Putz waren Gebrechen, die diese Burg noch nie gekannt hatte, ganz im Gegensatz zu anderen Festungen des Landstrichs, die ihren Namen nur der Größe nach verdienten.

Die Namenlosen Tage hatte Dorian in einer eben solchen Festung verbracht. Burg Rotkrähenborn war Stammsitz des Hauses Rallerspfort und sein Onkel Ungolf hatte die undankbare Aufgabe, ihr Kastellan zu sein. Ein junger Mann hätte wohl eingesehen, dass ein Mann die Aufgaben, die diese Festung stellte, nicht allein stemmen konnte, doch hatte das hohe Alter seines Onkels diesen nicht nur gebrechlich gemacht, sondern zu allem Überfluss noch stur, sodass er dieses Amt nicht abgeben wollte. Stattdessen schlurfte er den lieben langen Tag die Treppen hoch und runter und vergaß mehr Aufgaben, als er erledigte. Bis vor einigen Jahren, hatte er nur wenige körperliche Probleme, doch die letzte Zeit hatte ihren Tribut gefordert: Seine Finger waren zwar noch flink, doch gelegentlich zitterten sie stark, wobei er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen. Seine Augen waren noch brauchbar, doch hören konnte er nur mithilfe eines Messingtrichters und auch nur auf dem rechten Ohr. Seine Arme wurden schwach, ebenso seine Beine und er klagte fortwährend über Schmerzen in der Hüfte.

Doch obwohl der Zustand seines Onkels bedenklich war, bekümmerte ihn auf seinem Heimweg das, was dieser zu berichten hatte, als sie eines Abends bei einem Humpen Bier beisammen gesessen hatten. Wie es schien plante Raulbrin, ermutigt durch seine Frau, die den passenden Namen Hesindiane trug, einen Ort einzurichten, um den Kindern von Gemeinen grundlegendes Wissen mitzuteilen. Da Dorians Vater selbst der Hesinde geweiht war, lag ihm dieser Gedanke nicht völlig fern, doch wusste er sehr wohl, dass diese Idee Zunder war für all diejenigen, die sich konservativ und traditionell nannten; besonders in Zeiten, da die Nandus-Kirche, die für gewöhnlich für Ideen wie diese verantwortlich war, nun in Garetien verboten worden war. Dorian wusste, dass es Leute seines Standes gab, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren und für eben diese wäre es eine Beleidigung, die Gemeinen solches zu lehren. In Zeiten wie diesen musste man vorsichtig sein mit solchen Plänen.

Selbstverständlich hatte er seinen Onkel gebeten, mit niemandem mehr über dieses Thema zu sprechen, doch würde sich die Nachricht dennoch weiter verbreiten. Eine Burg hatte eine Menge Ohren, die viel mitbekamen, auch wenn man es nicht wollte, doch weitaus schlimmer waren die vielen Münder, die nichts davon für sich behielten. Er würde sich an Raulbrin wenden müssen, um zu erfahren, ob etwas hinter diesem Gerücht steckte.

So in Gedanken verloren, bemerkte er kaum, dass er sein Heim beinahe erreicht hatte. Die letzten hundert Schritt zum Tor waren lose gepflastert und die Schläge der Hufe seines Pferdes rissen ihn aus den Gedanken. Seine Frau Melisande, eine Magd mit einem Eimer kühlem Wasser, sowie ein Stallbursche standen bereit, ihn zu empfangen. Er stieg ab, überreichte die Zügel dem Burschen und begrüßte seine Frau, bevor er die Kelle aus dem Eimer und einige tiefe Schlucke nahm.

„Sag, was gibt es neues?“, begann seine Frau und hakte sich bei ihm ein, als sie den Hof überquerten.

