Geschichten:Moderne Zeiten - Ein Rat sucht Rat: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 25. Oktober 2015, 16:32 Uhr

Mitwirkende:


Laut hallten die genagelten Stiefel des Stadthauptmanns auf den Marmorfliesen, mit denen das erste Geschoss des Luringer Rathauses ausgekleidet war - Zeichen des Reichtums, den die Spiegel der Stadt beschert hatten; jene Spiegel, die oberhalb des Marmorbodens die Wände zierten und das Licht des einsamen Windlichtes in der Hand des ausschreitenden Hauptmanns hundertfach zurückwarfen und so das Zwielicht erhellten, dass düster das Gewölbe ausfüllte. Hauptmann Blasius Heckner hatte ein Ziel: Die Ratsstube, wo derzeit der Stadtrat tagen dürfte.›Tagen‹ war gut - es war finsterste Nacht, was aber die Notwendigkeit der Zusammenkunft nur unterstrich.

Es war die Nacht vom vierten auf den fünften Praios des Jahres 1034 nach Bosparans Fall. Es war das achtzehnte Jahr, in dem die Stadt reichsfrei war. Hauptmann Heckner war damals nicht dabei, als die Ratsherren die Reichsfreiheit durchsetzten, er war erst später gekommen - schließlich ist bei allen Söldnern des Kontinentes bekannt, dass es nur zwei lohnende Dienstherrn gibt: einen horasischen Adligen auf dem Weg nach oben und eine Stadt im Streit gegen das sie umgebende Land. Gut, Heckner gab zu, dass es diesen Streit nicht gegeben hat, bis zum Ende des vergangenen Jahres, aber er hatte dennoch gut verdient. Und risikolos! Die Stadt hatte sich sogar freikaufen können von der Heerespflicht, als das ganze Reich gegen die Gefahren im Osten stritt! Heckner konnte sich nicht beschweren - er war hier reich geworden, hatte geheiratet, entzückende Kinder bekommen, Speck angesetzt, sich ein haus gekauft. Er hatte keine Lust, das ganze aufs Spiel zu setzen, weil die Damen und Herren im Rat unvernünftig geworden waren. Wirklich nicht.

Er hatte das ganze Geschoss durchmessen und dem Hal seiner Schritte gelauscht. Dann war er an der schweren, doppelflügeligen Tür angelangt, hinter die geschwungene, breite Treppe hinauf in den Ratssaal führte. Heckner drehte sich noch einmal um und sah den leuchtenden Punkt seines Windlichtes in den vielen Spiegeln wie eine Horde von Irrlichtern, die den Wanderer vom sicheren Pfad durch das Moor abbringen wollten. Entschlossen stieß er die Tür auf und erklomm die von vielen Lampen erleuchtete Treppe. Zwei Wachen grüßten ihren Vorgesetzten; sie waren auf dem Weg nach unten,. wo sich eine große Menge von Bürgern vor dem Rathaus versammelt hatte. Ihretwegen war Heckner durch das Spiegelmuseum gekommen - er hatte keine Lust, aufgeregte Bürger zu beruhigen, wenn das überhaupt möglich war.

Der Ratssaal war vergleichsweise voll, aber die Stimmung dort genauso erregt wie vor dem Rathaus. Der Reichsvogt stand hinter dem Rednerpult und hielt die Hände beschwörend erhoben. Was auch immer er aber beschwören wollte, trat nicht ein - weder Ruhe noch Einigkeit (oder was man sonst noch beschwören kann).

»Wir sind reichsfrei, verdammt noch mal!«, schrie auf das höchste erregt die Stadträtin hat Austernthal. »Die Kaiserin das akzeptiert! Wir müssen ihren Schutz einfordern!«

Heckner kümmerte sich nicht um ihr Geschrei, sondern umrundete den Saal hinter der letzten Bankreihe, um in die Nähe des Reichsvogtes zu gelangen. Er stolperte beinahe über Joswyn Knuppler, den Bordellwirt Lurings, der sich wieder einmal Zutritt zum Rat verschafft hatte und nun über eien Lehne gelehnt dem Geschehn zusah.

»Knuppler, was wollt Ihr hier?«

»Ich bin ein interessierter Bürger, Heckner. Ich will mich informieren. das ist mein gutes Recht.«

»Recht oder nicht, heute ist kein guter Zeitpunkt.« Heckner schob sich an Knuppler vorbei, ließ ihn aber, während jener noch sagte: »Heute ist vielleicht die letzte Gelegenheit, bevor Graf Danos die Schreihälse aufhängt - alle miteinander! Hähähä!«

›Das hättest du wohl gerne‹, dachte Heckner grimig und nahm sich,bei Gelegenheit mal mit ein paar seiner Jungs das ›Knuppler‹ aufzumischen.

»Die Reichsfreiheit bringt uns nicht, gar nichts! Glaubt Ihr, die Kaiserin kommt, um sich mit Graf Danos anzulegen?« Es war Reto von Kesselstein, der diese berechtigte Frage stellte. Er hatte sich von seiner Tochter Anslieb begleiten lassen, die beschwichtigend an ihrem Vater zerrte, der nun auch einen hochroten Kopf bekam. »Das ist außerdem schlecht fürs Geschäft, seht das doch ein! Danos kann uns einfach einsperren - und dann ist’s Essig mit der Freiheit und dem Wohlstand!«

»Euch geht es nur um Profit, Speckwanst!«, gab die Zunftmeisterin der Spiegelmacher mit ihrem unvermuteten Bass zurück. »Uns geht es ums Recht: Reichsfrei ist reichsfrei!, brummte sie rauchig und strich sich eine rot gefärbte Strähne aus dem Gesicht.

