Geschichten:Die Dreistigkeit der Ferkinas: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 24. Februar 2016, 17:34 Uhr
Die Expeditionen, die alljährlich im Frühjahr ausgesandt werden, um in den Klämmen und Klüften des Raschtulswalles nach den Vermißten des Winters zu suchen, wurden in diesem Jahr heimtückisch und tödlich empfangen.
»Jedes Jahr – das ist so Sitte bei den Perricumern – schicken die Barone zu Füßen des Raschtulswalles ihre Büttel und Reisigen aus, um den steinernen Klauen des gefährlichen Raschtulswalles und den nicht minder gefährlichen Krallen der Ferkinas die vermißten Derekinder zu entreißen, die in Herbst und Winter des vergangenen Götterlaufes nicht zurückkamen aus den Höhen des Gebirgs. Nur zu dieser Suche, die in des Boron und der Rondra heiligen Namen ausgerufen wird, begibt sich eine größere Zahl Perricumer, eigentlich immer begleitet von königlich garetischen Truppen, auf die Steige und Wege hinter den ersten Pässen; dorthin, wohin sonst nur Kräutersammler und Schwefelbrecher sich wagen – oder Verbrecher sich flüchten. Mit Armbrüsten bewaffnet erklimmen die Tapferen die Wege des Walles, denn nur sie und lange Bögen vermögen die Ferkinas wirklich einzuschüchtern; und Ritter mit Rössern können ja gar nicht da hinauf! Es ist ein gefahrvoller Auftrag, und nur die Tapfersten nehmen ihn an. Kein Baron würde seinen Leuten befehlen, auf die Frühlings-Suche zu gehen; er schickt nur Freiwillige. Doch sind ihrer nicht wenige. Denn es winken einiger Ruhm, Ehre und Ansehen für jenen, der wieder hinabsteigt nach gewonnenem Kampf. Und mehr noch, wenn er einen verschollenen Sohn oder eine verschwundene Tochter hinabbringt, damit er zwölfgöttergefällig begraben werden kann. Wer aber einen der Vermißten lebendig zurückbringt, der ist sich der Verehrung durch dessen Dorf gewiß und auch der stattlichen Summe, die die Grafen von Perricum ihm devotieren. So ist das jeden Götterlauf. Doch heuer scheint einiges schief gegangen zu sein?«
Antwort des Conservators des Draconiter-Hortes zu Gareth, Seiner Gnaden Hesindian zu Stippwitz, auf die Anfrage der Herold-Redaktion. [Vgl. auch LAND DER STOLZEN SCHLÖSSER, S. 69].
In der Tat: Ende Phex lobte Baronin Gidiane von Waltern zum Weißbarûn Beneficia und Ehrungen aus für jeden ihrer Männer, der sich auf die Suche machen wolle. Es wurden einige Hirten vermißt, eine Avesgeweihte, Heuschneider, Kräutersammler und Schwefelbrecher. Im ganzen über fünfzehn Personen. Die Expedition des Jahres 32 versprach also, vielen unruhigen Seelen durch ein ordentliches Begräbnis Ruhe zu geben und vielen Familien in ihrer lähmenden Sorge traurige, aber endgültige Gewißheit zu verschaffen. So sammelte der Hauptmann von Weißbarûn, Emmeran von Zolipantessa, 37 wackere Frauen und Männer um sich, die alsbald aufbrachen. Ein jeder von ihnen hatte sich mit Proviant versorgt, trug feste Schuhe, Handwaffen und Langbögen. Der Suchtrupp aus Weißbarûn zog dieserart den Hang hinan gen Geiersberg (Torash’Amul auf Nebachotisch), um über den Paß von Gilborns Sattel (Ter’esh Gil’borani) in den Raschtulswall vorzudringen. Gruppen wie diese brachen auch aus Gerbenwald und Darben-Dürsten auf. Doch Hauptmann Zolipantessa führte seine Leute nichts ahnend in den Tod.
Von den Geschehnissen, die Anfang Peraine die Weißbarûner Sucher vom Leben zum Tode beförderte, erfuhr man durch den Leibknecht des Hauptmanns. Sein unzusammenhängender Bericht läßt die Konstruktion der folgenden Ereignisse zu: Eines Morgens – die Sucher befanden sich schon auf der Höhe der entlegneren Almen und in Sichtweite der Gigantennadel (Olmor Tey’mul) – hatte der Leibknecht Fredo nach einer Standpauke für seine Säumigkeit doppelt so viel Gepäck wie gewöhnlich zu schleppen und befand sich darob weit hinter dem langgestreckten Zug der Sucher, die für ihn gut sichtbar auf eine Klamm – die Schlucht der Schatten – zusteuerten, in die man auf einem schmalen Gesims gelangte, das halbschrittbreit an der steilen Felswand entlangführte. An einer Biegung der Klamm, die eine bekannte Abkürzung darstellt, um nicht über die Höhenkämme klettern zu müssen, führte eine morsche Seilbrücke über den Abgrund auf die andere Seite, auf der sich ein breiterer Sims fortsetzte.
