Geschichten:Im Sturm - Zu „Gast“ auf Orbetreu: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 12. Februar 2016, 15:28 Uhr
Burg Orbetreu, Nachmittag, 1. Travia 1030 BF
Laut klapperten die Eisen der Pferde über den gepflasterten Bereich des Hofes – Befehle hallten halblaut über den Hof. Hadrumir stieg ab und hob die Natzungerin vom Pferd – dann schubste er sie einem Soldaten, der auf ihn zukam, zu: „Schaff sie in den Turm! Und sorg dafür, dass sie etwas zum Umziehen bekommt!“ Er selbst wandte sich dem Herrenhaus zu und überließ die Geisel seinem Gefolge.
Der Soldat musterte Tanira kurz – dann griff er an ihre Schulter und dirigierte sie vor sich her – auf den Turm zu und über die Stufen bis nach oben. Mehrmals drohte sie zu stürzen, wurde aber immer von starker Hand auf den Beinen gehalten. Nach einiger Zeit erreichten sie eine karge Kammer, in der nur Strohsack, Eimer und Wasserkrug auf sie warteten. Entkräftet sank sie auf den Strohsack, während der Soldat ihr aus einer Nebenkammer noch zwei Decken holte. Als sie allein war quälte sie sich aus dem Kettenhemd und ließ es einfach auf dem Boden liegen. Dann erneuerte sie den Kühlverband an ihrem Kopf und blickte sich in der Kammer um. Durch die hohen, schmalen Fensteröffnungen pfiff der Wind und ließ sie frösteln.
Während der letzen Jahre in der Armee hatte sie schon schlechter genächtigt, aber was sollte dies? Sorgenvoll legte sie sich auf den Strohsack nieder und hing ihren Gedanken nach. Bald schlief sie erschöpft ein.
Burg Orbetreu, der Morgen des 2. Travia 1030 BF
Anselm von Quintian-Quandt konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. „Ich wusste, dass Ihr nicht lange fackeln würdet, das ist nicht Euer Stil. Aber ich hoffe doch sehr, dass es Eurem Gast an nichts gebricht?“
„Haltet Ihr mich für einen Dummkopf?“
Anselms Grinsen wurde breiter. „Ich nicht, aber mein hochgeschätzter Herr Onkel wohl.“
„Ich sage Euch besser nicht, was ich von ihm halte. Hat er Euch als meinen Aufpasser geschickt? Dann könnt Ihr direkt die Zelle unter ihr belegen. Die ist noch frei.“
„Nein, ich bin gekommen, bevor er dazu kommt. Ich lasse mich nicht gern herumscheuchen. Ich wollte lieber vor Ort sein, wenn hier die Wellen höher schlagen. Habt Ihr Euch schon überlegt, was Ihr mit Eurem Gast zu tun gedenkt?“
„Ja, aber dadurch wird die Situation in Natzungen nicht einfacher. Der Grützer wird die Travia-Feierlichkeiten abwarten und dann auf Natzungen marschieren. Das heißt, wir haben nicht viel Zeit.“
„Nun“, antwortete Anselm, „ich denke, ich sollte selber einmal ein paar Worte mit der Dame wechseln. Vielleicht kommen mir dann ein paar Ideen, die uns weiterhelfen.“
Hadrumir lächelte: „Den Weg kennt Ihr ja. Ihr lasst Euch ja nicht gern herumscheuchen, also verkneife ich mir die Frage, was Ihr hier noch macht.“
Tanira, saß auf ihrem Strohsack, den Wappenrock hatte sie zwischen sich und die Wand gelegt.
„Nett habt Ihr es hier" sprach Anselm, als er die karge Turmkammer betrat.
Tanira blickte auf und musterte den ihr unbekannten Mann aufmerksam. „Ach nein" meinte sie sarkastisch, „und wer seid Ihr?"
„Oh verzeiht, wie unhöflich von mir: Anselm von Quintian-Quandt, Baron zu Hutt", antwortete der edel gekleidete unter einer galanten Verbeugung.
Tanira zog die Decke etwas enger um sich und blickte ihn sinnend an. Sie überlegte, ob sie aufstehen sollte, entschied sich aber erstmal dagegen. „Ach sieh an - zumindest mal ein Mann von gleichem Stand. Seid ihr auch hier, um mich zu einer Verzichtserklärung zu zwingen?"
