Benutzer:Orknase/Briefspiel: Unterschied zwischen den Versionen

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Orknase (D | B)
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= Die Würfel sind gefallen =
 
= Die Würfel sind gefallen =
== [Erste Begegnung] ==
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== Ein Nebelstreif am Horizont ==
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Hesinde 1042
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Langsam führte [[Garetien:Yolande von Pranteln|Yolande von Raukenfels]] ihre weiße Stute im Stall herum. Sie tat es ganz vorsichtig und zaghaft, beleuchtet vom diesigen Schimmer einer einzelnen Laterne. Es war schon spät am Abend, bald würde die Nacht hereinbrechen. Und auch diese würde sie zusammen mit ihrer treuen Begleiterin hier im Stall verbringen. Würde sie die ganze Zeit im Kreis führen. Immer wieder und wieder. Und das jetzt, wo sie eine Verzögerung am wenigsten gebrauchen konnte...
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Da ging die Tür zum Stall auf und eine dunkel gekleidete Gestalt trat herein, gefolgt von dem kleinen [[Garetien:Nella Rosna|Mädchen]], dass hier zum Hof gehörte. Yolande blieb stehen, ihre Stute auch. Gebannt blickte Pferd und Reiterin auf die Gestalt, da schob sich das Mädchen zwischen sie und erklärte mit ihrer lieblichen Kinderstimme: „Ihro Gnaden [[Garetien:Nurinai ni Rian|Nurinai]] das ist Yolande von Raukenfels. Yolande von Raukenfels das ist ihro Gnaden Nurinai.“
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Mit einer eleganten Bewegung schob die Geweihte ihre Kapuze nach hinten. Blaue Augen, tiefblaue Augen musterten Yolande. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich entsetzlich trocken an. Sie schluckte.
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„Boron mit Euch!“, grüßte die Geweihte mit einem warmen Lächeln auf den Lippen, ihr Blick ruhte noch immer auf ihrer Gegenüber. Yolande wollte etwas erwidern, konnte aber einfach nicht. Sie machte ihren Mund auf, klappte ihn dann aber einfach wieder zu.
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„Seid ohne Furcht“, versicherte Nurinai da nickend, „Ich mag dem Herrn des Todes dienen, doch der Tod verpflichtet einem auch für das Leben.“
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Noch immer befand sich Yolande im Bann dieser Augen. Diese Augen! Diese blauen Augen! Und wie sie sie ansahen. Ein merkwürdiges Schaudern ergriff sie.
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„Gewiss“, erwiderte sie da kehlig, „Gewiss doch...“
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Die Geweihte nickte milde, dabei wippte ihr braunes, leicht zerzaustes Haar mit. „Ein hübsche Stute habt Ihr da“, versuchte sie das Eis zu brechen.
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„''Nebelstreif''“, plapperte Nella eifrig, „Sie war ein Geschenk ihres Gattens zum Traviabund.“ Das Mädchen nickte energisch. „Und sie ist KEIN ''Beißi''!“
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Nurinai lachte herzlich und der Bann, der auf Yolande lag, brach.
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„Was...“, hob sie da nun an, „Was ist denn ein... ein ''Beißi''?“
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Da lachte die Geweihte nur noch mehr. Ein warmes, herzliches Lachen, welches Yolande sogleich ganz tief in ihr Herz schloss.
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„Nun, Nella, was ist ein ''Beißi''?“, stellte Nurinai schließlich die Frage an jene, die sie aufgeworfen hatte.
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„''Beißi'' ist das Pferd der werten Frau [[Garetien:Ailsa ni Rian|Reichsritterin]]. Die hat nämlich ein Pferd – das werdet Ihr mir jetzt wahrscheinlich nicht glauben, Frau von Raukenfels, aber es ist so wie ich es Euch sage, ihro Gnaden ist meine Zeugin – dass beißt alle bis auf die Reichsritterin und ihre [[Garetien:Lorine von Boltansroden|Pagin]].“ Wieder nickte das Mädchen zur Bekräftigung ihrer Worte. „Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle! Es würde sogar die Kaiserin beißen, auch wenn die eine Frau ist!“
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Einen Moment schauten die beiden Frauen sich fragend an, bis Nurinai schließlich mit den Schultern zuckte.
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„Ein Streitross also“, schloss Yolande dann.
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Nella guckte ein bisschen irritiert: „Woher wisst Ihr das?“
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„Vielleicht ist die Frau von Raukenfels ja selbst eine Ritterin, was meinst du Nella?“
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Da guckte das Mädchen mit ihren tiefbraunen Augen Yolande fasziniert an: „Dann habt Ihr auch einen Beißi?“
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„Nella“, mischte sich nun die Geweihte ein, „Geh doch bitte nach drinnen und bitte deine werte Frau Mutter darum, uns ein kleines Mahl zu bereiten und es hier herauszubringen, denn die Nacht wird für uns eine lange werden.“
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Pflichtbewusst nickte das Mädchen und eilte davon.
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„Ich bin nicht sonderlich hungrig, ihro Gnaden“, erwiderte Yolande knapp.
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„Ich weiß“, erwiderte Nurinai mit leiser Stimme, „Ich auch nicht, aber das Mädchen hat etwas zu tun...“
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„Sie ist ein nettes...“, in diesem Augenblick zog die Geweihte ihre Cappa über den Kopf, was ihr braunes Haar nur noch mehr zerzauste und Yolande einen Moment inne halten ließ, „... Kind.“
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„Mit einem äußerst wachem Verstand“, fügte die Geweihte hinzu.
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== [Brief 1 - Erinnerungen] ==
 
== [Brief 1 - Erinnerungen] ==
 
<!--Yolande erinnert sich an die gemeinsame Zeit-->
 
<!--Yolande erinnert sich an die gemeinsame Zeit-->

Version vom 28. Juni 2019, 17:54 Uhr

Hier entstehen meine Briefspieltexte und werden sorgsam verwahrt, bis ich weiß, wohin sie sollen.
Es ist ausdrücklich erlaubt, Rechtschreibfehler sowie Fehler der Zeichensetzung zu korrigieren, genauso wie verloren gegangene Buchstaben richtig zu ergänzen und überzählige einzusammeln - dies gilt auch für meine anderen Texte.

Drei Krähen und ein Räblein

Das, was war

Fürstentum Kosch, Baronie Birnbrosch, 24. Rahja 1041 [fertig]

Das, was ist

25. Rahja 1041

Da durchbrach der Schrei einer Krähe die Finsternis. Und mit ihr kam das Licht. Der Schatten erzitterte, bäumte sich auf. Die Krähe verharrte einen Augenblick über ihm. Dann stürzte sie sich auf ihn herab. Zerschmetterte ihn. Zerbarst ihn. Tausende funkelnde Splitter prasselten wie Hagelkörner auf Ailsa herab. Einen winzigen Augenblick noch schwebte die Gespensterkrähe über allem. Erhaben, mutig, stark. Dann stand da plötzlich ihre Schwester.

„Nurinai!“, entfuhr es ihr da, „Nurinai! Du?“

Sie half ihr auf die Beine.

„Lauf Ailsa!“, erwiderte diese nur, nahm sie bei der Hand und lief los, „Lauf!“

Sie liefen. Liefen durch die Finsternis. Nurinai vor ihr, sie dahinter. Die Geweihte lief um eine Ecke, Ailsa hinterher und...

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Sie fand sich in der Ruine wieder. Noch immer hörte sie den Knaben weinen, noch immer lief sie, bis sie in der großen Halle ankam. Dort stand eine Wiege. Es war die Wiege des Erben der Baronie Greifenpass. Sie erkannte die Schnitzereien des Boltansrodener Rabens, der Leuin und des Greifen auf ihr.