Diese Seilbrücken sind eine unsichere Angelegenheit, wie die Einheimischen wissen, werden sie doch kaum instandgehalten und öfter von den Ferkinas benutzt als von götterfürchtigen Menschen Garetiens. Fredo aber war noch weit weg, als Hauptmann Zolipantessa die ersten seiner Leute hinüberschickte. Die Brücke war offenbar noch fest, so daß, als Fredo auf hundert Schritt herangekommen war, bereits die Hälfte der Männer und Frauen die andere Seite gewonnen hatten. Eben waren Weibel Andros und zwei Büttel auf der Brücke, als von der zerklüfteten Felswand Steine groß wie Rinderköpfe auf die Sucher hinabregneten. Die solcherart Überfallenen versuchten, sich an die Felswand zu drücken, um sich vor den Steinen zu ducken, doch die Stelle war gut gewählt: Kein Überhang schützte die Weißbarûner. Wer nicht vom Fels an Ort und Stelle erschlagen wurde, den riß ihre die Wucht in die Tiefe. Fassungslos starrten Weibel Andros und die beiden anderen auf der Brücke zu ihren Kameraden. Auf der anderen Seite hingegen hatte Hauptmann Zolipantessa, ein Trollpfortenveteran, die Steinewerfer ausgemacht: Überhalb der Klamm lauerten gut zwanzig Ferkinas in bunten Lumpen, die Stein um Stein auf die Schar hinabwarfen. Zolipantessa befahl seinen Leuten, die Bögen zu nehmen und gut zu zielen. Allein – auf die Entfernung und so weit nach oben vermochte keiner der Bogner seinem Geschoß die nötige Kraft und Treffsicherheit zu verleihen. Ja, hätte man Armbüste gehabt!
Fredo hingegen verbarg sich vor Eingang der Schlucht der Schatten hinter einem Felsen und beobachtete offenen Mundes das Spektakel. Er war kein Krieger und auch kein Held. Denn als nun Ferkinakrieger just an seinem Felsen vorbei hasteten, da warnte er den Hauptmann und seine Leute nicht. Zu schreiben hätte bedeutet, das Versteck aufzugeben ... So drangen die Ferkinas, wohl zwei Dutzend, auf dem Gesims vor, kaum bemerkt von den Weißbarûnern, die immer noch vergebens einen Pfeil nach dem anderen nach oben versandten. Als man der Ferkinas gewahr wurde, war es zu spät; zwar konnten die Bogenschützen noch einige ihrer Gegner töten, ehe sie heran waren, doch waren sie eben schon zu nahe. Zudem konnten die Bogenschützen ja nicht alle schießen, weil sie auf dem Sims in einer Reihe standen!
Gut geplant hatten die Wilden jedenfalls: Sie alle waren mit Stangen bewaffnet, und einige dieser Stangen hatten vorne eine Seilschlaufe. Mittels dieser Werkzeuge bearbeiteten sie die Weißbarûner – einen nach dem anderen –, bis sie das Gleichgewicht verloren und in die Tiefe stürzten. Fredo sah auch seinen Herrn, den Hauptmann, in die Schlucht fallen, doch hatte er immerhin noch einen seiner Gegner mitgerissen. Die letzten der Sucher enterten nun die Seilbrücke – sie hatten zwischen Pest und Pocken zu wählen, und dazwischen lag nur die Brücke. Weibel Andros schrie zwar in einem fort, die Burschen sollten kämpfen, doch befanden sich alsbald die restlichen acht alle auf der knirschenden Konstruktion, die überdies nun bedrohlich zu schwanken begann. Da trat an den Rand oberhalb der Schlucht ein Ferkina. Ein großer Mann mit vielen Tätowierungen und rotglühenden Augen (glaubt man Fredo). Er schwang einen riesenhaften Säbel und brüllte in der Ferkinamundart. Daraufhin setzte einer seiner Leute ein großes Messer an die Seilbrücke und begann unter den entsetzten Blicken der Weißbarûner, das erste Seil zu zerschneiden! Das reichte auch aus, denn ohne einen Halt für die Arme konnte sich keiner der Sucher auf dem Fußseil halten. Sie stürzten alle – bis auf einen. Der hielt das Seil mit Armen und Beinen umfangen. Noch sehr lange Zeit, ehe ihn die Kräfte verließen und er den Weg seiner Kameraden ging.
Nach der Rückkehr Fredos tobten Jähzorn und Mordlust durch Weißbarûn. Wie konnte dieses Desaster geschehen? Offenbar hatte ein ganzer Ferkinastamm (man vermutet der Stamm der Scherwat) sich gemeinschaftlich zum Morden gesammelt, den Hinterhalt vorbereitet und zugeschlagen. In ganz ungewöhnlicher Form! Seit Monden hatte es keine Provokationen mehr gegeben, weshalb die Frage laut wurde, wer die Ferkinas zum Handeln angestiftet haben könnte: einer der ihren oder jemand von außerhalb? Feinde des Reiches? Rivalen innerhalb der Grenzbaronien? Zu den Mutmaßungen drängt sich zudem eine weitere Merkwürdigkeit: Warum waren gegen alle Gewohnheit die Königlichen mit ihren Armbrüsten nicht bei der Weißbarûner Suche dabei gewesen? Die kleinen Animositäten der Weißbarûner (und ihrer Nachbarn) treten seitdem offener zutage: die Schwierigkeiten nämlich, die die eher aranisch-urtümlichen Einwohner Perricums (die Nebachoten) mit den Garethern aus dem Norden haben. Und auch jene zwischen Ansässigen und Fremden. Das Bedürfnis, einen Schuldigen für die Niederlage in der Schlucht der Schatten zu finden und dieselbe zu erklären, treibt seitdem einige Blüten. Daß die Ferkinas seither frech die abgelegenen Höfe überfallen, trägt nicht gerade zur Beruhigung der Gemüter bei. Eine harte Reaktion, auf die neben Gidiane von Waltern auch die anderen Grenzbarone drängen, steht bisher noch aus. Baronin Gidiane zumindest hat – ungestüm wie sie sein kann – ihre Faust nicht nur in Richtung des Raschtulswalles geschüttelt, sondern auch – wie es heißt – in die entgegengesetzte.
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Begegnungen in Haselhain | ▻ |