„Aber, aber. Ich bin hier, um mit Euch zu reden. Mir scheint die Lage etwas verworren."
Tanira lachte kurz sarkastisch.
„Wir alle haben Interesse daran, dies ein wenig zu vereinfachen", fuhr Anselm fort.
„Verworren?" antwortete sie kalt, „nach Aussage Eures Kettenhundes ist sie doch ganz einfach: Ihr wartet ab, bis der Grützer und meine Leute sich gegenseitig aufgerieben haben - und er nimmt sich dann die Reste."
„Ja, der gute Hadrumir. Der Mann hat seine Qualitäten, aber Feingefühl gehört nicht dazu."
„Was bringt ein starker Arm, dem der Kopf fehlt?" warf Tanira ein und setzte leise für sich hinzu ’ebenso wenig wie ein Kopf, dem der starke Arm fehlt.’
Unbeirrt sprach Anselm weiter: „Aber eigentlich solltet Ihr ihm dankbar sein. Er hat Euch immerhin vor dem sicheren Tode bewahrt."
Etwas irritiert sah Tanira auf: „Welchem sicheren Tod?"
„Meint Ihr, Bodebert hätte Euch am Leben gelassen, wenn er Eure kläglichen paar Truppen aufgerieben hätte? Warum sollte er? Euer Anspruch auf Natzungen ist stärker als seiner und das weiß er."
Tanira lachte bitter. „Dass er meine Truppen aufgerieben hätte, ist noch gar nicht so sicher. Das Volk von Natzungen hat uns schon immer geliebt."
„Das Volk? Das Volk folgt dem, der es beschützt. Und das könnt Ihr nicht", fiel Anselm ein.
„Und ich bin sicher, wäre ich gestern und heute in Natzungen – hätte die Kampfstärke meiner Truppen sehr zugenommen, zumal sich der Grützer nicht aus dem Land wird nähren können und die letzten Jahre haben mir gezeigt, dass dies ein Punkt ist, der nicht zu unterschätzen ist."
„Er hat es ja nicht so weit für seinen Nachschub, das würde zumindest so lange reichen, bis Ihr vernichtet seid", wandte Anselm ein. „Macht Euch nichts vor."
Tanira war klar, dass er Recht hatte. Aber einfach nachzugeben ließ ihr Stolz nicht zu. Seufzend fragte sie: „Und was ist nun Euer Begehr? Warum habt Ihr Euren Kettenhund mit seinen Kämpfern geschickt?"
Anselm lächelte. „Ich denke, dass Eure und unsere Interessen durchaus in Deckung zu bringen sind."
Tanira hob eine Augenbraue: „Die momentanen Umstände lassen mich das eher weniger annehmen." Ihr Blick glitt bezeichnend durch das Turmverlies.
„Ihr wollt das Erbe Eurer Base wahren und ihre Arbeit als Baronin fortsetzen."
„Und ich will das Beste für das Volk von Natzungen", ergänzte Tanira.
„Nichts anderes will auch der Graf. Immerhin ist das Volk Natzungens Teil des Volkes von Hartsteen."
„Meine Base hatte vollkommen Recht, Natzungen aus Eurem Streit herauszuhalten."
„Das mag richtig gewesen sein, solange es ging. Doch die Zeiten ändern sich."
Tanira nickte nur - entschied sich nun doch, langsam aufzustehen. Ihr feuchter Kopfverband tropfte ein wenig, als sie sich schwankend erhob.
„Bleibt ruhig sitzen. Ihr werdet Eure Kräfte brauchen."
„Mir tut der Rücken weh - ich kann nicht mehr sitzen. Die Mauern sind etwas unbequem."
„Ich werde gleich nach einer Zofe schicken, die Eure Lage so bequem wie möglich gestalten soll", bot Anselm an.
„Bleibt mir mit Zofen vom Hals - ich war 6 Jahre im Feld", antwortete Tanira unwirsch. Lächelnd erwiderte Anselm: „Dann vielleicht einen Knappen?"
„Ich will hier raus!"
Sanft antwortete Anselm: „Und ich will Euch hier rausbringen!"
„Was denkt sich dieser Junker eigentlich, mich, immerhin eine Adlige, in einem solchen", sie suchte nach Worten, „Gelass unterzubringen?"
