Geschichten:Befreite Seele: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 15. Februar 2016, 13:17 Uhr
Zillinger Tal, Ingerimm 1036 BF
»Friede mit Dir, Herr der Waisen«, grüßte Haydar iban Tscharik, Shâhr der Bân Thoroâll von den Shai’Aian und erhob seine rechte Hand, die mit Ockermustern reich verziert war, »Geister der Ahnen sagen willkommen. Sind Brüder von deinem Vater.«
»Friede sei mit Dir«, antwortete Bendan von Zillingen, und seine Begleiter taten es ihm gleich. Eine ganze Schar war mit ihm den Kamm hinaufgestiegen, sein Bruder, seine drei Kinder und seine Nichte. Eben jene brachte ihrem Onkel nun das Gastgeschenk: einen Ballen feinen Tuches, Nadeln, Bindfäden, eine gute Schere, Wetzsteine und stählerne Klingen. Dinge, die man im Wall gut gebrauchen konnte, wenn man eine Sippe von Halbwilden war, die nicht nur den Sommer auf den Hochwiesen verbrachte, sondern auch den sturmverseuchten Herbst und den mörderischen Winter.
»Im Namen meiner Sippen - den Zillingern vom Zillinger Tal - übergebe ich Dir unsere Gaben, auf dass sie den Euren frommen mögen und Eure Kinder und Frauen erfreue. Mögen die Geister Eurer Ahnen uns gewogen sein.« Ailinde übergab bei diesen Worten ihres Onkels die Geschenke an den wartenden Sohn des Shâhrs, der bereits vier Narben auf der Stirn trug für vier getötete Feinde, obwohl er kaum älter sein mochte als Base Marisa. Nun übergaben die Ferkinas ihrerseits Geschenke - geschnitze Knochen, geflochtene Bänder, Felle.
Ailinde schluchzte laut auf: »Oh nein, es ist er Wolf!« Sie warf das graue Wolfsfell zu Boden und rannte zu ihrer Familie.
»Was? Vaters Wolf?«, fragte Benden, wobei sein berüchtigter Zorn erwachte. »Ihr habt Vaters Wolf geschlachtet und abgezogen?«
Haydar hob beide Hände: »Wolfsvater selbst hat den Geist des Wolfs befreit. Nicht die Thoroâll.«
»Warum sollte Vater den Wolf umlegen? Er war sein ein und alles.« Benan war kaum besänftigt.
»Weil Wolfsreiter hat Wissen: Seine Zeit ist da. Hat Wolfsgeist befreit. hat Eselsgeist befreit. Hat Gipfelblut geerntet.«
»Ja«, brummte Bendan, ich habe die Blume ja bekommen. Zum Geier - hat mir einen Heidenschrecken eingejagt, dieser Ferkinakrieger. Steht vor mir auf Barbenwehr mit dem Talismann des Alten, ein paar Bartlocken und der Trollherzblüte. Ist gut, Mann. Shâhr. Das verstehst du nicht.« Bendan hatte auf den Ferkina eingeredet, der ihn mit leerem Lächeln ansah. ›Verdammt, der hat noch mehr Zähne als ich«, dachte Bendan.
Man vertrug sich wieder miteinander. Dann versammelte sich die Ferkinasippe auf der Hochwiese, die eher ein Geröllfeld war, und mit ihr die Zillingersippe, und gemeinsam blickte man ins hinab, wo der Schatten des Tals den Hang hinaufkroch, als die Sonne sich über dem Gipfel senkte. Von hier oben hatte man einen Blick in die Weite des Landes und auf die Ewigkeit des Himmels und auf die Erhebanheit des Raschtulswalls. Der Wind brachte morgens die Kälte der Gletscher herab und abends die Wärme der Almen herauf.
Hier bestatteten die Ferkinas ihre Ahnen.
Hier besuchten sei deren Geister.
Hier hatten sie die sterblichen Überreste Iaruchs von Zillingen aufgebahrt, der einer von ihnen geworden war, ohne einer von ihnen zu sein.
Bendan wollte verdammt sein, wenn er je einen schöneren Flecken Deres gesehen hätte als dieses Gebeinfeld. Sein Vater war hier sein Leben lang glücklich gewesen. Sollte er doch hier auch in Ewigkeit glücklich sein.
Und dann stieß er die Fackel mit dem Erlöschen des Tageslichtes in den Scheiterhaufen, um die Seele seines Vaters zu befreien.