„Hast Du schlecht geträumt?“, fragte die Baronin mit weicher Stimme und nahm ihren Sohn aus der Wiege heraus. Der Knabe verstummte in ihren Armen augenblicklich. Sanft wiegte die Mutter ihr Kind in den Schlaf, summte ihm ein Schlaflied vor, bevor sie ihn zurück in sein Bettchen legte. Dann wandte sie sich Ailsa zu: „Oh Ailsa, meine Ailsa. Du bist mir so lieb und teuer wie eine Schwester, bist meine Freundin, meine Vertraute und daher sorge ich mich um Dich, um Deine Zukunft, um Dein Wohlergehen.“

„Du brauchst Dich nicht zu sorgen“, versuchte Ailsa sie zu beruhigen.

„Doch!“, erwiderte sie da nur und senkte geradezu resignierend ihren Kopf, „Doch, das muss ich, Ailsa, das muss ich, denn dieser Mann... dieser Mann, Ailsa, er kann Dein Aufstieg oder aber Dein Verderben sein. Er kann Dich alles kosten, Ailsa, einfach alles. Er kann Dich in das größte Unglück stürzen, das Du Dir vorstellen kannst, Dir alles nehmen, was Du hast, was Du bist und je sein wirst, vielleicht verlierst Du sogar Deinen Kopf.“

Sie hielt einen Moment inne.

„Doch er kann Dir auch zu Ehre und Macht verhelfen. Er kann Dir eine Welt eröffnen...“

[...]

Das, was sein wird

26. Rahja 1041 [folgt noch]

Das, was bleibt

[fertig, greift die Träume auf]

Totgeboren

Ritterherrschaft Praiosborn, Donnerhof, Mitte Efferd 1042, am Morgen

Totenruhe

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Totenwacht

Ritterherrschaft Praiosborn, Ruine Praiosborn, Mitte Efferd 1042

Götterdienst

[...]

Warnung

„Du hättest wirklich zu Hause bleiben sollen“, hob Nurinai tadelnd an, als Mirya etwas zurückfiel, „In deinem Bett. So wie ich es dir gesagt habe.“

„Ich weiß“, erwiderte sie atemlos und ziemlich blass um die Nase, „aber ich konnte es meiner Tochter nicht abschlagen. Sie hat so viel durchgemacht. Sie hat es verdient, dass ich auch mal etwas für sie tue...“

Darauf wusste Nurinai nichts zu sagen. Braucht sie auch nicht, Mirya wollte reden, dass spürte sie.

„Sie hält sehr viel von Euch, Euer Gnaden, überaus viel. Ihr solltest sie mal reden hören!“, sie rang sich ein Lächeln ab, „Ihr wisst alles. Ihr könnt alles. Ihr helft jedem, egal ob Mensch oder Tier. Ihr seid immer da, wenn man Euch braucht. Ihr verurteilt nicht. Ihr nehmt die Menschen, so wie sie sind - Unvollkommen. Ihr...“

„Nella ist noch jung“, relativierte Nurinai, „Wenn man jung ist, erscheinen einem Menschen manchmal größer als sie sind, weil man selbst so klein und unbedeutend ist.“

„Ja“, sie nickte und ihre Stimme wurde plötzlich ganz leise, „Ihr seid ein guter Mensch. Ein sehr Guter. Ihr habt das alles hier... einfach nicht verdient!“

„Es geht nicht darum, was man verdient hat oder was nicht. Es geht darum, dass mein Herr mich aus einem bestimmten Grund hierher geschickt hat. Ich frage nicht aus welchem, er kennt ihn und das genügt mir.“

„Euer Herr, Euer Gnaden, hat uns hier genauso im Stich gelassen, wie alle seine zwölfgöttlichen Geschwister. Sie alle haben uns verlassen und uns dem ausgesetzt, was aus der...“, ihre Stimme brach, „Wir haben so lange nach ihnen gerufen. Wir haben gebetet und gefleht. So lange. So unglaublich lange.“ Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aber wir wurden nicht erhört. Wir blieben allein. Sie haben uns verlassen.“

Nurinai nickte verständnisvoll.

„Wir mussten uns irgendwie... irgendwie selber helfen“, sie zuckte etwas hilflos mit ihren Schultern, „Das versteht Ihr doch...?“

Erneut nickte sie.

„Was hätten wir auch sonst tun sollen? Es war ja niemand da. Es hat doch niemanden gekümmert, solange wir unseren Verpflichtungen gegenüber unseren Herren nachgekommen sind. Und die hohen Herren in Gareth...“ Sie lachte. „Die interessieren sich doch nicht für Leute wie uns, für normale Leute. Da muss man schon adelig sein...“

„Glaub mir, auch das reicht nicht aus. Adelige gibt es so viele wie Vögel am Himmel“, hob nun Nurinai an, „Und das meine Schwester nun Reichsritterin zu Praiosborn ist, das hat nichts damit zu tun, das sie es verdient hat oder das sie hier gebraucht wird oder das ihr hier jemand braucht, der sich diesem Schrecken annimmt, sondern damit, das man etwas zwischen diesen Hohen Herren und der Finsternis hat. Etwas, dass sie einem vom Hals hält. Das sich um die Probleme kümmert und deswegen und nur deswegen hat man diese Lehen an Menschen gegeben, die entbehrlich für die da oben sind. Um es kurz zu machen: Von denen interessiert sich keiner für uns!“

„Dann haben wir ja etwas gemeinsam“, stellte Mirya nüchtern fest. Dann wandte sie erneut an und flehte: „Euer Gnaden, Ihr müsst gehen! Bitte! Geht so lange Ihr es noch könnt!“

„Ich kann nicht. Ihr braucht mich. Ihr alle!“, erwiderte diese nur, „Wer soll sich um euch kümmern, euch beistehen, euch zuhören oder euch die zwölf Götter wieder nahe bringen, wenn nicht ich?“

Sie schüttelte nur den Kopf: „Warum begreift Ihr das denn nicht? Die Götter haben diesen Ort verlassen. Endgültig verlassen. Sie kehren nicht zurück.“

„Sie können nicht zurückkehren“, stimmte die Geweihte da zu, „Denn sie waren nie fort. Sie waren immer da. Doch du blickst nur zurück und sieht nur die eine einzige Fußspur in der Erde hinter dir. Nur eine einzige und da fragst du dich, wo sie da waren, die Götter. Und du fragst zurecht. Doch schau dir deine Fußsohlen an! Schau sie dir ganz genau an! Kein Krümel Erde hängt daran, denn es waren die Götter und die Götter allein, die dich diesen langen und entbehrungsreichen Weg getragen haben.“

Einen Augenblick herrschte schweigen zwischen den beiden Frauen. Dann schüttelte Mirya langsam ihren Kopf: „Ihr versteht nicht. Ihr müsst gehen. Ihr müsst!“ Sie biss sich auf die Lippen, ließ ihren Blick zur Seite schweifen und erklärte: „Es beginnt alles damit, dass man nachts immer wieder erwacht. Man weiß nicht warum. Es gibt keinen Grund. Man erwacht dann immer häufiger. Irgendwann kommen die Träume. Schreckliche Träume. Träume von Tod und Verderben. Von verwesenden Leichen. Man hört sie rufen, schreien, obwohl sie tot sind. Zu Beginn sind es Fremde, doch dann werden es Freunde und irgendwann sind es die Eltern, Geschwister, die eigenen Kinder, diejenigen die man am meisten liebt. Man kann nicht mehr schlafen.“ Sie holte Atem. „Und dann, dann sieht man sie bei Tag. Sieht wie die Maden in ihnen krabbeln, wie sie in ihnen wühlen, wie sie sie auffressen. Bei den Augen, da fangen sie an.“ Sie deutete auf ihre eigenen Augen. „Und langsam, ganz langsam zehrt die Brache den eigenen Verstand auf und man fällt immer mehr und mehr dem Wahnsinn anheim, bis man nur noch einen einzigen Ausweg kennt - den Tod!“

Nurinai hörte aufmerksam zu.