„Ihr wart bei der Armee, das macht Euch etwas gefährlicher als den letzten Gast, der hier weilte."
Tanira lachte rau. „Ich hoffe ihm tut der Wanst durch meinen Streich gehörig weh."
„Nehmt Eure Unterbringung also ruhig als Kompliment", gab Anselm zurück.
Tanira trat an eine der Fensterscharten und blickte über das Land. „Ihr wollt mich also hier herausbringen" kam sie auf das Thema zurück.
„Ich hörte, Ihr seid unvermählt?" antwortete er unvermittelt.
Tanira drehte sich um. „Ja", antwortete sie vorsichtig.
Anselm nickte erleichtert. „Ich hatte schon befürchtet, dass meine Informationen veraltet seien."
„Ich habe allerdings nicht vor, mich wie eine Zuchtstute verkuppeln zu lassen", stellte Tanira klar.
„Wisst Ihr, ich hatte schon erwogen, selbst um Eure Hand anzuhalten."
Tanira hustete kurz: „Ihr seit nicht der starke Arm, den Natzungen braucht."
„In der Tat. Hutt und Natzungen liegen zu weit auseinander, ich fürchte, ich wäre Euch nicht von so viel Nutzen, wie jener Mann, den ich für Euch im Auge habe."
„Lasst mich raten - ein treuer Gefolgsmann der Quintian-Quandts?"
„Ich gebe zu, Ihr habt ihn nicht unter den besten Umständen kennen gelernt, aber wie ich schon sagte: er hat seine Qualitäten", fuhr Anselm fast leutselig fort.
Tanira musterte ihn länger, bevor sie erwiderte: „Das ist nicht Euer Ernst!?"
„Doch, durchaus. Es würde Eure Probleme mit einem Schlag lösen: Ihr hättet genug Truppen, um Bodebert von Windischgrütz davonzujagen."
„Ich soll einen Mann ehelichen, der mich hinterrücks niederschlagen ließ?"
„Es sind raue Zeiten, da kann eine Brautwerbung schon mal etwas ungewöhnlicher verlaufen."
„Ein Mann, der wohl nichts anderes im Sinne hätte, als mich schnellstmöglich zu schwängern und dann später hinterrücks zu ermorden!"
„Das wird er nicht können. Ihr seid es, die den Anspruch auf Natzungen trägt, nicht er."
„Wenn ein Erbe da ist, kann er als Legat eintreten, solang das Kind nicht alt genug ist."
„Außerdem wäre das nicht seine Art. Nein, wenn er Euch zur Frau nimmt, habt Ihr diesbezüglich nichts von ihm zu befürchten", stellte Anselm klar.
Taniras Blick zeigte, dass sie nicht überzeugt war. „Und was meint er zu dem Thema?"
„Noch habe ich nicht mit ihm gesprochen. Aber ich denke, ich kenne den Punkt, an dem ich ihn packen kann."
Tanira holte tief Luft. „Und was hättet ihr davon?", wollte sie wissen.
Lächelnd erwiderte Anselm: „Man braucht immer Verbündete, gerade in diesen Zeiten!"
„Lehensleute?" Tanira beobachtete ihn genauestens.
Anselm schien amüsiert: „Für mich? Nein, so vermessen bin ich nicht. Ich habe noch nicht einmal den Überblick darüber, an wievielter Stelle ich in der Erbfolge für die Grafenwürde stünde!"
„Ich rede von Eurem Haus, nicht von Euch persönlich"
„So herum, selbstverständlich."
Tanira seufzte schwer. „Nun ja – das Haus Hartsteen zeigt ja offensichtlich, dass es nicht bereit ist, die Neutralität zu akzeptieren und eine Entscheidung des Reichsgerichts abzuwarten."
„So gut ich Euren Wunsch verstehen kann, Natzungen aus dieser Fehde herauszuhalten: Diese Zeit ist vorbei", unterbrach er sie.
Tanira fuhr unbeirrt fort. „Vielleicht aus Angst, dass die Entscheidung gegen die Hartsteens ausfällt?"
Anselm nickte. „Was denkt Ihr? Geismar ist das älteste Kind Thuronias, Boron hab sie selig. Wer, wenn nicht er, sollte rechtmäßiger Graf sein?"
Tanira nickte. Zu lange hatte sie in der Armee gedient, um die genauen Hintergründe dieses Konfliktes zu kennen. „Darf ich Euch um einige Informationen bitten?"