„Bloß das übliche Klagen von Ungolf und nur wenig Beruhigendes über Raulbrin. Scheinbar plant er eine Schule für die Kinder von Gemeinen einzurichten. Dabei scheint es ihm nicht bewusst zu sein, dass dies der wohl denkbar schlechteste Zeitpunkt ist.“

„Werden die übrigen Edlen das einfach so hinnehmen?“

„Nun, sie können es ihm schlecht verbieten, doch wird es unter ihnen für Unmut sorgen. Pfortenstein pocht bei jeder Gelegenheit auf die alten Werte und wir beide wissen sehr gut, dass dies nicht „Bildung fürs Volk“ beinhaltet. Böckelburg kann gerade so seinen Namen schreiben, auch wenn er das stets abstreitet, und der Schneitzig ist Raulbrin schon lange ein Dorn im Auge für sein, wenn auch zögerliches, Sympathisieren mit dem Grafenhaus.“

„Was planst du nun zu unternehmen, Dorian?“, der Ton seiner Frau wurde besorgter.

„Ich bin mir noch nicht sicher. Aber erzähl du doch einmal: Was hat sich hier ereignet? Ich wollte eigentlich viel früher zurückkehren, doch hatte ich noch einige wichtige Gespräche zu führen und es erschien mir weiser, die Namenlosen Tage bei Ungolf zu verbringen.“

„Ein Fremder war bei uns eingekehrt und wollte dich sprechen. Ich sagte ihm, du seist nicht da und er blieb, in der Hoffnung, du würdest noch kommen. Am letzten der Namenlosen brach er überraschend auf. Er wollte weiter nach Rallerspfort.“

„Wie hieß er?“

„Er nannte sich Haldan Rallersgrunder.“

„Rallersgrunder?“ Dorian blieb stehen. „Kommt mir bekannt vor, scheint aus der Gegend zu sein.“

„Ja. Er hat einen Brief für dich hinterlassen.“

„Ich werde ihn später lesen. Noch etwas?“

„Ja. Er schien sehr interessiert an Gerüchten über Raulbrin und so fort und man sah ihn gelegentlich bei den Mägden.“

„Hat er was erfahren können?“

„Möglicherweise schon.“

„Nun gut. Wir werden sehen, was er geschrieben hat.“

Nach dem Gespräch suchte er die Stallungen auf und erkundigte sich nach dem Zustand der Rösser. Als er sich vergewissert hatte, dass alles in bester Ordnung war, nahm er ein erfrischendes Bad. Den Schmutz der Straße losgeworden, widmete er sich dem Brief. Er betrat sein Arbeitszimmer und fand ihn unversiegelt und bloß gefaltet auf dem Tisch liegend.

An den Junker Dorian von Zerbelhufen, stand auf dem gefalteten Papier. Neugierig entfaltete er den Brief.

An den Junker Dorian von Zerbelhufen,

zunächst möchte ich mich bei Euch für die von Eurer Frau erbrachte Gastfreundschaft bedanken. Ich hoffe, dass es mir möglich sein wird, mich bei Euch zu revanchieren. Es ist ein Jammer, dass Eure vielseitigen Verpflichtungen ein persönliches Kennenlernen verhinderten, doch bin ich mir sicher, dass wir dieses Vergnügen noch haben werden.

Hochachtungsvoll

Haldan Rallersgrunder

Nachdenklich setzte sich Dorian in seinen Stuhl nieder. Der Name war es, der ihn störte. Schon als Melisande ihn genannt hatte, war er ihm bekannt vorgekommen. Klar war die Ähnlichkeit von Rallerspfort und Rallersgrund offensichtlich, aber lieber einmal zu oft nachgefragt als einmal zu wenig. Er würde am morgigen Tag zurück zu seinem Onkel reisen, um mit ihm erneut zu reden. Alles, was Dorian über sein Land und die eigene Familie wusste, hatte er von seinem Vater gelernt. Er hegte die Hoffnung, dass sein Onkel auch das ein oder andere zu erzählen wusste. Mit diesem Plan vor Augen erhob er sich wieder und verließ sein Arbeitszimmer, um einige der Mägde zu befragen. Es interessierte ihn, was Haldan herausgefunden hatte, das ihn dazu gebracht hatte, sein Heim so plötzlich zu verlassen.

