Geschichten:Kressenburger Neujahrsstechen 1042 BF - Teil 4: Unterschied zwischen den Versionen
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Aktuelle Version vom 7. Oktober 2019, 23:09 Uhr
Nu’ aber!
Dorf Grauweiler, Baronie Hollerheide, Rahja 1041 BF
Furgund von Hölderlingen schob die Brust raus, zog den nicht vorhandenen Bauch ein und reckte das Kinn. Erfüllt von einem Hochgefühl, das sie bisher nicht allzu oft empfunden hatte, lenkte sie ihre Nordmähne ‚Ringelchen‘ durch die schmalen, bisweilen an Rinnen erinnernden Gassen von Grauweiler. Ihre gelb-blaue Lanze und den Schild mit den gekreuzten Speeren hielt sie in festem Griff und für den Augenblick spürte sie das Gewicht der Reiserüstung fast gar nicht. So erhebend war das Gefühl, in einer Gruppe Ritter zu reiten, die sich für ein Turnier fein heraus geputzt hatten und stolz ihre Farben zeigten.
Nicht wenige der Dörfler hielten in ihren Verrichtungen inne, als die Ritterschar von Burg Distelstein herab ritt. Als sie die silberne Weide auf der grünen Flachspitze erkannten, erklangen sogar einige Hochrufe, denn angeführt wurde die Gruppe von der Base des hiesigen Barons, der Bärenritterin Edigna von Weiden-Harlburg. An deren grün-weiß geringelter Kriegslanze flatterte fröhlich ein schmaler, dafür aber umso längerer Wimpel im frischen Wind.
Gerade wie dieser Wimpel fühlte sich Furgunds Inneres an. Sie ritt endlich auf ihr erstes Turnier, noch dazu eines, das sie im vorigen Jahr als Knappin besucht hatte. Damals dazu verdammt, tatenlos zuzuschauen, weil ihre Mutter den Brauch, ältere Knappen im Teilnehmerfeld zuzulassen, entschieden ablehnte und durch nichts zu erweichen war.
Nu’ aber, denn inzwischen hatte sie ihre Schwertleite empfangen! Da konnte selbst ihre gestrenge Frau Mutter keinen Grund finden, der Furgund von der Reise nach Greifenfurt hätte abhalten können. Immerhin wusste sie halbwegs, was zu erwarten war. Das allein war schon gut. Zusätzlich machte sie das in der Gruppe zu einer begehrten Gesprächspartnerin. Das war ein ungewohntes Gefühl. Ungewohnt, aber ungemein gut.
Sie waren aber auch eine bemerkenswerte Schar, wie die Baroness von Rotenwasser fand. Viele junge Recken und Reckinnen, von denen die meisten ebenso ihrem ersten Turnier entgegen ritten. Gut, die Hohe Dame Edigna war nun wirklich nicht mehr jung, sondern schon in ihren hohen Dreißigern. Wofür sie allerdings erstaunlich frisch wirkte, wie Furgund anerkennend angemerkt hatte. Das hatte die Dame merkwürdigerweise gar nicht erfreut und Furgund einen langen, missgelaunten Blick eingebracht, wie auch die Versicherung, sie würde schon noch einsehen, wie wenig die Zahl der Winter über die Frische einer Ritterin des Bären aussagte. Und das hatte durchaus unheilvoll geklungen. Überhaupt wirkte die Weiden-Harlburg beim Anblick ihrer Reisegruppe nicht ansatzweise so begeistert wie der überwiegende Rest von ihnen. Irgendwas von „Kindermädchen“ hatte sie ihrem Vetter zugeraunt, und dass er gewiss nicht billig davonkäme.
Den jedoch hatte das nicht angefochten. Er hatte von einem Ohr zum anderen gegrinst, wie eigentlich die ganze Zeit, da er ihr Gastgeber gewesen war. Es war eine Überraschung gewesen, als eine Dienstritterin des hiesigen Barons im Grauweileraner Gasthaus aufgetaucht war und alle auf der Durchreise befindlichen Ritter eingeladen hatte. Lanzelund von Weiden-Harlburg und Streitzig ä.H. fühlte sich geehrte, würden sie auf ihrem Weg nach Kressenburg die Nacht auf der alten, über dem Dorf aufragenden Wehr des Nordens verbringen. Natürlich hatten sie angenommen. Alle!
