Geschichten:Ausgeschwärmt – Boron: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 27. Mai 2019, 07:37 Uhr
Dämonenbrache, 26. Boron, zur abendlichen Boronstunde
Nurinai reagierte schnell, fing die rückwärts fallende Ritterin geistesgegenwärtig auf und glitt mit ihrer Schwester in den Armen langsam zu Boden. Entsetzt stand Scanlail da, vollkommen entsetzt. Ihr Blick glitt zwischen Ailsa und der Geweihten immer wieder hin und her, doch sagen konnte sie nichts, auch nichts fragen, sie brachte ja nicht einmal die Lippen auseinander. Sie war vollkommen starr.
Und bevor eine der Schwestern ihre Sprache wiederfinden konnte, hatte sich die Pagin bereits neben die Ritterin gekniet. Lorine betete: „Ewiger, bitte halte Deine Hand schützend über meine Pagenmutter, begleite sie auf der Reise, auf die Du sie geschickt hast und bringe sie wieder in unsere Mitte zurück, auf dass sie Deine Botschaft erfasse und sie auf Deren verbreite.“
Sie flog hinauf. Immer höher und höher. Hinauf durch den wabernden, giftigen Nebel. Hinauf zum hellen Licht des Pariosmals. Unter ihr die Sumpfwälder. Und die Sumpfwälder atmeten. Einem lebendigem Wesen gleich, atmeten sie. Zogen sich zusammen und dehnten sich aus. Waberten und wogten. Hektisch und unkontrolliert. Kräftig und schnell. Ohne Rhythmus, ohne Gefühl. Voller Schmerz, voller Pein. Voller klaffender Wunden. Eitriger Geschwüre. Kaum eine unversehrte Stelle mehr am ganzen Leib. Und irgendwo im Kampf um Leben und Tod gefangen. Auf immer gefangen. Ohne Entkommen. Ohne Ende. Ohne Tod. Weil es einfach nicht sterben konnte.
Und dann brach plötzlich etwas aus den schwärenden Wunden hervor – der geschundene Leib wogte schmerzerfüllt – etwas, das wie spitze schwarze Speere gleich dem Horizont entgegen wuchs. Immer weiter und weiter. Türme. Schwarze Türme. Schwarze, mächtige Türme.
Und jenseits der Brache verschwanden die Menschen. Anstelle lauter Straßen erstreckten sich schweigende Wiesen der Goldenen Au. Nirgends mehr Häuser und Tempel, nur noch sanfte, leicht bewaldete Hügel. Und dort, wo die ewige Stadt Gareth einst lag und wo sie dereinst wieder neu erstehen würde, waren nur Ruinen. Zerstörte Häuser und Gebäude. Rauch und Staub stieg auf. Dazwischen schlichen finstere Gestalten durch die Trümmer, die in den Schatten der Trümmer zwischen den verkohlten Gerippen hausten und alles hassten, was lebte und atmete. Jeden, der sich bisher vor ihnen verbergen hatte können. Sie hatten alle vernichtet. Sie fanden niemanden mehr. Alles Leben dort hatten sie ausgelöscht.
Sie ließ sich tiefer sinken. Unter ihr ein Weiher. Bedeckt mit faulig grünem Schleim. Auch er atmete, wogte, bebte, waberte und stank. Modrig. Faulig. Verwesend. An seinem Ufer stach ein schwarzer Turm in die Wolken hinauf. Durchbohrte sie. Daneben eine windschiefe, verkrüppelte Eiche. Mehr hölzernes Skelett als Baum. Auf einem ihrer kahlen, verkrüppelten Äste ließ sie sich nieder. Spreizte ihre Schwingen und legte sie an.
Da erhob sich aus dem Turm ein Murmeln. Es waren Worte voller Macht. Wispernde Worte der Macht. Erst nur ganz leise, dann immer lauter und lauter und lauter und wie ein schmaler Bachlauf bei einem heftigen Regenguss, schwoll die Stimme an, quoll mehr und mehr aus dem Turm heraus, dröhnte stetig lauter, erfasste alles und jeden und riss es erbarmungslos mit sich. Immer weiter und weiter reichte sie. Legte sich einem klebrigen Spinnennetz gleich über die Brache, überzog ihren Sumpf und nahm den irrsinnig gewordenen Kadaver des Landes gefangen. Legte das Land in Ketten und presste das kreischende Chaos in eine feste Form. Und die Worte der Macht herrschten über das Land und über die sich irre windende Brache.
Da trat aus dem Schatten des Turms eine Gestalt. Eine schaurige Gestalt. Eine schwarze Gestalt. Ganz langsam wandte sie ihr Gesicht zu der Eiche, zu dem Ast, zu ihr – der Krähe – und blickte sie an. Blickte sie mit ihren Augen an. Feurige, blutrote Augen.