Geschichten:Ausgeschwärmt – Rondra: Unterschied zwischen den Versionen
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|Zusammenfassung=Im Auftrag der Herrin Rondra oder ein Untier zu erlegen. | |Zusammenfassung=Im Auftrag der Herrin Rondra oder sich zu beweisen und ein Untier zu erlegen. | ||
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Version vom 24. Mai 2019, 07:21 Uhr
Dämonenbrache, 26. Boron
Die Nacht hatten sie unter freiem Himmel verbracht. Abwechselnd hatten sie Wache gehalten, immer zu zweit. Geschlafen hatte jedoch niemand so recht von ihnen und wenn sie dann doch mal eingenickt waren, dann träumten sie alle vom Praiosborn. Wie er still da lag. Absolut still. Bedrohlich still. Als hüte er ein schreckliches Geheimnis und dann, in jenem Augenblick, in dem er es zu enthüllen drohte, da schreckten sie aus dem Schlaf. Ob es die Brache war, die diesen Traum ihnen allen in den Kopf pflanzte?
Das Morgenmahl fiel karg aus. Es gab – wie nicht anders zu erwarten – Grütze. Etwas anderes konnte Nurinai ja nicht kochen, aber Grütze, ja Grütze, die konnte sie gut. Und, auch wenn es keine von ihnen eingestanden hätte, es wärmte, denn die Nacht hier draußen war klamm gewesen. Die Pferde bekamen ein bisschen Hafer, mussten sich ansonsten mit den dürren Halmen begnügen, die sie hie und da fanden.
Dann folgten sie weiter den Spuren. Immer weiter und weiter. Und der geschnürte Trab hörte nicht auf. Wollte einfach nicht abreißen. Wie weit dieses Untier vor ihnen war? Wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie es fänden? Ob sie es je fänden?
Plötzlich ein Heulen. Unnatürlich. Nein! Widernatürlich.
Die Pferde wieherten. Stiegen auf die Hinterhand. Scheuten. Wollten nicht weiter gehen. Keinen einzigen Schritt mehr tun. Da wusste Ailsa, dass es nun so weit war. Nun galt es. Nun musste sie sich beweisen. Dem Schrecken ins Augen blicken.
Ailsa stieß Beithir hart die Hacken in die Flanken. Das Streitross preschte los. Sie hielt die Saufeder. Hielt sie fest. Ganz fest.
In der Ferne löste sich etwas aus der Brache. Etwas Helles. Etwas Großes. Etwas Mächtiges. Etwas Unförmiges. Und es bewegte sich auf Ailsa zu. Und sie bewegte sich auf es zu.
‚Sturmherrin.‘
Gliedmaßen zeichneten sich ab.
‚Donnernde.‘
Verkrüppelt und verwachsen.
‚Alverans Schwert und Schild.‘
Ein unförmiger Schädel. Ein riesengroßes Maul.
‚Unbesiegte.‘
Unzählige spitze Zähne. Fauliger Gestank. Ein kalter Schauder.
‚Wächterin auf Alverans Zinnen.‘
Die Distanz stetig kleiner werdend.
‚Steh uns bei!‘
Ihr Atem schneller gehend. Ihr Herz heftiger schlagend. Schweiß von ihrer Stirn tropfend.
„FÜR RONDRAAAAAA!“
Und in jenem Moment, da sie dem Untier ihre Saufeder entgegenbringen wollte, da gab der Boden unter Beithir einfach nach. Ailsa schrie vor Schreck auf. Fühlte, wie sie in die Tiefe gerissen wurde. Ohne nachzudenken zog sie ihre Füße aus den Steigbügeln, ließ sich seitlich von ihrem Streitross fallen, die Saufeder noch immer fest in der Hand, und stieß sie mit voller Wucht der Bestie bis zum Anschlag in den aufgedunsenen Leib. Das Tier heulte auf. Ailsa fiel direkt vor ihm zu Boden. Und das Biest überrannte sie. Regungslos blieb sie liegen.
Beithir versuchte sich mit aller ihm zur Verfügung stehenden Kraft aus dem Morast zu befreien. Doch je mehr er sich zur Wehr setzte, desto tiefer sank er ein.
„AILSA“, brüllten die beiden Schwestern. Sprangen von den Pferden. Ergriffen ihre Saufedern. Liefen auf das Untier zu.
Lorine ritt einen Bogen. Ritt um das Biest herum. Ihr Pony war leicht. War wendig. Bis zu ihrer am Boden liegenden Pagenmutter. Dort verharrte sie. Die viel zu große, viel zu schwere Saufeder zum Angriff bereit. Bereit, ihre Pagenmutter zu verteidigen. Bereit, für ihre Pagenmutter zu sterben.