„Ihr wärt nicht die Erste, der das widerfährt! Wärt nicht die Erste, die in den Praiosborn geht und dort für immer bleibt.“

„Ist das...“, hob Nurinai zaghaft an, „... schon einmal passiert? Hier passiert?“

Darauf gab Mirya keine Antwort, stattdessen sagte sie: „Ihr könnt mir noch so oft sagen, dass Ihr nicht unter diesen Träumen leidet. Ich glaube Euch nicht. Ich sehe es Euch an. Damals habe ich es ihr auch angesehen.“

„Ihr?“, fragte die Geweihte und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, dass es sehr wohl stimmte, was sie sagte. Zuerst war sie immer wieder nachts erwacht, dann waren die Träume gekommen. „Wovon sprichst du? Von wem sprichst du?“

„Wisst Ihr was mit der letzten Geweihten hier passiert ist?“

Nurinai wartete auf die Antwort.

„Eines nachts hat sie es nicht mehr ertragen und ist in den Praiosborn gegangen. Dort hat sie ihr Leben gelassen.“

Nun schüttelte die Geweihte ihren Kopf: „Man hätte nach ihr gesucht. Geweihte verschwinden nicht so einfach, schon gar nicht unbemerkt!“

„Hier an der Brache?“, Mirya lachte, „Hier sucht keiner nach einem! Wenn man verschwindet, dann hat sich die Brache denjenigen einverleibt. Und wer ist schon so lebensmüde und geht in die Brache um nach jemanden zu suche, der sehr wahrscheinlich bereits nicht mehr am Leben ist?“ Fragend sah sie die Geweihte an.

Eine Krähe ruft

An die Prätorin des Tempels unserer gütigen Etilia in Kammhütten, Greifenpass

Werte Líadáin,
 
 
 
 
als Du mir Marbhán geschenkt hast, da dachte ich, dass ich sie nie brauchen würde. Damals glaubte ich, dass sie nur eine Geste Deines Vertrauens in mich und eine Anerkennung meiner Fähigkeiten sei. Heute frage ich mich manchmal, ob Du nicht etwas geahnt hast.

Wie dem auch sei: Ich habe Marbhán einsetzen müsse. Es war eine schwere Geburt. Die Mutter lag seit Tagen in den Wehen, das Ungeborene jedoch steckte fest. Als ich eintraf, war es bereits nicht mehr am Leben. Es war schrecklich, Líadáin! So schrecklich! Genauso schrecklich wie damals. Doch die heilige Etilia stand mir bei und die göttliche Kraft unseres Herren hat mich die ganze Zeit erfüllt.

Das Schrecklichste war jedoch nicht, dass ich das Ungeborene auf diese Art und Weise habe holen müssen, sondern das es kein normal geartetes menschliches Wesen zu sein schien: Seine Gliedmaßen waren miteinander und ineinander verwachsen, dazu noch verkrüppelt, deren Anzahl lag ohnehin über denen gewöhnlicher menschlicher Wesen, Finger- und Fußnägel erinnerten eher an Krallen, die Augen an die einer Raubkatze, die Zähne waren bereits alle vollständig durchgebrochen, standen in zwei Reihen und waren messerscharf, der Rücken war eröffnet, sodass die Lunge zu sehen war, das Herz lag außerhalb der Brust. Allgemein erschien es mir mehr Tier als Mensch zu sein, nicht zuletzt, weil seine Haut mit einem dichten, dunklen Flaum überzogen war. So etwas, habe ich noch nie gesehen.

Es war auch nicht das einzige Kind, dass missgestaltet war. Ich war noch bei einer weiteren Geburt zugegen. Auch dieses Ungeborene war bei meiner Ankunft bereits tot. Da es aber noch Zeit gehabt hätte, dadurch noch nicht voll entwickelt war und deswegen noch recht klein, konnte es auf normalen Wege geboren werden. Die Unreifezeichen waren deutlich, die der Missbildung jedoch auch.

An einen Zufall glaube ich nicht, da auch der Praiosborn immer wieder missgebildete Fische hervorbringt, bin ich überzeugt, dass es etwas mit der Brache zu tun hat, mit der sich die Menschen hier auf eine seltsame Art und Weise arrangiert zu haben scheinen. Man hütet hier ein Geheimnis, dass man bisher nicht einmal mir anvertraut hat und was sollte das für eines sein, wenn nicht ein niederhöllisches?

Das Schlimmste jedoch, das Allerschlimmste ist, dass jemand das erste Ungeborene ausgegraben hat, nachdem ich es auf dem Boronanger begraben hatte. Líadáin, hast Du das schon einmal erlebt? Jemand ist des Nachts auf den Boronanger geschlichen, hat dort das eingesegnete Grab geöffnet und alle Einzelteile ausgegraben und mitgenommen. Ailsa hat mit der Inquisition gedroht, falls die Überreste nicht binnen Tagesfrist wieder da sind. Sie sind wieder aufgetaucht. Seitdem überantworte ich die Toten dem Feuer.

Die Ereignisse haben mich ratlos gemacht. Die Menschen reden einfach nicht und egal was ich versuche, ich kann ihr Schweigen nicht brechen. All die Geduld und das Verständnis, das ich ihnen versucht habe entgegenzubringen, haben mich bisher nicht weiter gebracht. Ich weiß einfach nicht, wie ich dem Ganzen hier noch begegnen soll. Was würdest Du tun?

Ich möchte Dich auch noch um einen weiteren Rat bitten, denn eine Frage quält mich ganz besonders: Wenn ein solches Kind jemals lebend zur Welt kommen sollte, was soll ich tun?
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Nurinai ni Rían

Eine Krähe antwortet

An die Dienerin des Raben Nurinai ni Rían in Praiosborn, Kaiserlich Brachenwacht, Garetien

Werte Nurinai,
 
 
 
 
unser Herr hatte einen Grund Dich und Deine Schwestern nach Praiosborn zu führen. Nun scheinst Du auf den Grund gestoßen zu sein und auch auf Deine Aufgabe, denn das es eine geben wird, das hat Bishdariel Dir in Deinen Träumen eröffnet. Und so wie er Dir einen Traum schickte, hat er auch mir einen geschickt und da wusste ich, dass es an der Zeit war Dir das geeignete Werkzeug an die Hand zu geben. Über das Wissen verfügst Du schon lange, dass Du auch kundig in der Anwendung bist, hast Du als meine Schülerin unter Beweis gestellt, nur das Instrument an sich, hat Dir gefehlt. Marbhán wird Dir treue Dienste leisten.

Die von Dir beschriebenen Ereignisse sind höchst besorgniserregend. Auf der einen Seite, weil ich vermute, dass Fälle von missgebildeten oder nicht lebensfähigen Kindern nicht neu sind, gleiches gilt für Fehl-, Früh- und Totgeburten. Auf der anderen Seite, weil es mir höchstes Unbehagen bereitet, dass es dort Personen gibt, die eingesegnete Gräber öffnen und die Begrabenen aus der geweihten Erde entnehmen. Das ist ein Frevel wider unseres Herrn!