Der Distelstein war eine imposante, uralte Burg, deren Grundmauern rabenschwarz und wehrhaft, deren Herz aber einladend und heimelig waren. Ihre Base Baldegund, von Furgunds Mutter als eine Art Anstandsdame mitgeschickt, war nicht müde geworden zu betonen, welche Ehre diese Einladung darstellte. Der Hausherr sei selbst ein begeisterter Turnierritter und genieße im Herzogtum wie auch darüber hinaus einen untadeligen Ruf. Vielen galt er gar als Anwärter auf den Titel des Ersten Ritters Weidens, wobei in diesem Zusammenhang auch oft vom Schönsten Ritter des Herzogtums gesprochen wurde. Beide Rollen füllte bislang Rondrian von Blauenburg aus und das sicher nicht schlecht. Aber, Furgund schürzte die Lippen, er war nun mal alt. Richtig jung war dieser Lanzelund zwar auch nicht, aber jünger und – da hatte Baldegund recht – überaus ansehnlich. Darüber hinaus war er jedoch uninteressant, weil vermählt und das auch noch glücklich, wie es den Anschein hatte.
Wie auch immer, ein Baron, der auf einen Schlag nicht weniger als acht Ritter mit Gefolge einlud und vortrefflich bewirtete, war sicher eine Zier für die ganze Weidener Ritterschaft. Der Abend im Rittersaal war anregend und lustig, nachdenklich und interessant gewesen. Furgund hatte viel Neues gehört und sie hatte Bekanntschaften machen und vertiefen können. Das allein war die Reise schon wert gewesen.
Sie löste sich aus ihrer inwendigen Betrachtung und blickte nach vorn. Hinter der Dame Edigna ritt ihr Knappe, und der war wirklich eine Überraschung gewesen. Jetzt, wo sie es wusste, sah sie ihm seine Abkunft durchaus an: die wilden, blonden Locken, die unternehmungslustig funkelnden Augen und dann natürlich das Profil. Marsus war wirklich das Bild von einem Löwenhaupt, und wenn sie nicht alles täuschte, würde er zu einem wahren Bären heranwachsen, denn schon mit seinen 16 Wintern war er so groß wie seine Schwertmutter und seine Schultern waren ordentlich breit. Der Junge war ein Enkelsohn Pagols von Löwenhaupt, des alten Familienschlachtschiffs, und erst seit recht kurzer Zeit auch ein „richtiger Löwenhaupt“, wie er selbst ein wenig scheu bekannt hatte. Seine Geschichte machte ihn für Furgund gleich noch viel sympathischer, und sie hatte es sich nicht nehmen lassen, dem Knappen einen Würzmet zu spendieren und sich mit ihm auszutauschen. Irgendwie ähnelten sich ihre Lebensgeschichten und so etwas verband.
Hinter Marsus, der natürlich die Farben seiner Herrschaft trug, ritt Luten Corrhenstein von Hirschenheide. Er war etwas älter als sie selbst, hatte aber schon die Erfahrungen eines Kriegszugs in den Knochen. Seinem Blick und der großen Narbe auf der Stirn entnahm sie, dass es keine angenehmen waren. Der Corrhensteiner war recht ansehnlich mit seinen kastanienbraunen Haaren und den hellbraunen Augen. Aber er war auch schweigsam und für ihren Geschmack zu ernst. An seiner Seite war stets eine junge Jagdhündin, die ihm auf Wort und Geste gehorchte und die es als Einzige geschafft hatte, Luten ein Lächeln zu entlocken. Alles in allem wirkte er nicht besonders vorfreudig, und Furgund hatte fast den Eindruck, als ritte er nicht aus eigenem Antrieb nach Kressenburg.