Schuckebier, der Brauermeister, durchbrach das Stimmengewiir mit seinem dröhnenden Lachen. Er hatte die Hände über seinem gigantischen Wanst gefaltet und wurde von einem gewaltigen Lachanfall geschüttelt: »Reichfrei bleibt reichsfrei - und Blaukraut bleibt Blaukraut!«

»Ja, Ihr könnt frei lachen, Schuckebier, gesoffen wird immer!« ereiferte sich Austernthal erneut. »Aber wenn keine Reisenden kommen, dann kann ich mein Haus dicht machen!«

»Ruhe jetzt!«, durchbrach des Reichsvogtes Ärger nun das Gerede, woraufhin wirklich Ruhe einkehrte. »Wir brauchen kein Geschwätz, sondern Lösungen!« Egilmar Berdis unterbrach sich und wischte sich Schweiß von der Stirn. Diese Pause nutzte Bauer Zwölfhufer für seinen Kommentar: »... dann sollte man nicht im Stadtrat verhandeln ...« Egilmar Berdis warf ihm einen bösen Blick zu und setzte dann fort: »Wir müssen aus dem Dilemma herauskommen.«

»Vielleicht kann man mit Graf Danos reden?« schlug Angrethe Londricht vor.

»Der lässt sich abschirmen von seinen Kettenhunden«, gab Kesselstein zu bedenken, »den Grafen hätte man bestimmt um Frist bitten können, aber diese Hunde nicht.«

»Was dann? Sollen wir klein beigeben?«, fragte Austernthal, wieder mit leicht erhobener Stimme.

»Natürlich nicht«, tönte erstmals Sigbert Berdis‘ klangvolle Stimme. »Der Graf will Streit, also soll er ihn bekommen.«

»Aber wie? Heckner, habt Ihr die Bürger an ihre Pflicht erinnert und das Arsenal geöffnet.«

Heckner zuckte zusammen. Er hatte nicht damit gerechnet angesprochen zu werden. »Ja, Herr Berdis, das Arsenal ist geöffnet. Aber es kommen nur wenige Bürger, um sich zu bewaffnen. Auf der Mauer klaffen große Lücken, weil die Leute nicht zum Mauerdienst erschienen sind.«

»Wie kann das sein!«, schrillte Austernthal. »Wir stehen vor der größten Bedrohung, seit der Schwarzpelz hier vorbeizog!«

Bauer Zwölfhufer gab die Antwort: »Weil sie den Grafen lieben. Mehr lieben als diesen Rat, allerwerteste Frau Stadträtin. Kann man es ihnen verdenken?«

»Aber dieser Rat ist der Garant ihrer Freiheit!«, schrillte Austernthaler zurück.

»Ach ja?« Baur Zwölfhuber hob eine Augenbraue. »Ich höre hier nichts, was diese Behauptung rechtfertigt. Dieser Rat garantiert nichts. Gar nichts.«

Wieder war es Sigbert Berdis, dessen weißer Schopf und Bart im Schein der vielen Lampen wie Gold schimmerte, der die Antwort gab: »Ihr habt Recht, Zwölfhuber, wie Ihr meistens recht habt, wenn Ihr etwas sagt. Dieser Rat allein kann nichts garantieren. Die Stadt Luring hat viel zu wenige Männer in Waffen und noch viel weniger, die gegen diesen Gegner die Waffen erheben würden. Wir sind auf eine Belagerung so wenig eingestellt wie auf eine Fehde. Wir sind alle von Graf Danos überrascht worden. Wir können auch nicht auf den Reichsstädtebund hoffen, weil das ein Löwe ohne Zähne und Klauen ist. Wir stehen ganz allein und haben nur zwei Dinge zu unserer Verteidigung.«

Der Rat war ganz verstummt und alle lauschten den Ausführung des alten Sigbert, der seinen Sohn vor vielen Jahren zum Reichsvogt der Stadt gemacht hatte. Alle warteten auf die Lösung.

»Diese beiden Dinge sind unser Recht auf die Freiheit, erstens. Wir sind im Recht, der Graf ist im Unrecht. Darauf können und werden wir uns immer berufen, egal was kommen wird. Und das zweite ist: Wir haben Geld. Und mit Geld kann man sich sein Recht auch erkaufen.«

»Was meint Ihr damit?«, fragte Kesselstein argwöhnisch nach; er mochte es nicht, wenn über sein Geld entschieden wurde.

»Ganz einfach. Wenn der Graf in fünf Tagen seine Verbündeten hier auf dem Erlgardsfeld versammelt, dann muss er mit unseren Verbündeten rechnen.«

»Wir haben keine Verbündeten, das ist doch das ...«, doch Sigbert Berdis unterbrach seinen Sohn: »Doch, wir kaufen ihn uns. Ich habe heute einen Boten zur ›Goldenen Lanze‹ geschickt. Mit der kann es der Graf nicht aufnehmen.

»Mögen die Zwölf Euch verzeichen!«, entfuhr es dem greisen Manegold von Halmenwerth, der ehernhalber an den Stadtratssitzungen teilnahm.

Die anderen aber schwiegen mit schreckgeweiteten Augen und Mündern.