Was Dein weiteres Vorgehen betrifft, so rate ich Dir: Halte Dich an die Frauen! Sie werden der Schlüssel sein. Denn die Frauen sind es, die missgebildete Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die tote Kinder zur Welt bringen. Sie sind es, die Fehlgeburten erleiden. Sie sind es, die besonders unter der Situation zu leiden haben und so werden sie es sein, die zuerst reden werden. Gedulde Dich noch ein wenig, Nurinai, doch sei unnachgiebig. Wenn sie Dir vertrauen, weil Du ihnen in ihren schwersten Stunden beigestanden hast, dann werden sie zuerst Rat bei Dir suchen und sich schlussendlich Dir offenbaren. So lange musst Du die Zeit nutzen: Höre zu, beobachte, damit Du ihnen, wenn sie sich Dir mitteilen, einen echten Ausweg bieten kannst. Hast Du sie überzeugt, werden die Frauen die Männer überzeugen.

Ich möchte Dir auch noch Deine letzte Frage beantworten: Der Rabe erhält, was des Rabens ist. Vergiss das nicht.
 
 
 
 
Hochachtungsvoll Líadáin ni Rían

Hüterin des Rabens im Tempel unserer gütigen Etilia

Iwo und Iwana

Ausgeschwärmt

Praios [fertig]

Aspekt: Ordnung

Firun [fertig]

Aspekt: Jagd

Rondra [fertig]

Aspekt: Mut/Tapferkeit

Boron [fertig]

Aspekt: Traum/Vision

Efferd

Aspekt: Regen

Dämonenbrache, Golgari-Schrein, 27. BOR

Als Lorine am Morgen erwachte, hörte sie den Regen. Ganz leise hörte sie ihn, aber unablässig. Sie kuschelte sich noch ein wenig in ihre klamme Decke, machte noch einen Augenblick die Augen zu, nur für einen winzigen Augenblick und drehte sich noch einmal um. Aufstehen wollte sie nicht, zumal sie gewiss raus in den Regen musste, raus in die Kälte, um nach den Pferden zu sehen. Es schüttelte sie schon allein bei dem Gedanken und deswegen drehte sie sich noch einmal um, machte aber die Augen einen Spalt weit auf und linste hinaus. Die beiden Schlafstätten neben ihr waren verwaist. Sie öffnete ihre Augen weiter. Doch noch immer waren die beiden Schlafstätten verwaist. Das setzte sie sich ruckartig auf, doch die beiden Schlafstätten blieben einfach verlassen. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend drehte sie sich da um.

Zumindest ihre Pagenmutter lag noch auf ihrer Schlafstatt. Das beruhigte Lorine. Zumindest irgendwie. Irgendwie...

Sie schälte sich aus den Decken, stand auf und ging zu den beiden Lagern der anderen Schwestern hinüber. Sie waren kalt. Dort hatte schon längere Zeit niemand mehr gelegen.

„Seltsam“, wisperte sie leise und wandte ihren Blick zu ihrer Pagenmutter, an deren Bett sie sich niederließ, zuerst einmal nach ihr sah, jedoch schnell feststellte, dass sie noch immer ohne Bewusstsein war und dann ein Gebet zum Herrn Boron sprach, so wie sie es jeden Morgen tat, meist jedoch mit allen drei Schwestern zusammen. Als auch dann noch keine der anderen beiden Schwestern aufgetaucht war, streifte sie sich ihre dicke, schwarze Cappa über und begab sich in den Regen hinaus.

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Ruhig lag der Praiosborn da. Ganz ruhig. Und ganz blau. Tiefblau. In einem Boot trieb sie auf dem See. Trieb so vor sich hin. In die Mitte des Sees. Ganz von selbst. Dorthin wo das Blau des Wassers am Tiefsten, am Kräftigste war.

„Wir müssen lernen...“, hob eine Stimme ihre gegenüber im Boot an, „... loszulassen.“

Sie blickte auf und erkannte ihre Base Liadain ni Rían, Hüterin des Rabens im Tempel der gütigen Etilia auf dem Greifenpass. Die Geweihte stand vor ihr im Boot, die Arme weit ausgebreitet, die Augen geschlossen.

„Loszulassen“, fuhr sie fort, „Und dem Raben zu vertrauen. Denn ihm gehört unser Leben. Er wird uns zu sich rufen, wenn die Zeit gekommen ist. Wenn unsere Zeit gekommen ist. Und nicht davor.“

Nurinai blickt zu ihr auf. Über Götterläufe war sie ihre Lehrmeisterin gewesen. Von ihr hatte sie so viel gelernt, so unglaublich viel.

„Und nicht davor“, wiederholte sie leise, „Und nicht davor!“

Nun öffnete sie ihre Augen und blickt Nurinai direkt an.

„Und nicht davor!“, wiederholte sie erneut.

„Und nicht davor...“, wisperte auch Nurinai.

Und ruhig lag der Praiosborn da. Ganz ruhig. Erschreckend ruhig. Als hüte er ein Geheimnis. Ein schreckliches Geheimnis. Ein leichtes Kräuseln und...

... Nurinai erwachte. Schreiend. Schweißgebadet. Unter ihr die Brache. Modrige Erde. Gestrüpp. Dürre Halme. Sie blickte zum Himmel empor. Regen fiel auf sie herab. Tropfen um Tropfen. Nurinai setzte sich auf. Wischte sich mit dem Ärmel ihrer Robe übers Gesicht. Fröstelte. Blickte noch immer zum Himmel hinauf. Dicke Wolken. Finstere Wolken. Dann blickte sie sich um und erkannte doch nichts anderes als… Brache. Brache so weit ihr Auge reichte. Alles Brachland. Nichts sonst. Nur Brache. Brache. Brache.

Sie schluckte schwer, versuchte sich die nahenden Tränen aus den Augen zu wischen, kauerte sich auf dem Boden zusammen, wie ein Kind im Leib seiner Mutter und wimmerte: „Herr, warum hast Du mich verlassen? Warum hast Du mich ver...“

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[Scanlail]

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[Nurinai]

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Der Regen war tatsächlich nicht so schlimm, wie das Mädchen erwartet hatte. Es nieselte lediglich ein bisschen. Die Pferde hatten sich draußen über das wenige Gras hergemacht, welches um den Golgari-Schrein herum wuchs. Viel fanden sie da nicht, aber sie hatten etwas zu tun, zumal Beißi das meiste natürlich für sich beanspruchte. Immer wenn eines der anderen Pferde eine interessante Stelle mit saftigem Gras gefunden hatte, dann kam er an und drückte es weg, um selbst zu fressen, wozu er eigentlich gar nicht kam, weil da schon wieder eines der anderen Pferde eine interessante Stelle mit noch saftigerem Gras gefunden hatte. Sonderlich intelligent war Beißi nämlich nicht. Das wusste Lorine selbstredend. Und deswegen war es auch kein Problem, dass sie ihnen nun allen ein bisschen Hafer fütterte, natürlich drängelte sich Beißi wieder mal vor, bemerkte aber nicht, dass Lorine ihn so nur austrickste, denn was sich hinter seinem Rücken abspielte, das konnte der gute Beißi nicht sehen. Ja, wirklich helle war er nicht. So wie mancher Ritter, durchfuhr es Lorine schelmisch.

Danach suchte sie nach den beiden Schwestern. Rief immer wieder: „Nurinai? Scanlail?“ Eine Antwort erhielt sie jedoch nicht. Erhielt sie nie. Ganz gleich wie lange sie rief. Als ihre Stimme schließlich versagte, da hörte sie auf zu rufen, suchte jedoch weiter, auch wenn sie sich nicht weit vom Schrein weg traute. Zu groß war ihre Angst, vor dem was in der Brache lauerte und sie war ja noch so klein, nur ein Kind und was vermochte sie schon zu tun?