„Gewiss!"
„Der letzte offizielle Graf, der dem Kaiserhaus die Lehnstreue für die Grafschaft Hartsteen schwor, war ein Quintian-Quant?"
„Genau. Thuronia von Quintian-Quandt war allgemein anerkannt."
Tanira nickte kurz. Anselm ergänzte: „Woher Luidor seine Ansprüche zusammenklaubt, ist hahnebüchen."
Tanira war noch ein weiterer Punkt wichtig: „Und das Haus Quintian-Quandt entsandte Hilfstruppen gegen die Horden des Ostens? Das Haus Hartsteen dagegen nicht?"
„Genau, während, die Hartsteens ihre Leute zu Hause ließen."
Tanira verzog verärgert die Stirn. „Ihr müsst wissen, ich bin mit ganzem Herzen für das Reich eingenommen. Ich focht an Rohajas Seite in der Schlacht der drei Kaiser."
„Das Reich liegt uns allen am Herzen. Auch mir, immerhin stamme ich selbst ursprünglich aus dem Beilunkschen."
Tanira seufzte erneut. „Wo ist seine Hochwohlgeboren Geismar zur Zeit?"
„Er ist auf der Festung Feidewald."
„Und seine Hochwohlgeboren würde meinen Anspruch auf Natzungen unterstützen? Aber er hätte keine Truppen für mich?"
„Er würde Euch die Orbetreuer Schwingen senden."
Diese Aussage entlockte Tanira ein weiteres Seufzen.
„Und dazu vielleicht noch einige weitere. Die Grafschaft ist groß und die Feinde zahlreich", ergänzte Anselm.
„Und dafür fordert Ihr Lehnseid und meine Hand für den Schwingenfelser?"
„Den Lehnseid auf jeden Fall. Die Hand für den Schwingenfelser ist nicht seine Forderung, sondern eine Möglichkeit, Euch die Treue der Schwingenfelser Truppen zu sichern."
Tanira atmete etwas schwerer aus - und versank kurz in Nachdenken. „Er scheint ein sehr stolzer Mann zu sein - warum sollte er sich einfach so verkuppeln lassen - auch wenn er durch diese Verbindung enorm aufsteigen würde?"
„Genau das ist der Punkt."
„Er trägt sein Wappen mit sehr viel Stolz. Seid Ihr sicher, dass er bereit ist, es aufzugeben?"
„Das wird sich schon finden. Schwäne haben schließlich auch Schwingen."
Tanira lachte. „Nur weniger männliche als die der Adler."
„Würde dem Haus Quintian-Quandt ein vorläufiger schriftlicher Lehnseid genüge tun? Ich will so schnell wie möglich nach Natzungen zurück."
„Ich denke, unter diesen besonderen Umständen sollte das reichen, ja."
Tanira nickte. „Dann sprecht mit dem Schwingenfelser - und teilt ihm meine Bedingungen mit: er wird den Namen von Natzungen-Schwingenfels annehmen müssen, und man wird sich über ein neues Wappenschild zu einigen haben - das hat aber noch Zeit. Außerdem bestehe ich auf dem Schluss eines Bundes unter den Augen der Rondrakirche und auf Freilassung innerhalb der nächsten Stunden."
Anselm wusste, dass er hier am Ziel war. „Ich werde sehen, was ich machen kann."
Tanira blickte Anselm fest an: „Eilt euch - Natzungen fällt sonst - in die Hand eines Eurer Feinde!"
„Ich weiß!"
„Lasst mir Schreibzeug bringen - oder besser einen Schreiber - mir sind die Finger zu kalt."
Anselm nickte und wandte sich zum gehen. „Mit dem größten Vergnügen!"
„Das kann ich mir vorstellen. Ach, und sagt diesem Klotz - wenn er mir wieder unter die Augen tritt - sollte er dies mit dem nötigen Respekt tun!" rief sie ihm noch hinterher, doch Anselm hatte die Tür bereits geschlossen und gab der Wache den Befehl, einen Schreiber für die Baronin von Natzungen zu holen.
Tanira hüllte sich wieder in ihre Decke und ließ sich auf dem Strohsack nieder. Nachdenklich blickte sie auf den Siegelring an ihrer Hand und schloss die Augen. „Aldare, verzeih mir - es geht nicht anders.“
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