Hinter ihr folgten mit dem Bruder der Kornfeldener Baronin und einem ihrer Vasallen zwei direkte Nachbarn. Furgund war recht unsicher, wie sie diesen begegnen sollte. Sie persönlich hatte nichts gegen Kornfeldener, allerdings kannte sie die Geschichte Rotenwassers gut genug, um zu wissen, dass ihre Ahnen das kleine Kornfelden immer mal wieder in wenig freundlicher Absicht besucht hatten. Soweit sie wusste, war ihr Großvater in dieser Hinsicht zwar untätig geblieben und auch ihre Mutter hatte gegenwärtig andere Sorgen, als sich südwärts der eigenen Grenzen zu tummeln. Dennoch lag ein gewisser Argwohn in der Luft, wenn ihr Blick den von Balderan von Brückenau und Sigerich von Kaltentann, der nach Furgunds Meinung ziemlich gutaussehend war, sich aber wie ein verstockter, kalter Fisch gebärdete, traf.
Etwas mürrisch wirkte auch Helwig von Rossbergen aus der Sichelwacht, der einige Jahre älter war, als sie selbst. Im letzten Jahr hatte er recht erfolgreich auf dem Kressenburger Turnier gestritten und war in der Tjoste nur dem Sieger, Baron Walthari von Leufels, unterlegen gewesen. Furgund wusste, dass die Altentralloper Rossbergens irgendwie mit dem Herzoglichen Gestüt zu tun hatten, was wohl auch erklärte, dass Herr Helwig einen prachtvollen Tralloper Riesen ritt, der – ihrer innigen Liebe zu Ringelchen zum Trotz – Neidgefühle in ihr erweckte. Mehr wusste sie von dem Ritter mit dem Hengstwappen aber nicht.
Ganz hinten ritt ein lustiges Dreiergespann aus Base und Vettern. Obgleich die Namen es nicht verrieten, gehörten Aardor von Rauheneck, Fählindis von Habechhegen und Algirdas von Stockach alle der Familie Rauheneck aus der Sichelwacht an. Das war, soweit Furgund wusste, eine recht weit verbreitete und zumindest zweifelhaft beleumundete Familie. Was eine Ehre war, wie sie fand, denn für die ihre galt das Gleiche. Die drei waren in ihrem Alter und Fählindis stammte gar aus Sichelgau, mithin einem Lehen unweit dem ihrer Mutter. Furgund fand es spannend, dass die Mutter von Fählindis Jagdhabichte züchtete sowie ausbildete – und zwar für niemanden geringeres als die Kaiserin selbst. Die Habichtbeiz stand auch in Rotenwasser in hohem Ansehen, wenngleich Furgund ihr noch nicht allzu oft gefrönt hatte. Etwas, was sie nach ihrer Rückkehr zu ändern gedachte.
Hinter den Rittern folgte der kleine Tross mit zwei Wagen, insgesamt einem Dutzend Waffenknechten sowie einer Bardin und einem Geweihten der Rondra vom Orden zur Wahrung. Die beiden waren in eine Unterhaltung vertieft, die recht lebhaft geführt wurde. Beider Aufgabe war es, die Taten der Ritter festzuhalten, wobei die Bardin weit mehr Freiheit genoß, als der Priester, wie dieser immer wieder angemerkt und dabei herausfordernd gegrinst hatte. Seine andere Aufgabe war es aber, den Weidenern auch im Ausland und vor allem während der anstehenden Verlorenen Tage mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Furgund jedenfalls war froh, ihn an ihrer Seite zu wissen.
Gerade ließen sie die letzten Häuschen Grauweilers hinter sich und strebten gen Norden durch die üppig blühende Hollerheide, in der – wie auf die Erde gefallene Wolken – zahlreiche Hollerschnucken weideten. Durch die Alte Furt würden sie den Fialgralwa überqueren und dann gen Süden reiten. Markenweg wurde die Straße genannt, der sie über Nordhag bis nach Greifenfurt folgen würden. Von Greifenfurt aus würden sie nach Süden reisen, auf einer Handelsstraße, die wohl irgendwann ins garetische Waldstein führte, sie vorher aber nach Kressenburg brachte. Das war gut so, denn Garetien war nun wirklich keine Provinz, die Furgund lockte. Nach allem, was sie bisher von garetischen Rittern gesehen hatte, waren das vor allem Möchtegerns, denen Schein weit mehr galt als Sein, und darauf konnte sie nun wirklich getrost verzichten.