Und so wie es ihre Art war, betete sie. Diese mal jedoch nicht zum Herrn über Schlaf und Tod. „Oh Unberechenbarer, Herr des Wassers, bitte lass Milde walten und zeige Dich gnädig: Bitte mach, dass der Regen aufhört. Ich werde Dir das nie vergessen. Ganz gewiss nicht.“

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[Nurinai]

Peraine

Aspekt: Hilfsbereichtschaft/Heilung

Dämonenbrache

Gegen Abend bemerkte Lorine zum ersten Mal, dass etwas mit ihrer Pagenmutter nicht stimmte. Da stand bereits kalter Schweiß auf ihrer Stirn. Ihr Gesicht war ganz blass, erbärmlich blass. Und der kleinen Pagin war klar, dass es nicht nur ernst war, sondern auch, dass sie etwas tun musste, doch was?

Sie kramte im Gepäck der Geweihten. Die hatte auch zahlreiche Fläschchen und Tiegelchen dabei, doch hatte Lorine überhaupt keinen blassen Schimmer, wofür man was benutzte. Da trat plötzlich jemand in den Schutz des Schreines. Lorine blickte auf. Regentropfen perlten vom Umhang der Frau. Freundlich lächelnd schaute sie auf das Mädchen herab.

„Boron zum Gruße, mein Kind“, hob die Fremde an und blickte sanftmütig auf die am Boden kniende Lorine herab, „Der Herr Efferd scheint uns wohl zu zürnen, so wie er uns mit seinem Regen zu strafen versucht...“

Mit einer eleganten Bewegung legte sie ihren bodenlangen, schwarzen Wollumhang ab.

„Ihr seid...“, stotterte Lorine da vollkommen fassungslos, als sie die beiden einander zugewandten Raben auf der Robe der Fremden erkannte, „... eine... eine Etilianerin!“

Sanftmütig nickte die Geweihte.

„Das... das ist... gut. Sehr gut“, fuhr das Mädchen fort, sprang vom Boden auf und lief auf die Fremde zu, deren Hand sie sogleich ergriff und sie ohne Widerstand an das Lager ihrer Pagenmutter führte, „Könnt Ihr nach ihr schauen? Sie hat Fieber...“ Mit ihren unschuldigen blauen Augen schaute Lorine die Fremde an.

Einen Moment schaute die Fremde die am Boden liegende Ritterin an. „Ich werde sehen, was ich für Deine Pagenmutter tun kann, mein Kind.

[...]

„Ihr seht aus, wie die Heilige Etilia“, bemerkte die kleine Pagin da plötzlich verblüfft.

Die Geweihte schenkte ihr ein mildes Lächeln.

„Ich habe mal ein Bild von der Heiligen Etilia gesehen“, sie nickte energisch, sodass ihr braunes Haar mitwippte, „und das sah aus, wie Ihr. Genau so.“ Noch immer lächelte die Geweihte. Schwieg sich aber aus.

„Habt Ihr dem Maler Modell gesessen?“

„Welcher Maler hat es den gemalt?“

„Hm“, machte Lorine, „Das weiß ich nicht.“

„Dann kann ich nur sagen: Vielleicht.“

Einen Moment schwiegen sie sich an.

„Mein Pony Flocke ist tot...“, platzte es da abrupt aus dem Mädchen heraus.

„Da tut mir sehr leid“, erwiderte die Fremde, „Es ist immer schmerzlich, wenn jemand gehen muss.“

„Etwas aus der Brache hat es umgebracht. Hat einfach in es reingebissen“, sie schüttelte sich, „Und dann war es tot... Einfach so. Einfach so...“

Wieder nickte sie.

„Glaubt Ihr, Tiere haben eine Seele?“

„Auch Tiere haben eine Seele. Auch sie sind Geschöpfe der Zwölfe.“

„Dann kommen auch sie in eines der zwölfgöttlichen Paradiese?“

„Ein jede Seele, die von den Göttern kommt, kehrt auch zu ihnen zurück.“

Einen Augenblick schwiegen sie sich an.

„Wisst Ihr, was seltsam war?“, hob die junge Pagin da an.

Auffordernd sah die Geweihte sie an.

„Obwohl Beißi – das Streitross meiner Pagenmutter – niemanden anders auf seinem Rücken duldet, als meine Pagenmutter selbst, hat er mich nicht abgeworfen. Er ist sogar für mich gelaufen. Das ging ganz leicht. Einfach so. Und dann...“, sie verstummte einen Moment, „... habe ich Flocke gerächt und diesem Ding die Axt in den Schädel gehauen.“ Lorine sagte das so ruhig und gelassen und beiläufig, als hätte sie gerade eben darüber berichtet, was sie zum Frühmahl gegessen habe. „Das war echt seltsam...“

Noch immer schwieg die Geweihte. Blickte das Mädchen aber interessiert an.

„Warum hat er das gemacht? Warum ist er für mich gelaufen?“

„Lorine“, hob die Geweihte da an, „Nicht immer ist alles so wie es scheint...“

„Aber... aber... Beißi ist gelaufen. Das weiß ich ganz genau!“

„Vielleicht warst du nicht die einzige, die auf seinem Rücken saß?“

Mit gerunzelter Stirn schaute Lorine sie da an.

„Vielleicht hattest du ja göttlichen Beistand?“

Da guckte das Mädchen nur noch verwirrter.

„Vielleicht war es ja die Herrin Rondra die da mit dir auf dem Streitross deiner Pagenmutter saß und deine Hand gegen jenes Untier führte?“

„Die Sturmherrin?“, das Mädchen schüttelte heftig ihren Kopf, „Die hätte Beißi ganz bestimmt abgeworfen...“

Da lachte die Geweihte: „Ein Pferd, dass selbst die Herrin Rondra abwirft? Wo hat man so etwas schon mal gehört?“

„Wenn‘s doch stimmt!“, protestierte die Pagin.

Nun musste die Geweihte nur noch mehr lachen. Sie hatte ein schönes Lachen. Eines, dass das Mädchen an das Lachen Nurinais erinnerte.

„Also wenn... ja, wenn es so war... also wenn... dann... dann... dann muss es schon die heilige Etilia gewesen sein!“, fuhr Lorine fort.

Abrupt verstummt die Geweihte da.

„Ja, da guckt Ihr!“, das Mädchen nickte selbstbewusst, „Die ist nämlich neben dem Herrn Boron die Schutzpatronin des Hauses Rían.“

Die Geweihte wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und erklärte: „Dann muss es wohl so gewesen sein. Genau so. Und nicht anders.“

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Am Abend als die Geweihte neben Lorines Pagenmutter saß und sich das Mädchen in eine Decke eingekuschelt hatte, die dicke Cappa über sich ausgebreitet, da wisperte sie im Halbschlaf: „Seid Ihr sicher, dass Ihr nicht doch die heilige Etilia sei… ?“

Rahja

Aspekt: Musik/Liebe

Dämonenbrache

Nella?“, entfuhr es Scanlail da plötzlich, als sie das Mädchen neben sich sitzen saß.

Die junge Schäferin schaute sie lächelnd an: „Den Zwölfen zum Gruße!“

„Die Zwölfe auch mit dir, Nella“, erwiderte sie etwas verunsichert, „Was machst du denn hier?“

„Ich?“, erwiderte das Mädchen und zeigte mit ihrer rechten Hand auf sich selbst, „Ich bin eigentlich gar nicht da.“

Die Skaldin lachte kehlig: „Was soll das denn heißen? Natürlich bist du da! Ich seh dich doch!“

„Ah das!“, sie winkte ab, „Eigentlich bin ich gar nicht da. Ich bin zuhause. Bei meinen Schafen. Die kann ich doch nicht alleine lassen. Die bekommen doch bald Lämmer.“ Um ihre Aussage zu bekräftigen nickte sie energisch. „Was Ihr nur wieder denkt! Was sollte ich denn hier bei Euch in der Brache?“ Vorwurfsvoll blickte das Mädchen sie mir ihren tiefbraunen Augen an.