Fest umklammerten die Schwestern die Saufedern. Ganz fest. Nur noch wenige Wimpernschläge trennten sie vom Angreifer. Mit ganzer Kraft stießen sie zu. Wurden noch im selben Augenblick vom massigen Leib der Bestie zu Boden geworfen. Erneut brüllte es. Schrie. Heulte. Und blieb stehen.
Es verharrte. Auf seinen beiden staksigen Beinen. Deswegen kein Doppeltritt. Lange dürre Arme. Keine Hände. Stümpfen gleich. Verkrüppelt. Verwachsen. Graue Haut. Ein widernatürliches Grau. Ohne Fell. Ohne Haare. Nackt. Einfach nur Grau. Ekelerregend.
Ein Ruck. Und das Biest blickte sie an. Blickte sie mit seinem riesigen Schlund an. Keine Augen. Keine Nase. Nur ein Schlund. Ein riesiger, kreisrunder Schlund. Dunkel. Finster. Gespickt mit vielen unnatürlich weißen Zähnen. Wieder heulte es. Schien Nurinai und Scanlail mit seinem Schlund direkt anzublicken. Doch dann wandte es sich...
„LORINE!“, brüllte die Geweihte geistesgegenwärtig, während die sich aufzurappeln versuchte, „LAUF! LAUF WEG! WEIT WEG! LOS!“
Und ihre Schwester fiel mit ein: „HAU AB! HAU EINFACH NUR AB! VERSCHWINDE! VER...“
Doch die kleine Pagin verharrte. Verharrte selbst als das Untier es auf sie abgesehen hatte. Als es auf sie zulief. Wie eine erfahrene Kämpferin saß das Mädchen auf ihrem Pony. Blieb ruhig. Und wartete. Ließ den Angreifer kommen. Und wartete. Immer näher und näher kam er. Doch sie wartete. Behielt einen kühlen Kopf. Ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Und wartete. Ihre Saufeder zum Angriff bereit. Und das Biest kam noch näher. Immer näher und näher. Der gierige finstere Schlund war zum Greifen nah.
Mit einer einzigen Bewegung stieß das Mädchen zu. Platzierte die Saufeder direkt im Schlund der Bestie. Durchstieß deren Hinterkopf. Da schloss es sein Maul. Zerbrach den Schaft. Zermalmte ihn. Kein Schrei. Kein Gebrüll. Kein Heulen. Nur Stille. Absolute Stille. Da fühlte das Mädchen zum ersten Mal die Angst in sich. Schreckliche Angst. Und das Untier bewegte seinen Schlund über sie. Bereit sie zu verschlingen. In seine Finsternis zu ziehen. Mit ihren großen unschuldig blauen Augen schaute sie in die kreisrunde Dunkelheit. Und je länger sie hinein starrte, desto mehr verschlang sie sie...
Da erlangte Ailsa wieder das Bewusstsein. Der Geschmack von Blut in ihrem Mund. Instinktiv rief sie: „Beithir! Beithir. Maraigh. Maraigh!“ Und Beithir befreite sich aus dem Morast. Der Ruf seiner Vertrauten verlieh ihm die nötige Kraft. Allein zog er sich heraus. Immer mehr und mehr. Und lief dann auf das Untier zu. Immer schneller und schneller. Spannten seinen Nackenmuskulatur an. Wie bei einem Kampf mit seinesgleichen.
Plötzlich fegte etwas über das Untier hinüber. Riss es zu Boden. Etwas schnelles. Etwas dunkles. Mit heller Mähne und hellem Schweif. ‚Beißi‘, durchfuhr es Lorine da plötzlich voller Glück. Nurinai und Scanlail johlten und brüllten: „Beithir! Beithir!“ Sie hielten Abstand. Hatten keine Waffe mehr. Keine Ahnung, was nun zu tun war. Die eine kämpfte mit der Kraft der Götter, die andere mit ihrer scharfen Zunge.
Als das Steitross eilig umdrehte, da stand die Bestie schon wieder. Hatte erneut Lorine mit ihrem Schlund fixiert und das Kind blickte erneut hinein. Tief hinein. Regungslos. Atemlos.
