Geschichten:Im Sturm - Weiterreise: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 12. Februar 2016, 15:06 Uhr

Festung Feidewald, Gemach Taniras, kurz vor Mittag


Tanira packte ihre Satteltaschen langsam und ließ die letzten Stunden vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Hoffentlich würde sich dieser Lehnseid später nicht als Fehler erweisen. Dieser Quintian-Quandt hatte den Eid nach ihrem Geschmack zu sehr verändert. Sie hoffte, dass ihre Erwiderungen darauf vor einem Gericht Bestand haben würden, sollte sie sich je dem Problem gegenüber sehen, dass Geismar von ihr Truppen für seine privaten Zwecke einforderte. Doch dann erinnerte sie sich an die Wirkung ihrer Ankündigung und dass sich die Lippen Hadrumirs doch überraschend gut angefühlt hatten. Bei dem Gedanken musste sie unwillkürlich lächeln. Dann erinnerte sie sich an das bleiche Gesicht des Mannes, der ebenfalls das Wappen der Schwingenfelser getragen hatte. Sie nahm sich vor, Hadrumir zu fragen, wer dies gewesen sei. Dann klopfte einer der Männer Hadrumirs an der Türe, um ihr zu melden, dass die Pferde bereit seien. Sie übergab ihm die Satteltaschen und folgte ihm hinunter in den Hof. Dort nickte sie allen kurz zu, lächelte Hadrumir fast scheu an – und bestieg dann ihr Pferd.

Hadrumir drängte ebenso wie sie selbst auf einen raschen Aufbruch und eine eilige Reise. Man wollte Orbetreu noch am Abend erreichen.


Weg Feidewald-Orbetreu, ein halbes Stundenglas vor Orbetreu


Kurz nach dem Aufbruch hatte ein beständiger, kalter Herbstregen eingesetzt. Die Reiter hatten sich in ihre Mäntel gehüllt und die Pferde zur Eile angetrieben. Seit die Dämmerung hereingebrochen war, war das Tempo wieder etwas gesunken. Tanira hatte schon seit längerer Zeit ihr Pferd einfach im Pulk der anderen mitlaufen lassen und sich nur darauf konzentriert, im Sattel zu bleiben.

Hadrumir führte den Trupp forsch an, als er plötzlich von hinten einen Ruf hörte. Hauptmann Raul Zornbold ließ den lauten Befehl zum Halten ertönen. Als sich Hadrumir unwillig im Sattel herumdrehte, erkannte er im Dunkel, wie ein reiterloses Pferd an ihm vorbeilief. Geistesgegenwärtig griff er nach den herabhängenden Zügeln des Tieres und hielt es hart an. Es war das Reittier seiner Zukünftigen.

Eilig schwang er sich von seinem Pferd und warf die Zügel der beiden Tiere einem seiner Männer zu. Dann lief er zu Raul, der nun ebenfalls am Boden war und sich gerade neben einem dunklen Häufchen am Boden niederkniete. Vorsichtig drehte er Tanira herum, als sich Hadrumir neben ihm auf die Knie warf. „Ich sah sie nur kurz schwanken, da war sie schon gestürzt. Nichts hat darauf hingedeutet, dass es ihr nicht gut ging.“ erklärte er ruhig, während Hadrumir begann, die Frau zu untersuchen. Taniras Gesicht war bleich und vom Regen benetzt. Sie hatte die Augen geschlossen und schien bewusstlos, atmete aber kräftig. Als Hadrumir die Handschuhe ausgezogen hatte und die Hand auf ihre Stirn legte, fühlte er merkliche Wärme. „Sie hat hohes Fieber.“ Einer inneren Eingebung folgend schlug er Taniras Mantel zurück – und wirklich an ihrer Seite war der Wappenrock statt blau dunkel verfärbt. „Die Wunde ist wieder aufgebrochen. Hol Verbandszeug, wir müssen die Blutung stoppen und sie dann schnellstmöglich ins Trockene schaffen!“ Raul hielt sich nicht lange mit einem Nicken auf, sondern gab den Befehl Hadrumirs weiter – einer der Männer reichte schon das Gewünschte vom Pferd herunter.

Hadrumir griff unterdessen nach dem Dolch und zerschnitt den Wappenrock, das Hemd und den durchnässten Verband darunter. „Schafft Licht näher!“ Unangenehmer Geruch stieg den Männern in die Nase. Einer der Reiter, die seit einer Stunde mit Fackeln den Weg erhellten, trat hinzu und leuchtete Hadrumir. Hadrumir fluchte laut auf, als er im Fackelschein die Ränder der Wunde, welche sich dunkel von Taniras blasser Haut abhoben, sah. „Verdammt – welcher Pfuscher war hier am Werk!“ zischte er. Kurz blickte er Zornbold an, der die Wunde auch musterte. „Hier können wir nicht viel für sie tun, Hadrumir. Wir müssen nach Orbetreu!“ Hadrumir nickte und begann eine frische Bandage um Taniras Taille zu winden, die das langsam sickernde Wundsekret auffangen sollte. Als er damit fertig war, stand er auf und bedeutete Raul, Tanira aufzuheben. „Reich sie mir aufs Pferd“ wies er ihn an, während er die Handschuhe schon wieder anzog und auf sein Tier stieg. Dort nahm er sie an, sicherte sie mit festem Griff an seiner Brust und ritt sofort los, ohne auf seine Männer zu warten. ‚Verdammt, Kleines, warum hast du nicht eher gesagt, wie es um dich steht. Stirb mir jetzt bloß nicht – das könnt ich dir nicht verzeihen.’ Er spornte sein Tier zum Äußersten an, mehr als einmal rutschte es und drohte zu stürzen – doch das treue Ross konnte sich immer wieder fangen und alsbald donnerten die Hufe den Berg zur Burg hinauf.

Im Burghof parierte Hadrumir das Pferd zum Stehen. Sofort sprangen einige seiner Leute herbei. Hadrumir überreichte die Kleine an Voltan von Schwingenfels, den Burgkommandanten. „Holt sofort seine Gna…“ Mitten im Satz wurde Hadrumir klar, dass Seine Gnaden Perainian von Schwingenfels, der Perainegeweihte im Dorf, entführt worden war. Lediglich eine junge Novizin betreute noch den Peraineschrein. ’Die wird ausreichen müssen!’ dachte er bei sich. „Holt sofort die Magd der Göttin Ginaya aus dem Dorf!“ gab er als Befehl an zwei Männer aus, als er vom Pferd stieg. „Und holt mir Alena! Und beeilt Euch!“ Mit Tanira auf den Armen betrat er den Palas. Die Diener öffneten ihm beflissentlich die Türen. „Bringt heißes Wasser und Verbandszeug her!“ Nach endlos erscheinendem Treppensteigen hatte Hadrumir sein Gemach erreicht. Wie er erhofft hatte, knisterte im Kamin ein schönes Feuer. Er legte Tanira auf das große Bett und bemerkte leicht zynisch: „Ich täte dies ja lieber zu einem anderen Zweck!“ Damit fing er an, ihr die nassen Kleider auszuziehen. Die Magd Alena stürmte herein. „Helft mir! Sie hat eine schwere Wunde!“ Mit geübten Händen half sie ihm die Kleider zu entfernen. Hadrumir wandte sich an sie. „Weißt Du, was mit der Novizin aus dem Dorf ist?“ „Die Männer sind losgeritten.“ „Das geht viel zu langsam! Ich bin Dir sowieso keine Hilfe. Ich werde sehen, wo die Männer bleiben.“