„Ja... aber... aber... ich seh dich doch!“, beharrte die Skaldin und deutete geradezu verzweifelt auf das Mädchen neben sich.

„Ja“, nun nickte Nella eifrig, „Ja, klar sehr Ihr mich, weil Ihr Euch mich einbildet.“

„Ein... was?“, entfuhr es ihr.

„Einbildung. Halluzination“, half das Mädchen nach, „Wenn man Dinge sieht, die gar nicht da sind.“

„Eine Halluzination will mir erklären, dass sie eine Hallu...“, Scanlail lachte kehlig, „Ich... ich... ich versteh‘s nicht.“

„Was gibt‘s denn da nicht zu verstehen?“, fragte das Mädchen schulterzuckend, „Ich bin nicht da, weil ich zuhause bin, bei meinen Schafen, die brauchen mich, weil die bald Lämmer bekommen und ich da bei ihnen sein muss. Daher kann ich gar nicht hier bei Euch in der Brache sein – jetzt denkt doch mal nach! Was für einen Unfug Ihr da gerade redet! Und weil ich nicht da sein kann, bildet Ihr Euch mich eben nur ein, was gibt‘s denn da nicht zu verstehen?“

Mit gerunzelter Stirn schaute die Skaldin die junge Schäferin an.

„Beweis es“, forderte die Rían ihre Halluzination auf.

Nella kicherte vor sich hin: „Wie soll das denn gehen?“

„Dann lass dir... eben etwas einfallen!“

„Dann... dann...“, das Mädchen überlegte, „Dann spielt mir was vor.“

„Und wie sollte das beweisen, dass Du gar nicht wirklich da bist?“

„Das tut es nicht, aber dann hab ich wenigstens was davon und langweile mich hier bei Euch nicht...“

„Du bist eine Halluzination! HALLUZINATION! Du kannst dich gar nicht langweilen.“

„Woher wisst Ihr das so genau?", sie legte ihren Kopf leicht schräg und musterte Scanlail, "Wart Ihr schon mal eine Halluzination?“

„Nein... Nein, natürlich nicht. Aber... aber das ist doch logisch. Wie sollte das denn überhaupt gehen? Eine Halluzination die sich langweilt, wo gibt's denn so was?“

„Na hier! Und Ihr seht doch, dass es geht. Warum fragt Ihr dann so blöd?“

Scanlail schlug sich gegen ihre Schläfe und rief laut: „AAAAHHHH! Ich werd‘ wahnsinnig! Ich werd‘ wirklich wahnsinnig!“

Aber Nella gab nicht nach: „Wie sieht es jetzt aus? Spielt Ihr was? Das Koscher Wiegenlied aus Eurer Heimat gefällt mir ganz besonders, spielt Ihr mir das?“

Nun seufzte die Skaldin schwer: „Und worauf sollte ich das denn spielen?“

„Na auf der Flöte, die ich Euch geschenkt habe.“

„Auf der...“, nun schüttelte sie ihren Kopf, „Die ist absoluter Mist! Die funktioniert doch gar nicht! Aus der kommt kein einziger Ton!“

„Ach, Ihr habt sie doch noch gar nicht ausprobiert.“

„Und ob! Mehrfach sogar. Aber aus diesem dummem Ding kommt einfach kein einziger Ton raus.“

„Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass Ihr gar nicht spielen könnt?“, herausfordernd schaute das Mädchen sie an, „Kann ja jeder von sich behaupten, dass er eine Skal...“

„So“, entgegnete sie nun der jungen Schäferin zornig und zog die kleine Flöte aus einer ihrer Innentaschen heraus, „Pass auf. Ich zeig dir gleich, was für einen Scheiß du mir geschenkt hast.“

Sie setzte die Flöte an die Lippen, die Finger auf den schmalen Öffnungen und blies und... ein Ton erklang. Ein Ton erklang!

Verblüfft und auch ein bisschen entsetzt blickte sie drein. Blies erneut. Wieder erklang ein Ton. Sie wechselte die Finger, ließ eine andere Öffnung frei, blies wieder hinein und wieder erklang ein Ton.

„Das... das verstehe... verstehe ich nicht“, erwiderte sie seltsam Kleinlaut, „In Praiosborn hat sie nicht funktioniert. Ganz sicher nicht.“

Nella trug ein geheimnisvolles Lächeln auf den Lippen. Sie zuckte mit den Schultern und erklärte: „Die Brache hat ihre eigenen Gesetze. Ihre ganz eigenen. Spielt Ihr mir jetzt das Wiegenlied aus Eurer Koscher Heimat? Ihr spielt und ich singe?“

Scanlail spielte und Nella sang und in Gedanken sprach die Rían ein leises Gebet: ‚Oh Herrin der Morgenröte, wie großzügig hast Du mich mit Deinen Geschenken bedacht. Ich werde Dir auf ewig dafür verbunden sein!‘

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[Nurinai]

Travia

Aspekt: Familie

Dämonenbrache

Hesinde

Aspekt: Wissen ist Macht!

Dämonenbrache

Tsa [fertig]

Aspekt: Leben/Hoffnung

Dämonenbrache

„Wie lange liegt sie schon so da?“, fragte Nurinai die kleine Pagin und versuchte ihre Sorge so gut es ging zu verbergen.

„Seid Ihr weg seid“, erwiderte das Mädchen, „Seit dem liegt sie so da.“

Ailsa lag auf auf einer Decke auf dem Boden im Inneren des Boron-Schreines. Über sie war eine weitere Decke und ihre dicke, schwarze Cappa gebreitet. Einzig ihr Gesicht war zu sehen. Ein blasses, aschfahles Gesicht, bewegungslos und starr. So kannte man sie nicht.

„Hm“, machte die Geweihte da, nachdem sie ihre Schwester noch einmal genau angeschaut hatte. Scanlail blickte sie fragend an.

„Und sie ist nicht aufgewacht oder dergleichen?“, fuhr Nurinai fort.

„Nein“, Lorine schüttelte ihren Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. „Aufgewacht ist sie nicht. Sie war ganz fiebrig, hat im Schlaf gesprochen, aber ganz wirr und undeutlich, dass ich es gar nicht verstanden habe. Ich hab ihr ein paar Tage Wickel mit Donf gemacht, damit ist ihr Fieber weggegangen.“

„Hm“, machte die Geweihte da erneut.

„Sie kommt doch wieder, ihro Gnaden Nurinai? Tut sie doch, oder?“, mit ihren großen blauen Augen schauten sie die Geweihte an.

„Was soll das denn heißen?“, echauffierte sich die Skaldin, „Was, bei allen Zwölfen, meinst Du mit ‚sie kommt doch wieder‘?“

„Ich habe gehört... also...“, druckste das Mädchen nun herum, „... dass nicht alle zurück... kehren. Manchen... ja manchen schickt der Herr Boron eine Vision und sie ist so... so stark und... und führt sie so weite weg, dass... dass sie nie wieder... nie wieder... zurück finden... ins Leben.“

Da schluckte Scanlail schwer. „Das denkst Du Dir doch geraden nur aus“, schimpfte sie da, „Nurinai, sag mir, dass sie sich das nur ausdenkt!“

Die Geweihte schenkte ihrer Schwester einen langen, vielsagenden Blick, ehe sie erwiderte: „So etwas hat es schon gegeben.“

Die Skaldin machte ihren Mund auf, wollte etwas erwidern, irgendetwas, aber sie wusste einfach nicht was, so sehr sie sich auch mühte, ihr fiel einfach nichts ein, weswegen sie ihn einfach wieder zuklappte und ihre Schwester auffordern anblickte.