Wen könnte er zuerst befragen? Die gutherzige Doranthe wäre spontan seine erste Wahl gewesen, war sie doch stets für alle Bediensteten da und sorgte sich um sie, wie eine Mutter. Sie war es stets, die sich an Dorian wandte, wenn etwas nicht stimmte, doch würde sie niemanden von ihren Schützlingen verpfeifen, wenn es darum ginge, wer ein Geheimnis ausgeplaudert haben könnte. Stallmeister Emmeran bekam auch oft etwas mit, doch hatte seine Frau Mägde erwähnt, was auch Sinn machte, konnte ein junger Mann doch ein Geheimnis leichter aus einer geschwätzigen Frau als aus einem alten Mann herausholen. Dann fiel ihm Selma ein. Die pflichtbewusste Selma. Sie bekam nicht immer alles mit, war sie doch, zu Dorians Zufriedenheit, stets mit ihrer Arbeit und leider zu oft mit der von anderen beschäftigt, aber wenn sie etwas mitbekam, war sie oft so froh darüber, dass sie es gleich weitergab. Sie war außerdem für ihre niedrige Geburt hübsch anzusehen und er wusste, dass viele Männer bei ihr Schlange standen, weshalb sollte es also nicht auch Haldan bei ihr versucht haben? Wie es hieß, hebe sie sich für die Ehe auf, was er, wenn es denn wahr sein sollte, sehr begrüßte, auch wenn es sie natürlich nicht davon abhielt, Gerüchte bei sich zu behalten, wie ein grober Sieb das Wasser. Er würde nicht lange fragen müssen, um zu erfahren, was er wissen musste. Auch wenn sie gegenüber anderen Männern häufig keck und abweisend war, wusste sie Dorian doch stets den nötigen Respekt entgegenzubringen. Er fand sie, wie erwartet, in der Küche vor, wo sie damit beschäftigt war, das Abendessen zuzubereiten. Es schien kalten Braten zu geben, angerichtet mit frischem Krautsalat und Brot vom Morgen.

„Seid gegrüßt, Euer Wohlgeboren.“, begrüßte sie Dorian, sobald sie ihn sah und wischte sich ihre Hände an ihrer Schürze ab. Sie zog die Falten ihres Rockes glatt und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Wie kann ich Euch helfen?“

„Nur eine Kleinigkeit“, begann Dorian, um die Brisanz aus dem Thema zu nehmen, welches er ansprechen wollte. „Meine Frau sagte mir, dass vor einigen Tagen ein Fremder hier eingekehrt war und er gelegentlich mit den Angestellten gesehen wurde. Ich wollte nur sichergehen, dass es sich dabei um nichts Anstößiges gehandelt hatte.“ Er behielt Selma im Auge, während er nach zwei Bechern griff und diese aus einem Krug mit Wasser befüllte und einen davon ihr reichte. Sie schien etwas verunsichert, antwortete aber rasch.

„Er war bloß charmant und erkundigte sich nach Neuigkeiten aus der Gegend. Ich war so frei und erzählte ihm dies und das. Er war so lustig. Als ich ihm erzählte, dass ihr bald wieder zur Zerbelhatz laden werdet, sagte er, dass er sich schon darauf freue mich wiederzusehen, was natürlich Unsinn ist, weil er ja von einfacher Geburt ist und Ihr ihn nicht einladen werdet, auch wenn er stattlich schien und…“

„Ja, in Ordnung.“, unterbrach Dorian, „was hast du ihm noch erzählt?“ Er nahm einen Schluck aus seinem Becher.

„Hm.“ Sie überlegte kurz. „ Ah genau, ich erzählte ihm noch, dass mein Vetter in Rallerspfort mit einem Wirt gewürfelt hat, der behauptet hat, Danos‘ Sohn Drego bedient zu haben.“

„Drego von Luring?“

„Ja, der Sohn des Grafen. Das ist natürlich ebenfalls Unsinn, weil, ich meine, was soll der Sohn des Grafen hier?“ Sie kicherte kurz.

„Noch etwas?“ Dorian wusste nicht recht, was er denken sollte, sagte aber „Danke, das war’s.“ als sie den Kopf schüttelte und verließ die Küche wieder.

Sie mochte recht damit haben, dass diese Geschichte Unsinn war, doch was, wenn nicht? Mochte Drego der Grund für Haldans rasches Aufbrechen gewesen sein? Und wenn ja, warum? Er musste dringend mit seinem Onkel sprechen, um wenigstens zu klären, was es mit dem Namen Rallersgrunder auf sich hatte. Die junge Selma hatte mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet, auch wenn ihr das nicht bewusst war.