Ailsa hatte sich aufgerappelt. Sah das Untier. Sah, das es sich erneut auf das Mädchen stürzen wollte. Erneut auf ihre kleine Pagin. Erneut auf Lorine. Und wieder hielt diese still. Ganz still. Beithir noch zu weit weg. Panisch zerschnitt sie den Sattelgurt und zog das Mädchen samt Sattel von ihrem Pony. Das Mädchen noch immer in Trance. Und nur ein Wimpernschlag später vergrub sich der Schlund in Flocke. Vergrub sich tief. Ein Knacken. Ein Schmatzen. Ein Schrei. Lorines Schrei. Vor Schreck. Vor Ungläubigkeit. Vor Schmerz.
Ihr Schrei übertönte alles. Ailsa musste sie von ihrem Pony wegzerren. Zog sie an den Beinen. Während das Mädchen mit aller Kraft zu seinem Pony zu gelangen versuchte. Verzweifelt versuchte im schlammigen Untergrund Halt zu finden. Während sie sich die Kehle aus dem Leib brüllte.
Die Ritterin rief Beithir zu sich. Nahm ihre Orknase ab. Setzte Lorine auf seinen Rücken. Ein zitterndes Bündel. Sie schrie nicht mehr. Sie zitterte einfach nur. Noch immer den Blick auf das gerichtet, was einst ihr Pony war. Das Untier noch immer mit diesem beschäftigt. Mur noch ein Haufen von Blut. Zersplitterten Knochen. Kreisrunden Bisswunden. Herausgebissene Halbkreise.
Ailsa setzte zum Angriff an. Schlug ihre Orknase in den Leib der Bestie. Immer wieder und wieder. Das Tier schrie. Wollte sich wehren. Blut spritzte. Rann an ihr herab. Sie schrie. Aber das Untier starb nicht. Es starb einfach nicht. Warum, bei allen Zwölfen, starb es nicht?
Inzwischen hatte Lorine auf Beithir wieder ein Art von Fassung erlangt. Irgendeine Art. Und sie sah, wie ihre Pagenmutter mit dem Untier rang. Immer wieder und wieder. Wie sie verzweifelt versucht, es zur Strecke zu bringen. Und das Mädchen beschloss etwas: Sie wollte Flocke rächen. Nein! Sie musste ihn rächen.
Es war ganz leicht. Beithir lief einfach. Als wusste er, was Lorine von ihm wollte. Er lief einfach. Sie die kleine Axt in der Hand, die ihre Pagenmutter immer am Pferd trug. Für Notfälle. Das hatte sie mal gesagt. Jetzt war so einer. Ein Notfall. Da war sich Lorine sicher. Die Axt wog schwer. Ganz schwer. Fest umklammerte das Mädchen sie. Ganz fest. Die Knöchel traten weiß hervor. Und Beithir lief. Er lief und lief. Und Lorine war ruhig. Ganz ruhig. Spürte den Wind in ihrem Haar. Auf ihrer Haut. Spürte das Pferd unter sich. Jede einzelne Bewegung. Das Biest kam näher. Immer näher. Sie riss die Axt nach oben. Es bemerkte sie nicht. Ihre Pagenmutter bemerkte sie nicht. Und spaltete dem Untier den Schädel. Mit einem einzigen Schlag.
Da verharrte die Bestie plötzlich vor Ailsa. Im Augenwinkel konnte sie Beithir erkennen. Die Ritterin schlug ihr den Kopf ab. Und zweigeteilt fiel das Untier zu Boden. Ailsa hörte das Blut durch ihre eigenen Adern rauschen. Den Schlag ihres Herzens. Mit ihrem Ärmel wischte sie sich übers Gesicht. Hinter sich hörte sie ihre Schwestern. Neben ihr plötzlich Beithir. Lorine, die von Beithir in ihre Arme sprang. Sie fing sie auf. Ihre Orknase fiel zu Boden.
„Ich habe Flocke gerächt“, schluchzte das Mädchen unter Tränen. Ihre Hände hatte sie um den Hals der Ritterin gelegt. Presste sich ganz fest und ganz dicht an sie. „Ich habe ihn gerächt!“
Auch Ailsa rollten Tränen über das Gesicht: „Das hast du, Lorinchen. Das hast du!“
Da setzte sich eine Krähe auf das gerade eben erlegte Untier. Ailsa blickte zu ihr auf. Verwischte Blutspritzer in ihrem Gesicht. Die Krähe schaute sie aus ihren dunklen Augen an. Schaute sie direkt an. Aus kleinen, runden, schwarzen Augen. Und plötzlich hatte Ailsa das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Lorine glitt aus ihren Armen. Die Ritterin sackte zu Boden, hielt die Krähe jedoch fixiert oder fixierte die Krähe sie? Da breitete das Tier seine Flügel aus und stieg in den Himmel hinauf.
Und die Krähe nahm Ailsa mit sich...