„Aber...“, hob diese nun an, „... das kommt so selten vor. Wirklich ausgesprochen selten. Und... und abgesehen davon hat Ailsa… deine Pagenmutter... also die hat ja...“

„... die hat noch so vielen in ihre hübschen Ärsche zu treten – diesem merkwürdigen Abt vom Hesinde-Kloster oder dem Síofra oder dem Marktvogt höchstpersönlich, wobei zugegeben nicht alle von denen einen hübschen Arsch haben, aber zum Reintreten reicht auch ein hässlicher – Du siehst also, die kommt auf jeden Fall zurück! Ganz sicher sogar. Du glaubst doch nicht wirklich, dass sie sich das entgehen lässt, oder?“, griff Scanlail die Worte ihrer Schwester auf und untermalte diese gegenüber der Pagin mit einem energischen Nicken.

Nurinai lachte: „Besser hätte ich es auch nicht formulieren können, thorwalsche Rose.“

Lorine überzeugte das allerdings nicht so wirklich: „Und warum ist sie dann bisher noch nicht zurück gekommen?“

„Weil... weil...“, suchte Scanlail nach Worten, „Weil es manchmal eben dauert. Manchmal ist das eben so.“

Zweifelnd blickte das Mädchen die Geweihte an und Nurinai nickte lächelnd: „Sie hat recht. Manchmal dauert es eben ein wenig. So eine Vision ist kräftezehrend und manche brauchen länger um sich davon zu erholen als andere. Ailsa mag eine Ritterin sein, sie kann ihre Orknase und auch das Schwert hervorragend führen, auch mit Saufeder und Lanze vermag sie umzugehen, aber das Geschenk, dass mein Herr ihr nun gemacht hat, das ist etwas vollkommen Neues für sie. Gib ihr etwas Zeit, Lorinchen. Sie wird keine von uns verlassen. Keine.“

Da rang sich die Pagin ein Lächeln ab und versuchte aufmunternd drein zu blicken: „Ich habe immer zum Herrn Boron gebetet. Und auch zur heiligen Etilia.“ Sie nickte energisch. „Können wir jetzt auch beten? Zusammen?“

Die Geweihte nickte: „Klar.“

Sie setzten sich um die noch immer bewusstlose Reichsritterin, hielten sich an den Händen und die Geweihte wandte sich an die Götter oder viel mehr an eine ganz besondere Göttin: „Ewig Junge, Du, mit der alles beginnt, Du, die uns ins Leben führt, führe auch unsere Schwester wieder ins Leben zurück.“

Phex [fertig]

Aspekt: Vision/Nacht

Dämonenbrache

Ihr Blick hielt sie. Band sie. Durchdrang sie. Machte sie kalt und starr. Sie vergaß, dass sie Flügel hatte und hätte davon fliegen können. Sie vergaß alles um sich herum, alles und jeden. Für sie gab es nur diese Augen, diese feurigen, blutroten Augen, die sie lähmten, die sie...

Da stießen plötzlich zwei weitere Krähen herab. In wildem, geradezu irrem Flug umkreisen sie sie. Immer wieder und wieder. Tollkühn stellten sie sich der Gestalt in den Weg und durchtrennten mit ihrem Gehabe das mächtige gewebte Band, brachen die Magie, welche von den feurig, blutroten Augen ausging, krächzten und schrien, stießen herab und dann wieder herab und...

Da begriff sie plötzlich, dass sie eine von ihnen war, dass sie eine Krähe war. Sie spreizte ihre Flügel, erst langsam und vorsichtig, als müsste sie sich versichern, dass sie wirklich welche hatte, dann heftiger. Sie ließ sich von dem Ast fallen, stürzte zu Boden, drohte mit voller Wucht aufzuschlagen, doch dann schlug sie mit den Flügel, schlug heftig und stark – das Fliegen verlernte man nicht – und erhob sich in die Lüfte. Höher und höher. Immer höher flog sie. Die Gespenster- und die Nebelkrähe dicht an ihrer Seite. Sie leiteten sie, führten sie. Immer wieder stießen sie Rufe aus, versicherten sich, dass sie noch da war und flogen dann weiter. Immer weiter und weiter flogen sie. Unter ihnen erstand unterdessen Gareth wieder aus den Trümmern. Die Schatten verschwanden. Aus Ruinen wurden Häuser und Gebäude und die Kuppel des Praios-Tempels erstrahle gülden im Licht des hoch oben stehenden Praiosmales. Und auch jenseits der Metropole kehrten die Menschen zurück. Über die sanften Hügel begannen sich Straßen zu ziehen, trennten Wälder, Wiesen und Felder. Häuser wuchsen empor. Korn stand gülden auf den Äcker, die Halme bogen sich unter der schweren Last der goldenen Ähren.

Und die Brache schwieg. Atmete, aber schwieg. Sie zogen über sie hinweg. Flogen über sie. Immer weiter und weiter. Sie konnten sie atmen hören. Atmen. Zwar nur ganz leise, aber sie konnte es hören oder vielmehr spüren.

Sie ließen sich sinken. Folgten dem leichten Luftstrom, dem Atme der Brache. Er schien sie anzuziehen. Immer abwärts, immer weiter. Vor ihnen kam ein rundes Gebäude in Sicht. Ein kleines Rundes Gebäude. Mit einem Säulengang. Sie sanken weiter. Immer weiter und weiter, bis ihre Füße den Boden erreichten.

Und Ailsa erwachte. Einen Augenblick starrte sie verwirrt in die Dunkelheit hinein, wusste nicht, was sie geweckt hatte, da erkannte sie die Umrisse der Vögel. Die weißen Zeichnungen der Nebel- und Gespensterkrähe hoben sich deutlich sichtbar gegen die Finsternis ab. Die dritte Krähe jedoch, blieb ihr verborgen, denn mit ihrem vollkommen schwarzen Gefieder fügte sie sich völlig in die Umgebung ein. Irgendwo in der Ferne hörte sie das Bellen eines Fuchses.

„Danke, Herr der Nacht“, wisperte sie mit kehliger Stimme, „Ich schulde Dir wohl was.“

Damit drehte sie sich auf die Seite und glitt in Borons Arme.

Ingerimm

Aspekt: Gemeinschaft

Dämonenbrache, 1. Hesinde

[...]

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„Ich habe jemanden kennengelernt“, wisperte Nurinai da plötzlich leise.

Ailsa wandte ihren Blick zu ihrer Schwester: „Und?“

„Wir haben uns sehr gern. Wirklich gern. Überaus gern.“

„Und?“, bohrte nun die Skaldin weiter.

„Ich glaube, ich bin verliebt...“, ein bezauberndes Lächeln legte sich über ihre Lippen und ein merkwürdiger Glanz trat in ihre blauen Augen, „Ich glaube zum ersten Mal in meinem ganzen Leben bin ich verliebt. Zum allerersten Mal. Es ist... ist so ein unbeschreibliches Gefühl. So... so überwältigend. Doch... doch es ist mir erst jetzt klar geworden. Erst hier. Erst mit dem Tod von Angesicht zu Angesicht. Wir lieben uns.“

„Liebe ist so ein unbeschreibliches Gefühl“, hob Scanlail da nun seufzend an, „Sie erfüllt einen. Füllt einen aus. Eröffnet einem neue Perspektiven. Sie schenkt einem Hoffnung und Mut und macht vor allem die Dinge möglich, bei denen man dachte, sie seien es nicht. Ja, das ist sie. Die Liebe.“

„Wann stellst du ihn uns vor?“, wollte Ailsa ohne Umschweife wissen.

„Nicht ihn“, korrigierte die Geweihte mit einem verträumten Lächeln auf den Lippen, „sondern SIE!“

Die Würfel sind gefallen

Ein Nebelstreif am Horizont

Hesinde 1042

Langsam führte Yolande von Raukenfels ihre weiße Stute im Stall herum. Sie tat es ganz vorsichtig und zaghaft, beleuchtet vom diesigen Schimmer einer einzelnen Laterne. Es war schon spät am Abend, bald würde die Nacht hereinbrechen. Und auch diese würde sie zusammen mit ihrer treuen Begleiterin hier im Stall verbringen. Würde sie die ganze Zeit im Kreis führen. Immer wieder und wieder. Und das jetzt, wo sie eine Verzögerung am wenigsten gebrauchen konnte...

Da ging die Tür zum Stall auf und eine dunkel gekleidete Gestalt trat herein, gefolgt von dem kleinen Mädchen, dass hier zum Hof gehörte. Yolande blieb stehen, ihre Stute auch. Gebannt blickte Pferd und Reiterin auf die Gestalt, da schob sich das Mädchen zwischen sie und erklärte mit ihrer lieblichen Kinderstimme: „Ihro Gnaden Nurinai das ist Yolande von Raukenfels. Yolande von Raukenfels das ist ihro Gnaden Nurinai.“

Mit einer eleganten Bewegung schob die Geweihte ihre Kapuze nach hinten. Blaue Augen, tiefblaue Augen musterten Yolande. Ihre Kehle fühlte sich plötzlich entsetzlich trocken an. Sie schluckte.

„Boron mit Euch!“, grüßte die Geweihte mit einem warmen Lächeln auf den Lippen, ihr Blick ruhte noch immer auf ihrer Gegenüber. Yolande wollte etwas erwidern, konnte aber einfach nicht. Sie machte ihren Mund auf, klappte ihn dann aber einfach wieder zu.

„Seid ohne Furcht“, versicherte Nurinai da nickend, „Ich mag dem Herrn des Todes dienen, doch der Tod verpflichtet einem auch für das Leben.“

Noch immer befand sich Yolande im Bann dieser Augen. Diese Augen! Diese blauen Augen! Und wie sie sie ansahen. Ein merkwürdiges Schaudern ergriff sie.

„Gewiss“, erwiderte sie da kehlig, „Gewiss doch...“

Die Geweihte nickte milde, dabei wippte ihr braunes, leicht zerzaustes Haar mit. „Ein hübsche Stute habt Ihr da“, versuchte sie das Eis zu brechen.

Nebelstreif“, plapperte Nella eifrig, „Sie war ein Geschenk ihres Gattens zum Traviabund.“ Das Mädchen nickte energisch. „Und sie ist KEIN Beißi!“

Nurinai lachte herzlich und der Bann, der auf Yolande lag, brach.

„Was...“, hob sie da nun an, „Was ist denn ein... ein Beißi?“

Da lachte die Geweihte nur noch mehr. Ein warmes, herzliches Lachen, welches Yolande sogleich ganz tief in ihr Herz schloss.

„Nun, Nella, was ist ein Beißi?“, stellte Nurinai schließlich die Frage an jene, die sie aufgeworfen hatte.

Beißi ist das Pferd der werten Frau Reichsritterin. Die hat nämlich ein Pferd – das werdet Ihr mir jetzt wahrscheinlich nicht glauben, Frau von Raukenfels, aber es ist so wie ich es Euch sage, ihro Gnaden ist meine Zeugin – dass beißt alle bis auf die Reichsritterin und ihre Pagin.“ Wieder nickte das Mädchen zur Bekräftigung ihrer Worte. „Und wenn ich alle sage, dann meine ich auch alle! Es würde sogar die Kaiserin beißen, auch wenn die eine Frau ist!“

Einen Moment schauten die beiden Frauen sich fragend an, bis Nurinai schließlich mit den Schultern zuckte.

„Ein Streitross also“, schloss Yolande dann.

Nella guckte ein bisschen irritiert: „Woher wisst Ihr das?“

„Vielleicht ist die Frau von Raukenfels ja selbst eine Ritterin, was meinst du Nella?“

Da guckte das Mädchen mit ihren tiefbraunen Augen Yolande fasziniert an: „Dann habt Ihr auch einen Beißi?“

„Nella“, mischte sich nun die Geweihte ein, „Geh doch bitte nach drinnen und bitte deine werte Frau Mutter darum, uns ein kleines Mahl zu bereiten und es hier herauszubringen, denn die Nacht wird für uns eine lange werden.“

Pflichtbewusst nickte das Mädchen und eilte davon.

„Ich bin nicht sonderlich hungrig, ihro Gnaden“, erwiderte Yolande knapp.

„Ich weiß“, erwiderte Nurinai mit leiser Stimme, „Ich auch nicht, aber das Mädchen hat etwas zu tun...“

„Sie ist ein nettes...“, in diesem Augenblick zog die Geweihte ihre Cappa über den Kopf, was ihr braunes Haar nur noch mehr zerzauste und Yolande einen Moment inne halten ließ, „... Kind.“

„Mit einem äußerst wachem Verstand“, fügte die Geweihte hinzu.

[Brief 1 - Erinnerungen]

An die Dienerin des Raben Nurinai ni Rían, Praiosborn, Kaiserlich Brachenwacht

Ihro Gnaden Nurinai,
 
 
 
 
ich möchte mich bei Euch noch einmal bedanken, dass Ihr mir und Nebelstreif zur Seite gestanden habt.

Zu Beginn, das muss ich Euch nun wohl eingestehen, war ich etwas skeptisch, schließlich seid Ihr eine Dienerin des Herrn Boron. Doch mit Eurer geduldigen und liebevollen Art und Eurem unermesslichen Wissen, habt Ihr nicht nur mich überzeugt, sondern auch meiner geliebten Stute zur Genesung verholfen und obgleich die Zeit und auch die Umstände es eigentlich nicht erlauben, so will ich Euch doch sagen, dass ich nicht nur sehr froh war, Euch an meiner Seite zu wissen, sondern die Zeit mit Euch auch genossen habe.

Ihr seid eine bemerkenswerte junge Frau und ich kann Euch gut leiden. Ich hoffe sehr, dass wir uns eines Tages wiedersehen.
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Yolande von Raukenfels

[Brief 2 - Sympathie]

Yolande von Raukenfels, Stadt Samlor, Baronie Hirschfurten

Werte Yolande,
 
 
 
 
es freut mich zu hören, dass Ihr und Euer Pferd wohlauf seid. Beobachtet in der nächsten Zeit, wie Nebelstreif auf ihr Futter reagiert. Auf diese Weise ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Neigung zu Koliken rapide sinkt oder sogar ganz verschwindet. Falls diesbezüglich Probleme oder Fragen auftauchen sollten, wisst Ihr ja, wo ich zu finden bin.

Auch ich empfand Eure Gesellschaft als durchaus angenehm. Ihr seid eine aufmerksame und gelehrige junge Frau. Doch gerade Eure offene und ehrliche Art hat mich positiv beeindruckt. Seid versichert, dass Ihr jederzeit in Praiosborn willkommen seid!
 
 
 
 
Hochachtungsvoll

Nurinai ni Rían

[Brief 3 - Anziehung]

Was eine Novizin werden will

Aller Anfang ist schwer

Befleckt

Drei Krähen und zwei Räblein

Krähen im Maul des Greifen

Das eiserne Band